24.09.2006

Adorno: Demontagen (Begriffsbildung II)

Zusammenfassung

Statt Begriffsbildung betreibt Adorno eine Begriffsdemontage. Begriffe gehen nicht in den Sachen auf. In der Kritik der Begriffe sei auf das Unbegriffliche zu zielen. Die Einbindung der Begriffe in die Argumente und den Ausdruck gehe über diese ebenso hinaus. Die zirkuläre Bewegung entspreche der Konstellation von Begriffen und der Demontage ihres Identitätszwanges ebenso, wie der Demontage des logischen Zwangscharakters. Ihre philosophische Form ist das Modell, bzw. der Essay, die Einsicht in Wirkliches will, über die Logik der Dialektik verbindlich bleibt, durch das Spiel die Freiheit des Ausdruckswillens achtet.

Zweifel am Begriff

"Die begrifflichen Gehäuse, in denen, nach philosophischer Sitte, das Ganze sollte untergebracht werden können, gleichen angesichts der unermesslich expandierten Gesellschaft und der Fortschritte positiver Naturerkenntnis Überbleibseln der einfachen Warenwirtschaft inmitten des industriellen Spätkapitalismus." (Negative Dialektik [ND], S. 15)

Identität. – Adorno denunziert den Begriff als scheinhaft. Dieses Scheinhafte ist durch seine angebliche Identität mit der Sache selbst gegeben. Dabei ist aber diese Identität keine Verfehlung, sondern dem Denken immanent: "Denken heißt identifizieren." (ND, S. 17). Die begriffliche Ordnung überformt und verdrängt die begreifbare Welt und stellt damit das Denken still (ND, S. 16f).

Zwangscharakter. – Begriffe sollen nach der Norm der adaequatio den Satz des ausgeschlossenen Dritten verwirklichen (ND, S. 17). Dieses Prinzip schiebt alles Nicht-Identische beiseite und wendet sich damit auch gegen das "objektive" Denken selbst: "Was an dem zu Begreifenden vor der Identität des Begriffs zurückweicht, nötigt diesen zur outrierenden Veranstaltung, dass nur ja an der unangreifbaren Lückenlosigkeit, Geschlossenheit und Akribie des Denkprodukts kein Zweifel sich rege." (ND, S. 33)

Widerspruch. – Was der Begriff ausschließt, taucht trotzdem wieder auf, diesmal aber als Widerspruch (ND, S. 17): "Er ist Index der Unwahrheit von Identität, des Aufgehens des Begriffenen im Begriff." (ND, S. 16)

Versöhnung. – Um dieser Unwahrheit zu entkommen und nicht selber dem Zwangscharakter der Identität zu verfallen, soll die Versöhnung angestrebt werden: "Diese gäbe das Nichtidentische frei, entledigte es noch des vergeistigten Zwanges, eröffnete erst die Vielheit des Verschiedenen, über die Dialektik keine Macht mehr hätte. Versöhnung wäre das Eingedenken des nicht länger feindseligen Vielen, wie es subjektiver Vernunft anathema ist." (ND, S. 18)

Dialektik. – An dieser Stelle greift dann eine Paradoxie, die Adorno in der Negativen Dialektik entfaltet. Die Dialektik folgt auf der einen Seite dem Zwangscharakter der Logik, aber auf der anderen Seite demontiert sie gerade diesen Zwangscharakter noch, indem sie 1.) der Entfaltung der Differenz von Allgemeinem und Besonderen folgt, und 2.) diese Entfaltung selbst noch als Allgemeines sieht und dies mit dem Besonderen vermittelt. Die Dialektik wendet sich so gegen sich selbst und zerstört sich, indem sie sich rigoros ausübt. (ND, S. 18) "Die Arbeit philosophischer Selbstreflexion besteht darin, jene Paradoxie auseinanderzulegen." (ND, S. 21)

Nicht Begriffsbildung, sondern Begriffsdemontage

Umdrehen. – Die Begriffe entstehen aus dem Nichtbegrifflichen (ND, S. 23). Diese Bewegung muss in der Dialektik nun umgedreht werden: "Philosophische Reflexion versichert sich des Nichtbegrifflichen im Begriff." (ND, S. 23) und: "Die Utopie der Erkenntnis wäre, das Begriffslose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen. ... Diese Richtung der Begrifflichkeit zu ändern, sie dem Nichtidentischen zuzukehren, ist das Scharnier negativer Dialektik." (ND, S. 21f)

Blick auf die Sachen. – Wie nun sieht ein solches Umdrehen aus? Adorno gibt darauf keine einfache Antwort, aber Leitlinien. Zunächst gilt der Blick den Sachen selbst und der Gedanke habe vor diese keine befriedenden Begriffe zu schieben, sondern sich zu entäußern, mit spekulativer Kraft noch das Unauflösliche der Identität des Gegenstands mit seinem Begriff zu sprengen (ND, S. 38).

Pole. – Die beiden Pole, zwischen den Adorno hin- und herchangieren will, sind Einsicht in Wirkliches und das Spiel (ND, S. 26). Damit will sie zum einen verbindlich bleiben, zum anderen aber dem Zwangscharakter entgehen. "An [der Philosophie] ist die Anstrengung, über den Begriff durch den Begriff hinauszugelangen" (ND, S. 27). Dabei zieht Adorno Parallelen zu dem Pragmatismus und der Skepsis Deweys: man muss sich in die Erkenntnis engagieren, aber um ihr Fehlgehen wissen (ND, S. 25).

Alogisches. – Dabei kommt Adorno immer wieder auf die Demontage der Logik zurück: das Spiel bliebt notwendiger Bestandteil, auch wenn es clownesk, willkürlich, alotria ist. Dieses Spiel aber als Moment der Wirklichkeit zu begreifen, ist durch die Dialektik einzuholen und aufzugeben. Dies kommt – vielleicht neben den Gedanken zu Auschwitz (ND, S. 354ff) eine der berührendsten Stellen im Buch – im Selbstübersteigen des Gedankens zum Ausdruck: "Worin der Gedanke hinaus ist über das, woran er widerstehend sich bindet, ist seine Freiheit. Sie folgt dem Ausdrucksdrang des Subjekts. Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit. Denn Leiden ist Objektivität, die auf dem Subjekt lastet; was es als sein Subjektivstes erfährt, sein Ausdruck, ist objektiv vermittelt." (ND, S. 29) und etwas weiter sagt Adorno dazu, zirkulär argumentierend: "Ausdruck und Stringenz sind ihr keine dichotomischen Möglichkeiten. Sie bedürfen einander, keines ist ohne das andere. Der Ausdruck wird durchs Denken, an dem er sich abmüht wie Denken an ihm, seiner Zufälligkeit enthoben." (ND, S. 29)

Modelle. – Der Begriff, der in das Argument ebenso eingebunden ist wie in den Ausdrucksdrang, wird von beiden überstiegen. Negative Dialektik versucht die Argumente ebenso zu entfalten, wie den Ausdrucksdrang dialektisch einzuholen. Dass sie dabei selbst argumentiert, dass sie dabei selbst einem Ausdrucksdrang folgt, macht ihr die totale Erkenntnis zu einer Utopie. Fragmentierte Erkenntnis ist schließlich das, was der Philosophie noch taugt: "Die Forderung nach Verbindlichkeit ohne System ist die nach Denkmodellen. ... Das Modell trifft das Spezifische und mehr als das Spezifische, ohne es in seinen allgemeineren Oberbegriff zu verflüchtigen. Philosophisch denken ist soviel wie in Modellen denken; negative Dialektik ein Ensemble von Modellanalysen. Philosophie erniedrigte sich erneut zur tröstlichen Affirmation, wenn sie sich und andere darüber betröge, dass sie, womit immer sie ihre Gegenstände in sich selbst bewegt, ihnen auch von außen einflößen muss." (ND, S. 39)

Konstellation. – Eines dieser Modelle wird durch den Begriff der Konstellation bezeichnet. In der Konstellation wird nicht durch Abstraktion ein neuer Oberbegriff gebildet, sondern die Begriffe treten in Beziehung zueinander, "zentriert um die Sache selbst" (ND, S. 164). "Konstellationen allein repräsentieren, von außen, was der Begriff im Innern weggeschnitten hat, das Mehr, das er sein will so sehr, wie er es nicht sein kann. Indem die Begriffe um die zu erkennende Sache sich versammeln, bestimmen sie potentiell deren Inneres, erreichen denkend, was Denken notwendig aus sich ausmerzte." (ND, S. 164f)

