19.12.2010

Saint Genet

von Sartre; immer noch ein wundervolles, neuartiges Buch. Außerdem: Logik des Sinns. Sartre schreibt über die Metamorphosen von Genet, und Deleuze radikalisiert diese Ansicht (in gewisser Weise) anhand der Logik von Kant.

16.12.2010

Artikel, die mit Pfannkuchen anfangen, enden mit Justin Bieber

Darf Justin Bieber mit Selena Gomez Pfannkuchen essen? Die Fans twittern Gefahr. Hund, wer an Satire denkt.

Sperrholzfrisuren waren einst das Markenzeichen englischer Königinnen. Neuerdings entdeckt man diese in ihrer aerodynamischen Variante bei self-made-Herzensbrecher Justin Bieber. Produziert durch den Untergang des Hauses Usher wird jetzt selbst das schnöde Mehlgebäck zum Schibboleth für Fans. Die Frisur hält.

Fan ist nicht gleich Fan
18.37 in einer anonymen Tram in Berlin: ein Junge steigt ein und überrascht durch eine Frisur, die sich so schmiegsam über sein Gesicht legt, dass man dieses bartlose Weiß für eine Art gigantischer Rose von Jericho halten könnte. Doch nein! Beim näheren Hinblick ist es tatsächlich nur ein Junge. Ein überbieberter Junge, zugegeben. Vom Original wünschte man sich manchmal ähnliche Camouflage.
Andere Jungen in diesem Alter hören Punk. Ihre Hosen sind zerrissen, durch ihre Lippen finden mindestens drei Metallringe ihre Berechtigung zur Existenz, und das Tattoo auf dem Unterarm ist zu 30 % echt. Solche Jungen finden noch Verständnis bei den älteren Erwachsenen. Jedoch: Justin Bieber!
Als jüngst Samuel Koch seine Wette bei Thomas Gottschalk so tragisch schmiss, hatten einige der Fans von Bieber nichts anderes zu tun, als in Tränen auszubrechen. Das Unglück war allerdings nicht das Unglück, sondern dass der jugendliche Pop-Star nicht auftreten würde. All die schönen "Ich will ein Kind von dir!"-Schilder umsonst gemalt und die Eltern können einen noch nicht einmal richtig trösten. Fan-sein ist hart, sogar noch härter als manche Frisuren.

Selbstmorddrohungen, ganz unschuldig
Der Musiksender MTV, kleiner Bruder von ADHS, berichtet neuerdings folgendes (laut Stern online vom 13.12.2010): in Philadelphia habe Bieber mit Gomez Pfannkuchen gegessen und anschließend das Restaurant Arm in Arm verlassen. Gomez sagt: "Das ist alles. Es ist alles ganz unschuldig." Was zu befürchten war!
Unschuldig sind auch die Fans. Kritisches Denken gleicht der berühmten Terra incognita. Da die Realität offensichtlich nicht so funktioniert, wie ein echter Fan sich das wünscht, kommt einem Selbstmorddrohung sehr gelegen. Dies musste Bieber letztes Jahr erfahren, als er offensichtlich eine unbekannte, junge Frau küsste. Bei dieser handelte es sich um Jasmine Villegas, die das "zweite Bein" (second leg) von Biebers Tournee My World Tour, einer sogenannten Welttournee, sei. Zum Stolpern braucht's doch nichts als Füß! Und mehrere Fans drohten tatsächlich mit Selbstmord. Man mag hier doch auf ein gewisses Versagen des Dilettantismus hoffen.

Ein verdammt guter Pfannkuchen
Erinnern Sie sich noch an Pulp Fiction? Dort ist das Essen eines Big Kahuna Burgers das Vorspiel zu einem wahren Gemetzel. Wer also glaubt Gomez, wenn sie sagt: "Wir haben Pfannkuchen gegessen. Wer isst nicht gerne Pfannkuchen?" Der feine Unterschied besteht darin, ob es sich um normale Pfannkuchen handelt oder Big Kahuna Pfannkuchen.
Denn genau dem gilt die Aufregung der Fans. Letzten Endes liest sich diese Aussage doch als: "Wir haben mit Justin Bieber Sex gehabt. Wer hat nicht gerne mit Justin Bieber Sex?"
Aus der Perspektive der Pfannkuchen ist diese Aussage sogar mehr als wahr. Es ist zwar nur oraler Sex gewesen, aber alles in allem war er doch ziemlich vereinnahmend.

Wie Justin Bieber singen
Artikel im Internet gleichen Popsongs. Für einen Moment leuchten sie hell auf, um dann für immer zu erlöschen. Autoren von Internet-Artikeln haben ein großes Mitgefühl für jugendliche Showgrößen. Von ihren Fans werden sie zerfleischt, in aller Zärtlichkeit, zudem missachtet, übermuttert, in panoptischem Größenwahnsinn überwacht und jede ihrer Gesten in rasender Interpretationswut zum Sprechen gebracht. Sind wir nicht alle ein wenig Bieber?
Ja, man wünschte es sich tatsächlich! Stattdessen werden wir wahrscheinlich wieder von vollkommener Missachtung gestraft, solange wir unsere Artikel nicht rappen, unsere Frisuren nicht im nahe gelegenen Baumarkt spezialanfertigen lassen und unsere Worte nicht wie die Orakelsprüche geschlechtsloser Außerirdischer klingen.
Der Neid auf Justin Bieber steht uns ins Gesicht geschrieben und kein Haar der Welt krümmt sich für uns und verdeckt dieses unschöne Gefühl. Geschichten, die mit Pfannkuchen anfangen, enden bei Justin Bieber, doch wo hören Geschichten auf, die mit Justin Bieber beginnen? Bei Rote Beete?

13.12.2010

Motivation

Ich komme zu einem meiner Lieblingsthemen zurück: Motivation. Auf suite101.de habe ich zum Rubikonmodell zwei Texte veröffentlicht, einen zur allgemeinen Einführung, einen in Bezug auf das Plotten.
Mit dem zweiten Text folge ich einer "ewigen Arbeit". Noch immer suche ich nach geeigneten Modellen, um ein zentrales Element von Romanen begrifflich fassbarer zu machen: der Szene. Das Rubikonmodell erscheint mir an dieser Stelle sehr geeignet, mein Denken zu befruchten. Tatsächlich lässt sich leicht zeigen, dass dieses vielfältig im Roman auftaucht.

Nebenbei noch ein kleiner Literaturtipp: die Schulbücher vom Duden-Verlag sind großartig. Gerade arbeite ich mit dem Mathematik-Buch für die neunte Klasse und entdecke den Spaß an dieser formalisierten Sprache neu. Jetzt muss ich mir unbedingt (und als Ausgleich) die Deutschbücher kaufen. Morgen! Vielleicht!



06.12.2010

Lieber Stern,

... jüngst, d.h. heute, schriebst Du, dass "Die Partei" "eigentlich ein satirisches Projekt … ist". Nun dürfte dir aber auch, du alte politische Nase, bekannt sein, dass die FDP aus der Westerweller Spaßpartei hervorgegangen ist und zwar durch das simple Ereignis, dass sie jegliches Ziel (Spaß) aufgegeben haben. Was also soll die Rede von einem "satirischen Projekt"? Ist das nicht eine solide Grundlage für zukünftige Erfolge um die 18 %? (Nebenbei bemerkt: 18 wird von den Neonazis als Zahl frequentiert, da diese die Initialen für Adolf Hitler bezeichnen soll: war das nicht das spaßigste am Spaßprojekt FDP?)


außerdem habe ich:

… beschlossen, meinem Spracherkennungsprogramm nicht noch weitere Vokabeln anzutrainieren, sondern erstmal wieder viel zu schreiben. Darf ich an dieser Stelle noch einmal erwähnen, wie großartig einfach das Schreiben wird, wenn man ein solches Programm hat und nicht gerade Wörter wie Deterritorialisierungsgeschwindigkeiten benutzt?
… heute erst von Slavoj Zizek Körperlose Organe gelesen, aber nichts dazu notiert, da mein Sohn gerade meinen Computer in Beschlag genommen hatte, dann habe ich von Gilles Deleuze Kino II (Das Zeit-Bild) gelesen und wiederum nichts notiert, da mein Sohn immer noch am Computer saß. Als ich dann endlich selber mich vor die Kiste setzen durfte, musste ich erstmal andere Sachen tun, als für den Blog zu schreiben. Zum Beispiel habe ich 2 h auf französischen Internet-Seiten herumgehangen und mir Rezepte für französisches Weihnachtsessen angesehen. Danach war ich hungrig und habe eine Büchse mit Dosensuppe aufgemacht.
… dann bin ich allerdings auch mal fleißig gewesen und habe diverse Notizen der letzten Wochen in meinem Zettelkasten übertragen. Dabei sind mir mal wieder meine Anmerkungen zur Chemiedidaktik vom Sommer in die Hände gefallen und dass ich diese immer noch nicht eingefügt habe. Außerdem neue Notizen, viele zu Kinofilmen: Avatar, Der Mann, der zu viel wusste, Der Pakt der Wölfe, Effi Briest. Aber auch: objektorientiertes Programmieren, ein wenig Lacan, kleine Gehässigkeit über Kristina Schröder.


Wissenschaftler klonen Raupen

Oder: Raupkopie ...
Danke an diesen Twitter!


27.11.2010

Aldi, du alte Milchnase!

Was muss ich neuerdings in deinen Regalen erblicken? Einen Joghurt aus biologisch hergestellter Milch! Sag an, Aldi, wie sollte das funktionieren? Hast du etwa unsere lila Milka-Kühe genmanipuliert? Sind diese neuerdings schwarz-weiß? Werden wir demnächst unter Schokoladenknappheit leiden? Und was sagt Frau Künast dazu?
Aber man muss ja mit dem Fortschritt gehen. Ich erwarte demnächst von dir, liebes Aldi, Kartoffeln aus bodennahem Anbau.


25.11.2010

Harry Potter und das Modellieren

Weiterhin erscheint mir Modellieren als eine der wichtigsten Fertigkeiten zu sein, die man sich antrainieren kann. Allerdings sehe ich auch hier nur nach und nach durch, wie die verschiedenen Aspekte der Modellierungskompetenz zusammenhängen. Trotzdem: vor allem die Arbeit mit kreativen/wilden Analogien gehört dazu.
Jetzt finde ich in der Morgenpost online ein Interview mit einem kreuzberger Informatiker, der in seiner Firma Teile von Harry Potter und die Heiligtümer des Todes modelliert hat.

