19.08.2007

Mann erzählt Blondinenwitz - leider schriftlich

Talkshow für Blondienen. Die Kanidaten und das Publikum bestehen nur aus Blondienen. Der Moderator fragt die Kanidatin: "Ok, nun zur ersten frage: Was ist 3 mal 3?"
Die Blondiene: "Ähm...15?"
Der Moderator: "Nein, knap vorbei!"
Das Publimum: "Gib ihr noch ne Chance! Gib ihr noch ne Chance!"
Der Moderator: Ok Ok, also nochmal: Was ist 3 mal 3?"
Die Blondiene: "Ähm..12?"
Der Moderator: "Schade, schon wieder falsch!"
Das Publimum: "Gib ihr noch ne Chance! Gib ihr noch ne Chance!"
Der Moderator: Ok, aber die letzte chance. Also, was ist 3 mal 3?"
Die Blondiene: "Ähm...9?"
Und dann das Publikum: "Gib ihr noch ne Chance! Gib ihr noch ne Chance!"

Emotionale Intelligenz

Schriften zur Emotionalen Intelligenz sind nicht nur inhaltlich interessant. Ein sehr faszinierender Aspekt an diesem Thema - und eigentlich an jedem päagogischen Thema - ist die Rhetorik solcher Schriften.
Es ist leider ein offenes Geheimnis, dass viele Pädagogen zwar inhaltlich lesen - also nach dem Was? fragen -, aber nicht reflexiv: dies wäre das Wie?
Das Wie?, die Strategie eines Textes, ist aber genauso wichtig. Foucault hat dies gezeigt, ebenso Derrida.
Schriften zur Emotionalen Intelligenz schwanken nun zwischen zwei besonderen Textsorten hin und her: die eine ist die Werbung, die andere das (Koch-)Rezept. Das ergibt insofern ein uneinheitliches Bild, als das implizite Ziel der Werbung der Tausch, das explizite Ziel ein Ideal ist, während beim Rezept Produktion und Produkt die Ziele sind.
Tausch und Produktion, Ideal und Produkt - kaufen und herstellen, Möglichkeit und Notwendigkeit, zwischen diesen Polen schwanken die Texte zur Emotionalen Intelligenz hin und her. Ich habe mir zwar noch nicht erklären können, warum diese Texte genau diese Strategien benutzen (und ich habe, ehrlich gesagt, auch nicht viel Hoffnung, es genau erklären zu können), aber diese Überlegungen bieten zumindest einen fruchtbaren Boden. Wie mein Blog sind diese Texte ein Sammelsurium verschiedenster Strategien.

12.08.2007

Ins Labyrinthische, oder: "Der Tod wird euch finden"

„Die Dinge werden gefährlich, wenn sie einfach scheinen“, hat Lawrence Wright in einem Interview erklärt und damit seine verblüffende Auffassung der Arbeit eines Reporters und Sachbuchautors offenbart: Es geht ihm nicht darum, die Leser sicher durchs Dickicht der Fakten, Thesen und Personen hindurchzuführen, sondern sie dessen verwirrende Opulenz erkennen zu lassen; nicht darum, Orientierung zu bieten, sondern vielmehr den Sinn des Publikums für das Labyrinthische der Gegenwart zu wecken; nicht bloß darum, zu erzählen, sondern zu fesseln und zu bannen, und in diesem konkreten Fall heißt das: das düstere, bizarre Leben von fünf oder sechs sehr unsympathischen Männern über mehrere Jahrzehnte so zu schildern, dass man das Buch nicht einen Moment weglegen möchte, bis zu jenem New Yorker Vormittag, an dem die Lebenslinien unserer Zeitgenossen zusammentreffen, dem des 11. September 2001.
So wundervoll beginnt Nils Minkmar seine Rezension zu Lawrence Wrights Buch "Der Tod wird euch finden".

