JEAN-FRANCOIS: Und die Drogen?
SERGE: Das ist kein Phänomen für sich. Für die Schüler, die sie nehmen, bedeuten sie einen totalen Verzicht auf Karriere. Die politisierten Schüler setzen ihre Studien fort; diejenigen, die Drogen nehmen, steigen völlig aus.
FOUCAULT: Der Kampf gegen die Drogen ist ein Vorwand zur Verstärkung der gesellschaftlichen Repression: Streifzüge der Polizei - aber auch zur Verherrlichung des normalen, rationalen, bewussten und angepassten Menschen. Man findet dieses Markenbild auf allen Ebenen: Schauen Sie sich die Schlagzeile des heutigen France-Soir an: 53% der Franzosen für die Todesstrafe. Vor einem Monat waren es nur 38%.
JEAN-FRANCOIS: Die ist vielleicht auch eine Folge der Gefängnisrevolte von Clairvaux?
FOUCAULT: Selbstverständlich. Man spielt den Terror des Verbrechers, die Drohung des Monsters aus, um jene Ideologie von Gut und Böse, von Erlaubt und Verboten, zu stärken, welche die Schule heute nicht mehr so unverblümt zu vertreten wagt wie früher. Was der Philosophieprofessor in seinem komplizierten Vokabular nicht mehr zu sagen wagt, wird vom Journalisten ohne Vorbehalt proklamiert. Vielleicht sagen Sie: das ist immer so gewesen, die Journalisten und die Professoren hatten immer dasselbe zu sagen. Aber heute werden die Journalisten angehalten, gestoßen, gezwungen, es eindringlicher zu sagen, als es den Professoren noch möglich ist. Eine kleine Geschichte: die Ereignisse von Clairvaux führten zu einer Woche der Rache in den anderen Gefängnissen. Da und dort haben die Wärter die Gefangenen tätlich angegriffen, vor allem im Jugendgefängnis von Fleury-Mérogis. Die Mutter eines Gefangenen ist zu uns gekommen. Ich war mit ihr bei Radio Luxemburg, um ihren Bericht verbreiten zu helfen. Ein Journalist hat uns empfangen und gesagt: »Wissen Sie, das erstaunt mich nicht, denn die Wärter sind fast ebenso degeneriert wie die Gefangenen.« Wenn ein Professor an einer Schule so spräche, würde er einen kleinen Aufstand provozieren und eine Ohrfeige einstecken.Gespräch zwischen Studenten und Michel Foucault, aus: Foucault, Michel: Von der Subversion des Wissens, Frankfurt a. M. 1996
Kritik entsteht zunächst aus der Trennung von Beschreiben und Bewerten: wie funktioniert etwas? unter welchen Bedingungen funktioniert etwas?, dies sind die Fragen, die man sich zuerst zu stellen hat. "Schlecht" - das ist der Ausdruck einer Bewertung; "trotz allem" - das wirft der Wissenschaftler dem voreiligen Kritiker entgegen: sie ist trotz allem eine Schrift, will sagen: auch wenn sie schlecht ist, muss man sie beschreiben.Die Modeliteratur ist eine schlechte Literatur, aber sie ist trotz allem eine Schrift. (ÜSM, 54)
So dann aber nehmen die Beschuldigungen Picards etwas Verbissenes und beinahe Obsessionelles an. Seine Kritik gibt sich »terroristisch«, verbal und beruht auf Adjektiven wie »aberwitzig«, was mich kaum interessiert.
[...]
Und der Vorwurf bezüglich der »Solidarität«, was halten Sie davon?
Nach Picard beruhen die Racineschen Personen auf verschiedenen »Solidaritäten«. Doch die Tiefenpsychologien haben uns gelehrt, bestimmte Substitutionen als gültig anzuerkennen. Von einer Symbolik ausgehend kann ich bestimmte Regeln anwenden, die mir erlauben, die gemeinsamen Züge, die tieferliegende Einheit scheinbar unterschiedlicher Symbole aufzufinden. Picard lehnt diese Psychologien ab. Das ist sein Recht. Indem ich die strukturale und psychoanalytische Analyse anwende, rede ich von Racine in der Sprache unserer Zeit, im kulturellen Wortsinne. (RP, 45f)
Mit jeder Brandmarkung der bürgerlichen Ideologie geht gleichzeitig eine gewisse Verdunkelung der Frage einher: von wo aus spreche ich? Ich wollte mich einfach - jedoch die gesamte Moderne seit Blanchot tut es - für die im wesentlichen reflexiven Diskurse einsetzen, die den unendlichen Charakter der Sprache aufnehmen, in sich nachahmen und niemals mit dem Beweis eines Signifikats abschließen. Indem ich versuche, eine Reflexion über die Erotik der Lektüre ans Licht zu befördern, mache ich nichts anderes, als dem dogmatischen Diskurs entgegenzutreten. Heute verwechselt man in ein und derselben Anklage den dogmatischen und den terroristischen Diskurs. Der dogmatische Diskurs stützt sich auf ein Signifikat. Er neigt dazu, die Sprache durch die Existenz eines letzten Signifikats aufzuwerten: von daher die wohlbekannten Beziehungen zwischen dem dogmatischen und dem theologischen Diskurs. Dieses Signifikat nimmt oft die Gestalt einer Ursache an: einer politischen, ethischen oder religiösen. Aber von dem Augenblick an, in dem der Diskurs (ich spreche nicht von den Optionen eines Individuums) es akzeptiert, an diesem Eckpfeiler eines Signifikats anzuhalten, wird er dogmatisch. Der terroristische Diskurs trägt aggressive Züge, die man ertragen kann oder nicht, jedoch bleibt er im Signifikanten: er handhabt die Sprache wie eine mehr oder minder spielerische Ausbreitung von Signifikanten. (LSL, 178)
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