27.02.2018

Präzisieren

Ein wichtiges Moment beim Ordnen ist das Präzisieren.
Zunächst muss man aber anerkennen, dass das Präzisieren nicht dazu dient, um etwas genau so für den Gebrauch zu bestimmen, sondern um daran zu diskutieren, ob diese Art und Weise, die Merkmale zu fassen, die richtige ist.
Die Präzisierung dient also zunächst und vor allem dem Dialog und der Argumentation.

25.02.2018

Wochenendarbeit: Modellieren, Automatisieren

Alle ausgeflogen. Sitze am Computer.

Subtraktionen

Offensichtlich muss man Subtraktionen wesentlich öfter üben als Additionen. In einem meiner Mathematikbücher steht, dass die Automatisierung von Subtraktionen erst gegen Ende der dritten Klasse wirklich abgeschlossen sei. Bis dahin müsse man sie immer wieder gesondert üben.
Deshalb sitze ich zur Zeit auch an einem Crashkurs, der die ganze Sache noch mal vom „Urschleim“ aus betrachtet.
In letzter Zeit habe ich gelegentlich DIN A5-Hefte für meine Schüler*innen erstellt. Parallel dazu habe ich an einem Vorrat aus Formen gearbeitet, die ich für Mathe-Hefte einfach nur noch aufrufen und mit konkreten Aufgaben ausfüllen muss. Auch das klappt alles noch nicht so gut. Insbesondere bei Aufgaben mit Pfeilen viel mit der Maus herumschieben.
Demnächst wird das hoffentlich schneller klappen, sodass sich auch individualisierter Aufgabenstellungen – und natürlich auch das in Form von Heften – erstellen kann.
Erst mal bin ich ganz zufrieden.

Kompetenzbereiche

Parallel dazu kommentiere ich die prozessbezogenen und inhaltsbezogenen mathematischen Standards. Mal wieder, und ich weiß nicht mehr genau, zum wievielten Male. Weiter entdecken, tiefer in die Materie eindringen, didaktisch-methodische Fantasie entwickeln; darum geht es mir.
So wie die Kinder die Rechenoperationen automatisieren müssen, so muss ich die Didaktik und Methodik dahinter so intensiv einüben, dass ich sie automatisiert in die Umwelt hineinsehen und herauslese.

Seine eigene Welt bereichern

Hinter der Automatisierung steckt eine Hypothese, die sich für mich immer wieder bewahrheitet hat: durch Automatisierung wird ein interpretiertes zu einem interpretierenden Muster. Durch die vielfache Einübung neuer Modelle wird die Welt reicher und vielfältiger gesehen.
Nicht ganz, muss man leider sagen, denn man kann sich auch in Muster einüben, die sehr einfältig sind. Man braucht dafür nur genügend Angst und Hass und Unverständnis. Zunächst einmal ist der Rassismus auch nur ein Modell. Es gibt aber Situationen, in denen ein solches Modell alle anderen Modelle plattmachen und Denken wie Wahrnehmung verarmen kann.
Auch die mathematischen Modelle, mit denen ich zur Zeit arbeite, muss ich immer wieder mit anderen Modellen vernetzen, die ich aus früheren Zeiten mit mir herumtrage. Das Rubikon-Modell zum Beispiel, oder das Intelligenz-Strukturmodell. Arbeitet man mit einer solchen Vernetzung, dann wird die Welt tatsächlich interessanter. Gestern habe ich mich dabei erwischt, wie ich während eines Schaufensterbummels Mengen gezählt und mir Rechenoperationen ausgedacht habe. Das geschieht dann wohl automatisch. Und genau das ist Sinn und Zweck der Automatisierung.
Ich fand das lustig. Denn ich hatte mir eigentlich noch eine Auszeit von der Mathematik gönnen wollen.

18.02.2018

Mathematisches Argumentieren fördern

Einer der Kompetenzbereiche, der in der Mathematik gefördert werden soll, ist das mathematische Argumentieren. Aber wie sieht das in der Praxis aus? Und was kann man als Lehrer dafür tun, dass die Kinder ihre Fähigkeiten in diesem Bereich verbessern? Vor allem aber ist die Frage, wie man Kindern mit Rechenschwierigkeiten oder bereits erlernten falschen Lösungswegen hier zu einem besseren Verständnis mathematischer Zusammenhänge verhilft und ihnen damit die Möglichkeit gibt, die Rechenschwierigkeiten zu überwinden.

Sachaufgaben

Eine weitere Unterstützung bietet die mathematische Argumentation bei der Bewältigung von Sachaufgaben. Diese sind offensichtlich bei vielen Schülern unbeliebt. Dabei ist die ganze Mathematik vor allem auch eine Hilfe bei der präziseren Bewältigung von Aufgaben aus dem Alltagsleben. Es wäre also wünschenswert, wenn die Sachaufgaben einen zentralen Stellenwert Mathematikunterricht einnehmen.
Dabei sind die Anforderungen durch Sachaufgaben recht hoch. Zunächst muss eine Problemstellung verstanden werden. Die Lernenden müssen also aus einem Sachverhalt eine Art Konflikt oder Unwissen herausarbeiten. Dann muss dieser mathematisiert werden. Daraufhin muss die Lösung errechnet und ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden (denn es kann sein, dass eine Lösung zwar mathematisch richtig ist, aber für die Praxis und die Problemstellung nichts taugt). Zum Schluss muss der Rechenweg, bzw. der ganze Lösungsweg auch noch so dargestellt werden, dass er von anderen Menschen verstanden wird und nachvollzogen werden kann.

