23.10.2010

Gefühle als dynamische Figuren

"Gefühle kann man nicht direkt erzeugen, so wie man Gedanken erzeugen kann. Es gibt auch kein Sprechen über Gefühle neben dem Sprechen über die Sache. Selbst wenn wir über Gefühle sprechen, so tun wir das in sachlichen Begriffen. Auch ist das Sprechen über Gefühle selbst kein Gefühl, und es erzeugt es in der Regel nicht. Im Gegenteil: Jedermann weiß, dass das Sprechen über Gefühle dieser häufig gerade zerstört."Aebli, Hans: Zwölf Grundformen des Lehrens,  Seite 135
Eine ärgerliche Darstellung, genauso wie die Darstellung zur Lebendigkeit des Erzählens ab Seite 37.

Kognitionen und Emotion
Worum Aebli sich hier drückt, ist eine präzisere Verbindung zwischen Gefühlen und Gedanken. Für mich kulminiert dieser ganze Absatz in der Hyperbel "zerstören". Man weiß, zumindest heute, dass Gefühle ein hochkomplexes Netzwerk darstellen, deren Beziehung zum Denken zwar nicht präzise geklärt ist, aber deren ständige Verstricktheit in kognitive Vorgänge nicht mehr weggeleugnet werden kann.
Das allerdings bestreitet Aebli auch nicht.
Die Frage, was mit dem Begriff der Zerstörung hier überdeckt wird, ist die Frage nach der Dynamik der Gefühle und deren kognitiven Reflektion. Denn der Eindruck, dass die Gefühle verschwinden, wenn man über sie nachdenkt, sie reflektiert, oder mit jemandem darüber spricht, entsteht nicht dadurch, dass Reden die Gefühle "kaputt macht", sondern dadurch, dass der Fokus der Aufmerksamkeit auf dem Wandel der Gefühle liegt (auch das ist eine höchst vage Umschreibung, ich weiß).

Gefühle und Aufmerksamkeit
Man hat es hier mit einem doppelten Kontrast zu tun. Normalerweise schenkt man seinen Gefühlen im tagtäglichen Leben nicht so viel Aufmerksamkeit, sondern nimmt sie hin. Durch dieses Aufmerken auf die eigenen Gefühle werden sie kognitiv fassbarer. Zugleich entsteht aber eine andere Differenz, die durch den ständigen Wandel der Gefühle, durch ihr "Fließen" erzeugt wird. Unterscheidet man diese beiden Kontraste nicht, dann entsteht der Eindruck, dass ein Gefühl "kaputt geht", "zerstört wird", sobald man ihm Aufmerksamkeit schenkt.
Und bei diesem Aufmerksamkeit-schenken ist es wiederum so, dass die diesen Vorgang begleitenden Gefühle "unterhalb" der entsprechenden Kognition liegen und dadurch latent werden. Man müsste von hier aus jeweils immer wieder auf das entsprechende Gefühl fokussieren, ein mühsamer, und, wie ich mir das vorstelle, unfruchtbarer Vorgang.

Verdinglichung der Gefühle
Es ist auf der einen Seite ärgerlich, dass bestimmte Kognitionspsychologen (und Aebli gehört dazu) den Gefühlen einen so mythischen Status einräumen (insgesamt sind Aeblis Bücher von "genialischen" Passagen durchzogen, die beim näheren Durchdenken ziemlich krude werden). Auf der anderen Seite sind solche Menschen ärgerlich, die behaupten, oder es einfach praktizieren, dass Gefühle immer offen und auf einfache Weise reflektiert werden könnten. Sowohl diejenigen, die nicht an den Gefühlen rühren wollen, wie diejenige, die ständig an ihnen rühren, verdinglichen diese Gefühle und sehen sie nicht als "dynamische Figuren in einem Prozess".
Dies ist auch mit einer der Gründe, warum ich der so genannten emotionalen Intelligenz überhaupt keinen Wert beimesse.

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