Essay. – Ein anderes Modell ist der Essay (Adorno: Der Essay als Form): In seiner Entfaltung tauchen alle Elemente der negativen Dialektik wieder auf.
  • Nicht-Identität von Begriffen und Sachen: "Weil die lückenlose Ordnung der Begriffe nicht eins ist mit dem Seienden, zielt [der Essay] nicht auf geschlossenen, deduktiven oder induktiven Aufbau." (ebd., S. 17)
  • Gegen den logischen Zwangscharakter: "Damit suspendiert [der Essay] zugleich den traditionellen Begriff von Methode. Der Gedanke hat seine Tiefe danach, wie tief er in die Sache dringt, nicht danach, wie tief er sie auf ein anderes zurückführt. Das wendet der Essay polemisch, indem er behandelt, was nach den Spielregeln für abgeleitet gilt, ohne dessen endgültige Ableitung selber zu verfolgen." (S. 18f)
  • Ohne Fundament: "Er fängt nicht mit Adam und Eva an sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bliebe ..." (S. 10)
  • Spiel: "Anstatt wissenschaftlich etwas zu leisten oder künstlerisch etwas zu schaffen, spiegelt noch seine Anstrengung die Muße des Kindlichen wider, der ohne Skrupel sich entflammt an dem, was andere schon getan haben. Er reflektiert das Geliebte und Gehasste, anstatt den Geist nach dem Modell unbegrenzter Arbeitsmoral als Schöpfung aus dem Nichts vorzustellen. Glück und Spiel sind ihm wesentlich." (S. 10)
  • Wechselwirkung: "Der Essay dafür nimmt den antisystematischen Impuls ins eigene Verfahren auf und führt Begriffe umstandslos, »unmittelbar« so ein, wie er sie empfängt. Präzisiert werden sie erst durch ihr Verhältnis zueinander. Dabei jedoch hat er eine Stütze an den Begriffen selber. Denn es ist bloßer Aberglaube der aufbereitenden Wissenschaft, die Begriffe wären an sich unbestimmt, würden bestimmt erst durch ihre Definition." (S. 20)
  • Dabei ist das Wie des Ausdrucks (S. 20) – als reflektiert auf den Ausdrucksdrang – ebenso wichtig, wie die teppichhafte Verflechtung der Argumente (S. 21) – als Widerstand gegen die logische Ableitung, die eine Einbahnstraße behauptet. Dieses Ablehnen von Induktion und Deduktion legen das Dritte, die Abduktion, nahe (vgl. auch S. 22).
  • Deshalb wird auch das Vergängliche nicht zu einem Ewigen abstrahiert, sondern im Essay – als Intention - wird das Vergängliche als Vergängliches zu verewigen versucht. (S. 18)
  • Indem der Essay auch die Begriffe und Theorien, die sich um einen Gegenstand konstellieren, indem er diese nicht als Erklärung für den Gegenstand nimmt, sondern nur als Hinzielen auf diesen, übt er auch immanente Kritik an geistigen Gebilden: er konfrontiert die Begriffe mit ihrem Zusammenhang und ist insofern Ideologiekritik. (S. 27)

Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1994
ders.: Der Essay als Form. in: ders.: Noten zur Literatur, Frankfurt am Main 1994, S. 9-33.

Hans Aebli (Begriffsbildung I)

Unter Begriffsbildung versteht man das Nachvollziehen und Erzeugen von Begriffen.

Einleitung

Die Begriffsbildung gilt als ein wesentlicher Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitens. Sie wird vornehmlich in der pädagogischen Psychologie untersucht. In der Didaktik werden Modelle aufgestellt, wie Begriffe zu vermitteln seien.

Neben der großen Bedeutsamkeit der Begriffsbildung für das Lernen, spielen Begriffe in der Wissenschaftssoziologie und der Alltagssoziologie eine wichtige Rolle. Begriffe, ihre Wirkung und die Methoden ihrer Herstellung sind zudem zentrale Aspekte der Philosophien. Ein Begriff wie der der Begriffsbildung verlangt also eine interdisziplinäre Herangehensweise.

Ich werde im Folgenden die Begriffsbildung psychologisch darstellen und mich nur auf das Werk von Hans AEBLI stützen. Die daran anschließende Kritik ist zwar auch nur exemplarisch aufgeführt, kann aber die Probleme zentral beleuchten, die die Begriffsbildung so schwierig zu definieren machen.

AEBLIs Theorie der Begriffsbildung

Psychische Funktionen des Begriffs

"Der Begriff ist das Werkzeug, mit dem wir die Wirklichkeit deuten.", heißt es bei Aebli (1994, 83) lapidar.

Leistungen des begrifflichen Denkens seien (Aebli 1994, 84):
  • Distanzierung von der Situation,
  • Isolierung der in ihr enthaltenen Elemente und Beziehungen,
  • reine, durchsichtige Fassung der Struktur ("Ordnung"),
  • Abgrenzung derselben aus dem Kontext, bei gleichzeitiger Klärung der Beziehungen zu diesem.
Neben diesen Leistungen haben Begriffe, laut Aebli, aber noch weitere Funktionen:
Sie haben, im Gegensatz zum Handeln, keinen unmittelbaren Nutzen, und sollen stattdessen "dem erkennenden Geist ein Stück Wirklichkeit fassbar machen". "Das Anliegen ist dasjenige der Transparenz und der Konsistenz der Darstellung." (Aebli, 1994, 84)
Begriffe sind „Reinigungen“, Abstraktionen von der konkreten Realität. Sie bilden eine Struktur ab, deren wesentliches Merkmal es ist, unzeitlich, zeitlos oder überzeitlich zu sein. Selbst aus Vorgängen werden, bilden sie sich in Begriffen ab, „quasi-dingliche Gegebenheiten“. (Aebli 1994, 84f.)

Begriffsbildung

Aebli definiert die (Aufgabe der) Begriffsbildung folgendermaßen: "... ein Gefüge von Beziehungen innerhalb von Handlungen, von sachlichen Gegebenheiten oder irgendwelcher anderer Aspekte der Wirklichkeit zu objektivieren, d.h. in eine quasi-gegenständliche Form zu überführen." (Aebli 1993, 23)

Weiter zeigt Aebli, dass sich ein Begriff aus einzelnen Elementen zusammensetzt, die er als Rollen oder Aktanten bezeichnet (Aebli, 1993, 111ff.). Diese werden im Zuge der Begriffsbildung aus bereits erkannten Elementen zusammengezogen und in ein neues Schema gebracht.

Dies lässt sich recht einfach nachvollziehen: Habe ich die Vorstellung von verschiedenen Blumen, einer Schnur, einem Geschenk, usw., kann ich daraus einen Begriff "Schenken eines Blumenstraußes" zusammenziehen. Abstrahiert wird von biologischen und wirtschaftlichen Aspekten, die zwar beim Überbringen des Blumenstraußes durchaus eine Rolle spielen mögen, aber nicht zum Begriff selbst gehören. Begriffe koordinieren so z.B. Handlungen im Voraus und haben deshalb einen engen Bezug zur Planungsfähigkeit und zur Problemlösung. Sie lassen sich aber auch rasch situativ übertragen und abändern, je nachdem, ob der Strauß der Chefin, der Freundin oder der Mutter geschenkt werden soll und zu welchem Anlass dies geschieht. Diese Konkretisierung der Begriffsbildung aus einem abstrakteren Begriff führt dann z.B. zu dem neuen Begriff "der Chefin einen Blumenstraußes schenken anlässlich des Versterbens ihres Mannes".

Wesentliche Aspekte der Begriffsbildung sind also:
  • Auswählen der relevanten Elemente
  • Abstrahieren der Elemente von anderen Wirklichkeitsbezügen
  • Koordinieren der Elemente
Dieser letzte Punkt nennt sich auch Rollenzuweisung.

Rollenzuweisung

Zentral legt Aebli auf diese Rollenzuweisung Wert. Sie prägt die Handlungsmöglichkeiten vor, die durch einen Begriff bereitgestellt werden.

Nehmen wir noch einmal unser oben gegebenes Beispiel – "der Chefin einen Blumenstrauß schenken anlässlich des Versterbens ihres Mannes" -, so ist die Frage nach dem Handelnden, also demjeniger, der schenkt, nur implizit im Begriff festgelegt, in dem Fall aber, dass es mich persönlich betrifft, bin ich der Handelnde und weise mir diese Rolle zu. Dies zeigt, dass der Begriff zunächst noch abstrakt gefasst ist, aber implizit schon diese Rolle enthält, die man dann konkretisieren kann.
Zudem enthält der Begriff weitere Rollen (wem? der Chefin; weshalb? anlässlich des Versterbens ihres Mannes; was? einen Blumenstrauß).
Begriffsbildung ist deshalb vor allem Rollenklärung.
Rolle bezeichnet dabei keine soziologische Komponente, sondern eine psychologische Komponente, eine Art semantischen Bestandteil im Denken. Mit Rolle ist auch nicht gemeint, dass diese nur in einem Satz vorkommen (dies wären die linguistischen Kasusrollen). Bestandteile einer Spiegelreflexkamera in ihrer Wirkung zueinander können nicht in einem einzigen Satz ausgedrückt werden, bilden aber zusammen den entsprechenden Begriff "Spiegelreflexkamera". Es muss, im Zuge der Begriffsbildung geklärt werden, welche Rolle die Teile füreinander "spielen" (Koordination). Darstellbar ist dies in einem semantischen Netz anhand semantischer Rollen.