Aspekte der mathematischen Argumentation

Merkmale und Verbindungen

Bleibt man bei einer ganz einfachen Betrachtung der Argumentation, dann geht es vor allem um Merkmale und Verbindungen. Ein Phänomen oder ein Gegenstand hat bestimmte Merkmale, und diese stehen mit anderen Merkmalen anderer Phänomene oder Gegenstände in Verbindung.
In der Arithmetik wird die Verbindung durch eine arithmetische Operation ausgedrückt. Sie stützt sich dabei auf idealisierte Elemente, zum Beispiel Zahlen. Idealisiert heißt in diesem Fall, dass von allen Merkmalen abgesehen wird, sodass die reine Zählbarkeit (Quantifikation) übrig bleibt.
Die geometrischen Operationen sind komplexer zu beschreiben. Grob gesagt stellt man mit ihnen reine Formen und reine, idealisierte Nachbarschaften her. Dies geschieht in der Praxis durch ein Dazuzeichnen, wodurch eine Form ergänzt, erweitert, aufgeteilt wird. Dabei muss die zeichnerische Handlung Rücksicht auf die idealisierte Form nehmen.
Zeichnet man zum Beispiel eine Höhenlinie in ein Dreieck, dann ist diese zwar nicht vollständig senkrecht und auch nicht ohne Dicke; aber sie muss diese Idealität so weit es geht anzeigen.

Voraussetzungen des mathematischen Argumentierens

Beim Erlernen des mathematischen Argumentierens scheint es deshalb einige grundlegende Voraussetzungen zu geben:
  • Definition präziser Begriffe (d. h., dass alle Merkmale bekannt sein müssen)
  • Klärung von Vorbedingungen und annähernden Prognosen
  • Kenntnis von Satzmustern der mathematischen Argumentation
  • Zuordnung von Merkmalen und Schlussfolgerungen (mathematisches Abbilden)
  • Zurückweisen falscher Schlussfolgerungen
  • Verknüpfung mathematischer Darstellungen mit empirischen Situationen (abstrahieren und konkretisieren)

Definition präziser Begriffe

Normalerweise ist die Definition von Begriffen recht einfach. Man zählt die Merkmale auf, die zu einem Begriff gehören sollten. Diese sollten natürlich wesentlich sein. Dies wird aus vielen Gründen schnell schwierig.
In der Arithmetik ist das Problem zum Beispiel, dass sich eine Zahl nur aus dem Zahlenraum erschließt. So hat die Zahl 14 keine direkten Eigenschaften. Sie bildet zwar eine Menge von 14 Gegenständen ab, doch ist die Art der Gegenstände nicht wesentlich, sondern akzidentiell. Und die Möglichkeit, der 14 sonst etwas anzufangen, erhält sie aus dem Zahlenraum und der Möglichkeit, darin arithmetische Operationen auszuführen.
Insofern ist die Erkundung des Zahlenraums die Entdeckung einer Struktur, innerhalb derer die Zahlen substanzlose Markierungen darstellen. Wichtig ist also die Struktur und die formalisierten Beziehungen, die durch den Zahlenraum ermöglicht werden. So kann man zum Beispiel sagen (und dann auch mathematisch zeigen), dass drei aufeinanderfolgende ganze Zahlen summiert immer durch drei teilbar sind. Wozu auch immer diese Erkenntnis nützt!
Hilfreich ist hier, sich die Definition mathematischer Begriffe von Kant ins Gedächtnis zu rufen. Für ihn sind diese Konstruktionsvorschriften. Im Gegensatz zu empirischen Begriffen (wie Hund, Baum, etc.), die eine Art Wahrnehmungsvorschrift bilden, zielen die mathematischen Begriffe auf idealisierte Handlungen. So ist auch nicht die einzelne Zahl ein Begriff des Zahlenraums, sondern die Summe, die Differenz, usw.; mithin also alle Begriffe, die eine Beziehung bezeichnen.
Dies ist nun in aller Kürze gesagt. Wie dies didaktisch umzusetzen ist, ist eine andere Sache. Hier spielt die Veranschaulichung eine wichtige Rolle.

Satzmuster mit mathematischer Anbindung

Für die mathematische Argumentation sind bestimmte Satzmuster wichtig. Dies sind insbesondere Urteile, Schlussfolgerungen und Problematisierungen. Urteile weisen einem Phänomen ein Merkmal zu. Entgegen der landläufigen Meinung ist ein Urteil nicht notwendig eine Bewertung. Nur wenn das Merkmal subjektiv und akzidentiell ist, ist ein Urteil auch eine Bewertung. Ein objektives Urteil dagegen stützt sich auf eine Wahrnehmung.
Bei der Formulierung muss man den Schülern helfen. Tatsächlich muss man solche Formulierungen direkt trainieren möglichst immer wieder so anwenden, dass der formelle Zusammenhang deutlich wird. Ein Satz besteht aus einer Relationierung und einer Abbildung. Die Relationierung setzt die einzelnen Satzteile zueinander in Bezug. Die Abbildung setzt den Satz zu einer anderen medialen Form in ein Verhältnis. Sage ich: »Der Wind reißt die Blätter vom Baum.«, so formt der Satz eine Verbindung von Wind, Blättern und Baum. Dabei darf man sich nicht davon ablenken lassen, dass die andere mediale Form, in diesem Fall die „Realität“, genau dasselbe Verhältnis zeigt. Im Gegensatz zur Realität kann mit einem Satz auch etwas gesagt werden, was nicht in der Realität existiert. Die Realität kann nicht anders als real sein.
In diesem Sinne müssen die Schüler Satzmuster kennen, die in einer mathematische Realität hineinweisen. Dazu gehört zum Beispiel die Bestimmung von Mengen: »In einem Beutel befinden sich 37 Murmeln.« Daraus entsteht formalisiert die Satzstruktur: 1 A enthält x B; wobei A und B für Gegenstände, x für eine Zahl steht.
Schlussfolgerungen lassen sich durch Sätze wie »Ich stimme zu, weil …« oder »Ich widerspreche, weil …« einüben. Durch einen Satz wie »Ich wundere mich, warum …« lässt sich die Problematisierung eines Sachverhaltes ausdrücken. Und ein »Es könnte sein, dass …« oder »Ich frage mich, ob …« informiert über eine Hypothese.