Mathematisches Modellieren, Simulieren und sinnliche Anschauung

Morgenpost Online: Was ist der Kick an Ihrer Arbeit?
Gellinger: Wir sind, neben Regisseur und Kameramann, die einzigen, die definieren, was auf der ganzen Leinwand zu sehen ist. Wir bemalen die Leinwand.
Morgenpost Online: Braucht dieses Berufsbild eher verhinderte Maler oder kreative Programmierer?
Gellinger: Wir brauchen Mitarbeiter mit unglaublichem technischem Wissen – aber es dürfen nicht die sprichwörtlichen Computernerds aus dem Keller sein. Sie müssen ein gutes Auge haben, gern in die Natur gehen, sich anschauen, was der Himmel in der Reflexion im Wasser macht und wie das Sonnenlicht von hinten durch das Laub eines Baumes fällt. Man muss beobachten, recherchieren können – und in der Lage sein, diese Gesetzmäßigkeiten der Natur in mathematische Formeln zu fassen, die sich in eine Software umsetzen lassen. Ein extrem komplexes Berufsbild.
Wir haben hier die ganze Bandbreite an Modellierungskompetenzen innerhalb eines kurzen Abschnitts. Und dies zeigt auch, wie anforderungsreich die moderne Technik geworden ist, die nicht nur verstanden werden muss, sondern auch die Bezüge zwischen Realität und Simulation eng knüpfen muss, damit die special effects wirklich sitzen.

15.11.2010

Erziehungstipp

"Unter zwanzig Jahren werden wir keinen dieser Jünglinge, womöglich keinen unter fünfundzwanzig Jahren, in die wirtschaftliche Realität eintreten lassen. Jeder soll ad libitum die Glücksmöglichkeiten des Besitzes kosten, sie sollen sich ihm mit der Lust der jungen Erotik, mit Freiheit und Trubel unlöslich verknüpfen, er soll in diesen gefährlichen Jahren, wo Querköpfe, und in der Pubertät wird man sehr leicht querköpfig, bereit sind, die Gesellschaft auf Gerechtigkeit und Recht zu prüfen, sie nicht kennen lernen in ihrem wirklichen Bestand. Und wenn er sie mal kennen lernt, soll er sie und ihre Vorteile, für sich und den Besitzenden überhaupt, nicht mehr entbehren können; sie sollen sehen, wie er sie gründlich auf Grund seiner erlernten Philosophie bejahen wird. Ich werde verbieten, dass man Studenten auf den Universitäten duldet, deren Väter sich nicht zu einem largen Taschengeld entschließen wollen und können. Solche Kerle sind in höchstem Maße staatsgefährlich."
Bernfeld, Siegfried: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung, Frankfurt am Main 1973, S. 100
Dieser ganze Absatz ist natürlich eine Satire.
Bernfelds Text ist allerdings in höchstem Maße komplex, und auch wenn er mir hier sympathisch ist (ich liebe zynische Satiren), so muss sein Werk trotzdem auf Herz und Nieren geprüft werden, Herz und Nieren, das heißt hier auf Argumente und Metaphern.


25.10.2010

Semantische Klassen 2

Damit ihr nicht ganz auf dem Trockenen schwimmt, hier schonmal einen Überblick über die semantischen Klassen, die man allerdings sinnvoller, und von Polenz tut das auch, semantische Verknüpfungen nennen sollte, da diese sich explizit auf Wörter beziehen, die Satzteile oder Nebensätze verknüpfen (also auf bestimmte Signalwörter):
  • kopulative Verknüpfungen: diese fügen einen Sachverhalt zu einem anderen hinzu, ergänzen einen Sachverhalt oder summieren mehrere Sachverhalte (zu einem)
  • disjunktive Verknüpfungen: diese nennen eine oder mehrere Alternativen, stellen diese zur Wahl und/oder lassen die Entscheidung für diese Alternativen offen
  • adversative Verknüpfungen: diese setzen Aussagen einander entgegen, kontrastieren Aussagen oder korrigieren eine durch eine Aussage hervorgerufene Erwartung
  • konzessive Verknüpfungen: hier wird in einer ersten Aussage ein Zugeständnis gemacht, der in einer zweiten Aussage (graduell) entgegengetreten wird
  • explikative, spezifizierenden oder exemplifizierende Verknüpfungen: eine erste Aussage wird durch eine zweite Aussage erklärt, präziser ausgedrückt oder durch ein konkretes Beispiel erläutert
  • restriktive Verknüpfungen: eine erste Aussage wird durch eine zweite eingeschränkt, in ihrer räumlichen, zeitlichen, sachlichen oder sozialen Reichweite
  • komparative Verknüpfungen: eine erste Aussage wird erklärt durch den Vergleich mit einer zweiten Aussage
  • temporale Verknüpfungen: diese orientieren über die Zeitbeziehung im Satzinhalt und im Kontext
  • komitative Verknüpfungen: diese beschreiben einen Sachverhalt durch ein notwendiges Miteinander, entweder, indem zwei Sachverhalte vorliegen müssen, um zusammen eine Wirkung zu bilden, oder indem zwei Sachverhalte sich wechselseitig bedingen
  • instrumentale Verknüpfungen: diese erklärt, wie man eine Handlung durch ein bestimmtes Mittel, bzw. einen Zweck durch einen bestimmte Handlung erreicht
  • finale Verknüpfungen: hier wird durch eine (instrumentale) Handlung erklärt, welchen Sachverhalt als Zweck oder Ziel jemand erreichen will
  • konsekutive Verknüpfungen: hier wird ein als Tatsache genommener Sachverhalt dadurch erklärt, dass eine Folge behauptet oder erwartet wird
  • kausale Verknüpfungen: eine in einer ersten Aussage beschriebene Ursache wird durch eine in einer zweiten Aussage beschriebene Folge ergänzt
  • konditionale Verknüpfungen: aus einem als möglich vorausgesetzten Sachverhalt oder einer als möglich vorausgesetzten Regel wird ein bedingter folgender Sachverhalt vorausgesagt oder auf dessen mögliches Erscheinen hingewiesen
  • metakommunikative Verknüpfungen: eine zweite Aussage erklärt die Bedeutung oder Ausdrucksweise einer ersten Aussage

Semantische Klassen

Ab und zu komme ich auf meinen sehr geschätzten Peter von Polenz zurück, bzw. auf sein Buch Deutsche Satzsemantik. Darin befindet sich eine Kategorisierung semantischen Klassen/Verknüpfungen in komplexen Satzstrukturen (Seite 268-287).
Mit diesen hüpfe ich gerade zwischen Aebli (Zwölf Grundformen des Denkens), Wilks (Verlockende Gefahr) und einigen weiteren Autoren hin und her. Rousseaus Emile gehört dazu, allerdings nur eine ganz kurze Passage über die Aufmerksamkeit von Säuglingen, und einiges aus den Tagebüchern von Anais Nin. Jonathan Cullers Dekonstruktion habe ich zumindest stellenweise gelesen, aber noch nicht genau durchkommentiert, und einen Aufsatz von Michel Foucault (Ein Spiel um die Psychoanalyse). 

Die Vorlesungen von Michel Foucault

Gerade Michel Foucault erscheint mir als ein besonders fruchtbarer Autor für eine Analyse anhand semantischen Klassen. Anders als Hans Aebli zersplittert er die Begriffe, löst sie in Argumentationen auf und erweitert oder verengt ihren Geltungsbereich. Im Gegensatz zu Foucault wirkt Aebli von seinen Argumentationen monoton. Ähnlich wie Foucault kann man die Vorlesungen von Sigmund Freud als von den semantischen Verknüpfungen her reich bezeichnen.
Das liegt unter anderem daran, dass Foucault und Freud viel "dialogischer" schreiben, und dadurch ein sehr viel stärkeres Spiel von Argumenten aus verschiedenen Blickwinkeln entfalten. 

Dialoge schreiben

Dialoge sind für viele Autoren das Eichmaß ihrer Qualität. Und, so kann ich dazusetzen, obwohl ich selbst mittlerweile ganz schöne Dialoge zustande bringe, so fällt es mir doch schwer, zu vermitteln, wie ich das tue. Für meine Kunden habe ich zwar einen ganz gutes Schema, das sich an Konflikten entlanghangelt (und dass ich witzigerweise aus einem Schema zur Lösung von Bürgerkriegskonflikten der UNO abgeleitet habe), aber mir war bis jetzt immer noch nicht so ganz klar, wo dann trotzdem die Qualitätsunterschiede in Dialogen herstammen.
Die letzten Stunden habe ich damit verbracht, explizite und implizite Propositionen in dem oben genannten Roman von Wilks zu analysieren, und hier die verschiedenen semantischen Verknüpfungen zu identifizieren. Dabei zeigt sich, dass die (sehr schönen) Dialoge bei Wilks recht komplex verknüpft sind, und dadurch (vermutlich) ihre Dramatik erhalten.
Übrigens wirkt diese Herangehensweise, die ich pflege, nämlich die analytische, auch eine Gefahr: mit der Dramatik ist es wie mit dem Witz. Versucht man, diese zu erklären, verschwindet sie. Nichtsdestotrotz: in den nächsten Tagen werde ich wohl einige konkretere Fragmente dazu veröffentlichen.

Aebli

Gotteswillen, ist das ein selbstgefälliger Mensch!
Trotzdem: Gerade habe ich wieder meine Auseinandersetzung mit seiner Theorie der Begriffsbildung gelesen und bin eigentlich ganz stolz, was ich aus diesem altbackenen Kerl herausgezaubert habe.

23.10.2010

Gefühle als dynamische Figuren

"Gefühle kann man nicht direkt erzeugen, so wie man Gedanken erzeugen kann. Es gibt auch kein Sprechen über Gefühle neben dem Sprechen über die Sache. Selbst wenn wir über Gefühle sprechen, so tun wir das in sachlichen Begriffen. Auch ist das Sprechen über Gefühle selbst kein Gefühl, und es erzeugt es in der Regel nicht. Im Gegenteil: Jedermann weiß, dass das Sprechen über Gefühle dieser häufig gerade zerstört."Aebli, Hans: Zwölf Grundformen des Lehrens,  Seite 135
Eine ärgerliche Darstellung, genauso wie die Darstellung zur Lebendigkeit des Erzählens ab Seite 37.

Kognitionen und Emotion
Worum Aebli sich hier drückt, ist eine präzisere Verbindung zwischen Gefühlen und Gedanken. Für mich kulminiert dieser ganze Absatz in der Hyperbel "zerstören". Man weiß, zumindest heute, dass Gefühle ein hochkomplexes Netzwerk darstellen, deren Beziehung zum Denken zwar nicht präzise geklärt ist, aber deren ständige Verstricktheit in kognitive Vorgänge nicht mehr weggeleugnet werden kann.
Das allerdings bestreitet Aebli auch nicht.
Die Frage, was mit dem Begriff der Zerstörung hier überdeckt wird, ist die Frage nach der Dynamik der Gefühle und deren kognitiven Reflektion. Denn der Eindruck, dass die Gefühle verschwinden, wenn man über sie nachdenkt, sie reflektiert, oder mit jemandem darüber spricht, entsteht nicht dadurch, dass Reden die Gefühle "kaputt macht", sondern dadurch, dass der Fokus der Aufmerksamkeit auf dem Wandel der Gefühle liegt (auch das ist eine höchst vage Umschreibung, ich weiß).