Kritik

Aeblis Vorgehen bereitet einige gravierende methodische Schwierigkeiten, die hier kurz angesprochen werden sollen:
  • Obwohl Aebli Begriffe als Objektivierungen schildert, bleiben seine dargestellten Begriffe offizielle Versionen von Gegenständen, Handlungen und Vorgängen. Genau dies aber führt dazu, dass Aebli diese als Bestandteile eines Lexikons identifiziert, das eine gewisse Wissenschaftlichkeit mit sich bringt. Zunehmend verliert Aebli dabei den Halt in einer Verwissenschaftlichung, die das eigentlich Spannende nicht mehr nachzuvollziehen und darzustellen weiß: wie sich Begriffe alltäglich bilden.
  • Daraus resultiert ein weiteres Problem: wenn sich Begriffe psychisch bilden, kann man ihnen dann eine allgemeine Version unterstellen, oder muss man sie, im Sinne einer Subjektorientierung und Lebensweltorientierung nicht in eine Subjektivität fassen, die sich gerade nicht zeitlos gültig darstellen lässt?
  • Wahrscheinlich resultiert aber das ganze Problem der Begriffsbildung aus einem weiteren Aspekt: dem der Beobachtbarkeit. Wenn Begriffe kognitive Phänomene sind (zumindest in der Psychologie), wie lassen sie sich beobachten oder nachkonstruieren?
  • Daran schließt sich gleich ein weiteres Problem an: wann entstehen die ersten Begriffe? Sind sie erst dann vorhanden, wenn ein Kind mehr als Einwortsätze äußern kann, also auch für den Beobachter Beziehungen sprachlich ausdrücken kann oder ist ein Kind, das Mehl, Eier und Milch in einer Schüssel zusammen kippt, aber nur die Elemente einzeln und Kuchen als Ergebnis benennen kann, schon in der Lage, einen Begriff von "Kuchen backen" zu haben?
  • Schließlich greift Aebli sehr häufig, ohne es durchzuziehen, auf die Sprachlichkeit, bzw. symbolische Fassbarkeit von Begriffen zurück. Sind Begriffe aber tatsächlich symbolisch fassbar? In diesem Falle ließen sie sich tatsächlich in einem Lexikon objektivieren. Oder haben Begriffe und damit auch Begriffsbildungen einen starken, aber oft nicht erkannten außersprachlichen Kern?
  • Dass Begriffsbildungen sich alltäglich vollziehen und eng mit sozialen Rollen, emotionalen Färbungen und Orientierung in der Lebenswelt zusammenhängen, kann man an dem oben gegebenen Beispiel mit dem Blumenstrauß sehen. Neben der Ausprägung dessen, was als Begriff gelten soll, beachtet Aebli zu wenig, dass Begriffe wahrscheinlich als ganzheitliche Ordnungsleistungen gedacht werden müssen. Die Rolle der Emotionalität wird nicht erfasst, ebenso wenig aber die Funktionalität unscharfer Begriffe (und wer hätte das nicht erlebt, dass gerade Worthülsen zunächst sehr eindrucksvoll klingen und ebenso eindrucksvoll strukturieren, dann aber, hinterfragt man sie gründlich, in sich zusammen fallen).
  • Daran ist die Frage der Flüchtigkeit anzukoppeln: wenn Begriffe konkretisiert werden, bilden sie vielleicht, aber eben nur vielleicht, neue Begriffe. Wann, unter welchen Bedingungen der Stabilität von Wissen, gehen Konkretisierungen oder Abstrahierungen in neue Begriffe über?
  • Sind Begriffe lediglich "Identifikationen eines bestimmten Phänomens" (Aebli 1994, 88)? Schon hier verwischt sich Aebli massiv selbst, da er zugleich sagt, Begriffe dienten nur der Identifikation eines Phänomens (sind aber diese Identifikation nicht selbst). Zwischen der Disposition, ein Phänomen wahrnehmen zu können, (Kompetenz) und der Wahrnehmung eines Phänomens (Performanz) sollte allerdings ein Unterschied gemacht werden.
Alles in allem zeigen sich also drei wesentliche Probleme bei Aebli: erstens die Frage nach der ontogenetischen und alltäglichen Grenze und damit nach der Beobachtbarkeit von Begriffen, zweitens nach der internen Funktion von Begriffen und damit den symbolischen und außersymbolischen internen Bedingungen ihrer Funktionalität, drittens nach der Lebensweltlichkeit, Situativität und Sozialität von Begriffen und damit ihren externen Bedingungen ihrer Funktionalität.

Aebli hat, so scheint es mir, sich hierbei zu sehr von wissenschaftlichen Methoden der Objektivierung und Darstellung leiten lassen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass dies nur ein sehr kleiner Aspekt der Ordnung psychischen (und sozialen) Wissens ist. Gleichwohl liefert er gerade dadurch viele Anregungen, wie Begriffsbildungen in Schule und Studium geleistet, operationalisiert und objektiviert werden können.

Ausblick

Um psychische Begriffsbildungen genauer fassen zu können, sollte man von einigen Hypothesen ausgehen, die zum einen einen möglichen Theorieentwurf betreffen, zum anderen mögliche Forschungsprojekte:
  • Begriffe sind nicht rein symbolisch. Sie umfassen auch andere wenig flüchtige kognitive Elemente.
  • Begriffe sind Ordnungsleistungen im Denken, die emotional und situativ sehr unterschiedlich gefasst und angewendet werden.
  • Begriffe sind ordnende Projektionen, die die wahrnehmbare Wirklichkeit auf das Maß vereinfachen, dass Handlungsfähigkeit gegeben ist.
  • Schärfe ist kein Gütesiegel des Begriffs, es sei denn in der Wissenschaft. Demnach sind Klärungen, Abstraktionen und Reinigungen auch nicht die wesentlichen Operationen der Begriffsbildung und – denkt man diese weiter - auch nicht die wesentlichen Ziele eines begriffsbildenden Unterrichts.
  • Aebli, Hans: Denken: Das Ordnen des Tuns I, Stuttgart 1993
  • ders.: Das Ordnen des Tuns II, Stuttgart 1994

20.09.2006

Der Krankenpfleger fragt weiters

bei Frederik nach, ob er in Sachen Sarkasmus einen kurzen erklärenden Text in den Blog stellen könnte, nun, da klar ist, dass ihn keine Rechnungen vom Nichtfinanzminister erwarten.
Der Hintergrund der Sarkasmus-Nachfrage ist, dass Alice eine Beule am Kopf hat und keine sarkastischen e-mail-Kommentare mehr versteht. Der sarkastische Kommentar war übrigens ausnahmsweise mal nicht auf meinem Mitz (=Mist+Witz) gewachsen, sondern auf dem von Stephan. Stephan kenne ich nun nicht, aber wenn er sarkastisch sein kann, bekommt er auf jeden Fall eine Menge Sympathiepunkte von mir.

Zum Sarkasmus

Panizza war ein Theologe und Otto Julius Bierbaum hat das von seinem Standpunkt aus ganz richtig gefühlt, wenn er nach Veröffentlichung des »Liebeskonzils«, das an zerstörendem Sarkasmus alle antikirchlichen Schriften weit hinter sich lässt, geschrieben hat, der Verfasser sehe nicht weit genug. »Was in ihm hier rebelliert, sagt Bierbaum, ist eigentlich der Lutheraner, nicht der ganz freie Mensch.« (gefunden bei Walter Benjamin, E.T.A. Hoffmann und Oskar Panizza)
Sarkasmus ist also die Rebellion eines noch nicht ganz freien Menschen. Sarkasmus wäre eine Kritik an der Entfremdung des Menschen mit Hilfe von entfremdeten Mitteln.
Anderthalb Jahre später fällt »A propos de Baudelaire« von der großen Höhe des Ruhms und der niedern des Totenbettes geschrieben, ganz erstaunlich, und freilich auch ganz wundervoll in seinem freimaurerischen Einverständnis im Leiden, seinen déjaillances de la mémoire, mit der Geschwätzigkeit des Ruhenden, dem bis zum Äußersten getriebnen détachement vom Thema, das einer hat, der nur noch einmal sprechen will, gleichviel worüber. Und wie diese Erschöpfung durchwirkt ist mit allem, was der gesunde Proust Bösartigstes, Verschlagenstes hatte. Hier erscheint - dem toten Baudelaire gegenüber - eine Haltung, die Prousts Ökonomie auch im Umgang mit seinen Zeitgenossen bestimmt hat: eine so überschwängliche, divinatorische Zärtlichkeit, das der Rückschlag in den Sarkasmus wie ein unabwendbarer Reflex der Erschöpfung erschien und scheinbar kaum dem Dichter selbst moralisch zugerechnet werden konnte. (Gefunden in den Anhängen zu Benjamins Proust-Aufsatz.)
Der Sarkasmus ist hier ökonomisch mit der Zärtlichkeit verbunden. Wahrscheinlich muss der Ökonomie, von der Benjamin hier spricht, die Freudsche Triebökonomie als Hintergrund mitgegeben werden und ihr Pendeln zwischen der Veräußerlichung (der Zärtlichkeit) und dem Sich-Abschließen (dem Sarkasmus). Der Freudsche Wahrnehmungsapparat (zumindest so, wie ich mich daran erinnere) schwankt zwischen dem Kontaktieren der Außenwelt und dem sich Abschließen gegen sie. Benjamin übersetzt dies hier in den Bereich des Kommentars, dem Umgang Prousts mit seinen Zeitgenossen. (Umgang selbst ist ein zweideutiges Wort: gewohnheitshalber bezeichnet es den Kontakt zu Zeitgenossen, kann aber auch das Umgehen, das Darum-herum-gehen, das Ausweichen bedeuten.) Der Sarkasmus, das Sich-Abschließen-gegen, ist eine Folge der divinatorischen, der seherischen Einfühlung, ab dem Moment, in dem sich die Divination verausgabt hat und sich zurückzieht, sich erschöpft hat.
Ironie ein pädagogisches Mittel des Lehrers (Socrates). Voraussetzung: dass sie eine Zeitlang als Bescheidenheit ernst genommen wird und die Anmaßung des Anderen auf einmal bloß stellt, Sonst ist sie alberne Witzelei. - Sarkasmus ist die Eigenschaft bissiger Hunde am Menschengeiste: vom Menschen dazu gegeben, schadenfrohes Lachen. - Man ruiniert sich, wenn man sich hierin ausbildet. (gefunden in den Nachlässen von Nietzsche zu Menschliches, Allzumenschliches)
Die Ironie besitzt drei Elemente: den scheinbar bescheidenen Lehrer, das Ernst-Nehmen, die Enthüllung der Anmaßung.
Der Sarkasmus besitzt ebenfalls drei Elemente: die bissigen Hunde des Geistes, das schadenfrohe Lachen, die Ruinen des Selbst.
Der bescheidene Lehrer wie die bissigen Hunde sind Rollen, Partial- bzw. Teilrollen, die der Mensch zu spielen vermag. Das Ernst-Nehmen und das schadenfrohe Lachen sind Zwischenschritte von Ironie und Sarkasmus, ihr Wirken in der sozialen Umgebung und das Mitwirken der sozialen Umgebung an Ironie und Sarkasmus, schließlich sind Enthüllung und Ruine die Ergebnisse dieses (Zusammen-)Wirkens.
Nietzsches Idee dahinter ist das Kräftespiel der Interpretationen, das heißt, wie sich das Reden der Dinge bemächtigt. Nietzsche schreibt aus diesem Grund viel über die Einfärbungen der Interpretationen und ihrem unterschiedlichen Grad, die Gegenstände fassbar machen zu können. Mit Einfärbungen meine ich hier solche Metaphern wie "der bescheidene Lehrer", "die bissigen Hunde des Geistes", Ausdruckformen wie "Ernst-nehmen".
Im § 371 (Die Farbe der Umgebung annehmen) von Menschliches, Allzumenschliches weist Nietzsche auf zwei Aspekte des Einfärbens hin: zum einen färbt man sich durch Gewohnheiten ein, zum anderen dadurch, dass der Übergang von der Gleichgültigkeit zur Neigung oder Abneigung nur schwer erkannt werden kann. In § 372 (Ironie) färbt sich der Lehrer scheinbar mit der Schülermeinung ein, um dann in einem alles wendenden Moment diese Schülermeinung zu verraten, ihre Anmaßung zu enthüllen und ihr die Lehrermeinung entgegenzusetzen. In § 373 (Anmaßung) schließlich verweist Nietzsche auf das Paradox jeder Anmaßung: je stärker diese (scheinbar) die Umgebung mit ihrer eigenen Meinung einfärbt, umso sicherer wird sich darunter die Demütigung entwickeln, bis diese schließlich überhand nimmt und sich rächt. Wie die Ironie ihre Kraft nur aus dem Unterschied zwischen Lehrermeinung und Schülermeinung ziehen kann, so ist die Anmaßung in ihrer Kraft immer mit der Demütigung als Differenz verbunden.
Nietzsches Interpretation gilt also dem Spiel differenter Kräfte: solchen, die sich gleichzeitig eines Dinges bemächtigen, sei es in Kooperation, sei es im Konflikt, und solche, die das Spiel der Kräfte wandeln: die Anmaßung, aus der sich die Demütigung, aus der sich die Rache entwickelt.
Barthes hat dazu geschrieben (nachdem er sich mit Nietzsche und dem Nietzsche-Buch von Deleuze auseinandergesetzt hatte):
Einen Text interpretieren heißt nicht, ihm einen (mehr oder weniger begründeten, mehr oder weniger freien) Sinn geben, heißt vielmehr abschätzen, aus welchem Pluralem er gebildet ist. (Barthes: S/Z, S. 9)
Sarkasmus, wenn ich hier noch einmal auf Nietzsche zurückkomme, ist damit aus drei Kräften zusammengesetzt: einer Bissigkeit (Bissigkeit wird im Flaubert von Sartre als die "Weigerung, Leben zu schaffen" paraphrasiert), einem Lachen, das etwas als Schaden interpretiert (ein Lachen also, das sich eines Dinges bemächtigt, indem es dieses als Schaden, als beschädigt anzeigt), einen Willen zum Selbst-Ruin.
(Das Wort «spöttisch» folgt dem Wort «verspottet», weil Gustave spürt, dass diese Wörter durch eine tiefe Verwandtschaft miteinander verbunden sind: der Spott wird gekränkt als dumme Verhöhnung verinnert und als erwiderte Verhöhnung rückentäußert. Der in den schulischen Wettkämpfen geschlagene kleine Junge sieht die Chance, seine Besieger auf einem anderen Feld zu besiegen: in den Pausen, im Schlafsaal, überall außer in der Klasse wird er sich durchsetzen; er wird den Preis in Bissigkeit, Ironie und Lästerei erhalten; da er im Namen des Konformismus verspottet wird, wird er vor den entsetzten Augen seiner Mitschüler den Konformismus entlarven. Er wird bösartig, beißend, beleidigend sein; der von seiner Körperkraft unterstützte schwarze Humor wird sie zwingen, in einem ständigen Skandal zu leben. (das nur als Beiwerk aus: Sartre, Flaubert II. Die Personalisation, S. 577) - im Übrigen gibt es einen ganzen Wortschwarm zur Bissigkeit bei Sartres Flaubert)