Klärung von Vorbedingungen und annähernden Prognosen

Eine wichtige Aufgabe der mathematischen Argumentation ist die Klärung von Vorbedingungen, bzw. von der Ausgangssituation. Oftmals wird diese Vorbedingung so komprimiert gegeben, dass eine Klärung kaum notwendig erscheint, so etwa bei der Addition zweier niedriger ganzer Zahlen (3 + 4 = …). Bei Sachaufgaben oder bei der Aufforderung, in einen Sachverhalt ein mathematisches Problem hineinzumodellieren, ist dagegen die Klärung weit aufwändiger und schwieriger.
Zugleich aber muss mit der Klärung der Ausgangslage schon eine Prognose über den Rechenweg und das Ergebnis geliefert werden. Denn welche Sachverhalte einer Ausgangslage relevant sind, hängt wesentlich davon ab, welche Rechnung und welches Ergebnis man zu erreichen wünscht. Um hier ein einfaches, und noch sehr an der abstrakten Darstellung des Zahlenraums angelehntes Beispiel zu geben: wenn ich die Subtraktion 57 - 29 rechnen möchte, kann ich das Ergebnis dadurch eingrenzen, dass ich die angrenzenden vollen Zehner nutze, also 57 - 30 und 57 - 20 rechne und dadurch bestimmen kann, dass mein Ergebnis zwischen 27 und 37 liegen muss.

Mathematisches Abbilden

Um sich einen mathematischen Sachverhalt deutlich zu machen, ist es wichtig, aus einer Situation zu abstrahieren. Dazu können Skizzen und Diagramme sehr nützlich sein. Bevor man also zu den mathematischen Symbolen kommt, kann man sich einen Sachverhalt zeichnerisch verdeutlichen und vereinfachen.
Neben der Einübung zeichnerischer Techniken ist dabei wichtig, solche Ikone lesen und schreiben zu können, also zum Beispiel Richtungspfeile, Bündelungen von Elementen, geordnete Reihungen, usw.
Diesen Übergang habe ich, wenn auch auf andere Disziplinen angewendet, als Transmedialisierung bezeichnet, also der Übertragung eines Sachverhaltes in ein anderes Medium. (Der Begriff stammt übrigens nicht von mir, sondern von Vilem Flusser.)
Zeichnerisch spielt hier die Abstraktion, wie sie zum Beispiel in der moderneren Kunst bei Paul Klee oder Pablo Picasso zu finden ist, eine wichtige Rolle. So könnte man mit den Kindern entlang einer zeichnerischen Abstraktion, wie sie in den Skizzenbüchern von Picasso vielfach zu finden ist, im Kunstunterricht eine ebensolche verfertigen, also zum Beispiel von einer relativ realistisch gemalten Pflanze Übergänge bis zu einer nur noch durch wenige, abstrakte Striche angedeuteten Pflanze verfertigen.
Bei dem Übergang von einem Bild zu einem Text kann man eine Fotokopie nutzen, um darin die passenden Begriffe einzutragen. Auch die Bild-Text-Kombination ist ein wichtiger Bestandteil des mathematischen Modellierens und damit eine Hilfe für die mathematische Argumentation.

Zurückweisen

Zwei dazu passende, aber besonders zu beachtende Aspekte sind auf der einen Seite das Zurückweisen falscher Argumentationen: die Kinder müssen überprüfen, ob eine Argumentation mathematisch richtig ist; meist provoziert dies dann auch Versuche der richtigen Argumentation. Die Widerlegung ist deshalb so wichtig, weil sie für strittige Momente ein Fundament legt. Dies gehört vielleicht nicht direkt zum Kompetenzbereich Mathematik, aber zur Sprachpflege und zur Wissenschaftlichkeit. Später werden Menschen immer wieder auch mit anderen, teilweise stark konträren Meinungen konfrontiert. Hier ist es wichtig, dass die Kinder zwischen sachlichen und unsachlichen Darstellungen unterscheiden lernen und Argumentationsmuster einüben, um eine Diskussion auf die sachliche Ebene zurückzuführen.

Verknüpfen

Damit ist die mehr oder weniger nachvollziehbare Verbindung zwischen einer Situation und einer mathematischen Abbildung gemeint. Zwischen den beiden entsteht eine Art Lücke, die dann argumentativ gefüllt werden muss. Auf die Argumentation bezogen handelt es sich hier um eine Hypothese, die so präsentiert wird, dass sie zugleich problematisiert. Diese Verbindung ist für die Kinder auch deshalb so wichtig, weil sie damit an die Möglichkeit erinnert werden, eine empirische Situation mathematisch modellieren zu können. Im Gegensatz zu der Aufforderung, was einem Sachverhalt einen mathematischen Zusammenhang herauszuarbeiten, ist diese Aufgabenstellung einfacher: Hier muss „lediglich“ begründet werden, warum eine mathematische Formel oder eine andere Art der mathematischen Abbildung zu einem Sachverhalt gehört oder – siehe den vorhergehenden Abschnitt – eben nicht gehört.

