28.01.2010

ADHS

Ganz wundervoll verlief gestern eine Fortbildung in ADHS.
Ich hatte viel Stoff zusammengestellt, sehr viel Stoff für anderthalb Stunden. Wir sind erst nach zweieinhalb Stunden zum Ende gekommen und es wurde sehr viel diskutiert. Nachher stand ich in dem Schneesturm, der über Berlin brauste, schaute in das diffuse Dämmerlicht des Himmels und wunderte mich.
Es ist seit fast zwei Jahren meine These, dass die meisten ADHS-Kinder keine ADHS-Kinder sind, sondern das besitzen, was man eine weiche Traumatisierung nennt. Die weiche Traumatisierung entsteht, wenn Sinneswahrnehmungen nicht genügend kognitiv verarbeitet werden. Ursache dieser weichen Traumatisierung ist eine fehlende Sprache und mehr noch eine fehlende Fähigkeit, zu erzählen und sich erzählen zu lassen. Ursache dieser Unfähigkeit ist dann natürlich das eingeschränkte Sozialverhalten, das durch eine sinnlich deprivierte Umwelt, durch ein normativ ausgereiztes Berufsverhalten (mancher) der Eltern und durch massenmedial monotone Vorgaben (alle Nachmittagsserien und Zeichentrickfilme funktionieren ungefähr gleich) noch verstärkt wird.
Ein Teufelskreis entsteht: eingeschränktes Sozialverhalten verursacht eingeschränkte narrative Kompetenzen und vice versa.

Schön an dieser Fortbildung war auch, dass ich mehrere alte DDR-Pädagogen dabei sitzen hatte, die mir unglaublich sympathisch waren, weil die neben einer fundierten fachdidaktischen Orientierung eine insgesamt gute wissenschaftliche Kompetenz mitbrachten, also auch etwas, was mir an einem großen Teil meiner Professoren im Studium gefehlt hat.
Aber auch die jungen Leute, fast lauter Erstjährlinge im Lehrer-Dasein, haben mich sehr beeindruckt. Ein junger Physiklehrer zeigte ein so hohes soziales Niveau, dass ich viele Grundlagen, wegen denen ich mich damals in der Schule mit meinem Mentor verkracht habe, keinerlei Diskussion bedurften.

Gerade habe ich eine e-mail von Matthias Keidtel bekommen, in der er diagnostiziert, dass die Deutschen schlecht mit der Ironie könnten, dass es aber schon besser geworden sei. Eine Beobachtung, die ich nur unterschreiben kann.
Zur Ironie gehört eine gewisse Selbstfestigkeit, und die erreicht man nur durch ein gut ausgearbeitetes Weltbild. Ein gut ausgearbeitetes Weltbild verknüpft Fachwissen, Handlungsfähigkeit und Handlungserfahrung (also Planung und Reflexion) mit emotionaler Kompetenz (und zwar genau in der Reihenfolge: Trainings emotionaler Kompetenz ohne Fachwissen, z.B. über Kommunikation und Organisationsstrukturen, sind Einübungen in Persönlichkeitsstörungen).


26.01.2010

Homosexualität und Schöpfungsordnung

Eine recht faszinierende Argumentation breitet ein Stephan Gröne zum Thema Homosexualität vor uns aus (dickes Dankeschön an Chris für den Link).