Nachsatz

Da schreibe ich und schreibe ich, und bei dem ganzen Haufen an Ideen, die mir dazu einfallen, verzettele ich mich also recht ordentlich.
Alice wollte wissen, was Sarkasmus ist und einen kurzen, erklärenden Text dazu haben. Den kann ich wohl nicht liefern.
Ich würde gerne von meinem Text folgendes sagen können: Ich bin dem Pluralen nachgegangen, der im Sarkasmus mitwirkt. Ich habe, auf sehr oberflächliche Weise, das Spiel von Kräften abgeschätzt, die im sarkastischen Reden und im Reden über den Sarkasmus wirksam sind.
Wie so oft, wenn man nicht die Interpretation mit der Definition verwechselt, endet die Interpretation mit einer gewissen Ermüdung.

Was ich noch so gefunden habe

Irene wurde oft zu Rendezvous eingeladen, aber sie schlug Einladungen gewöhnlich aus, weil sie jeglichen körperlichen Kontakt, sogar das Küssen, hasste. Es wurde ihr deutlich, dass ein Mann für sie nur interessant wurde, wenn er sich nicht von ihr angezogen fühlte, und dass sie ihrerseits anfing, sich von Männern abgestoßen zu fühlen oder sie zu verachten, sobald sie Interesse an ihr zeigten. Ihre hauptsächliche Art, mit Freunden, Männern oder Frauen, zu kommunizieren und auch Bemerkungen über sich selbst zu machen, war Sarkasmus - manchmal tatsächlich äußerst witzig und ulkig.
Sie besuchte unter großen Opfern das College und brauchte etwa 8 Jahre bis zu ihrem Abschluss, weil sie abwechselnd ein Semester zur Schule ging und ein Semester als Bedienung arbeiten musste. Zu ihrer Wut, ihrer Bitterkeit und ihrem Neid trug die Tatsache bei (was sie erst spät in ihrer Analyse zugeben konnte), dass sie das meiste ihres Verdienstes an Tony schicken musste, der auf diese Art die Universität absolvierte, obwohl er ständig in seinen Klausuren durchfiel und sein Geld auf Saufgelagen verschleuderte. Dennoch bestanden ihre Eltern darauf, dass "seine Ausbildung" Vorrang vor der ihren hatte.
Irenes Hauptinteresse auf dem College galt der Kunst. Sie wollte gerne Künstlerin werden und hatte größtes Interesse daran, als Illustratorin zu arbeiten. Ihre Studienberater am College jedoch rieten ihr, Lehrerin zu werden. Sie folgte dem Ratschlag, doch hasste sie diesen Beruf mit den Jahren zunehmend mehr. Hin und wieder zeichnete und malte sie noch, und ihre Freunde ermutigten sie, ihre Kunstwerke zu verkaufen, weil sie hervorragend waren. Aber sie verschenkte ihre Arbeiten, weil sie sie nicht für wertvoll genug erachtete, um verkauft zu werden.
Im Gegensatz zu ihrer vorwiegenden, drückenden Depression war sie oft (besonders in früheren Jahren) recht erfolgreich mit ihren Clownereien, denn sie hatte einen hervorragenden Sinn für das Komische in einer Situation, und sie kostete es voll aus: "Fröhlichkeit ist oft ein unbedachtes Wellenspiel über Tiefen der Verzweiflung" ("Gaiety is often the reckless ripple over depths of despair"). (aus einer psychoanalytischen Fallbeschreibung)
Sie hatte ungefähr die letzten sechs Monate damit verbracht, sich an die düstere Aussicht von dreißig oder sogar vierzig lieblosen Jahren zu gewöhnen, die ihr an der Seite dieses Mannes bevorstanden - dieses Mannes, der abwechselnd wütend auf sie war, sie mit kaltem Sarkasmus überschüttete oder sie überhaupt nicht zur Kenntnis nahm. Soweit es Danforth anging, war sie nur ein Möbelstück - es sei denn, natürlich, dass er etwas an ihr auszusetzen hatte. Wenn das der Fall war - wenn das Abendessen nicht auf dem Tisch stand, wenn er es haben wollte, wenn ihm der Fußboden in seinem Arbeitszimmer schmutzig vorkam, sogar wenn die Teile der Zeitung, die er zum Frühstück las, in der falschen Reihenfolge lagen -, dann nannte er sie dämlich. Erklärte ihr, wenn sie ihren Arsch verlöre, wüsste sie nicht, wo sie danach suchen sollte. Sagte, wenn Gehirn Schwarzpulver wäre, wäre sie nicht imstande, sich ohne Sprengkapsel die Nase zu putzen. Anfangs hatte sie versucht, sich gegen diese Tiraden zur Wehr zu setzen, aber er hieb ihre Verteidigung in Stücke, als handelte es sich um die Mauern einer Kinderburg aus Pappe. Wenn sie ihrerseits zornig wurde, dann übertraf er sie mit weißglühender Wut, die ihr Angst einjagte. Also hatte sie es aufgegeben, zornig zu werden, und war stattdessen in Tiefen der Bestürzung versunken. Neuerdings lächelte sie nur hilflos angesichts seiner Wut, versprach Besserung und ging in ihr Schlafzimmer, wo sie auf dem Bett lag und weinte und sich fragte, was aus ihr noch werden sollte. Sie wünschte sich, sie hätte eine Freundin, mit der sie reden konnte. (Stephen King, In einer kleinen Stadt)
Für Sherlock Holmes ist sie immer die eine, die ganz besondere Frau gewesen. Für ihn hatte sie immer den einen Namen, selten hat er sie anders genannt. In seinen Augen überragte sie alle anderen Frauen. Dabei war es gar nicht so, dass er ein Gefühl wie Liebe oder dergleichen für Irene Adler empfunden hätte. Alle Emotionen, und diese eine, die Liebe, ganz besonders, waren seinem kalten, exakten, aber bewundernswert ausgeglichenen Bewusstsein verhasst. Lassen Sie es mich so sagen: Er war perfekt, wenn es ums Argumentieren ging, er war die beste Beobachtungsmaschine, die die Welt je gesehen hat. Aber ein guter Liebhaber wäre er nie geworden. Niemals sprach er von romantischen Liebeshelden anders als mit Sarkasmus und Hohn. Romantische Gefühle waren das gefundene Fressen für den scharfen Beobachter, - bestens geeignet, den Schleier von den Motiven und Handlungen der Mitmenschen wegzuziehen und sie bloßzustellen. Aber selbst einen solchen Einbruch in das eigene, empfindliche, gut ausbalancierte Temperament zuzulassen hätte für den hochqualifizierten Denker höchstens Ablenkung bedeutet, die die geistige Arbeit störte. Sand im Getriebe oder ein Sprung in einer hochempfindlichen Linse konnten sich nicht störender auf eine Maschine auswirken als eine starke Emotion auf eine Natur wie die seine. (Beginn der Sherlock Holmes-Geschichte 'Skandal in Böhmen')

18.09.2006

"Ich biete hier allen ein Menü an ...