Gefühle und Aufmerksamkeit
Man hat es hier mit einem doppelten Kontrast zu tun. Normalerweise schenkt man seinen Gefühlen im tagtäglichen Leben nicht so viel Aufmerksamkeit, sondern nimmt sie hin. Durch dieses Aufmerken auf die eigenen Gefühle werden sie kognitiv fassbarer. Zugleich entsteht aber eine andere Differenz, die durch den ständigen Wandel der Gefühle, durch ihr "Fließen" erzeugt wird. Unterscheidet man diese beiden Kontraste nicht, dann entsteht der Eindruck, dass ein Gefühl "kaputt geht", "zerstört wird", sobald man ihm Aufmerksamkeit schenkt.
Und bei diesem Aufmerksamkeit-schenken ist es wiederum so, dass die diesen Vorgang begleitenden Gefühle "unterhalb" der entsprechenden Kognition liegen und dadurch latent werden. Man müsste von hier aus jeweils immer wieder auf das entsprechende Gefühl fokussieren, ein mühsamer, und, wie ich mir das vorstelle, unfruchtbarer Vorgang.

Verdinglichung der Gefühle
Es ist auf der einen Seite ärgerlich, dass bestimmte Kognitionspsychologen (und Aebli gehört dazu) den Gefühlen einen so mythischen Status einräumen (insgesamt sind Aeblis Bücher von "genialischen" Passagen durchzogen, die beim näheren Durchdenken ziemlich krude werden). Auf der anderen Seite sind solche Menschen ärgerlich, die behaupten, oder es einfach praktizieren, dass Gefühle immer offen und auf einfache Weise reflektiert werden könnten. Sowohl diejenigen, die nicht an den Gefühlen rühren wollen, wie diejenige, die ständig an ihnen rühren, verdinglichen diese Gefühle und sehen sie nicht als "dynamische Figuren in einem Prozess".
Dies ist auch mit einer der Gründe, warum ich der so genannten emotionalen Intelligenz überhaupt keinen Wert beimesse.

Seltsam ist auch, …

… dass ich trotz meines Spracherkennungsprogramms kaum veröffentliche. Dabei schreibe ich, bzw. spreche ich Texte, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Mein Pensum ist enorm. Doch genau darin liegt wohl die Gefahr. Ich fülle meinen Zettelkasten auf, notiere hunderte von Gedanken, aber ich ordne nichts. Ordnen heißt bei mir: Artikelchen schreiben.
Das ist aber auch meiner Lust am Herumwühlen geschuldet. Mit Dragon NaturallySpeaking ist es so einfach geworden, von Text zu Text zu hüpfen und trotzdem immer genau die Fundstelle zu bezeichnen, dass ich im Moment einfach nur am produzieren bin, kommentierte, assoziiere und wenig Lust an fertigen Texten habe.
Adam Faust, und ich: Ghostwriter
Zudem habe ich zur Zeit einen "lustigen" Auftrag. Ich bin Ghostwriter für Adam Faust, so jedenfalls sein "Künstler"Name, einem wohl ziemlich exklusiven Callboy.

Wir verstehen uns gut, lachen viel, und die Geschichten, die er erzählt, sind ziemlich unglaublich. Die meisten seiner (wirklich reichen) Kundinnen kenne ich nicht. Eins aber weiß ich ziemlich genau, wenn ich mir seine Geschichten anhöre: Geld verdirbt wirklich den Charakter, und garantiert auch keinen besseren Sex.


Nora Roberts

Auf der Rückseite von "Verlockende Gefahr" steht übrigens: "Die Fans von Nora Roberts werden Eileen Wilks lieben."
Das allerdings dürfte nicht weiter wundern, da die Bücher von Roberts teilweise völlig wirr sind, und die Frauengestalten so seltsam unterwürfig, zumindest aber charakterlos, dass man keiner Frau diese Romanfiguren als Vorbild wünscht. Dagegen ist die Heldin von Wilks eine Frau, die denkt! Sie ist widersprüchlich, weiß darum, ist intelligent, hat aber auch ihre Mucken, und ihre einzige Lebensaufgabe besteht in allem möglichen anderen, als einen Kerl ins Bett und sich selbst in den Hafen der Ehe zu bringen.
Anders gesagt: Wilks schreibt gut, Roberts schlecht.


Verlockende Gefahr

Ist das nicht seltsam? Jetzt lese ich seit drei Wochen (wieder!) romantic fantasy. Neulich habe ich auch noch einmal Nora Roberts unter der Lupe gehabt. Auch bei deutschen Leserinnen sind diese Romane sehr beliebt, und schließlich muss ich wissen, wie man solche Romane schreibt.
Meine Sache sind sie nicht. Zum Glück sind meine Kundinnen, die solche Romane schreiben wollen, sehr nett.
Wolf Shadow
Seit gestern bin ich allerdings auf eine kleine Perle stoßen, einen - für einen unterhaltsamen - gut geschriebenen Roman mit einer ordentlichen Leserorientierung, einer guten Charakterzeichnung, und einer, wenn auch auf den typischen Konventionen beruhenden, spannenden Geschichte.
Die Autorin heißt Eileen Wilks, der Roman ist der erste aus einer Reihe, die sich Wolf Shadow nennt, und der Titel lautet Verlockende Gefahr.
Erster Satz
Die Sätze von Wilks sind teilweise ganz wunderbar. Einige ihrer Sätze mitten im Roman eignen sich wundervoll für neue erste Sätze in anderen Geschichten. Hier der erste Satz aus diesem Roman:
"Viel war von seinem Gesicht nicht mehr übrig."
Auf der einen Seite ist dieser Satz eine Art "Schock", weil er indirekt auf eine höchst brutale Gewalt hinweist, und auf der anderen Seite lässt dieser Satz eine ganze Menge offen.
Regel für erste Sätze: Überschreitung der Norm und Unklarheit!


11.10.2010

Zitat

Das Erforschliche in Worte sieben; das Unerforschliche ruhig veralbern ...
Arno Schmidt: Seelandschaft mit Pocahontas



05.10.2010

Udo Reiter und Sarrazin

Offensichtlich gibt es ein neues Wort: sarrazinesk.
Damit wird wohl derzeit jegliche Kritik am Islam, die politisch inkorrekt erscheint, in ein Adjektiv fassbar.

Udo Reiter twittert

Gefunden habe ich dieses wunderbare Adjektiv in einem Artikel über Udo Reiter, der auf Twitter folgende Aussage veröffentlicht hat:
"Einheitstag 2030: Bundespräsident Mohammed Mustafa ruft die Muslime auf, die Rechte der Deutschen Minderheit zu wahren."
Damit erntete Reiter eine "Welle der Empörung". Nur: warum?

Die Richtung der Parodie

Diese Zwischenüberschrift darf man durchaus doppeldeutig lesen. Was Reiter veröffentlicht hat, ist eine Parodie. Eine gute Parodie tut weh. Und tatsächlich, wenn man sich ernsthaft überlegt, was Reiter eigentlich ausgesagt hat, dann macht er sich in einem so vieldeutigen Sinne lustig, dass man durchaus nicht sagen kann, dass diese Parodie eine bestimmte "Richtung" besäße. Will sagen: wer hier eine Eindeutigkeit liest, kann nicht richtig lesen.
Was macht eine Parodie? Sie spricht unter anderem durch eine andere Stimme, zum Beispiel die der Nationalisten. Und wäre es nicht eine Befürchtung, mit der die Nationalisten beständig spielen, dass das wahr würde, was Reiter hier schreibt? Oder spricht er vielleicht durch die Stimme all jener Naivlinge, die glauben, dass der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft und die Fähigkeit, Deutsch zu sprechen, schon die wesentlichste Bedingung der Integration sein?
Man könnte diesen Satz noch eine ganze Menge mehr "Feinde" abgewinnen. Nur was nützt das? Die Parodie ist vielfältig, und wer sich angegriffen fühlt, wird, zumindest in diesem Fall, mehr von sich selbst offenbaren, als Kritik üben. (Nachtrag: seltsamerweise ist die Parodie gerade dadurch so vielfältig lesbar, weil sie so kurz, so einfältig ist.)

Shitstorm

Auch das ist ein neues Wort. "So nennt man es heute, wenn jemand in der Netzöffentlichkeit plötzlich und heftig mit Dreck beworfen wird, ob berechtigt oder unberechtigt.", so der Autor des Artikels, Christian Stöcker. Und er fährt fort: "Twitter ist das perfekte Shitstorm-Medium, weil es sich seine Form der Informationsverbreitung Nachrichten innerhalb kürzester Zeit einer großen Gruppe von Menschen zugänglich machen kann und ihnen gleichzeitig eine Reaktionsmöglichkeit eröffnet. Je größer das Erregungspotential einer Äußerung oder Information, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch zahlreiche "Retweets" an immer weitere Netzwerke weitergereicht wird."

Parodie lernen

Meine persönliche Meinung zu den Deutschen, die ich zum besten geben, ob ich gefragt werde oder nicht: Deutsche verstehen nichts von Ironie. Deutsche können auch, zumindest glaubt man das in PISA, nicht lesen. Nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch. Und mindestens müssen Deutsche zu alle Ihre Meinung geben, auch wenn sie gar keine haben. Auch darüber macht sich Udo Reiter, strukturell gesehen, lustig. Jede massenmediale Erregung (zum Beispiel in Twitter) ist eben auch ein struktureller Witz.
Schön wäre es, wenn die Deutschen die wunderbaren Formen des literarischen Witzes wieder kennen und schätzen würden. Zwar würde dann Mario Barth nicht nur arbeitslos werden, sondern wahrscheinlich der Jean Paulschen Scharia anheimfallen, und leider würde dies auch nicht zur Islamisierung oder Ent-Islamisierung Deutschlands beitragen, aber man hätte doch ein wenig mehr zu lachen, zumindest als Intellektueller.
Um ein paar der wunderbaren Werke zu nennen: die Tagebücher von Walter Kempowski, die Sudelbücher von Lichtenberg (der ja geschrieben hat: wenn ein Tweet und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, muss das nicht immer am Tweet liegen), natürlich Jean Paul, und - wer hat ihn nicht gelesen? - Grimmelshausen. Kennen Sie übrigens von Schiller und Goethe die Xenien?
Und wenn Sie ein zugleich hoch wissenschaftliches, hochsensibles und doch parodierendes Werk lesen wollen, dann empfehle ich von Irigaray: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts.
Außerdem: Jörg Räwel: Humor als Kommunikationsmedium; Michail Bachtin: Die Ästhetik des Wortes; Gerard Genette: Palimpseste.

01.10.2010

Ein toller Satz!

»Sie duftete nach Seife und wirkte frisch und geschlechtslos.«

Gefunden in Roberts, Nora: Der Maler und die Lady, Seite 32.

Übrigens bin ich sowieso immer wieder fasziniert, wie verwirrend diese Geschichten werden, wenn man die Logik ihrer Sätze tatsächlich verstehen will. Ich weiß nicht, ob das nur an der Übersetzung liegt, oder ob diese Verwirrung schon im Original herrscht. Jedenfalls kann man sich rhetorisch unendlich über diese Texte auslassen. Seit gestern kommentiere ich (nebenbei) diesen Roman von Roberts durch.