Fazit

Ein zentrales Problem bei der Darstellung des mathematischen Argumentierens ist die Vielfalt, die zu diesem Kompetenzbereich besteht: zwischen der Erklärung eines Vorschulkindes, dass man einen Apfel halbieren muss, um ihn an zwei Kinder zu verteilen, der Deutung einer komplexen Statistik und der Beweisführung auf dem Gebiet der Integralrechnung bestehen weit reichende Unterschiede.
Und so ist es recht unwahrscheinlich, dass in diesem Gebiet eine einheitliche Definition und Darstellung jemals erreicht werden kann.
Eine andere Schwierigkeit ist natürlich, dass man auf andere Kompetenzbereiche sofort zurückgreift. Es gibt eben keine mathematische Aufgabe, zu der nicht auch Anforderungen an das mathematische Modellieren gehören. Und so lässt sich dies auf alle anderen Kompetenzbereiche des Faches Mathematik beziehen.
Die Diskussion muss also nach einem groben Überblick zu einzelnen Sachverhalten und zu ihrer Diskussion zurückführen. Anders gesagt: das mathematische Argumentieren ist vermutlich eine Idee, kein Begriff. Es lässt sich nicht aus der empirischen Masse heraus abstrahieren, sondern vermutlich nur durch mehr oder weniger gute Beispiele erläutern.

09.02.2018

Verräumlichen

Die Frage, was Kinder im Mathematikunterricht machen, wenn sie mit anschaulichem Material operieren, ist keine einfache. Sie zielt in gewisser Weise auf das Ganze der menschlichen Tätigkeit. Lösen werde ich diese Frage hier nicht. Wie auch? Denn wäre das Ganze fassbar, wäre ein Außerhalb möglich. Aber das Ganze von innen zu erkunden heißt, mühsam die Grenzen abzutasten und sie mehr zu erahnen als empirisch zu beschreiben. Es gibt einen Moment in der Beschäftigung mit so einfachen Sachen wie dem Zahlenstrahl der natürlichen Zahlen, da die ganze Betrachtung ins Spirituelle oder Metaphysische umkippt.
Bleiben wir ein wenig unterhalb dieser weittragenden Bedeutungen.

Verkleinern

Gleich nach der berühmten Stelle über die Bastelei betrachtet Lévi-Strauss die Produkte des Bastlers. Der Bastler fertigt verkleinerte Modelle. Dabei kehrt die Verkleinerung die Situation der Erkenntnis um. Nicht länger geht der Bastler von den Teilen aus, um zu einer Totalität zu gelangen, sondern umgekehrt:
… aufgrund der Tatsache, dass sie [die Totalität des Objekts] quantitativ vermindert ist, erscheint sie uns qualitativ vereinfacht. Genauer gesagt, diese quantitative Umsetzung steigert und vervielfältigt unsere Macht über das Abbild des Gegenstandes; durch das Abbild kann die Sache erfasst, in der Hand gewogen, mit einem einzigen Blick festgehalten werden.
Lévi-Strauss, Claude: Das wilde Denken. Frankfurt am Main 1973, S. 37
Im folgenden Absatz erweitert Lévi-Strauss dann diese Betrachtung: indem der Bastler das Modell verfertigt, überträgt er die Handhabbarkeit des Modells auf die realen Ereignisse. Modelle herzustellen, so könnte man diese Passage kommentieren, bedeutet, ein Ereignis oder ein Phänomen zu bewältigen. Dass diese Bewältigung eine mythische sein kann, widerspricht noch nicht der Perspektive, die sich der Bastler während der Verfertigung erarbeitet.

Verlangsamen

In einem sehr ähnlichen Sinne spricht Sybille Krämer von einem Verlangsamen in der Verräumlichung (Krämer, Sybille: Figuration, Anschauung, Erkenntnis. Berlin 2016, S. 296). Tatsächlich werden so die Tätigkeiten am Objekt nach und nach in ein räumliches Diagramm überführt, und je nach Interesse zu einem mehr am (Erkenntnis-)Produkt oder mehr am erkennenden Tätigsein orientierten Modell überführt. Die Herkunft der Verräumlichung aus der Handlung mag dadurch beiseite gedrängt werden. Auffindbar ist sie trotzdem.
Wichtig daran ist allerdings, dass die Veränderung des Erkenntnisobjektes nicht nur die Tätigkeit zu verlangsamen scheint, sondern umgekehrt die Denkwege beschleunigt. Dadurch, dass bestimmte Elemente im Modell enggeführt werden (wie die Melodie einer Fuge), können diese automatisiert und damit rascher durchwandert werden. Das Denken beginnt im Rahmen des Modells zu oszillieren.