... und jeder darf sich nehmen, was ihm schmeckt. Nur Niklas Luhmann, den wollen wir hier nicht. Der ist total frauenfeindlich. Das macht der ganz subtil."

P.S.: Hassen Sie Privatwitze auch so wie ich?

14.09.2006

Thomas Hofmann schreibt:

Hallo lieber Kritiker, hier meldet sich kurz der “Gelegenheitszeichner“. Danke für die Erwähnung. Ist ja rührend, wie man so “da draußen“ wahr genommen und schnell und “kritisch“ abgebürstet wird.
Tatsächlich illustriere ich nur “gelegentlich“, weil das ein Hobby ist und mir im Grunde Spaß bereitet, so wie den Autoren das Schreiben (aber Dir beim Lesen leider weniger). Das ganze Buch ist, so nebenbei, sicher kein richtiges großverlegerisches Profi-Produkt. Vielleicht solltest Du das bei Deiner Bewertung berücksichtigen.
Lieber Herr Hofmann!
Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht. Hätte mir jemand das Buch gegeben und dazu geschrieben: Dies ist ein kleinverlegerisches Laienprodukt, dann hätte ich mir das Lesen vielleicht erspart und gesagt: Geben wir dem Ganzen doch mal ein Sternchen für Kleinverlegertum und Laienhaftigkeit.
Leider habe ich es gelesen und dann verzweifelt versucht, Minus-Sternchen zu geben. Gab's leider nicht.
Und glauben Sie mir, Herr Hofmann: Wenn ich eine Rezension schreibe, dann habe ich durchaus nur Vergnügen im Sinn, nämlich das Vergnügen zukünftiger Leser. Warum sollte ich also ein Buch empfehlen, das sprachlich ein Ärgernis, erzählerisch eine einzige Katastrophe ist?
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man in seinen eigenen Texten gerne Fehler übersieht. Dazu gibt es einen Verlag und ein Lektorat. Oft - nicht immer eben. Jedenfalls sollte der Autor ein wenig mehr als basale sprachliche Kompetenzen besitzen (und ein Verlag sollte das einzuschätzen wissen), und grundsätzlich sollte ein Autor in der Lage sein, eine Geschichte halbwegs zu erzählen.

Und was Ihre Bilder angeht, so habe ich doch Recht, wenn ich Sie als Gelegenheitszeichner bezeichne, oder? Ob man das nun als gut oder schlecht liest, liegt vielleicht auch an dem Umfeld, in dem Ihre Zeichnungen erscheinen. Für mich ist das immer noch ein recht neutraler Ausdruck. Bewerten wollte ich die zwei Zeichnungen auf jeden Fall nicht.
Herzlichst,
Frederik Weitz

Nachtrag vom 15.09.2006:
Ich habe mittlerweile die Fortsetzung rezensiert. Was die Erzählungen angeht, hat sich meine Meinung nicht geändert. Was die Zeichnungen angeht, schon: diese weisen einen flüssigeren Strich auf und wirken dadurch lebendiger. Sie sind realistisch gehalten und von der Komposition nicht schmerzhaft (für meinen Geschmack aber noch zu voll gepackt). Mehr verlange ich von einer Buchillustration eines Fantasy- oder Horror-Buchs nicht.

13.09.2006

"Donna Leon", sagt

meine Cousine, "lohnt sich immer zu lesen. Die kannst du zehnmal lesen, weil du schon am nächsten Tag vergessen hast, was drinnen steht."

12.09.2006

Humorvolle Geschichten

Humorvolle Geschichten haben (in etwa) zwei Verlaufsformen:
Die eine ist eher anekdotisch und ändert nichts am Zustand der Protagonisten. Paradebeispiel dafür ist Pippi Langstrumpf, in deren Leben sich nichts ändert. Der Humor entsteht hier aus der Widerständigkeit gegen die Sozialisation. (Diese Erklärung ist natürlich völlig trostlos.)
Die andere Form ist bedingt anekdotisch, hat aber eine Steigerung der Spannung in sich: hier wird ein Ziel gesetzt, das unter überraschenden Wendungen erreicht wird. Der Räuber Hotzenplotz gehört dazu und das erste Buch von Artemis Fowl. Hier ist der Trick einerseits, dass die Konfrontation mit dem Bösen recht früh anfängt und ohne lange Suche einsteigt, und dass sich der Protagonist entweder immer weiter von seinem Ziel entfernt - so bei Räuber Hotzenplotz -, oder die Bedrohungen immer absurder und gefährlicher werden - so bei Artemis Fowl.
Anekdotisch meint hier, dass in der Geschichte eine Art Kurzgeschichte auftaucht, die für sich stehen könnte. Sie ist lose mit der gesamten Geschichte über den gleichen Ort und/oder den gleichen Protagonisten gekoppelt.
Die Anekdote verträgt sich schlecht mit der Spannungsliteratur, es sei denn, diese ist humorvoll, ironisch oder zynisch. Die Krimis von Dürrenmatt und bestimmte seiner Dramen kann man dazu zählen. Bevorzugt man seichtere Gewässer, seien hier die Krimis von Camilleri wärmstens ans Herz gelegt.
Was, meiner Ansicht nach, garnicht geht, sind Krimis, bei denen der Humor auf unausgearbeitete Personen und auf einen schlecht konstruierten Plot trifft. Wahrscheinlich gehen solche Krimis auch dann nicht, wenn sie ohne Humor sind. Ich habe zum Glück schon lange keinen solchen mehr gelesen und mich in letzter Zeit viel an die Klassiker gehalten. Einen unmöglichen Krimi mit schlechtem Humor finden sie hier. Dieser Krimi ist ermüdend und peinlich. Nur weil ich eine Rezension darüber schreibe, habe ich ihn zu Ende gelesen.
Dass die Anekdote nicht in den besseren Krimis vorkommt (oder wenn, dann nur sehr selten), liegt im Übrigen nicht daran, dass es Schlag auf Schlag geht. Liest man sich Hammetts Malteser Falken durch, stellt man fest, dass er sich viel Zeit lässt und die einzelne Szenen eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Geschichte bewahren. Hier ist aber die Kunst Hammetts zu würdigen, bei dem Szenen in sich etwas bedeuten, und trotzdem vollständig in den gesamten Plot eingefügt sind. Die Für-Sich-Bedeutsamkeit einer Szene macht eben noch nicht die Anekdote aus, sondern vor allem den hervorragenden Autor. - Auch Camilleri kann das ordentlich. Trotzdem gebe ich auch Hammett eindeutig den Vorzug. Bei Donna Leon sucht man hier eher vergeblich. Dass ihre Szenen etwas anekdotenhaftes haben, liegt an einer mangelnden Verknüpfung, nicht an dem gewollten und bedeutsamen Auskleiden. Ihre Plots sind nett, aber insgesamt langweilt sie mich. Martha Grimes dagegen sitzt bei ihren Szenen nicht nur der Schalk im Nacken, sondern auch ein profunde durchdachtes Handwerk im Kopf. Krimis wie "Fremde Federn" oder "Inspektor Jury geht übers Moor" drehen und wenden und biegen sich sehr leicht um den Fall herum, wurzeln aber trotzdem sicher in diesem Nährboden der Spannung.
Bei Grimes scheint ein starkes Mittel des Humors (aber ich habe das nie genauer untersucht) der Kontrast von Personen und Lebensstilen zu sein. Diese Personen und Lebensstile geraten aneinander und missverstehen sich, ohne dass den Figuren das bewusst zu werden scheint, während der Leser dies ganz klar erfasst. Diese Befangenheiten haben durchaus Ähnlichkeiten mit psychologisch verfeinerten Pippi Langstrumpfens.
Während bei Pippi Langstrumpf die Sozialisation von vorneherein verweigert zu werden scheint, sind die skurrilen Gestalten bei Grimes Menschen, die aus ihrer Sozialisation in einen gewissen Unwillen zur Sozialisation gekippt sind. Bei Artemis Fowl ist dies ähnlich. Die Beharrlichkeit, mit der Fowl sich an seinen Charaktereigenschaften festhält, wird von Colfer durch eine insgesamt unbestimmt gehaltene Sozialisation erklärt, aus der dann die Zielstrebigkeit oder Dickköpfigkeit resultiert, die zugleich etwas Geniales an sich hat, aber auch an das Trotzverhalten eines Vierjährigen erinnert. Vielleicht ist mir deshalb die Figur so sympathisch.

10.09.2006

Why Am I Famous?

Heute morgen bin ich ganz zufällig über Paris Hilton gestolpert und dann weniger über sie als über einen Zeitungsartikel über sie. Dieser Zeitungsartikel verlinkt die Homepage des englischen Künstlers Banksy, den ich sehr witzig, sehr böse finden. Allen, die meinen Blog lesen, stelle ich ihn hier kurz vor.