Hier ist noch ein schöner Fund, diesmal von Seite 31:

»Lara drehte sich um. Durch Zufall oder Absicht fiel das Sonnenlicht auf ihr Profil. In diesem Augenblick sah sie atemberaubend aus. Aufseufzend betrachtete Lara ihr eigenes Gesicht.«



30.09.2010

Stationenunterricht und gute Erklärungen

In der Pädagogik, vor allem in der "praktisch" orientierten, begegnet man allerlei seltsamen Vokabeln. So finde ich in der Chemiemethodik (von Cornelsen) die Stationenarbeit als "selbstständiges Aneignen von Lerninhalten". Dieses bewirke "eine größere Verantwortung für das eigene Lernen".
Vor dem Hintergrund des Konstruktivismus ist das allerdings ein unsinniger Begriff. Denn im Konstruktivismus wird alles Wissen selbstständig angeeignet und alles Wissen basiert zunächst auf Handlungen, die kognitiv abgebildet und symbolisch verkürzt werden, so dass die Handlung schließlich gänzlich durch das Symbol zurückgenommen werden kann. Es gibt also gar nichts anderes als das selbstständige Aneignen von Lerninhalten. Tatsächlich erinnern solche Formulierungen eher an ein double-bind, in der Art, dass der Schüler sich selbstständig die Inhalte erarbeitet, die der Lehrer wünscht.
Tatsächlich erscheint mir der Wirkungszusammenhang zwischen Wissenskonstruktion und Verantwortung für das Lernen umgedreht, und mindestens wesentlich komplizierter. Indem die Stationen den Schülern die Verantwortung für einen bestimmten Aspekt oder ein bestimmtes Material geben, erzeugen sie ein gewisses Bewusstsein für die Selbstständigkeit. So verkürzt scheint das Ganze aber immer noch unsinnig. Man müsste zumindest noch die Rolle der Aufmerksamkeit und der Metakognition genauer beachten. Dies dürfte eine umfassende und weit reichende Aufgabe sein, zunächst für die Theorie, dann für die Praxis (sowohl der diagnostischen als auch der unterrichtlichen Praxis).
Kranz, Joachim/Schorn, Jens: Chemie Methodik. Berlin 2008


Veronika beschließt zu sterben und anderes

Am Montag war ich im Kino, in einer Preview, und habe mir den Film nach dem Bestseller von Paolo Coelho angesehen, "Veronika beschließt zu sterben". Eines zumindest hat mir besonders gut gefallen: anders als das Buch ist der Film nicht weinerlich. Und, sehr überraschend, Sarah Michelle Gellar spielt großartig. (Ein kurzer Text von mir dazu auch hier: Veronika beschließt zu sterben - die Verfilmung des Bestsellers.)

Dragon NaturallySpeaking 11.0
Gerade wieder nehme ich (zum vierten Mal) mein Dragon NaturallySpeaking in Betrieb. Am Anfang hatte ich einige Probleme (doch das war bereits im März, als ich so wahnsinnig viel zu tun hatte); jetzt hat mich eine Woche lang ausgebremst, dass die neue Version meine alten Benutzerdaten nicht übernommen hat und ich zahlreiche Vokabeln neu einsprechen musste. Aber es geht wesentlich schneller. Das Programm ist fantastisch.

Chemiedidaktik
Außerdem arbeite ich zur Zeit an der Chemiedidaktik. Dass ich hier so viel Zeit hineinstecke, mag manchen verwundern, doch tatsächlich sind es nicht nur die Inhalte der Chemiedidaktik, die mich interessieren, sondern auch die Querverbindungen zu anderen Themen, so zum Beispiel Kreativität, Kompetenzaufbau oder (aber das erkläre ich hier nicht genauer) zum kreativen Schreiben
.

Suite101.de
Mit mal mehr, mal weniger Lust veröffentliche ich Artikel auf suite101.de. Um mich mit Politik zu beschäftigen, jedenfalls grundlegender, fehlt mir zur Zeit die Zeit. Dabei hätte ich schon Lust, hier mehr zu schreiben, und mir fehlt die Lust, weil mir die Gelegenheit fehlt, hier in die Tiefe zu gehen.
Doch gerade die aktuelle Debatte zur Integration braucht mich (und das sage ich mit aller Unbescheidenheit), um hier adäquat die rhetorischen Mechanismen aufzudecken und mit einer Ethik eines "gewissen Pluralismus'" in Verbindung zu bringen. Zumindest habe ich gemerkt (und rege mich darüber nicht auf), dass einige Ideen aus meinen politischen Kommentaren kurz darauf von anderen Autoren aufgegriffen wurden, um nicht zu sagen abgeschrieben. Aber ich rege mich darüber eben deshalb nicht auf, weil auch meine Ideen dazu nicht neu sind, sondern ich womöglich nur der erste war, der sie mit der aktuellen Debatte verbunden hat.

(Und ich höre schon wieder einen meiner Freunde sagen: Du Hengst!)

22.09.2010

Was Amok noch bedeutet

Amok: plötzliche, unmotivierte, wahllose Gewalttaten mit schrecklichen Folgen. Früher eigentlich eher ein Ereignis aus dem Fernen Osten. In letzter Zeit vermehrt aus dem Nahen Osten und den USA. Inzwischen auch in Mitteleuropa, insbesondere in Deutschland und der Schweiz ein Begriff, der Böses ahnen lässt.
Drollig, und genauer nachzulesen auf www.psychosoziale-gesundheit.net.



15.09.2010

Rhetorische Analyse

Hmmm ... eine schöne, kleine, fragmentarische Analyse zu einem Aphorismus von Nietzsche hier. Eigentliches Ziel ist immer noch eine Rhetorik des Humors. Hier fehlen mir aber noch wesentliche Erkenntnisse.


14.09.2010

Clustern und Schreiben

Texte schreiben ist nicht immer so lustig, vor allem, wenn es sich um formalisierte Texte handelt, die bestimmte Stichwörter bedienen müssen. Nebenbei vergnüge ich mich deshalb mit dem Schreiben von kleinen Artikelchen für suite101.de. Ein paar Tage habe ich jetzt pausiert. Dafür stelle ich jetzt drei Stück online, die miteinander zusammenhängen. Blogleser werden den Tenor dieser Artikel bereits kennen. Der erste betrachtet Cluster als kreative und analytische Methode. Der zweite beleuchtet das Verhältnis zwischen Cluster und wissenschaftlichem Schreiben. Der dritte verweist auf eine recht simple Möglichkeit der Formalisierung von Clustern hin zu Begriffsnetzen.
Bizarr finde ich, dass Cluster im Internet kaum gesucht werden. Ich halte diese immer noch für eine der wichtigsten Techniken beim Schreiben, auch beim wissenschaftlichen Schreiben (neben dem Zettelkasten). Warum in unserer wieder ach so leistungsbereiten Gesellschaft diese Methode so wenig gepflegt wird, ist mir ein Rätsel. Ich jedenfalls fabriziere damit eine ganze Menge Sinniges und Unsinniges.


13.09.2010

Blicklose Augen (Vampirromane)

Ich treibe mich, neben der ganzen anderen Arbeit, in der Lyrik herum. Gerade auch, weil sich hier ein aktuelles Motiv aus der Vampirliteratur finden lässt, das Motiv der blicklosen Augen und umgekehrt das Gefühl, angeblickt zu werden (ein typisches Motiv des Horrorromans, siehe zum Beispiel das Masten-Haus in Stephen Kings "Brennen muss Salem", siehe aber auch ETA Hoffmanns Sandmann).
Bei Walter Benjamin finde ich folgendes Zitat von Charles Baudelaire:
Der Stumpfsinn ist oft eine Zier der Schönheit. Ihm hat man es zu verdanken, wenn die Augen trist und durchsichtig wie die schwärzlichen Sümpfe sind oder aber die ölige Ruhe der tropischen Meere haben.
Benjamin, Walter: GW I/2, S. 649




08.09.2010

Herrenlose Damenfahrräder

Ab und zu probiere ich mich auch am feministischen Denken. Mit welcher Qualität, mag ich gar nicht beurteilen. An der Universität wurde eine meiner Referatsverschriftlichungen bemängelt, weil dieses nicht die weibliche Form mitgenutzt hatte. Während meines Referendariats war es umgekehrt. Weibliche Form? Weiß man doch, liest sich außerdem viel zu kompliziert.
Eine nette Kolumne zur "Sprachbereinigung" hat Sebastian Sick heute bei Zwiebelfisch eingestellt.
Ernsthafter ist meine sehr knappe Einführung zum hegemonialen Sprechen.



07.09.2010

Sarrazin, die Türken und die Intelligenz

Ich müsste, wenn ich Zeit hätte, diesen ganzen Ideenkomplex auseinandernehmen. Insgesamt erscheinen die Behauptungen, die im Internet über die Intelligenz aufgestellt werden, sowohl im "protürkischen" als auch im "antitürkischen" Sinne vollkommen fantastisch.
Auch der Umgang mit statistischen Daten oder das ganze Problem der Diagnostik wird in einer unterkomplexen Art abgehandelt, dass dabei nichts anderes entstehen kann als Mythen.
Was Sarrazin angeht: selbst wenn er eine Debatte angestoßen hat und dies auf provozierende Weise, sollte er hinterher noch ein wenig mehr dazu zu sagen haben als seine beständigen Wiederholungen. Denn er verweist zwar (zurecht) auf den fehlerhaften Umgang mancher seiner Kritiker mit dem von ihm verwendeten Datenmaterial, äußerst sich aber in nichts dazu, dass auch er die Daten nicht komplex genug ausgewertet hat. Welche seltsamen Blüten sprunghafte Argumente und Pseudo-Koryphäen treiben, habe ich in Sarrazin und die Intelligenz - Alles eine Sache der Gene? umrissen.


05.09.2010

Die Pseudowissenschaft "gender studies"

So finde ich es eben im Internet. Vermutlich ist dem Herrn Knauß diese Forschungsrichtung zu anspruchsvoll. Tatsächlich kann man konstatieren, dass "gender studies" zu überbetont sind, wenn die hauptsächliche Frage, wie nämlich soziale Ordnung möglich sei, diese nicht lenkt.
Gerade aber den gender studies verdanken wir tiefgreifende Einsichten in das Verhältnis von sozialer Struktur und alltäglicher Rhetorik und damit immer noch ein kaum zu ermessendes Potential an Aufklärung. Wissenschaft lässt sich im sozialen Bereich immer durch eine kritische Durchsicht des bereits vorhandenen Materials erreichen. Pseudo-Wissenschaft verhält sich dagegen simplifizierend, undifferenziert. Und das schafft der gute Ferdinand Knauß mal locker.
Beispiel? "Die Behauptung des durch die Gesellschaft konstruierten Geschlechts beruht auf einer Theorie des Psychologen John Money, die in den siebziger Jahren..." (so Knauß). Simone de Beauvoir: "Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht" (Das andere Geschlecht, 1949). John Money dagegen hat vor allem behauptet, dass zwiegeschlechtlich geborene Menschen nach einem operativen Eingriff "ganz natürlich" in ihre (von Arzt und Eltern zugewiesene) Geschlechtsidentität hineinwachsen würden. Also auch nicht ganz das, was Knauß verbreitet.