Gröne beginnt sein Pamphlet (und letzten Endes ist es auch nicht mehr) mit den Worten "Gott hasst die Sünde, nicht die Sünder.", um uns dann zu erklären, dass der Homosexuelle zwar als Mensch unsere volle Anerkennung verdiene, die Homosexualität aber trotzdem eine Sünde sei.
Folgt man Judith Butlers Ausführungen in "Hass spricht" (eigentlich "Excitable speech", aufgeregtes Sprechen), so ist Gewalt gegen Menschen all das, was ihn seines sozialen Kontextes beraubt, bzw. die Mitwirkung an diesem. Seines sozialen Kontextes wird man beraubt, so pointiere ich hier mal die Argumentation, wenn dieser unklar wird, also nicht mehr deutlich wahrnehmbar ist.
Zunächst mag man Gröne als geradezu großzügig halten, wenn er allen anderen Menschen das Recht auf Missachtung des Homosexuellen abspricht. Bedenkt man aber, dass er erstens den Menschen von seiner Homosexualität trennt, indem auf deren zugleich krankhaften wie sündhaften Charakter verweist, zweitens dem "Homosexuellen" das Recht auf Uneinsichtigkeit verweist (in dem Sinne, dass das Denken des Anderen radikal entzogen ist) und drittens trotzdem eine Hierarchie aufmacht, in der die soziale Ächtung von Homosexualität zwar von Gott nicht gewünscht wird, aber trotzdem in irgendeiner Weise gottgefällig ist und damit auch gefühlt weniger schlimm, dann merkt man, wie unter der scheinbaren Klarheit eine allzu subtile Gewalt herrscht. Die Homosexualität sei weniger sozial, könnte man das auf einen Nenner bringen. Man kann also mit Judith Butler schließen, dass hier Mechanismen der Gewalt am Werke sind.
Manch einer mag nun einwenden, dass Gröne in seiner Argumentation sagt, es gebe einen Ausweg und dieser Ausweg sei klar: der in der Heilung durch den Glauben. Man kann dieses Argument sogar als klar bezeichnen, wenn man selbst nicht dieser Ansicht ist. Doch auch hier vermischen sich logische Kategorien, indem zum Beispiel die Bezeichnung 'Glaube' mit dessen verantwortlich gelebten Inhalten (falls es die gibt) gleichgesetzt wird (und etwas ähnliches passiert ja bei Begriffen: Bezeichnungen sind keine Begriffe und dass jemand eine Bezeichnung vor sich herplappert, heißt noch lange nicht, dass er auch einen Begriff davon hat). Gerade aber die Verantwortung ist ein Moment, der nicht durch soziale Vorgaben gelöst wird, sondern nur durch die Pflicht, zu seiner Entscheidung einzustehen. Ergo kann die Sünde der Homosexualität (falls es sie gibt) nicht im weltlichen Bereich, zum Beispiel durch Pamphlete oder durch Abkehr von der Homosexualität gelöst werden, sondern nur im eigentlich transzendentalen Bereich, also sozusagen im Paradies.
Die Aporie ist, dass Gröne in Bezug auf die Homosexualität den Homosexuellen sagt: willst die verantwortlich mit deiner Homosexualität umgehen, musst du dich meiner Argumentation beugen (und nicht dem Urteil Gottes). Nicht nur durch seinen Glauben, Homosexualität sei ein Krankheitsbild und eine Sünde, sondern durch seine eigene Positionierung in der Argumentation spricht der Autor dem schwulen Mann die Verantwortung ab und fordert sie zugleich ein. Klinisch gesehen ist das ein double-bind, aus der sich der Betroffene nicht anders als durch Missachtung und Verlassen der Situation lösen kann und die, wie Bateson et al. schreiben, gerne auch mal in Schizophrenie enden. Wodurch eine solche Rhetorik sich nicht auf eine Krankheit stützt, sondern sie erst erzeugt.

Media-Mania-Magazin

Es ist doch immer wieder spannend, ein Magazin herzustellen. Auch diesmal haben wir wieder - ich sagte es ja bereits - tolle Beiträge. Mit dem Design bin ich zwar insgesamt zufriedener als beim ersten Magazin, aber gefühlt auch unzufriedener. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich mittlerweile die Erfahrungen vom ersten Magazin habe sacken lassen und jetzt selbst einen anderen Anspruch an mich habe.
Jedenfalls bin ich froh, dass wir so ziemlich fertig sind und uns diesmal sogar ein wenig Luft bleibt, bis Vera das Ergebnis online stellt.

Auf diesem Weg möchte ich mich nochmals bei allen Mitwirkenden bedanken. Das sind namentlich Lea Streisand, Matthias Keidtel, Oliver Wachlin, Björn Freitag, Thomas Manegold und Marion Müller vom Periplaneta-Verlag, und Roland Müller von der Buchhandlung "Prinz Eisenherz". Das ist aber auch Heike Koschyk, die trotz allen Rummels um ihr neuestes Buch die Zeit gefunden hat, uns eine schöne Gastrezension zu schreiben.  Auch an Henrike Heiland geht für ihre wunderbare Glosse ein dickes Dank. Und natürlich geht mein Dank auch an die freundlichen Damen und Herren beim Aufbau Verlag, bei Goldmann und beim Taschen Verlag.
Nicht zuletzt seien Regina Károlyi (nein, deine Rückmeldungen sind nicht patzig: die sind immer sehr fair und fundiert), Tina Klinker, Katja Maria Weinl, Susanne Fischer (auch deine Rückmeldungen liebe ich sehr) und nicht zuletzt natürlich Vera Schott, die Media-Mania.de überhaupt erst möglich gemacht hat und ihren "Flohhaufen" mit so viel Engagement, Pflichtbewusstsein und Kompetenz führt.
Ein ganz persönlicher Dank geht an Berit Ebel, die eine spannende und kunstvolle Kurzgeschichte geschrieben hat und seit vielen Jahren mit viel Leidenschaft und großem Urteilsvermögen in der kreativen Schreibszene tätig ist. Und natürlich seien hier Stephan Hutter und Doreen Welke gedankt, mit denen ich befreundet bin (und bringt verdammt nochmal euren zweiten Stadtteilführer heraus: der erste ist viel zu gut, als dass man ihn alleine stehen lassen darf).

Alle Neugierigen erwartet ein spannendes Vergnügen mit vielen tollen Autoren.