Michel Foucault und Roland Barthes zum Terror

JEAN-FRANCOIS: Und die Drogen?
SERGE: Das ist kein Phänomen für sich. Für die Schüler, die sie nehmen, bedeuten sie einen totalen Verzicht auf Karriere. Die politisierten Schüler setzen ihre Studien fort; diejenigen, die Drogen nehmen, steigen völlig aus.
FOUCAULT: Der Kampf gegen die Drogen ist ein Vorwand zur Verstärkung der gesellschaftlichen Repression: Streifzüge der Polizei - aber auch zur Verherrlichung des normalen, rationalen, bewussten und angepassten Menschen. Man findet dieses Markenbild auf allen Ebenen: Schauen Sie sich die Schlagzeile des heutigen France-Soir an: 53% der Franzosen für die Todesstrafe. Vor einem Monat waren es nur 38%.
JEAN-FRANCOIS: Die ist vielleicht auch eine Folge der Gefängnisrevolte von Clairvaux?
FOUCAULT: Selbstverständlich. Man spielt den Terror des Verbrechers, die Drohung des Monsters aus, um jene Ideologie von Gut und Böse, von Erlaubt und Verboten, zu stärken, welche die Schule heute nicht mehr so unverblümt zu vertreten wagt wie früher. Was der Philosophieprofessor in seinem komplizierten Vokabular nicht mehr zu sagen wagt, wird vom Journalisten ohne Vorbehalt proklamiert. Vielleicht sagen Sie: das ist immer so gewesen, die Journalisten und die Professoren hatten immer dasselbe zu sagen. Aber heute werden die Journalisten angehalten, gestoßen, gezwungen, es eindringlicher zu sagen, als es den Professoren noch möglich ist. Eine kleine Geschichte: die Ereignisse von Clairvaux führten zu einer Woche der Rache in den anderen Gefängnissen. Da und dort haben die Wärter die Gefangenen tätlich angegriffen, vor allem im Jugendgefängnis von Fleury-Mérogis. Die Mutter eines Gefangenen ist zu uns gekommen. Ich war mit ihr bei Radio Luxemburg, um ihren Bericht verbreiten zu helfen. Ein Journalist hat uns empfangen und gesagt: »Wissen Sie, das erstaunt mich nicht, denn die Wärter sind fast ebenso degeneriert wie die Gefangenen.« Wenn ein Professor an einer Schule so spräche, würde er einen kleinen Aufstand provozieren und eine Ohrfeige einstecken.
Gespräch zwischen Studenten und Michel Foucault, aus: Foucault, Michel: Von der Subversion des Wissens, Frankfurt a. M. 1996
Ich habe ein wenig herumgesucht, um Informationen über die Aufstände in Clairvaux zu finden. Die meisten Artikel sind entweder zu tendenziös, zu ungenau, oder reichen nicht bis ins Jahr 1971 zurück. Eine ganz gute historische Übersicht findet sich allerdings hier. Leider nur auf Französisch.

Der Terror der Perspektive
Auch Roland Barthes spricht vom Terror. In den Mythen des Alltags spricht er von dem Terror, der zugleich benennt und bewertet. Demgegenüber will Barthes zunächst eine Beschreibung: man kennt dies aus seinem Buch Die Sprache der Mode, eine scharfe, wissenschaftliche Untersuchung. In einem Interview allerdings sagt Barthes:
Die Modeliteratur ist eine schlechte Literatur, aber sie ist trotz al­lem eine Schrift. (ÜSM, 54)
Kritik entsteht zunächst aus der Trennung von Beschreiben und Bewerten: wie funktioniert etwas? unter welchen Bedingungen funktioniert etwas?, dies sind die Fragen, die man sich zuerst zu stellen hat. "Schlecht" - das ist der Ausdruck einer Bewertung; "trotz allem" - das wirft der Wissenschaftler dem voreiligen Kritiker entgegen: sie ist trotz allem eine Schrift, will sagen: auch wenn sie schlecht ist, muss man sie beschreiben.
Barthes weist anhand von Racine auf die Tabus der Interpretationen hin und auch - noch einmal - auf die Probleme bestimmter Adjektive, Adjektive, die zugleich benennen und bewerten:

So dann aber nehmen die Beschuldigungen Picards etwas Ver­bissenes und beinahe Obsessionelles an. Seine Kritik gibt sich »terroristisch«, verbal und beruht auf Adjektiven wie »aberwit­zig«, was mich kaum interessiert.
[...]
Und der Vorwurf bezüglich der »Solidarität«, was halten Sie da­von?
Nach Picard beruhen die Racineschen Personen auf verschiede­nen »Solidaritäten«. Doch die Tiefenpsychologien haben uns ge­lehrt, bestimmte Substitutionen als gültig anzuerkennen. Von ei­ner Symbolik ausgehend kann ich bestimmte Regeln anwenden, die mir erlauben, die gemeinsamen Züge, die tieferliegende Ein­heit scheinbar unterschiedlicher Symbole aufzufinden. Picard lehnt diese Psychologien ab. Das ist sein Recht. Indem ich die strukturale und psychoanalytische Analyse anwende, rede ich von Racine in der Sprache unserer Zeit, im kulturellen Wortsinne. (RP, 45f)