Bequemlichkeits-Biologismus

Ein schönes Wort, das auf allerlei derzeitig laufende Debatten zutrifft, zum Beispiel auf den (Anti-)Feminismus. Auch in der Pädagogik ist das Gehirn mittlerweile alles. Neuroeducation! - das Schlagwort. Dabei beobachtet man in Situationen immer noch Verhalten, keine Gehirne. Die Neurophysiologie hat in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen unseres Denkens immer besser abstecken können. Die kruden Übergriffe in den Unterricht dagegen simplifizieren nicht nur die Forschung, sondern biologisieren auch die Kinder in unzulässigem Maße. Und dann: Sarrazin und seine sauberen Ideen ethnischer Verschiedenheit! Muss ich noch ein Wort dazu sagen?
Lesen:
Michel, Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I. Frankfurt am Main 2006
Michel, Foucault: Die Geburt der Biopolitik.
Geschichte der Gouvernementalität II. Frankfurt am Main 2006


David Lynch: Interview project

David Lynch war immer mal wieder für eine Überraschung gut. Nach seinem übermäßig skandalisierten 'Blue Velvet' drehte er einige weitere Filme mit ähnlicher Atmosphäre. 'Twin Peaks' war international ein Riesenerfolg und dabei so abgedreht, so komisch und so bitter, wie kaum eine andere Produktion von ihm. Mit 'A straight story' überraschte Lynch erneut.
Jetzt habe ich, zufällig, im Internet, auf dem Blog von Outopos, einen Hinweis auf ein weiteres, faszinierendes Projekt von Lynch gefunden: The Interview Project. Ganz faszinierend.


04.09.2010

Else Buschheuer twittert

gerade: was, wenn alles nur eine frage der semantik ist?
Ist es, liebe Else, ist es.


Thilo Sarrazin - Iteration

Ich sollte mich vielleicht nicht zu sehr mit dieser Debatte beschäftigen. Sie regt mich nur auf. Von allen Seiten melden sich derzeit Halbgebildete zu Wort. Halbgebildete erkennt man oft daran, dass sie für komplexe gesellschaftliche Prozesse Lösungen parat haben.
Angela Merkel dagegen gefällt mir (bedingt) gut mit ihren Äußerungen. Sie will den Dialog fördern. Implizit sagt sie auch, dass sie keine Lösungen will. Das mag in unserer ach so lösungsorientierten Gesellschaft ein Widerspruch sein. Tatsächlich aber sind Lösungen à la Sarrazin keine Lösungen, wenn sie nicht angemessen die Problemsituation erörtern. Eine Lösung zu einem nicht-existenten Problem ist eben auch nur ein Problem. Ein paar Notizen zu Dialog und Gewalt findet ihr hier.


02.09.2010

Die gespiegelte Analogie

Luce Irigaray beginnt ihr Buch Speculum. Der Spiegel des anderen Geschlechts mit einer besonderen Art der Analogie. Die Analogie basiert normalerweise darauf, dass vier Elemente in Bezug gesetzt werden: A : B <-> X : Y, lies: A verhält sich zu B wie X zu Y.
Nun zitiert Irigaray zu Beginn den Anfang aus Freuds (fiktiver, da nicht gehaltener) Vorlesung Die Weiblichkeit:
»Meine Damen, meine Herren! [...] Über das Rätsel der Weib­lichkeit haben die Menschen zu allen Zeiten gegrübelt. [...] Auch Sie werden sich von diesem Grübeln nicht ausgeschlossen haben, insofern Sie Männer sind; von den Frauen unter Ihnen erwartet man es nicht, sie sind selbst dieses Rätsel.«
um dann fortzufahren (und zwar ohne Zitatzeichen):
Für Sie, meine Herren, handelt es sich also darum, dass Sie untereinander, unter Männern, über die Frau sprechen, die ihrer­seits nicht daran interessiert sein kann, einen Diskurs zu hören oder herzustellen, der das eines männlichen Diskurses begründen, einer Debatte unter Männern, die die Frau nicht interessieren, nichts angehen kann. Von der sie notfalls gar nichts zu wissen brauchte.
Die Bewegung, die Irigaray hier ins Spiel bringt, ist komplex.
Zunächst spricht Freud für und anstelle der Männer. Irigaray dagegen spricht anstelle von Freud, zieht aber die Gleichsetzung von Menschen und Männern ab, schärft die Linie ein, dass die Frau aus dem Reden ausgeschlossen ist und fügt den Begriff des Diskurses hinzu, der begründet wird.
Zunächst also sieht es so aus, als verhielte sich Freud zu den Männern wie Irigaray zu den Männern. A : B <-> X : B.
Allerdings macht Irigaray auch deutlich, dass sie die Rede von Freud deplatziert. Sie nimmt zwar seinen Platz ein und paraphrasiert ihn, setzt aber die Markierungen anders und verdeutlicht Oppositionen. A : B <-> A' : B.
Schließlich aber muss dieser Ort, von dem Irigaray spricht, und den Freud ganz anders besetzt, folgend gelesen werden. Freud gehört zu den Männern, spricht also unter seinesgleichen, Irigaray dagegen nicht.

(Freud ∈ Männer) : Männer ↔ (Irigaray ∉ Männer) : Männer

Dadurch, dass die Analogie von einem Paradox durchzogen wird, zerbricht der Spiegel. Übrigens ein Spiegel, den Freud seinerseits aufstellt. Männer : (Rätsel der Weiblichkeit) <-> (Frauen=Rätsel) : Desinteresse.
Immer wieder kehrt Irigaray auf solche Analogien zurück: Männer : aktiv <-> Frauen : passiv; oder: Männer : Geschlechtsverkehr <-> Frauen : Säugling; oder Männer : Frauen <-> Sperma : Eizelle. Indem Irigaray diese Analogien zusammenschürzt, sie nachahmt (nachäfft), sie konsequent dort anwendet, wo Freud inkonsequent gewesen ist, zerbricht sie nach und nach die innere Struktur von Freuds Aufsatz.
Eine weitere Strategie, die Irigaray in die Analyse der Freudschen Analogien einhängt, ist die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Typen der Analogie. Irigaray nutzt nun nicht die Begrifflichkeiten der Entwicklungspsychologie, aber indem sie die Gleichsetzung der Frau mit einem Material als strukturellen Effekt in einem hegemonialen Diskurs aufzeigt, spielt sie mit den Unterschieden zwischen einer präoperativen und einer formal-operativen Analogie.


31.08.2010

Metakognition

Die beiden Links funktionieren nicht mehr, da das Online-Journal aus dem Netz genommen worden ist.

Ein weiteres kleines Bausteinchen der Kognitionspsychologie: die Metakognition. Auch zu dieser habe ich immer mal wieder gesammelt. Die Theorie, nicht vollständig journalistisch unterspült, hier: Metakognition: ein zentrales Element von Softskills.
Wer mich kennt, wird schon vom Titel her wissen, dass ich lästern werde. Softskills und diese ganze moderne Rhetorik sind doch nur pöhmische Dörfer.

Analogien

Leider funktionieren die Links nicht mehr, da das online-Journal ganz aus dem Netz genommen wurde.

Analogien sind ein Werkzeug des Denkens. Ich habe mich schon öfter mit ihnen beschäftigt. Besonders wichtig ist mein Aufsatz über die Metaphern. Seit 2007, das ist das Jahr, in dem ich mich mit Stanley Schachter und Luc Ciompi eingehender beschäftigt habe, änderte sich auch mein ganzer Blick auf Piaget. Hier ist eigentlich noch nichts Festes entstanden, außer kleinen Gedankenkeimen. Einen solchen habe ich jetzt ausgearbeitet, hier: Analogien - gut für Problemlösen, Kreativität und Humor.
Wie immer werde ich jetzt Folgeartikel versprechen, und natürlich kein Versprechen einhalten. Ihr kennt mich.

Sandkasten bei Google

Das habe ich gestern gelernt: Google hat eine Sandbox.
Alle frischen Seiten werden bei Google erstmal ein paar Tage (meiner Erfahrung nach circa zwei) aus dem Suchsystem rausgenommen und auf Relevanz geprüft. Erst dann werden sie wieder eingestellt. Ich war neulich so stolz, als ich mich mit einem Thema beschäftigt habe, das mir seit langer Zeit abhanden gekommen ist, dem menschlichen Immunsystem. Für alle, die es noch nicht wissen: in Folge meines Biologieunterrichts in der Oberstufe habe ich mich mit Phänomenen wie Aids und multiple Sklerose beschäftigt. Das habe ich noch eine ganze Zeit lang durchgehalten und mich eigentlich für alles, was biologisch war, interessiert. Irgendwie war ich dann auch zu Giften und ihrer Verwendung in der Medizin gekommen.
Nun habe ich am Samstag einen ganz frischen Artikel über die medizinische Nutzung der Sekrete von Fröschen gelesen und für suite101 einen knappen (und etwas oberflächlichen) Artikel dazu verfasst (Neue Antibiotika - was Forscher vom Frosch lernen). Zunächst stand der ganz weit oben, dann war er plötzlich weg. Etwas irritiert fragte ich meine Kollegen von suite101 und die erzählten mir dann von der Sandbox.

Buddhistischer Mönch im Steingarten der Kommunikation

Immer mal wieder habe ich euch mit dem Gedanken überfallen, dass Kommunikation sinnlos sei. Richtig klären konnte ich das nicht. Laut Luhmann operieren sowohl Bewusstseinssysteme als auch Kommunikationssysteme mit Sinn. Ich hatte mich von der Grammatiktheorie auf den Gedanken zubewegt, dass Kommunikation, ähnlich wie die Grammatik ein Sinneinschränkungsangebot sei. Kommunikation operiert also nicht im Medium des Sinns, sondern stabilisiert sich anhand von Erwartungen in sinnlosen Mustern, die dann, wenn sie auf Bewusstseinssysteme treffen, Sinn machen.
Nun hatte ich euch neulich erzählt, dass ich den guten Jurij Lotman lese. Der schrieb folgendes:
"Ein drittes Beispiel ist der japanische buddhistische Mönch, der einen »Steingarten« betrachtet. Ein solcher Garten besteht aus einer relativ kleinen Schotterfläche, auf der die Steine in einem komplexen mathematischen Rhythmus angeordnet sind. Das Betrachten des komplexen Musters dieser Schottersteine soll eine bestimmte Stimmung erzeugen, die den Blick nach innen fördert."
Seite 37
und etwas später:
"Verschiedenartige rhythmische Reihen - von der musikalischen Wiederholung bis zum sich wiederholenden Ornament -, die über klar ausgeprägte syntagmatische Bauprinzipien verfügen, aber keine eigene semantische Bedeutung haben, können als äußere Kodes auftreten, unter deren Einfluss eine sprachliche Mitteilung umgebildet wird. Damit das System funktioniert, müssen allerdings zwei verschiedene Elemente zusammentreffen und aufeinander einwirken: eine Mitteilung in einer semantische Sprache und ein von außen eindringender rein syntagmatischer Code. Nur durch die Verbindung dieser Elemente entsteht jenes kommunikative System, das man die Sprache Ich-Ich nennen kann."
Seite 37f.
Sind wir alle solch buddhistische Mönche, die im Steingarten der Kommunikation auf Wiedergeburt hoffen? So lasst uns denn ein Bonsaibäumchen pflanzen? Und ist Schotterfläche nicht genau die passende Metapher für die neoliberale Gesellschaft?
Ich geh dann erstmal frühstücken, gelle ... vielleicht habe ich noch etwas Bambusmarmelade für meine Nirvanabrötchen. Sonst tut's auch der übliche Käse.