Zwei dicke Entschuldigungen muss ich los werden.
Meine erste gilt Henrike Heiland. Ich bin immer noch nicht dazu gekommen, dein Buch zu Ende zu lesen. Dabei würde ich gerade im Moment nichts lieber tun.
Meine zweite Entschuldigung geht an alle Teilnehmer unseres Kurzgeschichtenwettbewerbs. Ich bin erst heute Nacht dazu gekommen, die Rückmeldungen zu Inhalt und Qualität jeder einzelnen Geschichte abzuschließen. Ich möchte hier natürlich weiterhin jedem Teilnehmer gegenüber aufmerksam sein, weiß aber nicht, ob ich das in Zukunft schaffe.

14.01.2010

Von wegen Traummann

Ja, hätte die Charlotte mal mich genommen. Dafür nehme ich die Charlotte.
Nachdem Cedric sowieso mit einem neuen Buch beglückt werden musste, habe ich unseren Spaziergang in die Buchhandlung gleich dazu benutzt, um mir das neue Buch von Henrike Heiland zu bestellen. Und morgen zu bekommen. Da ich gerade kaum Zeit habe zu lesen, werde ich wohl erst gegen Ende der nächsten Woche etwas dazu sagen können.

By the way. Henrike hat für ihre Glosse im Media-Mania-Magazin Februar einen ausgesprochen schnuckeligen Beitrag geliefert, sehr lesenswert. Ab 1. Februar könnt ihr euch das Magazin herunterladen.

Und was Cedric angeht, so sind wir nicht fündig geworden. Er hatte von Naomi Novik das Buch "Drachenbrut" angefangen, aber das ist stilistisch nun eine ziemliche Zumutung. Zum Einschlafen habe ich ihm den Anfang von "Erdsee" vorgelesen. Dabei ist er dann auch tatsächlich eingeschlafen.

Den Abend habe ich über zwei AV's gebrütet, mein scheußliches Tabellen-Design noch scheußlicher gemacht, im Internet rumgeforscht, irgendwelche Links überprüft und ein paar Anmerkungen zu Harry Potter und der Holm-Trilogie in meinen Zettelkasten getippt.
A propos Zettelkasten: der liegt gerade etwas brach. Normalerweise fülle ich den jeden Tag so mit fünf bis zehn Zetteln. Schaffe ich gerade nicht. Habe ja auch nichts zu lesen. Jedenfalls zeitlich gesehen nicht. Jammer.


09.01.2010

Der Alfred-Döblin-Buddy-Bär

Den suche ich gerade. Ich hatte einen brandheißen Tipp bekommen, wo ich den finden kann, doch dort war er nun nicht. Vielleicht weiß einer meiner Leser, wo der steht.

04.01.2010

Frohes Neues ...

Dann melde ich mich mal wieder zurück.

Ich hoffe, ihr seid alle gut ins neue Jahr gerutscht. Ich selbst habe es verpennt, da ich von Dienstag bis Donnerstag einen Schreibmarathon hinter mich gebracht habe. Ich war fast sechzig Stunden wach.
Hintergrund der ganzen Geschichte war folgender: Nach den Interviews mit Lea Streisand und Matthias Keidtel, Roland Müller, den Inhabern von Periplaneta und Stephan Hutter habe ich mich nicht nur an das Schreiben von einem Artikel rund um diese Interviews gemacht, sondern auch noch die Literatur angefangen zu lesen, die mir empfohlen wurde.
Ganz persönlich angetan haben es mir die Autoren, die Keidtel genannt hat. Rein zufällig fiel mir in der Bücherei nämlich als erstes der Kempowski in die Hand und rein zufällig fand ich darin auch eine besonders amüsante Stelle. Und so bin ich von Kempowski über Genazino und dann zu Henscheid gekommen. Erst danach waren Jurek Becker und Daniel Kehlmann dran. Von Hertha Müller möchte ich noch die Atemschaukel lesen, doch da ich mich schon mal mit Der Fuchs war damals schon der Jäger intensiv beschäftigt habe, habe ich das nach hinten geschoben.

Insbesondere mit Keidtel werde ich mich weiter beschäftigen. Ich weiß nicht, wie der Autor das sieht, aber in seinen Büchern - also in der Holm-Trilogie - steckt ein unheimlich präzises System. Wie auch immer man die Bücher in der Unterhaltungsliteratur einschätzen mag, als eine Fundgrube für literaturwissenschaftliche Beschäftigungen taugen sie hervorragend.
Mein Augenmerk hat sich zunächst auf die Metaphern gerichtet. Zur Zeit sind es - beim dritten Durchlesen - die Symbole des Lesens (ein altes Thema von mir, das ich ziemlich mit Beginn meines Germanistik-Studiums aufgenommen habe), die mich beschäftigen.
Übrigens ist das Ganze, will man es ordentlich systematisieren, eine ziemliche Erbsenzählerei, eine Sache, die ich mir partout nicht leisten will, jedenfalls nicht zur Zeit.
Die Holm-Trilogie ist schon deshalb empfehlenswert, weil sie eine der brauchbarsten Schilderungen des männlichen Seelenlebens gibt, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Brauchbar heißt hier: zugleich ernsthaft, humorvoll und distanziert.