Die Debatte um Racine war - als sie ausbrach - nebensächlich: es ging nicht um Racine selbst, sondern um die erlaubten und die nicht erlaubten Perspektiven. Es ging um Dogmatismus und Terror. Roland Barthes zerlegt den Körper des Lesenden, indem er das Verhältnis umdreht: nicht der Leser blickt den Text an, sondern er fühlt sich durch den Text angeblickt. Dies gliedert die Empfindungen des Lesers, und der Text "wölbt" sich dem Leser entgegen, wie der Leser "in den Text stürzt". - Lesen, das ist dieses endlose Weitertreiben, dessen einzige Perspektive es ist, ohne Perspektive zu bleiben.
Mit jeder Brandmarkung der bürgerlichen Ideologie geht gleich­zeitig eine gewisse Verdunkelung der Frage einher: von wo aus spreche ich? Ich wollte mich einfach - jedoch die gesamte Mo­derne seit Blanchot tut es - für die im wesentlichen reflexiven Diskurse einsetzen, die den unendlichen Charakter der Sprache aufnehmen, in sich nachahmen und niemals mit dem Beweis eines Signifikats abschließen. Indem ich versuche, eine Reflexion über die Erotik der Lektüre ans Licht zu befördern, mache ich nichts anderes, als dem dogmatischen Diskurs entgegenzutreten. Heute verwechselt man in ein und derselben Anklage den dogmatischen und den terroristischen Diskurs. Der dogmatische Diskurs stützt sich auf ein Signifikat. Er neigt dazu, die Sprache durch die Exi­stenz eines letzten Signifikats aufzuwerten: von daher die wohl­bekannten Beziehungen zwischen dem dogmatischen und dem theologischen Diskurs. Dieses Signifikat nimmt oft die Gestalt ei­ner Ursache an: einer politischen, ethischen oder religiösen. Aber von dem Augenblick an, in dem der Diskurs (ich spreche nicht von den Optionen eines Individuums) es akzeptiert, an diesem Eckpfeiler eines Signifikats anzuhalten, wird er dogmatisch. Der terroristische Diskurs trägt aggressive Züge, die man ertragen kann oder nicht, jedoch bleibt er im Signifikanten: er handhabt die Sprache wie eine mehr oder minder spielerische Ausbreitung von Signifikanten. (LSL, 178)
Der despotische Diskurs also meint letzten Endes "Gott", wenn er theologisch ist, oder "befreites Subjekt", wenn er marxistisch oder pseudomarxistisch ist (auch Scientology, auch Osho reden von der Befreiung des Subjekts und dem befreiten Subjekt als Ideal). - Der terroristische Diskurs dagegen schwimmt an der Oberfläche der Ausdrücke. Sein Ziel ist nicht ein Signifikat, ein Bezeichnetes, sondern den anderen dazu zu zwingen, bestimmte Phrasen zu wiederholen.
Hitler/Stauffenberg - Der Nationalsozialismus war zum Beispiel tief in sich selbst gespalten, da er auf einer bestimmten Ebene den reinrassigen Deutschen idealisierte und insofern despotisch war; auf einer anderen Ebene verlangte er aber die blanke Wiederholung von Phrasen, angefangen mit dem "Heil Hitler!" und war insofern terroristisch. Man könnte mit reichlich Unschärfe also den beiden Strömungen zwei Protagonisten geben: Hitler für den terroristischen, und Stauffenberg für den despotischen Diskurs.
Auch die Linksradikalen halten einen terroristischen Diskurs: sie erkennen sich daran, dass sie sich bestimmte Phrasen von Marx/Engels/Lenin vorplappern müssen. Marx selber war kaum so zu nehmen: Wissenschaftler, scharfzüngiger Ironiker; und missbraucht, in den Dogmatismus gedreht von denen, die ihn nicht lesen. Danach wäre sein Ideal gewesen: der freie Mensch, der Kommunismus.
Schließlich all jene, die sagen: Das da ist keine Demokratie. Doch die Demokratie kann nie das Ideal sein, immer nur eine bestimmte Form, den Diskurs abseits von Despotismus und Terrorismus zu halten. Abseits? Nun: dies heißt, die eigenen Ideale vertreten und die fremden Ideale respektieren - vertreten und respektieren insofern, als sie sich immer wieder ändern müssen, als keine Sprache und kein Sprechen in diesen Idealen gipfelt. Immer wieder die Sprache zu ändern, nie nur die Phrasen erneut in den Raum zu werfen: immer wieder neu und anders sprechen, immer wieder die Begriffe verschieben, nicht stehen bleiben in seiner Neugier, nie satt und zufrieden sein.
Demokratisch sein, das heißt - vielleicht -: neugierig sein auf das, was ich (noch nicht) denken kann.