30.08.2010

Emotionale Kompetenz

Seit ich zum ersten Mal den Begriff der emotionalen Intelligenz gehört habe, schaudere ich vor ihm zurück. Eine Modewort, ein dummes Wort. Weiter oben habe ich knapp die Theorie von Plutchik vorgestellt, und, wie der Leser an den kritischen Einwänden von Lucia sieht, zu kurz und zu oberflächlich diskutiert. Psychologische Modelle sind nicht ideologiefrei. Man sehe sich nur die Maslowsche Bedürfnispyramide an, die eine unschöne Nähe zu neoliberalistischen und teilweise auch sexistischen Fantasien aufweist.
Wie dem auch sei. Ein nächster einführender Artikel zu Plutchik steht hier. Lucia mag ein scharfes Auge darauf werfen. Man mag ja feministische Literatur gelesen haben, wie man will. Frei von Sexismen zu sein ist wohl ein Zustand, den ich mir nicht zuschreiben werde. (Nein, ich bin nicht zu streng mit mir, falls jetzt wieder besorgte e-mails durch den elektronischen Raum flattern.)

Denkpraxis und Mathematik

Als ich als Dozent bei AKLEB anfing, wusste ich noch nicht so genau, was auf mich zukommt. Ich hatte mich einfach gefreut, mal wieder einen über längere Zeit laufenden Kurs mitzugestalten. Natürlich kam alles überraschend anders. Ich hatte ja schon immer einen gewissen Hang zu Naturwissenschaften, nicht nur durch meinen Mathematikleistungskurs in der Oberstufe und den ganz hervorragenden Dr. Mahler, der zugleich unser Klassenlehrer war. Auch während meiner Lehre zum Kommunikationselektroniker hatte ich teilweise hervorragende Lehrer. Zwar neigte mein dortiger Mathematiklehrer zu alkoholbedingtem Nuscheln, doch selbst in diesem Zustand konnte er noch Mathematik.
Die Ingenieure, die bei AKLEB eine fundierte pädagogische Ausbildung zum Unterrichten in Schulen bekommen, haben meine langjährigen Ausflüge in die Kognitionswissenschaften erneut in ganz andere Bahnen gelenkt. Genauer gesagt musste ich feststellen, dass mein Mathematikverständnis schwächelt. Und so habe ich mich wieder mal um ein Thema bereichert.
Liebe Blogleser! Eines sage ich euch gleich: falls ihr mit Mathematik nichts am Hut habt, dann werdet ihr in den nächsten Jahren einiges hier nicht lesen wollen. Vielleicht beruhigt es euch aber, dass ich viele Artikel nach suite101 auslagern werde. Der erste, zum mathematischen Modellieren, steht seit einer halben Stunde online.
Nicht zuletzt muss ich aber all den Ingenieurinnen und Ingenieuren, Diplom-Physikern, Diplom-Chemikern und Diplom-Informatikern danken, die von der fachlichen Seite aus mit mir die pädagogische Umsetzung diskutiert haben. Ich habe schon lange nicht mehr so viele wertvolle Denkimpulse gewonnen, wie im letzten halben Jahr.

29.08.2010

„Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, ...

Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.“ Dieser Satz, den der umstrittene Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin im großen Sonntagsgespräch mit der Berliner Morgenpost geäußert hatte, hat erneut für einen Sturm der Empörung gesorgt. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich in die Diskussion ein. FDP-Chef Guido Westerwelle und der Zentralrat der Juden warfen Sarrazin vor, Rassismus, Antisemitismus und Hass zu schüren."
Ich werfe Sarrazin nicht vor, Hass und dergleichen zu schüren. Für mich ist dieser Mann einfach nur komplett bescheuert.
Und im Ernst: Ist das wirklich die einzige Kritik an Sarrazin? Dass er Hass schürt? Sind seine Ansichten in Zeiten, in denen Begriffe wie Neuroplastizität und Genexpression zur Allgemeinbildung gehören, nicht grottenpeinlich, weil steinzeitmäßig?

28.08.2010

So müssen Dialoge sein

Nämlich so, wie Olaf Ittenbach sie in seinem Low-Budget-Splatter-Film "Legion" inszeniert. Welche Trottel bezeichnen diesen Film übrigens als schlecht? Alleine wegen der Dialoge muss man diesen Film lieben. Ok, vielleicht muss man diesen Film nur wegen seiner Dialoge lieben.
Folgende Unterhaltung entspinnt sich zwischen den beiden Protagonisten Luke und Will zu Beginn des Films. Dabei ist Luke ziemlich bekifft.
W: (informierend) Der Karte nach sind's nur vierzig Meilen bis Rich Crest, also können wir Joe rechtzeitig an der Tankstelle treffen und müssen uns nicht beeilen.
L: (fröhlich) Ich habe ihn eine Ewigkeit nicht gesehen. Raucht er immer noch seinen Joint?
W: Nein! Er hat damit aufgehört.
L: Siehst du! Ich wusste immer schon, dass er ein Looser ist.
W: (leicht entnervt) Im Gegensatz zu dir.
L: Keine Ahnung. (philosophisch) Ich war irgendwie nicht ich. (Pause. ernsthaft) Ey, Willi. Weißt du, worüber ich mich wundere, (Pause) seit meiner Kindheit?
W: (ironisch) Nein! Aber du wirst es mir verraten. (wartet, entnervt) Was ist es?
L: (leicht überheblich) Ach, vergiss es. Ist doch völlig unwichtig.
W: (verärgert) Und wieso hast du's erwähnt?
L: (leicht überheblich) Ich hab überhaupt nichts erwähnt.
W: (ruhiger) Natürlich hast du was erwähnt.
L: (besserwisserisch) Und warum sollte ich das?
W: (verärgert) Das weiß ich doch nicht.
L: (selbstzufrieden) Weißt du, wenn du nichts weißt, dann ist da auch nichts.
W: (genervt) Ich würd' ja nicht fragen, wenn ich wüsste, was es war. Berichtige mich, wenn ich falsch liege, aber du wolltest mir etwas erzählen, was dich seit deiner Kindheit beschäftigt, aber du hast nicht erzählt, was es war, also: bin ich bescheuert?
L: (gleichgültig) Ja, bescheuert!
W: (streng) Hör zu Luke, wenn du so stoned bist, dass du vergisst, was du vor zwei Minuten gesagt hast, oder noch vor einer, dann tust du mir wirklich leid.
L: (überlegen) Na schön! (rückt näher heran) Ich sag's dir.
W: (sarkastisch) Toll! Dann lass mal hören. (Pause)
L: (geheimnistuerisch) Ich wollte schon immer mal wissen, was ist die Mumu? (Pause, verträumt und freudig) Ja, weißt du, sie ist schön warm, und hübsch ist sie und muschelweich, wie (kurze, affektierte Pause) Mumu.
W: (sarkastisch) Ach, Doktor, ich kapier das nicht.
L: (ernsthaft, nachdenklich) Will! Denkst du, dass wir alle früher eine Mumu (Pause) hatten? Oder hatten wir einen Pipi? Oder verwandelte sich die Mumu in einen Pipi? (lebhafter) Oder fiel der Pipi ab und wurde zur Mumu? (freudig) Siehst du, das ergibt überhaupt keinen Sinn! Das ergibt überhaupt keine Reihenfolge in der biologischen Sexualkette!
W: (entnervt) Luke, wovon redest du überhaupt? (Pause)
L: (ernsthaft) Das ist alles!

27.08.2010

Guter Blog: Damian Duchamp

Zufällig bin ich wieder einmal über einen guten Blog gestolpert. Den von Damian Duchamp.
Kluge und kritische Bemerkungen zur Schule, insbesondere dem Lernen mit neuen Medien und den aktuellen Anforderungen an die Lehrer. Die, aber lest es selbst, teilweise kontrastiv zu dem stehen, was Lehrern an Unterrichtsmöglichkeiten geboten wird: nicht nur Eltern machen häufig die Lehrer zu Sündenböcken, die strukturelle Spannung in der Schulorganisation und im Bildungssystem wird gerne mal bei den Lehrern belassen. Politiker streuen sich einfach keine Asche auf's Haupt.


Mangel an naturwissenschaftlichen Lehrern

Auch das ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt.
Auf Suite101 habe ich das ausführlicher dokumentiert. Hier der Artikel.


21.08.2010

Modellieren

Da ich den Begriff des Modellierens mittlerweile für sehr wichtig halte, bekommt dieser eine eigene Kategorie. Problematisch dürfte eine Abgrenzung zur Grammatik und zu den Textmustern werden. Früher habe ich, wenn es um Modelle ging, diese unter der Kategorie Textmuster laufen lassen.
Ein zentraler (und wesentlich älterer) Meilenstein in meiner Diskussion von Modellierungskompetenzen finden sich HIER. Deutlich wird in diesem Text, dass Modellieren (in diesem Fall: Erzählen) nicht nur in Naturwissenschaften wichtig ist und auch nicht immer wissenschaftlich, sondern einfach auch ganz alltäglich ablaufen kann.

Mathematisches Modellieren

Im Moment beschäftige ich mich mit dem mathematischen Modellieren. Übrigens mal wieder.
Aus zahlreichen Gründen ist dieses Gebiet sehr spannend. Es geht nicht nur um angewandte Mathematik, sondern auch um den Aufbau von Metakognitionen. So, wie ich die Fachliteratur der Mathematikdidaktik hier verstehe, unterrichten (zukünftige) Mathematiklehrer ihre Schüler nicht nur in Mathematik, sondern auch in den geistigen Prozessen, die dahinter stehen. Damit wird ein Teil des Mathematikunterrichts zum Psychologieunterricht.