Die Arbeiten haben, wie hier nebenstehend, einen guten Sinn für Humor. Besonders schön finde ich seine zugleich sehr witzigen wie politischen Arbeiten auf der Westbank / Palästina. Ohne zu beleidigen klagen diese eine unwürdige Situation an, sind so provokativ wie einfallsreich, so schlicht in ihrer Ausdrucksweise wie komplex in ihrer Wirkung.
Ich bin sehr begeistert.

Die Gemälde, die Banksy gemalt hat, zeigen ebenfalls sehr unterschiedliche Themen, wie hier die Umweltverschmutzung auf einem Wasserlilien-Gemälde von der japanischen Brücke in Monets Garten, oder Spekulationsgeschäfte in den Idyllen klassischer englischer Maler.
Eine besondere Form der Kunstaktion ist das museum-bashing, in der seltsame Objekte in Museen abgelegt werden (siehe unten). Zu einer ähnlichen Aktion existiert auch ein wundervoller Video-Film, den man sich auf der Homepage des Künstlers anschauen kann.

09.09.2006

Ach, Ovid ...

Er: Du weißt doch garnicht, was die Klassiker mit Narkissos gemeint haben.
Ich: Der hat sich in sein Spiegelbild verliebt und zunächst ...
Er: Eben nicht; das war ein Mensch, der die Liebe anderer Menschen nicht erwidern konnte.
Ich: Na, bei Ovid steht aber ...
Er: Ach, Ovid, der hat doch schon seit Jahren nichts Gutes mehr geschrieben.

07.09.2006

Geschichten schreiben

Rohfassungen

Marc Albrecht hat – aber das ist ja eigentlich eine Binsenweisheit - geschrieben, dass man den ersten Entwurf eines Textes in einer sehr unausgegorenen Rohfassung zu Papier bringt. Und insofern dein Text unausgegoren ist, kann er immer noch eine gute Grundlage für eine gute Geschichte bilden
Drei Sachen solltest du allerdings unterscheiden:
1.) zuerst muss sich der Autor über die Geschichte klar werden (dazu gibt es solche Rohfassungen)
2.) dann solltest du planen, wie du den Leser in die Geschichte einführst und
3.) was du die Protagonisten entdecken lässt.

1.) Über die Geschichte klar werden

Schreibspiele? Nein danke!
Was mich mehr und mehr an kreativen Schreibspielen gestört hat, waren die vielen wolkigen Produkte, die ich mir dort zusammengebastelt habe, oder auch, das habe ich mal in recht krasser Form erlebt, die vollständige Ablehnung von Planung. Im entsprechenden Jargon hieß das dann, dass man aus dem Bauch heraus schreiben solle, und all dies wurde damit begründet, dass es ein kollektives Unterbewusstsein à la C. G. Jung gäbe, das schon die passenden, bedeutungsvollen Symbole an die richtige Stelle setzen werde. Völliger Schwachsinn, wenn mich jemand fragen sollte.
Kreative Schreibspiele sollten erst in der nächsten Phase der Planung eingesetzt werden, wenn es um Feinarbeiten geht.

Gerüste – Schemata (und etwas zur humoristischen Literatur)

Zunächst gibt es Gerüste, und der Kern der Geschichte besteht aus Klischees. Ein Beispiel? Das Schema einer Geschichte, das aus einer Einführung oder Exposition, einer Verwicklung oder Dramatisierung und einer Lösung bzw. Ende besteht, dieser Dreierschritt stammt von dem guten Herrn Aristoteles und ist schon über zweitausend Jahre alt.
Davon kann man abweichen. Aber selbst so experimentelle Texte wie Arno Schmidts Gelehrtenrepublik und Elfriede Jelineks Lust folgen dem. Formelhaftes Schreiben ist deshalb – zunächst – nichts Schlechtes: Stephen King, der auch dieses Schema benutzt, hat nicht wirklich viel mit Arno Schmidt zu tun, oder?
Andererseits begeht Eoin Colfer in seinem Buch Artemis Fowl genau diesen Bruch: er beginnt nicht am Anfang, sondern eigentlich mitten in der Verwicklung, dort, wo Artemis im Prinzip die Lösung seines Problems schon erarbeitet hat. Trotzdem kann man nicht sagen, dass Colfer hochexperimentell schreibt. Die Abweichung vom klassischen Schema scheint mir insgesamt eher typisch für humoristische als für experimentelle Romane zu sein (humoristisch hier übrigens in allen Spielarten: von weichgespülter Humorliteratur bis hin zum beißenden politischen Spott).

Auffüllen

Erst wenn ungefähr das Schema steht (ich selbst mache mir eine Zeichnung, eine Art Zeitstrecke, auf der ich Anfang, Mitte und Ende aufteile, wobei ich für den Mittelteil VIEL Platz lasse), fülle ich die Geschichte auf. Meist dann den Mittelteil.
Für mich sind derzeit all jene Ereignisse am wichtigsten, die ich Hindernisse und Verfolgungen nenne.

Hindernisse

sind alle möglichen Ereignisse, Objekte, die Handlungen verhindern oder sie scheitern lassen: ein unüberwindbarer Berg (so bei Tolkiens Herr der Ringe, wenn die Gefährten nicht über den Pass des Caradhras gelangen), eine geschlossene Gruppe (in all jenen Romanen, in denen aus einer heimlichen Gruppe heraus Verbrechen geschehen), ein nicht bezahlbarer Gegenstand, usw. Hindernisse zielen darauf ab, den Protagonisten auszuschließen.

Verfolgungen

sind den Hindernissen ähnlich, nur wird der Protagonist durch sie eingeschlossen: damit sind allerdings nicht Gefängnisse gemeint (das sind wieder Hindernisse, da sie den Protagonist aus seinem gewünschten Leben und aus der Gesellschaft ausschließen), aber die Verfolger, die den Protagonisten ins Gefängnis bringen wollen. Verfolgungen zielen darauf ab, dass der Protagonist sich in etwas einfügt. Die Erziehung eines schwierigen Kindes ist in diesem Sinne auch eine Verfolgung; ob der Erzieher das nun mit harten Strafen und drakonischen Maßnahmen durchzusetzen versucht, oder eher als ein nicht abzuschüttelnder Begleiter an der Seite des Kindes steht und ihn nach und nach auf die passende Spur zu lenken versucht, ändert nichts an der Tatsache, dass hier auf eine Anpassung gezielt wird.
Diese Definitionen sollte man insgesamt nicht allzu ernst nehmen. Jedenfalls dienen sie mir dazu, meine Ideen zum Mittelteil zu ordnen.

2.) Den Leser in die Geschichte führen

Die Geschichte zu entwerfen ist in vielen Punkten die schlichte Arbeit des Klauens: alle Hindernisse, alle Verfolgungen, jede grobe Struktur ist schon hundert- und tausendmal geschrieben worden.

Wohlfühlen

Aus meinem Gefühl heraus ist nach der Rohfassung der zweite Punkt der wichtigere, denn der Leser ist derjenige, der deine Geschichte gerne durchlesen soll. Mit Wohlfühlen ist im übrigen nicht gemeint, dass nur behagliches Blabla kommt, sondern dass sich der Leser gut an die Hand genommen weiß; denn andererseits sollte – durch die Spannung – durchaus ein Unwohlgefühl da sein. Die Technik besteht hier darin, rasch den Konflikt zu setzen, rasch die Situation zu klären.

Der erste Satz

Nicht ohne Grund beharren hier viele Schreibratgeber auf dem "ersten Satz". Dies kann natürlich auch der erste Absatz sein.

Stephen King beginnt seinen Roman Es mit folgendem Satz: "Der Schrecken, der weitere 28 Jahre kein Ende nehmen sollte – wenn er überhaupt je ein Ende nahm -, begann, soviel ich weiß und sagen kann, mit einem Boot aus Zeitungspapier, das einen vom Regen überfluteten Rinnstein entlang trieb."
Nehmen wir diesen ersten Satz auseinander: "Der Schrecken," – das Thema wird abstrakt gesetzt: der Leser weiß noch nicht, welcher Schrecken, aber der Konflikt ist mit diesem Wort bereits da – "der weitere 28 Jahre kein Ende nehmen sollte" – eine Ankündigung, die den Zeitraum, in dem die Handlung spielt, klarstellt – "- wenn er überhaupt je ein Ende nahm -," – und, als eine Art Gegenargument wird die Klarstellung sofort in Zweifel gezogen – "begann," – Markieren des Anfangs der Handlung – "soviel ich weiß und sagen kann," – der Erzähler beschränkt sich selbst (das ist bei Stephen King, der immer auktorial erzählt, zunächst überraschend, passt aber erstens zum vorher angesprochenen Zweifel, zweitens aber dazu, dass King seine Informationen während des Romans nie vollständig hergibt: er ist nur in dem Maße auktorial, wie es ihm passt) – "mit einem Boot aus Zeitungspapier, ..." – der letzte Teil des Satzes liefert eine kleine Szene, die sehr idyllisch wirkt: setzt man sie zu dem Anfang des Satzes in einen logischen Bezug: (abstrakter) Schrecken – (konkrete) Idylle, bildet sich ein doppelter Kontrast. Spätestens ab hier ist der Leser darauf vorbereitet, dass ihn dieses kleine Boot mitten in den Schrecken hineinführen wird. Stephen King enttäuscht seine Leser nicht.

"Kaum war ihr Baby auf der Welt, merkten Mr und Mrs Canker, dass es anders war als andere Babys." (Eva Ibbotson, Das Geheimnis der siebten Hexe) – auch hier: die abstrakte Thematisierung: das Anders-sein.