ÜSM = Über "Die Sprache der Mode" und die strukturale Analyse der Erzählungen, in: Barthes, Roland: Die Körnung der Stimme, Frankfurt am Main 2002, S. 50-63
RP = Roland Barthes antwortet Raymond Picard im Namen der "Nouvelle Critique", in: Barthes, Roland: Die Körnung der Stimme, Frankfurt am Main 2002, S. 45-49
LSL = Lust/Schrift/Lektüre, in: Barthes, Roland: Die Körnung der Stimme, Frankfurt am Main 2002, S. 173-192
Barthes, Roland: Die Sprache der Mode, Frankfurt am Main 1985
Barthes, Roland: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964
Foucault, Michel: Gespräch zwischen Studenten und Michel Foucault, in: Foucault, Michel: Von der Subversion des Wissens, Frankfurt a. M. 1996

11.08.2007

Über die unauffällige Nutzung von Bibliotheken

Sozialwissenschaftler sind unauffällige Gestalten. Sie sitzen meist in billigen Sesseln, die sie von ihren Großeltern geerbt haben, trinken ALDI-Wein und die vernehmlichsten Laute, die sie äußern, ist das Rascheln von Papier und das Aneinanderreiben von Cordhosen; dieses verursacht ein Geräusch, dass irgendwo zwischen dem Rascheln von Papier und dem Knirschen von Gartenkies zu verorten ist.
Im Allgemeinen sind also Sozialwissenschaftler eher harmlos. Am meisten interessieren sich moderne Komponisten für sie, nicht wegen der Schriften, sondern wegen dem Rascheln, Reiben und Knirschen. Dies ist musikalisch nämlich höchst interessant.
Neuerdings aber interessieren sich auch die bundesdeutschen Terrorfahnder für Sozialwissenschaftler. Unter dem Vorwurf, diese seien in der Lage, Bibliotheken unauffällig zu nutzen und hätten zudem das geistige Potential, um konspirative Schriften zu schreiben, wurde jetzt ein Berliner Wissenschaftler wegen Terrorverdachts festgenommen.

Der Hintergrund
1. Der sogenannte Terrorismus-Paragraph - StGB §129a (Bildung terroristischer Vereinigungen) - droht den Hintermännern und Rädelsführern mit bis zu zehn Jahren Haft, je nachdem, wie intensiv deren Mitwirken war. Zudem dürfte sich bei dem als Andrej H. benannten Verhafteten erschwerend auswirken, dass er eine offizielle Position bekleidet: diese darf laut Abs. 8 vom Richter aberkannt werden, sollte sich der Verdacht bestätigen.
2. Andrej H. arbeitet auf dem Gebiet der Stadtsoziologie. Dabei untersucht er unter anderem Prozesse der Gentrifikation, also all diejenigen Prozesse, die einen Stadtteil "veredeln" und dabei ärmere Bevölkerungsschichten verdrängen (wikipedia: deutsch, englisch).
3. Linksradikale und linksmilitante Gruppen befassen sich ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen, mit der Gentrifikation, bevorzugen hier allerdings nicht die Untersuchung, sondern den Guerillakampf. Wir erinnern uns: 1971 wurde von der RAF ein Artikel veröffentlicht, der "Das Konzept Stadtguerilla" hieß. Auf diesen stützen sich viele radikale linke Gruppen, die im städtischen Raum agieren.
4. Für die Großstädte ist der städtische Raum auf vielfältige Weise problematisch geworden. Um diese "Probleme" zu untersuchen, gibt es Wissenschaftler. Die Sozialwissenschaften, gerade die Soziologie, sind oft noch an Handlungstheorien ausgerichtet. Urheber dieser (modernen) Handlungstheorien ist immer noch Karl Marx.
Z.B. in der 1. These zu Feuerbach: "Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefasst wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv. Daher die tätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von dem Idealismus - der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt - entwickelt. Feuerbach will sinnliche - von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedne Objekte: aber er fasst die menschliche Tätigkeit selbst nicht als gegenständliche Tätigkeit. Er betrachtet daher im 'Wesen des Christentums' nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig jüdischen Erscheinungsform gefasst und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der 'revolutionären', der 'praktisch-kritischen' Tätigkeit."
Tätigkeit wird oft immer noch als praktisch-kritisch aufgefasst. (Heidegger wendete mal gegen Marx ein, um so zu handeln müsse man dies zuerst so sehen, d.h. erst durch den Willen, etwas als praktisch-kritisch zu beobachten, würde es auch praktisch-kritisch, was immer im Einzelnen das hieße. Luhmann würde Heidegger hier wohl zustimmen.)