Phasen des mathematischen Modellierens

Im Folgenden stelle ich knapp (und äußerst unvollständig) ein Modell (!) des mathematischen Modellierens vor.
1. Zunächst muss ein geeigneter, das heißt mathematisierbarer Ausschnitt aus der realen Welt gewählt werden.
2. Dieser Ausschnitt wird zunächst in ein so genanntes Realmodell umgesetzt. Dieses reale Modell ist nach der Anschauung gewonnen und bildet den Übergang zu dem nächsten Modell.
3. Meist ist dieses Modell kaum von dem Realmodell zu unterscheiden. Der Unterschied liegt oft darin, dass dieses Modell mit Maßen versehen ist. Wenn man zum Beispiel eine Volumenberechnung macht, dann ist das Realmodell eine Skizze dieses Volumens, und wird im dritten Schritt schlichtweg bemaßt.
Deutlicher unterscheidet sich das Realmodell von diesem so genannten mathematisierbaren Modell bei Kurvenberechnungen oder bei der Berechnung von Inhalten von kurvigen Objekten. Ein Beispiel dafür ist die mathematische Berechnung des Inhaltes eines Weizenbierglases. Bei der Modellierung muss eine relativ komplexe Gleichung erstellt werden, und hier werden auf das Realmodell (die "Silhouette" des Weizenbierglases) Scheitelpunkte und Neigungswinkel eingetragen.
Bei komplexen geometrischen Körpern ist es ähnlich. Hier werden zum Beispiel Winkel eingezeichnet, die teilweise aus der Bemaßung erst berechnet werden müssen.
4. Im vierten Schritt findet dann die eigentliche Mathematisierung statt. Aus dem mathematisierbaren Modell werden Formeln und Rechenschritte gewonnen, mit denen eine Lösung erzielt werden kann.
5. Im letzten Schritt wird dann die errechnete Lösung mit der Realität verglichen. Erst in diesem Augenblick wird zum Beispiel das Weizenbierglas mit Wasser gefüllt und dieses dann in einen Messbecher umgeschüttet.
Meist ist die mathematische Modellierung von zeitabhängigen Kurven komplexer als die von statischen, objekthaften Kurven. Das ist dann der nächste Schritt. Nachdem der Schüler neun oder zehn Inhalte von Weizenbiergläsern untersucht hat, kann er die Kurven berechnen, in denen er nach Hause wankt.

16.08.2010

Kinderlärm

Warum sich Menschen über lärmende Kinder aufregen, ist mir seit langem ein Rätsel. Immer wieder war ich überrascht und entnervt, wenn mal wieder ein Spielplatz oder eine Liegewiese juristisch umkämpft wurde. Sicher; nicht alles, was auf diesen geschieht, finde ich toll. Aber das liegt eher daran, dass Spielplätze und Liegewiesen nicht zum Zerdeppern von Flaschen und Abladeort für Hundek*** da sind.

Kinder dagegen sollten gerade solche Orte nutzen dürfen und selbst wenn es einen stört, sollte er doch Abstriche machen können und es den Kleinen gönnen. Schließlich ist ihr Freiraum eh schon verbaut genug. Zumindest in einer Großstadt.

Was ich auch nicht verstehen kann, sind die mehr oder weniger terroristisch anmutenden Erziehungstipps, die Mütter bekommen, wenn sie mit dem plärrenden Nachwuchs an der Supermarktkasse stehen.

Kleiner Tipp für die Zukunft: ich schneide dem Kind dann immer Grimassen. Schon hört der Lütte auf zu plärren und guckt, was der doofe Onkel Fredi da macht.

Die Emotionstheorie von Plutchik

Emotionen spielen in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Auch der Begriff der emotionalen Intelligenz ist in aller Munde. Neben den durchaus wichtigen Alltagstheorien über Emotionen gibt es viele wissenschaftliche Ansätze. Einer davon soll hier vorgestellt werden.

Acht grundlegende Emotionen

Der amerikanische Psychologe Robert Plutchik hat zwei grundlegende Bewegungsrichtungen bei den Emotionen unterschieden: eine verbindende und eine trennende. Über diese erste Unterscheidung kommt er zu acht Basisemotionen.
Die vier verbindenden Basisemotionen sind Freude, Vertrauen, Überraschung und Erwartung.
Die vier trennenden Basisemotionen sind Furcht, Trauer, Ekel und Ärger.

Intensität und Kombination der Emotionen

Diese acht Formen der Emotion existieren in unterschiedlicher Intensität und können sich miteinander kombinieren.
Für die unterschiedliche Intensität der verschiedenen Emotionen seien hier zwei Beispiele genannt. Nehmen wir zum Beispiel Freude. Bei einer hohen Intensität nennen wir den Ausdruck von Freude Ekstase. Bei einer niedrigen Intensität nennen wir dies Freudigkeit, Gelassenheit oder Fröhlichkeit.
Ähnlich ist es zum Beispiel beim Ärger. In einer hohen Intensität erscheint dieser als Zorn oder Wut, bei einer niedrigen Intensität als Feindseligkeit oder Verärgerung.
Kombinieren sich zwei Emotionen, entstehen neue, abgeleitete Gefühle. So nennt Plutchik die Verbindung von Freude und Vertrauen Liebe. Kombinieren sich zum Beispiel Vertrauen und Überraschung, entsteht Neugier. Zynismus wiederum sei, so Plutchik, eine Mischung aus Ekel und Erwartung.

Kann man Emotionen lernen?

Eine der wichtigsten Erkenntnisse in der Emotionstheorie allerdings ist, dass es zwar elementare Gefühle gibt, dass man aber lernt, wann man sie hat. Das heißt, man kann durchaus ein Gefühl verlernen oder erlernen. Dabei allerdings sollte man vorsichtig sein, denn zunächst denkt man, dass es sinnvoll ist, negative Emotionen aus seinem Leben zu verbannen. Es gibt aber äußerst sinnvolle Ableitungen von schlechten Gefühlen.
So ist eine "verfeinerte" Version der Angst die Fähigkeit, sich von etwas zu distanzieren, zum Beispiel von anderen Meinungen. Plutchik sieht den Ursprung der Angst in der Funktion, sich in Sicherheit zu bringen. Dies geschieht durch eine Flucht. Dieses Moment der Flucht steckt auch hinter der Distanzierung von fremden Meinungen.
In solchen sehr erwachsenen Verhaltensweisen steckt natürlich die ganze persönliche Geschichte der Gefühle mit drin. In der Distanzierung spielen noch andere Gefühlserfahrungen eine Rolle. Häufig "zerstört" man auch diese anderen Meinung, sei es durch offene Kritik, sei es durch verächtlichem Gedanken. Dies kann man wiederum auf die Grundemotion des Ärgers zurückführen.
Von dem Standpunkt der Gefühle aus leisten Gedanken und Handlungen mehrererlei. Zunächst einmal sind es die Elemente, an die sich Gefühle binden können. Zudem mischen sich die Grundgefühle in den Gedanken und Handlungen und können in unterschiedlicher Intensität ausgedrückt werden. Schließlich verfeinert eine reiche Gedankenwelt die Emotionen, bis zu dem Moment, in dem sie gar nicht mehr für uns wahrnehmbar sind.
So kann man abschließend sagen, dass die Grundemotionen zwar angeboren sind, deren Intensität, Mischung und Verfeinerung aber erlernt werden. Zudem erlernen Menschen auch, in welchen Situationen sie welche Gefühle bevorzugen.

Überlebensstrategien

Plutchik hat die Emotionen in der Evolution verankert. Er postuliert fünf wichtige Elemente, die jede Grundemotion ausmachen.
Das erste Element ist das Reizereignis. Damit ist ein Reiz gemeint, der aktuell vorliegt und mit dem besonderen Gefühl einhergeht. Das zweite Element ist die kognitive Einschätzung. Diese repräsentiert den aktuellen Zustand. Als drittes Element kommt die subjektive Reaktion dazu, die aus dem Grundgefühl besteht. Schließlich gibt es noch ein Verhalten, das durch die Emotion ausgelöst wird und eine evolutionäre Funktion. Mit dieser wird die Anpassungsleistung an die Umwelt bezeichnet.
Ärger zum Beispiel wird durch ein Hindernis ausgelöst. In Gedanken wird dieses Hindernis als Feind bewertet (kognitive Einschätzung). Das dazugehörige Verhalten ist der Angriff und evolutionäre Funktion besteht in der Zerstörung eines Hindernisses.
Die Trauer begleitet den Verlust eines wertvollen Objekts. In diesem Fall stehen sich allerdings die kognitive Einschätzung und das Verhalten entgegen. Die kognitive Einschätzung ist, dass man das Objekt aufgeben sollte, während das Verhalten jemanden ruft. Dieser jemand ist entweder das verlorene Objekt selbst, oder jemand, der einem dabei hilft, dieses verlorene Objekt wiederzuerlangen.

Wie geht man mit Emotionen um?

Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass man möglichst viele Handlungen kennen sollte. Zudem ist eine umfassende Bildung wichtig, um viele verschiedene Gedanken entwickeln zu können. Das klassische Lernen ist also ebenso notwendig für eine reiche Gefühlswelt, wie die praktischen Tätigkeiten.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass Gefühle in jedem Gedanken und jeder Handlung enthalten sind, aber nicht offen daliegen. Man kann sie jedoch aus dem Bewegungsimpuls erschließen. Um dies gut zu können, ist eine hohe Bewusstheit des eigenen Denkens und eine sensible Reflexion des eigenen Handelns nötig.
Eine dritte Möglichkeit besteht darin, auf eine emotional besetzte Situation andere Gefühle auszuprobieren. So kann man zum Beispiel einen Menschen, auf den man ärgerlich ist, mit einem Gefühl der Überraschung "besetzen". Gelingt dies, ersetzt man nämlich den Impuls zur Zerstörung durch einen Impuls, sich neu zu orientieren. Dadurch können aus einer Situation neue Einsichten entstehen. Bei dieser dritten Möglichkeit gibt es allerdings nicht darum, sich emotional umzupolen, sondern ausschließlich darum, durch andere Gefühle eine andere Sichtweise auf eine bestimmte Situation zu erproben.

Emotionale Kompetenz

Folgt man den Gedankengängen von Plutchik, dann gibt es keine emotionale Intelligenz. Diese müsste nämlich angeboren sein. Stattdessen kann man von einer emotionalen Kompetenz reden. Diese kann erlernt werden, wenn auch nur auf dem indirekten Weg der wissenschaftlichen, kulturellen und praktischen Bildung.

15.08.2010

Blog-Marathon

Ich befinde mich viel zu selten im Internet. Gerade lese und erfahre ich, dass es seit dem 29.07 einen Blogger-Marathon gibt, der - leider! - mit nur 97 Blogs auskommen muss. Hier bekommt ihr sie alle auf einen Blick: Blogger-Marathon-Teilnehmer.
Insgesamt eine sehr schöne Idee, nur leider eben wenig genutzt. Das zeigt aber auch, wie wenig sich Blogger untereinander verlinken. Auch ich muss mich dazu rechnen. Ich verspreche aber Besserung.

10.08.2010

Zoltan Gal

Ab und zu, ganz selten, viel zu selten, schreibe ich auch mal was über Kunst.

Den Lesern wird nicht entgangen sein (hoffe ich), dass sich mal wieder jemand meinem Blog angeschlossen hat, ein Maler mit Namen Zoltan Gal. Er führt selbst einen Blog, in dem er seine Kunstwerke präsentiert.
Normalerweise bin ich von dem modernen Tafelgemälde nicht so angetan. Zu gewollt, zu maniriert, oft zu ästhetisiert und deshalb ausdruckslos. Installationen finde ich sehr viel spannender. Die Bilder von Gal jedoch haben etwas. Da kann noch jemand malen und produziert nicht nur snobistisches Handwerk.