Umkehrbarkeit

Diese Verräumlichung der Zeit, die zugleich das Denken verflüssigt aber auch strukturiert, bemerkt auch Micha Brumlik:
Piagets Konzeption der Herausbildung zeitlicher Erfahrung unterstellt in gewisser Weise eine Verräumlichung der Zeit, d. h. eine Einstellung, in der Handlungsabläufe zumindest tentativ umkehrbar sind, …
Brumlik, Micha: Zeitbegriffe und Urteilsvermögen in der Ontogenese des Geschichtsbewusstseins. in Straub, Jürgen (Hrsg.): Erzählung, Identität und historisches Bewusstsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte (Erinnerung, Geschichte, Identität 1). Frankfurt am Main 1998, S. 230

Rahmen und Referenz

Schließlich scheint sich am Rand des Modells aber auch der gesamte Charakter der Zeichen zu wandeln. Während innerhalb des Modells die Zeichen aufeinander verweisen, in Form von Spuren und Indexen, und sich zum Gesamtmodell als Metonymien verhalten, zeigen diese über den Rand des Modells als Referenzen in die Welt. Sie repräsentieren entweder ein Stück des Außerhalbs oder sie zeigen eine Ähnlichkeit mit ihnen.
Dieses Moment ist deshalb so wichtig, weil es zum Beispiel auch die angewandte Mathematik betrifft, und in der Schule ganz explizit die Sachaufgaben.
Offensichtlich vollzieht sich hier eine Art Drama. Denn innerhalb der Mathematik baut sich nach und nach eine Logik auf, die aus einer reinen, gleichförmigen Anordnung ein immer komplexeres System von formalen Verhältnissen erschafft, während zugleich am Rand eine immer größere Fähigkeit zu ästhetischen Imagination erforderlich ist, um die Mathematik in ihrem Verhältnis zur Welt zu bestimmen.
So sieht es aus, dass die Mathematik ein System gegenüber der Welt installiert, das rein kognitiv aus einer gegenseitigen Überforderung besteht. Anhand dieser können Linien der Problematisierung aufgebaut werden. Darin mag eine der hervorragenden Leistungen der Mathematik für das moderne Denken bestehen.

02.02.2018

Hylas und die nackte männliche Meinung

Meinungsfreiheit ist ja nicht nur deshalb ein so hohes Gut, damit jeder irgendwie eine haben darf, sondern auch, damit jede Meinung kritisiert werden kann. Kritisieren heißt, so sage ich das jetzt mal apodiktisch, die Relevanz und die Reichweite einer Meinung abzuschätzen.
Dazu hatte ich die letzten anderthalb Tage mal wieder ein recht besonderes Erlebnis. Darüber hätte ich nun viel schreiben können. Irgendwas zum Thema Kritik oder so. Stattdessen habe ich mich damit begnügt, die Diskussion etwas theorieloser nachzuzeichnen.

Vorauseilendes Geständnis

Man sollte nicht schreiben, wenn man eigentlich noch krank ist. Weiterhin liege ich fast den ganzen Tag im Bett, schlafe und kränkle, wenn auch nicht mehr so schlimm wie am Wochenanfang. Der größte Effekt werden wohl die Schmerzmittel sein, die ich, so die Ärztin, nur „provisorisch“ einnehme. Um dem Schmerzgedächtnis keine Phantomerinnerung zurückzulassen.
Längere Sachen am Stück zu lesen geht gerade gar nicht. Und so habe ich immer mal wieder Facebook aufgeklappt. Das ist auch nicht gerade heilsam. Zumindestens habe ich diese Woche aber einen Schnitt gemacht und drei offensichtlich faschistische Typen aus meiner Bekanntenliste verbannt. Damit habe ich zugleich die Hälfte an Falschnachrichten rausgeschmissen.
Gleich darauf habe ich noch einige Menschen entfernt, Männer, um genau zu sein, die es offensichtlich unglaublich witzig finden, jede Diskussion über den gender Gap mit ›Muss ich jetzt Kugelschreiberin sagen?‹ oder ›Dann möchte ich aber auch Blödfrau sagen dürfen!‹ ins Lächerliche zu ziehen. Ich weiß immer noch nicht, was ich vom gender Gap halten soll. Ich halte den Anspruch dahinter für richtig. Mein Problem ist auch nicht unbedingt die Methode, sondern ihre Reichweite. Aber das nur nebenbei.

Eine viktorianische Fantasie

Es gab auch noch einen anderen Thread, in dem ich mich kurz herum gestritten habe, um ihn dann schließlich doch abzubrechen. Manchmal muss man sich eingestehen, dass Ignoranz doch ein ganz gutes Mittel ist, vor allem, wenn man es mit Ignoranz zu tun hat.
Inhalt dieses Threads war eine Aktion der Manchester Art Gallery. Diese hatte ein Gemälde von John William Waterhouse zeitweilig abgehängt. Stattdessen gab es eine Pinnwand, an die die Besucher ihre Meinung heften konnten.

Hylas und die Nymphen

Waterhouse hat das Gemälde 1896 mit Öl auf Leinwand gemalt. Es bezieht sich auf die Herkules-Sage. Demnach sandte Herkules seinen jugendlichen Gefährten und – wenn ich mich richtig erinnere – Geliebten Hylas aus, Wasser zu suchen. An einer Quelle wurde er von Nymphen betört und ertränkt.
Das Bild selbst zeigt eine recht klassische Komposition und eine naturalistische Ausführung. Die sieben Nymphen sind so um den knienden Hylas angeordnet, dass sie zugleich ein Achsenkreuz des Bildes andeuten.
Es gilt, so Wikipedia, als eines der beliebtesten Bilder von Waterhouse. – Warum das so ist, habe ich nun nicht recherchiert. Ich kann die Ausführung wertschätzen. Begeistern kann mich diese Art von Kunst eher wenig. Sie hat für mich keinen aktuellen Bezug. Irgendwie ist sie eben „schön“, wohl auch handwerklich hervorragend gemacht, soweit ich das beurteilen kann.