Fassen wir zusammen
Die Soziologie ist oft noch handlungsorientiert - von Marx her - oder wird als handlungsorientiert verstanden. Soziologen haben also aus fachhistorischen Gründen eine Nähe zur marxistischen Philosophie.
Stadtsoziologen beobachten Prozesse der Gentrifizierung und damit einhergehend natürlich Prozesse der Verarmung. In diesen dürfte ein kritisches Potential stecken, ganz von selbst, da Verarmung nicht eine rational nachvollziehbare Entscheidung sein dürfte. Andererseits kann und darf man auch wissen, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung immer reicher wird. Auch das ist nicht immer aus Kompetenzen begründbar.
Die Nähe von Stadtsoziologen zu Stadtguerilleros dürfte durch viele Themen gedeckt sein. Zudem kann man nicht sagen, dass Linksradikale nicht lesen würden. Man kann sich über die Qualität ihres Lesens streiten - und vielleicht hier ähnliche Vorgehensweisen entdecken, wie die Kreationisten die Bibel lesen. Aber lesen können diese Stadtguerilleros sicherlich. Inwieweit diese dann aus öffentlichen Artikeln "Phrasen" übernehmen, oder sich auf Veranstaltungen mit Wissenschaftlern unterhalten, ist eine nicht zu kontrollierende Sache: den Wissenschaftler jedenfalls sollte das nicht kompromittieren dürfen.

Widerstand oder Demokratie?
So scheint die Formel unserer übereifrigen Gesetzeshüter zu lauten. Wer sich kritisch verhält, wer sich übermäßig kritisch verhält, wer die Nähe zu Linksradikalen sucht, wer deren Phrasen zitiert, der ist staatsfeindlich und damit ja auch demokratiefeindlich.
Dabei ist es nicht so einfach: zum einen suchen viele Linksradikale immer wieder den Anschluss an die Wissenschaften, mit welcher Schärfe auch immer. Rudi Dutschke zum Beispiel war über die Schriften seiner konservativen Gegner immer bestens informiert (so schrieb jedenfalls mal Marcuse). Andere Linke scheinen kaum den Inhalt der ersten hundert Seiten des Kapitals zu verstehen.
Jedenfalls gibt es hier zahlreiche Spielarten und zahlreiche Überschneidungen. Trotzdem: ein Wissenschaftler publiziert Fachartikel, ein Linksradikaler Pamphlete.
Widerstand aber ist ja nicht ein Zeichen von Demokratiefeindlichkeit, sondern der Demokratie als Staatsform immanent. Es heißt: streitbare Demokratie - das Verschweigen und Verschweigen-müssen, die Gleichschaltung und die Vernichtung unliebiger Bürger: das - liebe Staatswächter - war die Staatsform vor der deutschen Demokratie.
Die Aufgabe der Verfassungsschützer dürfte also hinreichend schwierig sein, Fehlgriffe gehören zu den Graubereichen jeder Gesetzeslage: die im übrigen dadurch entstehen, dass Gesetzestext und Wirklichkeit nicht konform gehen, ja sie arbeiten nicht einmal mit den gleichen Medien. Allein dass es Gesetzestexte gibt, macht Übersetzungsfehler zwischen Recht und Alltag erst möglich. Hinreichend begründet also müssen so schwerwiegende Eingriffe sein, wie der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Geschieden werden muss - strengstens - zwischen demokratischem Widerstand im Sinne einer streitbaren Demokratie und zwischen staatsgefährdendem Terror. Strengstens geschieden werden muss aber auch zwischen wissenschaftlichen Artikeln, die ein kritisches Potential in sich tragen, und Pamphleten, unter denen steht: "DEN BEWAFFNETEN KAMPF UNTERSTÜTZEN! SIEG IM VOLKSKRIEG!" (so am Ende von "Das Konzept Stadtguerilla").
Gefährlich und demokratiefeindlich dürfte es allerdings sein, wenn man Begriffe verschleift - den des Terrors -, Übersetzungsprozesse verklärt und Gesetzestexte präventiv ausnutzt.

