17.03.2019

Die Polemik

Man möchte den Satz Ludwig Hohls, die Polemik sei eine literarische Gattung, für eine Plattheit halten. Angesichts der desolaten Lage, in der unnützes Geplärr als eine solche ausgegeben wird, wird die Definition zu einer Forderung; wir müssen uns zurückbesinnen. Ohne das Raster, welches die Gattung bietet, verliert sich die Gattung und damit ihre Bedeutung.
Im Mittelpunkt der Polemik steht die Erkenntnis. Dies bedeutet für den Schreibenden zunächst die Selbstdisziplin: Habe ich etwas zu sagen? Denn hätte er es nicht, sollte er lieber schweigen. Kern dabei bleibt die Tatsache: das sinnlich Wahrnehmbare, das Rohe, noch Unbewertete; und so sehr die Polemik Interpretation und auch Vision ist, kann sie ohne einen solchen festen Boden keine Wurzeln schlagen. Sie bliebe im Objektiven unscharf, im Subjektiven ichschwach. Ichschwäche, so scheint es, ist die Kontur zahlreicher zeitgenössischer Polemiken; Ichschwäche bis zu dem Moment, wo der Selbsthass als übersteigerter Narzissmus zutage tritt.

So verfährt die gute Polemik: Sie geht vom Äußeren, Greifbaren aus und zeichnet Schritt für Schritt das Bild des Inneren nach, jenes, was sich eben nur aus den Konturen heraus erschließen, aber nicht plakativ zeigen lässt. Dies hat die Polemik mit allen literarischen Gattungen gemeinsam, die sich um die gute oder die schlechte Idee bemühen: selbst die beste Idee möchte in der Welt vorgefunden sein; und wo sich die schlechte Idee nicht als Materie in der Welt niederschlägt, gerät ihre Kritik ins Esoterische, Überspannte, Manipulierende.

Henryk M. Broder schreibt, so sagt er, polemisch. Ich lese ihn seit einigen Jahren nicht mehr, zumindest nur sehr selten. Seine sogenannten Polemiken sind langweilig. Ihnen fehlt der Erkenntnisgewinn. Er klappert Signalwörter ab, immer häufiger aber nicht einmal mehr das. Bewusst geworden ist mir dies an Claudia Roth. Diese tauchte in einem Text Broders so unvermittelt auf, dass aber auch kein Nachdenken, keine noch so fadenscheinige Kausalität dieses Auftauchen gerechtfertigt hätte.
Einen Grund für ihre Erwähnung gab es trotzdem. Dieser hat sich dann in den Kommentaren gezeigt: denn die eifrigen Leser Broders haben sich keineswegs auf den Text und seinen Inhalt bezogen, geschweige ihn angereichert, sondern sich in vielfachen Schmähungen der Grünen-Politikerin ergangen und so vermutlich dem Broder-Text zu einem guten Ranking verholfen.
In Wahrheit gibt es gar keine Kritik an Roth, sondern nur diesen Reflex von Erwähnung und Gemeckere, ein eifriges Geplappere von Menschen, die ihre drohende Überflüssigkeit durch Überflüssiges zu bannen suchen; ein Zeichen dafür, dass die Gewohnheit den Menschen aus der Kultur ins Tierische, Bewusstlose zurücktreiben kann.

Dies zeigt aber auch, dass die Signalwörter, deren sich Broder bedient, der literarischen Gattung der Polemik nicht mehr gehorchen. Man gibt sich im Unverständnis Signale des Einverständnisses. So ist auch Broders „AfD“-Rede. Er erwähnt zweimal Greta Thunberg, er streut ein, dass er eine Kreuzfahrt gemacht habe und diese ihm gut gefallen hätte. Inhaltlich kann er zu Thunberg aber nichts sagen. Er sagt es nur nebenbei, greift am sachlichen Gehalt vorbei und ergeht sich im Schmäh. Ob er eine Kreuzfahrt gemacht hat, ist fraglich. Aber die Kreuzfahrt, die scheinbar in der AfD als naturgegebenes Recht jedes aufrechten Deutschen gesehen wird, ist ebenfalls nur ein Signal. Hinterrücks wird das Kreuzfahrtschiff ein Symbol für Broder: als ein tonnenschwerer, manövrierunfähiger Stinker.

Der Polemiker führe, so wusste Karl Kraus, sein Metzgerhandwerk vor, nicht das Schwein, das er sich vornimmt. Dass am Ende das Objekt bis auf die Knochen zerlegt ist, sichtbar, greifbar, in seiner ganzen inneren Nacktheit, versteht sich. Das Handwerk ist subjektive Tätigkeit, aber immer dicht am Objekt. Dass aber das Handwerk vorgeführt wird, bedeutet auch, dass der Polemiker etwas Neues zu sagen hat: unter der kämpferischen Resignation ist das Konstruktive erkennbar; und so scheint unter der Filetierung gesellschaftlicher Missstände der Friede einer besseren Welt hervor.
Das aber hat Broder vergessen. Und, was deutlich schlimmer ist, vergessen hat er auch, was jedem noch so tölpelhaften Schreiberling in Mark und Bein eingraviert sein müsste: Du sollst nicht langweilen. Wer nichts anderes mehr kann, sollte aufhören zu schreiben. Die Polemik ist eine literarische Gattung. Sie bedarf der Literatin, nicht des Schmierfinks.