Exit, perhaps not so british

Nun hat die Kuratorin der Galerie das Gemälde eben abhängen lassen. Zeitweilig. Und stattdessen eine Pinnwand aufgehängt. Zugleich erschien eine Internetseite mit dem Titel »Presenting the female body: Challenging a Victorian fantasy«. Dort ist zur Zeit auch noch folgende Frage prominent dargestellt: »How can we talk about the collection in ways which are relevant in the 21st century?«
Abgesehen davon, dass man hier eigentlich schon zwei sehr unterschiedliche Fragestellungen sehen kann, die nur am Rande miteinander interagieren, ist die Reaktion auf dieses Abhängen doch sehr bezeichnend. So hat Spiegel online in keinem Wort erwähnt, dass es sich nur um eine zeitweilige Aktion handelt; dies wird nur implizit angedeutet, indem das Abhängen als „Teil einer eigenständigen Kunstperformance“ bezeichnet wird.

Zensur und Argumentation

Logik und Ethik

Über die ganzen Blüten, die diese Diskussion treibt, möchte ich gar nicht weiter berichten. Ich hatte hier selbst ein recht unappetitliches Erlebnis. Dieses werde ich mit weiteren Kommentaren versehen, die sich nicht zum Thema der Zensur äußern – dieses ist auch gar nicht dem Sachverhalt angemessen –, sondern zu der Art und Weise, wie eine solche Aktion diskutiert wird, aber nicht diskutiert werden sollte.
Laut Kant ist die Logik die Lehre davon, wie wir denken sollen. Damit ist sie ein Teil der Ethik. Sie hat einen normativen Anspruch. Nun muss man nicht unbedingt Kant in allen Einzelheiten seiner Logik folgen. Was seine Analytik angeht, den ersten Teil seiner Logik, ist er tatsächlich auch altbacken. Ob die Logik dagegen generell normativ sein sollte, ist ein weitaus schwieriger zu diskutierendes Problem. Genau dies möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht weiter verfolgen. Ich gehe einfach davon aus, dass es in Diskussionen ein gewisses Maß an Normen geben muss, damit diese nicht in ein vollkommenes Missverständnis ausarten.

Ein dystopische Horizont

Zugegeben ist der Artikel, auf den sich die folgende Facebook-Diskussion bezieht, selbst schon tendenziös. Die Kuratorin der Manchester Art Gallery hat das Bild nicht für immer verbannt, sondern lediglich eine Woche lang abgehängt. Der Spiegel-Artikel stellt diese wichtige Rahmenbedingung allerdings nicht deutlich dar und schon gar nicht an den Anfang des Artikels. Das allerdings ist ja nicht das Problem der Kuratorin. Und die Frage stellt sich, inwiefern hier der Spiegel-Journalist bewusst falsch informieren wollte.
Nun, mit ein wenig mehr Blick ins Internet bekommt man auch so eine umfassendere Darstellung.
Gepostet wurde der Artikel von Wolfgang Sofsky allerdings mit folgendem Kommentar:
Alle Nacktbilder aus den Museen verbannen!!! Venus von M., Botticelli, Rubens, Rodin, Klimt, Schiele etc., alles raus!!!
Mit einer solchen Aussage ist vor allem ein Tatbestand erfüllt: die komplette Übertreibung. Statt sich mit der Darstellung von Frauen in der Kunst auseinanderzusetzen, bzw. was eine solche Darstellung heute noch anderes sein kann als irgendwie antiquiert, wird sofort Zensur geschrien, ein dystopischer Horizont aufgemacht und damit eine sinnvolle Fragestellung schlichtweg überpinselt.
Nun halte ich die Fragestellung, was man mit einer solchen Kunst heute noch anfangen kann (außer sie irgendwie schön zu finden) für durchaus sinnvoll. Das war sie auch schon vor zwanzig Jahren. Eine solche Frage zu stellen ist noch keine Zensur. Sie lächerlich zu machen, sie zu ignorieren, sie gar in eine ganz andere Fragestellung oder einen ganz anderen Tatbestand umzuwandeln, das grenzt sehr viel mehr an Zensur.
Es ist auch genau von der Art, mit der an den gender Gap herangegangen wird: man macht sich darüber lustig, ohne im mindesten darauf einzugehen, ob der Anspruch dahinter gerechtfertigt ist oder nicht und ob es nicht andere Mittel gäbe. Damit wird aber nicht nur der gender Gap abgewiesen, sondern der Anspruch dahinter gleich mit. Und das ist das Ärgerliche und Undemokratische daran.

Deine Meinung, meine Meinung

Alle bekloppt

Ein gewisser Jörg Wittler äußerte sich zu dem Post von Sofsky dann folgendermaßen:
Jörg Wittler Die sind doch alle bekloppt. Einerseits sagen sie „Hurra, wir sind so frei noch nie und Tollerieren so viel wie noch nie.“ Andererseits fordern sie Strafen für alles mögliche und schaffen sich ihr eigenes Gefängnis.
Nun, ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe das auf den Spiegel-Artikel bezogen. Und da selbst in diesem nicht von Strafen die Rede war, musste ich dazu etwas schreiben. Weiterhin hat mich an dieser Aussage gestört, dass sie mit einem ins Namenlose verweisenden „sie“ arbeitet. Und natürlich ist ein Wort wie „bekloppt“ auch ein Signal dafür, auf welchem Niveau ein Mensch sich mit seiner Diskussion zu bewegen meint.
Ich habe also geschrieben:
Frederik Weitz Lesen hilft!
Das ist nun nicht besonders freundlich. Aber ich kann mittlerweile all diese Menschen nicht mehr ertragen, die sich aus einem komplexen Sachverhalt genau den Punkt heraussuchen, wo die Formulierung einseitig wird, um darauf dann herumzuhacken. Einen komplexen Sachverhalt kann man aber nicht in einem Satzteil verpacken. Und jede Argumentation muss, wenn sie willkürlich zerschnitten wird, unverständlich, undifferenziert und unkultiviert erscheinen.