Hier noch einige Internetverknüpfungen
(Links möchte ich in diesem Zusammenhang lieber nicht schreiben.)
TAZ-Artikel: Forschen ist strafbar
BKA zu "Militante Gruppe" und die Verknüpfung zu wikipedia.
Telepolis zu den Verhaftungen: Angeblicher Schlag gegen Militante Gruppe
Presseerklärung der Verteidigung: Hier

Die Zeit dagegen greift die Rolle des Wissenschaftlers nicht auf, ja lässt ihn am Ende sogar unter den Tisch fallen und tituliert - entgegen dem Verdachtsmoment der Staatsanwaltschaft -: Ein Phantom wird greifbar. Dann aber kommt folgender Artikel: Konstruierter Terrorismusverdacht.
Auch die Süddeutsche tituliert Fahndungserfolg, obwohl es sich zuerst nur um mutmaßliche Täter halten soll. Was bei mutmaßlich ein Erfolg sein soll, verstehe Gott. (Das ist wahrscheinlich der gleiche Gott, dem die Kreationisten huldigen: dieser hatte - wir erinnern uns - extra für das Paradies vegetarische T-Rex geschaffen, die, nachdem Eva ebenfalls vegetarisch speisen wollte, prompt zu den größten fleischfressenden Landlebewesen wurden, als die sie heute gelten: glücklicherweise ließ Gott sie dann rasch aussterben.)
Die Bild-Zeitung meldet garnichts.

Die Instituts-Page von Andrej H. an der HU Berlin: Hier.


Nachwort
Auch das Internet raschelt manchmal friedlich vor sich hin. Der moderne Musiker - Helmut Lachenmann (Oper: "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern") - sitzt friedlich vor seinem Bildschirm, während die Welt draußen zusammenlinkst.
Von dem Inhalt des hier Verlinkten distanziere ich mich natürlich ausdrücklich. Nicht jedoch von den Inhalten einer streitbaren Demokratie. Auch der Missbrauch von Verfassungsschutz ist und bleibt ein Missbrauch unserer Verfassung.

06.08.2007

Ritalin

Tja, großes Thema.
Heute lese ich bei WELT - ONLINE, dass Ritalin das Gehirn schädige. Wissenschaftler hätten festgestellt, dass ... Moment mal Kinder? Ist Ritalin nicht ein Psychopharmaka? Ja, das ist es allerdings. Weiß man von Psychopharmaka nicht seit vielen Jahren, dass sie das Gehirn verändern? Doch, wohl gesprochen Herr Weitz. Und ihr, ihr lieben Wissenschaftler, wollt mir jetzt erzählen, ihr habet gerade im Moment, sozusagen als neuesten Skandal, herausgefunden, Ritalin sei nicht nur bewusstseinsverändernd, sondern auch hirnumbildend? Ja, so ... Ist das denn nicht Sinn und Zweck der ganzen Bemühungen: die Kinder umzustrukturieren? Schon, aber ... Na, also!
Und ganz im Ernst: Dass Ritalin das Gehirn verändert, weiß man seit Jahren. Ja, man weiß auch seit Jahren, dass die Spätfolgen von langer Ritalin-Einnahme depressive Phasen oder schwere Depressionen sein können. Nichts von der Nachricht bei Welt-online ist neu. Aber zumindest ist es gut, dass dieses Thema mal wieder auf den Tisch kommt. - Falls der Lehrer ihres Kindes mal wieder nach Ritalin und psychiatrischer Betreuung schreit, oder sogar Sie selbst!
Wer sich gut und ernst über dieses Thema informieren will, dem seien Manfred Döpfner, Stephanie Schürmann und Jan Frölich empfohlen. 1998 haben die drei Autoren ein umfassendes Manual zum ADHS vorgelegt, oder, wie es hier heißt, für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten. Darin kann man alles nachlesen, was die Welt-online heute als neuestes Forschungsergebnis vorstellt. Mit einem Blick bei Amazon sehe ich gerade, dass dieses Buch neu, und wohl multimedial aufgelegt wurde: Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten THOP, m. CD-ROM; erschienen im Beltz Psychologie Verlags Union.
Wie immer kommt zum Schluss die Bitte: kauft eure Bücher bei eurem Buchhändler.