"Es war um die Mittagszeit eines sehr heißen Junitags, als der »Dogfish«, einer der größten Passagier- und Güterdampfer des Arkansas, mit seinen mächtigen Schaufelrädern die Fluten des Stromes peitschte." (Karl May, Der Schatz im Silbersee) – May eröffnet mit einem konkreten Datum: der erste Teil des Satzes ist die klassische Einleitung einer Anekdote, während der zweite Teil des Satzes die Form der Anekdote in dem Sinne zurücknimmt, dass nicht direkt auf einen bestimmten Menschen gezielt wird, sondern zunächst nur auf den Ort und die besonderen Umstände des Ortes. Einige der schönsten Formen der Anekdote kann man bei Heinrich von Kleist studieren. Ich gebe hier ein paar Beispiele: "Ein H...r Stadtsoldat hatte vor gar nicht langer Zeit, ohne Erlaubnis seines Offiziers, die Stadtwache verlassen." (Der verlegene Magistrat); "In Polen war eine Gräfin von P..., eine bejahrte Dame, die ein sehr bösartiges Leben führte, und besonders ihre Untergebenen, durch ihren Geiz und ihre Grausamkeit, bis auf das Blut quälte." (Der Griffel Gottes); "Ein Kapuziner begleitete einen Schwaben bei sehr regnichtem Wetter zum Galgen." (Anekdote); "Zu St. Omer im nördlichen Frankreich ereignete sich im Jahr 1803 ein merkwürdiger Vorfall." (Mutterliebe)

Die Welt

Der Protagonist kennt seine Welt, der Leser noch nicht. Zu Beginn einer Geschichte sollte man sich überlegen, was man überhaupt von dieser Welt erzählen muss, und wie man es erzählt.
Gleich vorneweg kann ich sagen: junge Autoren neigen zu langschweifigen, überblickenden Prologen. Die sollte man dringend streichen. Solche Prologe sind der meist unzureichende Versuch, sich eine Geschichte zu erarbeiten. Die schreibt der Autor für sich selbst, und da er gleichzeitig meint, für den Leser zu schreiben, bleibt er im Prolog auch noch unklar – damit es irgendwie spannend sei. Dadurch aber wird der Prolog an sich unklar.
Man kann immer noch, auch später, neue Aspekte einführen, neue Bereiche der Welt. Zu Beginn einer Geschichte ist es wichtig, den Ort und einige Personen, die für den Protagonisten zentral bedeutsam sind, gut zu charakterisieren. Alles weitere kann nach hinten hinaus geschoben werden. Freilich gibt es hier die Technik des "zooming-in": diese führt vom Großen zum Kleinen, wird aber heute nicht mehr in dem Maße gebraucht, wie dies früher der Fall war. Hervorragende erste generelle Sätze findet man z.B. bei John Steinbeck, "Früchte des Zorns"; Heinrich von Kleist, "Die Verlobung in St. Domingo"; Lion Feuchtwanger, "Jud Süß"; Joseph Roth, "Radetzkymarsch".
Ich mag hier nicht einen ganzen Roman auseinander nehmen, um zu zeigen, dass die Welt nicht nur zu Beginn erschlossen wird. Das kann man selber studieren: Achten sollte man dabei auf das typische Mittel der Beschreibung und wo dieses angewendet wird. In älteren Romanen steht dies oft zu Beginn von neuen Abschnitten, in neueren Romanen häufiger mittendrin. Hervorragende Geschichten in der Geschichte, die jeweils neu anfangen und sich so in die gesamte Geschichte einlagern, findet man z.B. in Stephen Kings "Es".

Identifikation

Der andere Grund, warum ich die Einführung des Lesers vor die Behandlung des Protagonisten setze, ist, dass der Leser sich am Anfang noch nicht mit dem Protagonisten identifiziert. Deshalb muss man hier besonders stark für den Leser schreiben. Je mehr sich der Leser mit dem Protagonisten identifiziert, umso mehr kann man sich dann darauf verlassen, dass das, was der Protagonist spannend und gruselig findet, auch vom Leser spannend und gruselig empfunden wird.
Obwohl also zu Beginn auch möglichst der Gesamtkonflikt oder zumindest ein Teil des Gesamtkonfliktes klar gemacht werden sollte, müssen hier auch Markierungen und Orientierungen für den Leser gesetzt werden, die "alltäglich" sind und die der Leser gut nachvollziehen kann. Kings sehr sinnliche Beschreibung eines spielenden Kindes zu Beginn von "Es" leistet dies, und insgesamt sollten die ersten Szenen sinnlich sein. Zu Beginn des "Räuber Hotzenplotz" wird, in knappen Worten, eine Idylle beschrieben: Großmutter beim Kaffeemahlen. Obwohl hier nicht der erste Satz in den Konflikt hineinspringt, ist der Konflikt in dieser Idylle vorstrukturiert: Kasperl und Seppel haben Großmutter eine besondere Kaffeemühle geschenkt, und diese Kaffeemühle wird ihr gleich geraubt.
Karl May beginnt seine Roman-Trilogie "Satan und Ischariot" mit den Worten: "Sollte mich jemand fragen, ..." und fährt später fort: "Diese Meinung ist allerdings nur eine rein persönliche, ...", wobei die Identifikation gerade dadurch gewährleistet wird, indem eine absolute Sichtweise abgelehnt wird. Der mögliche Kontrast macht die Perspektive glaubwürdig und setzt den ersten Konflikt (der traurigste, langweiligste Ort der Erde).
Drei Techniken also der Identifikation (es gibt natürlich noch mehr):
  • abstrakte Ankündigung des Konfliktes und sinnlich-konkreter Kontrast (Stephen King und Gabriel Garcia Marquez),
  • idyllische Anfangsszene, in der der Konflikt im Wesentlichen aber seine Elemente geliefert bekommt (die Kaffeemühle im Hotzenplotz),
  • das Thematisieren der Perspektive (z.B. auch in Kings Roman "In einer kleinen Stadt").

3.) Den Protagonisten in die Welt einführen

Hier könnte der umfangreichste Teil stehen. Tut er nicht, da ich mal keine Lust habe, noch zwei Stunden weiter zu schreiben.

Stattdessen acht Tipps:

1. Tipp: Welchen Konflikt sprichst du an? - Schreibe dir diesen zentralen Konflikt auf und versuche dazu einen ersten, spannenden Satz zu finden (Zusatz-Tipp: Klau ihn aus einem anderen Buch! Ich klaue auch immer meine ersten Sätze.)

2. Tipp: Schreibe dir von jedem der Personen drei Eigenschaften, drei gern getane Tätigkeiten und drei ungern getane Tätigkeiten auf. - Schreibe dann dazu auf, ob die Person diese Eigenschaft mag und warum er sich mag oder nicht mag. Bei den Tätigkeiten schreibst du einfach auf, warum er sie mag oder nicht mag (also eine Begründung!!!). - Ganz wichtig dabei: Lass jede Person den Satz selber sprechen, also in wörtlicher Rede.

3. Tipp: Dann denkst du dir noch zu den Eigenschaften und Tätigkeiten aus, wie die wichtige Personen aus der Umgebung (also z.B. Eltern, wenn die Protagonisten Kinder sind) diese sehen. - Hier spielst du ein wenig herum, so dass die Eltern (oder andere) nicht dasselbe denken, wie die Kinder (Protagonisten). - Zentral dabei ist, dass du so Konflikte erfindest: das eine Kind z.B. mag gerne Computerspielen, weil er ...; die Mutter hat mal gelesen, dass Computerspiele nervös machen, und macht sich deshalb Sorgen um ihr Kind.

4. Tipp: Begründe für dich selbst, warum die Fähigkeiten und die Tätigkeiten in der Geschichte wichtig werden könnten oder wichtig sind. - Auch hier darfst und solltest du zunächst ohne Rücksicht auf deine tatsächliche Geschichte begründen: zentral ist, dass sie wichtig sein könnten, nicht das sie ernsthaft wichtig werden.

5. Tipp: Schreibe dir alle möglichen Situationen zu deiner Geschichte auf! Wie sieht eine allerkürzeste Situation aus? Ich mache das folgendermaßen:
Bezeichnung: stichwortartig, was in dieser Szene passiert
Anfangssituation: ebenfalls stichwortartig
Handlung: ebenfalls stichwortartig, - ich setze die Handlung oder Handlungen einfach hintereinander, - bedenke bitte, dass Handlung heißen kann: verbale Handlung (also Dialog) oder non-verbale Handlung (also action, action, action, wie z.B. einer Großmutter über die Straße helfen) – die Handlung führt die Bezeichnung genauer aus
Resultat: was bei der Szene herauskommt - auch hier: erstens ist eine neue Information auch ein Resultat, zweitens ist auch eine falsche neue Information ein Resultat, drittens: auch kein Resultat ist ein Resultat: man hat gedacht, der Höhleneingang führte in das Feenreich, aber er endet schon nach einigen Metern: das Resultat besteht hier in der Information

6. Tipp: Szenen ordnen! - lassen sich Szenen dicht nebeneinanderstellen oder bauen sie sogar aufeinander auf? kannst du Szenen zu einer Abfolge zusammenfassen? wenn ja: fasse sie zusammen und gib der Abfolge einen eigenen Namen

7. Tipp: Nimm nicht alles wortwörtlich, was dir hier gewisse Menschen wie meinereiner so sagen; Schreiben ist zwar viel Handwerk, aber eben doch ein kreatives Handwerk: wie du die Tipps für dich selbst verwenden kannst, kannst nur du selbst herausfinden.