Anschlussfähigkeit

Nun hatte ich nicht besonders viel Glück mit meiner Aufforderung. Wittler schreibt:
Jörg Wittler Es war eine allgemeine Bemerkung und nicht auf diesen Artikel bezogen.
Da musste ich mich erst mal am Kopf kratzen. Denn als allgemeine Bemerkung ist diese so offen, dass man alles mögliche daran anschließen könnte, und damit eben vielleicht auch gar nichts. Was den Sinn von Kommunikation einfach mal hinterfragt. Ich habe also geantwortet:
Frederik Weitz Solche Bemerkungen sind derzeit wohl wenig hilfreich. Sie erzeugen zu viel Anschlussfähigkeit. Zu viel anschlussfähige Kommunikation ist zu wenig strukturierte Kommunikation.
Gut, das war vielleicht eine etwas zu indirekte Aufforderung, doch bitte beim Thema zu bleiben, sich auf das Thema zu beziehen, konstruktiv und begründet zu urteilen. Jedenfalls war es wohl zu viel für den guten Herrn Wittler. Er entgegnet:
Jörg Wittler Zu viel eigene Meinung, die andere nicht hören/lesen wollen, wie es scheint.

Die "eigene" Meinung

Den Sprung habe ich nun überhaupt nicht verstanden. Natürlich war mein erster Kommentar – „Lesen hilft!“ – nicht sonderlich höflich. Aber das war der Einstieg auch nicht. Mein zweiter Kommentar hat sich nun überhaupt nicht gegen die Meinung inhaltlich gewandt und das habe ich auch zu verstehen gegeben:
Frederik Weitz Reden Sie sich das nicht schön. Kritik heißt nicht Verdrängung. Ich habe auch nicht, zumindest in meinem letzten Beitrag nicht, Ihre Meinungsinhalte kritisiert, sondern die Präzision und dabei auf die Funktion und Dysfunktionen von breit anschlussfähige Kommunikation hingewiesen. Außerdem ist eine oberflächliche Meinung nur eine Allerweltsmeinung. Hat man schon oft genug. Die muss man nicht auch bei jedem Hupf ins Facebook setzen.
Meine Argumentation geht hier in zwei Richtungen: zum einen habe ich abgelehnt, dass ich hier eine Meinung ihres Inhaltes wegen nicht lesen will. Stattdessen habe ich die Funktion der Meinung thematisiert. Wie schon zuvor habe ich noch einmal deutlich gemacht, dass eine so wenig auf den Sachverhalt gemünzte Meinung derzeit (aber eigentlich, wie ich vermute, immer) dysfunktional ist. Sie führt in so viele verschiedene Richtungen, dass ein konstruktiver Anschluss daran schon formell nicht mehr möglich ist. Zumindest wird es aber zum Glücksspiel.
Meine andere Kritik zielt in eine ähnliche Richtung. Die eigene Meinung kann nicht durch Allerweltssätze ausgedrückt werden. Dann aber stellt sich die Frage, ob Wittler hier tatsächlich eine eigene Meinung hat. Oder ob er sich nicht einfach davor drückt, eine eigene Meinung zu haben. Dies erscheint mir weitaus sinniger, wenn man sich die ganze Diskussion in ihrem Verlauf betrachtet. Und es erscheint mir schon fast als symptomatisch für den eigentlichen Irrsinn, der im Moment in Bezug auf die Sexismus-Debatte abläuft: das hier nämlich umso mehr der Respekt vor der eigenen Meinung eingefordert wird, je weniger man eigentlich eine eigene Meinung dazu hat.

Das Woher und Wozu von Meinungen

Die Antwort war nun folgende:
Jörg Wittler Ich rede mir das nicht schön, ich habe nur eine andere Meinung als Sie. Aber scheinbar haben Sie ein Problem mit Meinungen, die nicht Ihrer entsprechen. In meinen Augen darf jeder seine Meinung haben. Ich mag aber keine Leute die alles versuchen um Menschen mit anderer Meinung anzufeinden, damit sie ihre Meinung ändern.
Dazu musste ich mich dann ausführlicher äußern. Im Hintergrund sollte man im Auge behalten, dass Meinungen nicht dazu da sind, um unhinterfragt in der Gegend herumzustehen. Meinungen führen zu Konflikten. Auch das ist ihre Aufgabe. Wenn man Meinungen nicht mehr widerspricht, landet man entweder bei einem beziehungslosen Individualismus oder doch irgendwann wieder politisch vorgegebenen Doktrinen.
Frederik Weitz Sie haben, noch einmal, den Artikel nicht gelesen. Sie behaupten etwas, was der Artikel nicht hergibt. Daraus bilden Sie sich Ihre Meinung. Das kritisiere ich. Eine solche Meinung akzeptiere ich auch nicht. Wenn Sie damit ein Problem haben, juckt mich das auch wenig. Mindestbedingung einer akzeptablen Meinung ist ein nachprüfbarer Kern, eine Tatsache. Und selbst den besitzt Ihre Meinung nicht.
Ihr Problem ist: Sie greifen mit dem „sie“ (die sind doch alle bekloppt) eine nicht auszumachende Masse an Menschen an, können aber einer direkten Konfrontation nicht standhalten. Zumindest hier nicht.
Argumentieren Sie bitte auf dem Boden von Tatsachen. Respektieren Sie auch Ihre politischen Gegner, indem Sie zumindest den gesamten Artikel beachten (es sind ja nur ein paar Zeilen mehr). Dann bekommen Sie von mir auch nicht einen solchen Gegenwind. Ich fordere eigentlich nur Selbstverständlichkeiten ein.