05.08.2007

Lernbereitschaft

Eigentlich wollte ich nicht über Lehrer herummeckern. Eigentlich wollte ich diesen Beruf als nicht-existent aus meiner Welt herausstreichen. Zumindest aber würde ich da Nico und Martin bitter unrecht tun und auch mein Sohn kommt ja demnächst in die fünfte Klasse. Sollte er Lehrer werden wollen, wird er enterbt. Ach ja, mein jüngstes Brüderchen ist demnächst auch Lehrer, und dann habe ich da noch mindestens einen tollen Onkel, der Lehrer ist.
Aber darum geht es hier garnicht.

Die Deutschen seien in Bezug auf Weiterbildung das europäische Schlusslicht. Nur vierzig Prozent aller Deutschen nützten ihren Urlaub zum Lernen. Was ich nicht verstehen kann ... es gibt mittlerweile so viele gute populärwissenschaftliche Bücher, die einfach beim Lesen Vergnügen bereiten, zudem zahlreiche Internetseiten, die bestes Infotainment bieten, und was Sprache angeht, habe ich gerade die ganz hervorragenden Sprachtrainer von digital publishing entdeckt. Leider nur englisch und französisch (zur Rezension für media-mania). Bei beiden fühle ich mich doch unterfordert, aber den Kommunikationstrainer Englisch wird mein Sohn sicherlich bestens gebrauchen können.

Die Anekdote, die ich zur Lernbereitschaft immer wieder erzähle, ist folgende:
Sommer 1994 war ich für zwei Monate in Tunesien. Ich bin durch das Hinterland gereist, weit weg von den touristischen Massenbetrieben. Irgendwo in einer ganz südlichen Oase habe ich einen Teppichhändler getroffen, der sich mit mir über Habermas unterhalten wollte. Hätte ich vorher nicht gerade ein Seminar über Habermas gehabt, wäre ich ziemlich aufgeschmissen gewesen. Tatsächlich war dieser Mann ein gleichberechtigter Gesprächspartner, obwohl er nie ein Buch von Habermas gelesen hatte. Man unterhalte sich, so berichtete er, in den Teestuben gerne über Philosophie. - Und jetzt mal im Ernst: Wer hat schon Habermas gelesen? Welcher Deutsche kennt ihn überhaupt? Oder den faszinierenden Hans Blumenberg? Niklas Luhmann?

An der Schule sagte mir die eine Ausbilderin, es ginge hier nicht um Philosophie. Also nicht - denn das sind die drei Säulen der Philosophie - um Ethik, um Erkenntnistheorie, und um Anthropologie. Gut, kann ich nachvollziehen, dass es darum bei vielen Lehrern nicht geht. Allerdings sollte es darum gehen, und genau das ist das Problem.
Worte wie "demokratische Führung" oder "Kooperation" sind rasch dahergeplappert, aber nur schwer umgesetzt.

Lernbereitschaft ist übrigens etwas anderes als Verstanden-haben. Auch ich habe oft Mühe und Not, etwas zu verstehen. Trotzdem lerne ich. Soweit es eben geht. Und erwarte natürlich Widerspruch, wenn mir das Wissen um Zusammenhänge fehlt. Allerdings sollte der Widerspruch konstruktiv sein.

02.08.2007

Text is unilinear ... rethink ourselves.

Michael Wesch, ein amerikanischer Professor für kulturelle Anthropologie, hat einen wunderbaren kleinen "Werbe"-Film für das WorldWideWeb gedreht. Zu finden ist er HIER.