8. Tipp: immer hübsch aus anderen Büchern klauen! - Was du bei anderen Autoren gut findest, solltest du zumindest ausprobieren. Schreiben ist nicht nur Handwerk, Schreiben ist auch das Arbeiten mit Klischees. Und: Bei vielen Autoren besteht die Suppe aus Wasser mit einer Erbse: schreib einfach so, dass in deiner Suppe eine zweite Erbse, eine Karotte und etwas Petersilie zu finden ist. Dann wirds schon ein Bestseller! (allerdings gibt's dann eine saftige Rechnung von mir für diese Tipps)

06.09.2006

Genre-Metaphern

Wer mich ja seit jeher sehr fasziniert hat, ist Elfriede Jelinek. In ihren Texten nutzt sie z.B. die Werbung für die Fleischtheke, den Schreinereibedarf, die Outdoor-Ausrüstung, um etwas ganz anderes, eine grundlegend verschiedene Szene zu beschreiben, z.B. eine Vergewaltigung.
Heißt die Formel der Metapher "ein Wort für ein anderes" (der Mond hielt Hof auf den nächtlichen Wiesen -> Hof natürlich Metapher für seine majestätische und überall präsente Erscheinung), dann ist die Formel für die Genre-Metapher "ein Genre für ein anderes": dies passt nicht völlig auf ein Schreiben, das über Fleischthekenangebote Vergewaltigungen "an den Mann bringt" (bzw. an den Leser; man verzeihe mir mein zynisches Wortspiel), aber die Funktion ist ein Stück weit ähnlich.
Ein Genre mit seinen vielfältigen Strukturen und Elementen lässt sich natürlich nicht so einfach nachstellen wie ein Wort.

Schreibblockaden?

Monika schrieb:
Wie macht ihr das eigentlich, daß ihr richtig ins Schreiben rein kommt? Ich sitze meistens stundenlang vor dem PC, grüble und bringe doch nichts zustande. Oder lese alle Bücher übers Schreiben, die ich finden kann, belege Kurse im Internet ... aber es bringt nichts. Ich würde so gern einfach mal loslegen, aber da ist nur Leere. Das macht mich noch wahnsinnig! Habt ihr bestimmte Tricks, um rein zu kommen?
Ich finde das ein ziemlich übliches Problem. Meine Lösung, die gar keine Lösung ist, heißt Missachten.

für die Schublade schreiben? ja bitte!

Wenn ich dieses nicht schreiben kann, schreibe ich eben etwas anderes. Dazu besitze ich ein Arbeitsbuch. Sollte das mal irgendwann veröffentlicht werden, wird man darin seitenweise Schilderungen darüber finden, warum ich gerade etwas nicht schreiben kann, welche Gedanken mich ablenken, welche Ideen ich sonst noch habe und leider gerade in diesem Text nicht verwirkliche, den ich doch eigentlich verwirklichen wollte. Das ist sicherlich ein narzisstisches, ja sehr egomanisches Schreiben. Jedenfalls missachte ich die aktuelle „Schreibblockade“.

Hegel für Autoren (Die Schreibblockade an sich)

Und was solche Schreibblockaden angeht, so finde ich, ist das ein etwas dämliches Wort. Schreiben kann man nämlich immer. Was einen blockiert, ist ja nicht das Schreiben selbst, sondern diese vagen Fantasien von dem, wie man zu schreiben hat. Eigentlich sollte man solche Schreibblockaden Idealisierungsblockaden nennen, da sie aus irgendwelchen Idealisierungen herkommen.

Nochmals danke, liebes Hirn! (oder: Offene Türen / Geschlossene Türen)

Stephen King hat mal geschrieben, dass man seine erste Textversion bei closed doors schreiben sollte. Also nur für sich, nicht für andere und die Funktion eines solchen Schreibens ist das Ausarbeiten eines Plots, nicht das Lesbarmachen. Erst bei der Überarbeitung, beim zweiten Schreiben, sollte man dann mit open doors arbeiten, das heißt, sich um den Leser bemühen. Das Ganze dient natürlich dazu, den Arbeitsablauf aufzuteilen und überschaubar zu machen. Dieses egomanische Schreiben ist dabei ein closed doors-Schreiben, vielleicht noch nicht ein Ausarbeiten eines Plots, aber immerhin etwas, das dorthin führen kann. Außerdem findet man hier, so kann ich das bestätigen, eine gewisse Leichtfertigkeit im ständigen Schreiben.

ein höchst räuberisches Verhalten : rupfen in fremden Gärten

Übrigens: fällt mir gar nichts mehr ein, dann schreibe ich einfach ab. Ich habe in meinem Repertoire eine Reihe von Szenen anderer Autoren, die ich gerne ähnlich schreiben würde. Auf diese greife ich dann zurück und lasse mich beim Abschreiben etwas treiben: plötzlich geraten mir irgendwelche Sätze dazwischen, die im Buch nicht stehen, und schon wird aus der Szene etwas anderes. Wenn ich nicht weiter weiß, breche ich einfach ab. Liest ja eh keiner. Aber irgendwann komme ich dann zu meiner Geschichte wieder zurück. Und oft kommen dann die nächsten zwei, drei Sätze, ein Absatz, manchmal eine ganze Seite oder zwei oder drei. Je nachdem.
Oder ich springe zu einer anderen, nicht fertigen Geschichte und arbeite an der weiter.

Leicht : fallen

Insgesamt sind meine Geschichten in den letzten Monaten so immer länger geworden, umfassen mehr Szenen, bewegen sich, ohne, dass ich das erzwingen musste, in Richtung kurzer Novellen. Für mich jedenfalls ist das der richtige Weg. Je weniger ich erzwinge und je mehr ich solche „basale“ Arbeit wie Abschreiben mache, umso leichter fallen mir hinterher längere Texte.

Queer-beet (nein, diesmal keine sexuelle Unsicherheit -> queer = schräg)

Mein ganz persönliches Steckenpferd ist zudem das Ordnen, Organisieren in Begriffen und Schaubildern und „wissenschaftlichen“ Texten (obwohl sie nicht wirklich wissenschaftlich sind, eher Umschreibungen von Ideen, die ich hatte). Auch das hilft mir. Ich überprüfe diese Ideen in möglichst vielen Texten und notiere mir dazu immer ein paar Sätze in meinem Arbeitsbuch. Wenn ich zur Spannung arbeite, dann lese ich von Kinderbüchern bis Horrorromanen, von klassischer Lektüre bis zu zeitgenössischer Junk-Literatur alles noch mal nach diesem Aspekt. Dadurch, so jedenfalls erscheint es mir, lockert sich mein Schreibstil auf, ich kann mehr Wendungen in meine Geschichte einbringen und bin insgesamt flexibler.

Nochmal die Räuber

Das alles sind Arbeiten, die eher etwas ummodellieren als dass sie etwas schaffen. Im weitesten Sinne könnte man das Palimpseste nennen. Eigentlich sind Palimpseste Texte, die so ineinander geschrieben wurden, dass sie trotzdem separat gelesen werden können. Heute könnte man eher dazu sagen, dass es Mischungen nach der Art "Klaust du von einem Autor, ist das Plagiatismus; klaust du von zehn Autoren, ist das Originalität" sind. Der Autor lässt eine (geklaute) Nähmaschine und einen (geklauten) Regenschirm aufeinandertreffen und baut dies zu einem (originellen) Radio um - oder so ähnlich.
Klauen ist vielleicht ein zu hartes Wort für feinsinnige Autorenseelen, letzten Endes aber durchaus nichts falsches. Friederike Mayröcker schreibt sich selbst eine räuberische Lebensweise zu, weil sie alles und jeden "zitiert".

Bloggaden, überall Bloggaden

Nebenher veröffentliche ich kleine Sachen in meinem Blog, wie ihr hier sehen/lesen könnt. Zur Textarbeit bin ich noch kaum gekommen, obwohl ich auch diese hineinstellen wollte. Aber zumindest ist es ganz witzig, den Alltag zu kommentieren und in den zwei, drei Sätzen, die ich schreiben möchte, eine ironische oder sarkastische Wendung einzubauen.

01.09.2006

Ach, und noch etwas, liebe Republikaner!

Es ist doch auffällig, dass in vielen Kinderbüchern der Humor dadurch zustande kommt, dass sich die Hauptfigur nicht ändert. Manchmal hat sie "moralisch Recht", manchmal nicht.
Im Räuber Hotzenplotz ändern sich weder Kasperl, noch Seppel, noch der Räuber Hotzenplotz, noch der große und böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann. Der Spaß, der aus diesen Figuren entsteht, beruht gerade darauf, dass sie so unveränderlich auf ihren eigenen Standpunkt beharren.
Leider besteht der Spaß eher für die Leser, als für die Figuren selbst. Es könnte also sein, dass der ganze hübsche Nationalismus, den Sie in Ihrer Wahlwerbung vorführen, unfreiwillig kindisch und märchenhaft komisch wirkt, wenn Sie einen Schritt zurück treten und sich selbst in Ihrem Tun und Sagen beobachten.
Anders gesagt: Kinder, die solche lustigen Kinderbücher lesen, beobachten eine soziale Situation, die unvereinbare Gegensätze enthält. Und genau das macht den Humor, aber auch die Spannung aus. In Büchern lösen sich solche Situationen gerne zum Guten hin auf. Der große und böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann wird von der Fee Amaryllis vernichtet; Pippi Langstrumpf schmeißt die Polizisten einfach von ihrem Grundstück herunter und Artemis Fowl entgeht schlafend seiner Blauspülung (lesen Sie in entsprechendem Buch nach, was das ist).
Unvereinbare Gegensätze, distanziertes Beobachten - im wirklichen Leben sind solche Situationen nicht wirklich lustig, man sehe sich den Palästina-Konflikt an.
Was Sie als Nationalismus haben wollen, liest sich noch eine eine Lächerlichkeit. Wollen wir hoffen, dass wir ihre Realisierung nicht miterleben müssen. Aber grämen Sie sich nicht ob dieser ablehnenden Worte!
Selbst die hässlichste Kröte kann sich durch ein bisschen Feenkraut in eine strahlende Persönlichkeit verwandeln und endlich heim ins (Feen-)Reich kehren. In der Hoffnung, dass Ihnen dabei die Antifee nicht in die Quere kommt ...

Meeresfrüchte

Neulich am Strand kommt mir eine Mutter mit einem etwa zweijährigen Kind entgegen. Piepst das Mädchen zur Mutter: "Die vielen Tannenzapfen machen mich echt voll fertig!"