Destruktive Beliebigkeit

Der Schwenk, den die Argumentation nun genommen hat, ist genau das Problem, was wir derzeit haben. Jemand wird kritisiert, verallgemeinert diese Kritik auf die Gesamtheit des eigenen Lebens, und meint dann sich wehren zu müssen.
Aber es ist doch klar, und das habe ich auch unmissverständlich deutlich gemacht, dass der Ausgangspunkt eine Art Vorwurf ist, die für alles und nichts einen Spielraum lässt, für die krudesten Verschwörungstheorien (wir werden alle verschwult) bis hin zur achselzuckenden Kenntnisnahme als irrelevant.

Adressabilitätskollaps

Ein weiteres Problem ist natürlich, dass die Ausgangsaussage sich nicht auf eine Tatsache beruft, und insofern ich diese mit einer Tatsache (dem erschienenen Artikel) verbunden habe, dies dann auch noch leugnet (eine allgemeine Bemerkung, sagt Wittler). Kann man machen. Aber die Frage ist, wozu? Und genau das, was ich zu Beginn kritisiert habe, tritt an dieser Stelle in der Diskussion nun ein. Die Anschlussfähigkeit der Aussage ist zu beliebig, und damit rückt der Adressat in einer Allgemeinheit in den Mittelpunkt, die eigentlich nur noch zu einem Diskussionsabbruch führen kann. Die Systemtheorie spricht hier von einem Adressabilitätskollaps.

Der harte Fels der Tatsache

Wie verhindert man das? Indem man sich auf Tatsachen beruft. Tatsachen sind im Kern immer sinnlich und materiell (und vereinzelt). Sie müssen ihren Halt in der Wirklichkeit nachprüfbar in sich tragen. Und dabei muss immer noch beachtet werden, was denn genau als Wirklichkeit ausgewiesen wird. Wenn zum Beispiel jemand im Internet schreibt „Werwölfe übernehmen die französische Regierung“, dann ist damit noch nicht die Existenz von Werwölfen belegt, wohl aber die Existenz dieses Satzes. Mehr nicht, aber eben auch nicht weniger. Selbst über das Abhängen des Bildes kann ich eigentlich keine Aussage machen, da ich nicht gesehen habe, wie das Bild abgehängt wurde und dann nicht dort gehangen hat. Ich muss hier etwas als Tatsache nehmen und dem Berichtenden ein entsprechendes Vertrauen entgegenbringen, dass sie/er ihrer/seiner Sinne mächtig ist und keine hintergründigen Gedanken der Täuschung hat.

Unappetitlicher Abschluss

Wie auch immer konnte mein weiterer Einwand Herrn Wittler nicht überzeugen und zu einer anderen Strategie umstimmen.
Jörg Wittler Sie können einfach nicht mit anderen Meinungen zurecht kommen. Das ist Ihr Problem, nicht meines. Und wenn ich den Artikel noch ein weiteres Male lese wird sich meine Meinung nicht ändern.
Frederik Weitz Gut, dann behaupten Sie eben weiter, dass alle anderen bekloppt sind. Ist ja auch ne tolle Art, mit anderen Meinungen umzugehen. Mimimi.
Jörg Wittler Weinen Sie nicht, suchen sie sich lieber Leute die Ihrer Meinung sind, dann brauchen Sie sich nicht so aufzuregen.
Frederik Weitz Jetzt werden Sie entschieden unappetitlich.
Fazit der Geschichte ist also, dass die akzeptable Meinung nur die Meinung des Gleichdenkenden ist, für diesen guten Herrn. Alle anderen darf man mal summa summarum verunglimpfen. Der Kern der Meinungsfreiheit, nämlich alle Meinungen in einer Diskussion zu Gehör zu bringen, um daraufhin in einer allseitigen Kritik ihre Reichweiten und Relevanzen abzuschätzen, wird dagegen auf's Gröblichste missachtet. Das ist dann aber keine Meinungsfreiheit mehr, sondern nur noch Rechthaberei.
Muss ich dazu sagen, dass auch viele andere, mehrheitlich männliche Stimmen ein solch hahnebüchenes An-der-Sache-vorbeischwätzen sind? Ich werde wohl für meine Gesinnung sicherlich keine feministischen Preise einheimsen. Mein Interesse liegt eher bei den formalen Mitteln der Argumentation; inhaltlich sind es sowieso ganz andere Sachen, die mich momentan interessieren: etwas unzeitgemäß die Geometriedidaktik. Aber es gibt doch ernsthafte Anforderungen an eine sachliche Diskussion. Dass diese so mit Füßen getreten werden, entsetzt mich, entsetzt mich weit über ihre Bedeutung für die Gleichberechtigung hinaus in dem, was damit unserer Kultur an Wissenschaftlichkeit und Realität verloren geht.