06.08.2010

Plurales Lesen

Lotman spricht davon, dass zunächst ein Text vorhanden ist und dann seine Sprache rekonstruiert wird. Er spricht dann allerdings von Bruchstücken einer fremden Kultur, Text in einer unbekannten Sprache oder aus dem Kontext gerissene Fragmente von Kunstwerken oder Werkzeugen materieller Natur. So weit bleibt Lotman im gewöhnlichen Rahmen.

Dann aber kommt er auf innovative Kunstwerke zu sprechen, die in einer unbekannten Sprache geschrieben seien. Diese müssen die Adressaten erst rekonstruieren und sich aneignen. Lotman bezeichnet dies als »Selbstschulung« des Adressaten (Lotman, Jurij: Die Innenwelt des Denkens, S. 25f.).

Tatsächlich muss man aber sagen, dass jeglicher Text und jegliche Äußerung als solche vielfältig rekonstruiert werden kann; selbst die banalste Äußerung ist einem pluralen Lesen zugänglich.

Modelle dienen dazu, dieses plurale Lesen zu ermöglichen.

Aus den Äußerungen von Lotman kann man folgern (und da bin ich sehr dafür), dass Modelle zunächst (und wahrscheinlich immer) der Selbstschulung dienen. Modelle sind Anleitungen zur Metakognition.

 

Komponenten der metakognitiven Kompetenz

1. Metakognitives Wissen, beziehungsweise metakognitive Bewusstheit: was Menschen über sich selbst und andere Menschen als kognitive Verarbeiter wissen;

2. Metakognitive Regulationen: bezeichnet das Regulieren und Kontrollieren von Kognitionen und Lernerfahrungen durch eine Reihe von Aktivitäten, die dem Menschen helfen zu lernen;

3. Metakognitive Erfahrung: bezeichnen Reflexionen, die auf die aktuellen kognitiven Bemühungen gerichtet sind.

Ziel der metakognitiven Kompetenz ist die Fähigkeit, das richtige Werkzeug für die richtige Arbeit auszuwählen, das heißt die Fähigkeit, die richtigen Lernstrategien effektiv und zielorientiert zu nutzen.

 

Lotman geht davon aus, dass diese Selbstschulung nur deshalb möglich sei, weil an einer Sprache, selbst einer extrem individualisierten Sprache, nicht alles individuell sei. Darin sieht er den Einstieg in den Sinngehalt einer Sprache.

Ich würde dies anders ausdrücken: weil alles, was ich wahrnehme, in Form von Mustern (oder kognitiven Fertigkeiten) existiert, liegt die Grundbedingung der Selbstschulung darin, dass ich in Mustern wahrnehme und in Mustern interpretiere.

Selbstschulung bedeutet, in fremde Muster einzudringen, um eigene Muster aufzubauen. Lapidar sagt Luhmann, dass man fremde Komplexität nutze, um eigene Komplexität aufzubauen.

Intellekt

"Zum Funktionieren des Intellekts braucht es einen anderen Intellekt."

Wygotski: "Ursprünglich war jede höhere Funktion von […] zwei Menschen geteilt, sie war ein gemeinsamer psychologischer Prozess."

"Der Intellekt steht immer im Dialog."

Lotman, Jurij: Die Innenwelt des Denkens, S. 11

Auch dies ist ein Grund, warum intellektuelle Prozesse in sich asymmetrisch verlaufen (müssten). Während mir meine Denkinhalte fraglos gegeben sind, muss ich die Denkinhalte eines anderen Menschen erschließen. Sind höhere psychologische Funktionen Abkömmlinge des Dialogs, müsste sich die Polarität zwischen automatischem Erkennen und prozessualem Erschließen darin abbilden.

Was natürlich zu überprüfen wäre!

Immanente Übersetzung

Bei Lotman findet sich eine seltsame Bemerkung:

"Dabei hat sich gezeigt, dass die kleinste funktionierende semiotische Struktur nicht eine künstlich isolierte Sprache oder ein Text in einer solchen Sprache ist, sondern ein paralleles Paar ineinander nicht übersetzbarer, aber dennoch durch den »Flaschenzug« einer Übersetzung verbundener Sprachen. Ein solcher Mechanismus ist die kleinste Keimzelle, aus der sich neue Mitteilungen generieren."

(Seite 10)

Jede bedeutungstragende Einheit besteht also nicht aus einer Sprache, sondern immer aus zweien.

Wenn Lotman sagt, dass diese doppelte Sprache (plus einer losen Übersetzung) auch die kleinste Einheit eines semiotischen Objekts sei, so führt er den Bruch und die Vagheit mitten durch die Kultur (Vergiss nicht, dass du der Kern eines Bruches ist!).

Weiters spricht Lotman in diesem Zusammenhang von einer "bipolaren Asymmetrie semiotischer Mechanismen" (Seite 11).

Hier und an anderen Stellen formuliere ich im Moment zwischen Lotman und Anderson (Kognitive Psychologie) hin und her. Anderson schreibt, dass neues (deklaratives) Wissen durch bereits vorhandene Prozeduren (prozedurales Wissen) interpretiert und in "sinnvolle" Handlungen übersetzt werde.

Die Parallele zu Lotman dürfte klar sein: das Erlernen von Wissen besteht wie das semiotische Objekt Lotmans aus zwei Polen. Beide Autoren unterstreichen in diesem Zusammenhang den konstruktiven Charakter von Lernen und Interpretation, und verweisen hier auf eine immanente "Unklarheit".

Jurij Lotman

Gerade lese ich Die Innenwelt des Denkens von Jurij Lotman. Ein schönes Buch!

Ich habe mir, um nicht ständig mein Headset aufzuhaben, ein Tischmikrophon gekauft, in das ich alle meine Gedanken beim Lesen hineinplappere. Da ich das seit Tagen mache, hat sich mittlerweile ein ziemlicher Berg an Notizen angehäuft, die ich noch in meinen Zettelkasten packen muss. Der Zettelkasten ist leider in irgendeiner Weise inkompatibel mit meinem Spracherkennungsprogramm. Allzu häufig werden Wörter falsch erkannt oder mit doppeltem Anfangsbuchstaben eingeschrieben.

Außerdem habe ich mir noch zwei weitere Bücher gekauft, einmal Schriften von Helmut Plessner aus der Gesamtausgabe, und zwar den Band, in dem sein berühmter Aufsatz über Lachen und Weinen enthalten ist; und dann habe ich mir Die Ästhetik des Wortes von Michail Bachtin zugelegt. Auch dort findet sich eine Passage zur Lachkultur bei Gogol, den ich dann vermutlich auch mal wieder lesen muss.

Ich komme nicht zum Ausformulieren längerer Artikel, obwohl ich in den letzten vier Monaten so viel neues Material eingearbeitet habe, dass es für zahlreiche und auch recht unterschiedliche Themen reichen würde. So werde ich einiges an Anmerkungen und Zitaten in den Blog stellen.

02.08.2010

Es ist passiert

Ich habe das Design meines Bloges (ihr seht es!) radikal umgestellt.

Den ganzen Tag habe ich an verschiedenen, kleinen Themen gebastelt. Insbesondere bin ich wieder bei den Schreibkompetenzen. Drollig, dass bisher niemand diese Kompetenzen ausformuliert und auf eine kognitionspsychologische Basis gestellt hat, zumindest in Deutschland. Allerdings ist die Arbeit auch mühsam.

Zwischendrin und seit mehreren Tagen tilge ich die ganzen Rechtschreibfehler in meinem Zettelkasten. Der Zettelkasten von Daniel Lüdecke ist mittlerweile ganz großartig. Vor allem die Schreibtischfunktion ist für jeden Autor wissenschaftlicher und auch kreativer Texte zu empfehlen.

01.08.2010

Stranger than fiction

Dieser ganz bezaubernde Film wurde von Marc Forster gedreht, der auch bei Ein Quantum Trost Regisseur war. Will Farrell spielt einen Steuerbeamten, der merkt, dass sein Leben von einer fremden Frau geschrieben wird, einer Schriftstellerin, die ihn am Ende ihres Romans umkommen lassen will. Er macht sich auf die Suche nach dieser Frau, findet sie, stellt fest, dass dieser Roman, der Roman über sein eigenes Leben (und Sterben), das Schönste ist, was er jemals gelesen hat und überredet die Schriftstellerin dazu, ihn sterben zu lassen (im Roman und im wirklichen Leben).

Sie werden wissen, wie dieser Film ausgeht.

Was mir so wichtig an diesem Film ist, ist diese wunderbare Vermischung der verschiedenen Ebenen, die eine Erzählung ausmachen. Und gerade weil dieser Film diese Ebenen so gut vermischt, macht er sie so deutlich. So ist Stranger than fiction nicht nur eine ganz bezaubernde Fast-Komödie, sondern auch ein Lehrstück über Erzähltechniken.

In vielen Filmen spielt die so genannte Falken-Theorie eine wichtige Rolle. Der Falke ist eine Metonymie für das Dingsymbol, einem zentralen Gegenstand, der das Problem der Geschichte symbolisiert. Ein solcher "Falke" ist in diesem Film ein Apfel. Dieser Apfel wird als der Auslöser eingeführt, wodurch der Hauptdarsteller später stirbt. Doch gerade zum Schluss wird er ersetzt, und statt seinem Apfel hinterherzulaufen, rettet der Hauptdarsteller einen Jungen vor dem Überfahren-werden. Ist der Apfel ein Symbol für ein Problem, so ist der Junge eine Metapher für die Lösung.

Hier zeigt sich, wie der Autor in seine Erzählungen eingreift und sich mit diesen vermischt, untergründig und oft unerkannt. Die Autorin (wunderbar gespielt von Emma Thompson) sieht diesen Apfel, sie sieht ihn auf die Straße rollen, sie beschreibt, zuvor, wie der Protagonist jeden Morgen, zwanghaft, diese Art von Apfel isst, und bis zum Schluss weiß weder sie noch der Zuschauer, wie diese Geschichte enden soll. Im Apfel drückt sich also die Notwendigkeit des Todes aus. Zum Schluss, und das zeichnet diesen Film dann doch als Komödie aus, wird der Tod verdrängt, durch eine Metapher.

Zu diesem Satz wäre einiges zu sagen. Die Metapher ist nicht, wie uns das die heutige Vulgärliteratur über Metaphern glauben machen möchte, ein Verbildlichen, sondern eine Verdrängung, ein Ungeschehenmachen des Todes. In diesem Fall, also im Falle des Films Stranger than fiction, ist das sogar wortwörtlich zu nehmen. Häufiger jedoch ist eine Metapher tatsächlich eine Blockade eines "kleinen Todes", also einer Veränderung, einem Bruch in der Identität. Die Metapher verpfropft, so liest man bei Lacan, das Ende/Entweichen eines Symptoms. Stranger than fiction ist mehr als nur eine romantische Komödie: es ist eine Allegorie auf die Wirksamkeit von Metaphern.

Hatte ich schon erzählt, dass ich diesen Film liebe? Zu dumm, dass ich ihn erst heute entdeckt habe (und wieder einmal vielen Dank an meine Videothekarin, die mir mit großer Treffsicherheit die allerschönsten Filme aussucht).