24.05.2019

Grammatik als Heilmittel

Analogiebildung

Dabei, bei der unterstellten Ähnlichkeit, kann man auch von komplexeren Konstellationen ausgehen, etwa, dass es mehrere Elemente gibt, für die eine gewisse Ähnlichkeit unterstellt wird, da sie untereinander zusammenhängen. Wenn diese Elemente dann untereinander auch noch so verbunden sind, wird hier nicht nur mehrfach eine Ähnlichkeit unterstellt, sondern ein ganzes Modell auf eine wahrgenommene Situation oder ein wahrgenommenes Phänomen projiziert. Dies ist dann die Verbindung zur Analogiebildung und zur Wissenschaftlichkeit, die in empathischen Prozessen mit enthalten ist.
Breithaupt macht das dann an dem (berühmten) Beispiel der Fledermaus fest:
Wenn wir etwa versuchen, uns in eine Fledermaus einzufühlen, so das berühmte Beispiel von Thomas Nagel, so tun wir es, indem wir die Gleichartigkeit der Erfahrung unterstellen, und etwa das Echolot in Sicht zurück übersetzen und das Flügelschlagen als Armbewegung auslegen (was es evolutionär ja auch war).
Breithaupt, Fritz: Kulturen der Empathie. Frankfurt am Main 2009, S. 18f.

Grammatik als Heilmittel

Insofern hat aber auch Wittgenstein recht, wenn er die Grammatik, bzw. die Betrachtung der Grammatik als Heilmittel gegen die Empathie, bzw. die unterstellte Ähnlichkeit ansieht. Er fragt immer wieder danach, was wir aus einem Schmerzausdruck schließen können, inwieweit wir in der Lage sind, ihn zu verstehen.
Wenn Wittgenstein also nach Regeln und Gesetzen fragt, dann auch in der Art und Weise, dass er nach der Kombination von Ähnlichkeiten und Differenzen fragt, nach dem Aufbau unserer Welt entlang von Ähnlichkeiten und Differenzen und dass er diese Kombinationen genauestens betrachtet wissen will.

Einmaligkeit

Einmaligkeit ist ein ambivalentes Wort. Einmalig kann quantitativ oder qualitativ gebraucht werden: einmalig als Ereignis oder Handlung, die/das einmal notwendig ist (oder faktisch vorgekommen ist), um dann getan zu sein, und einmal als Erlebnis, zu dem es nichts Vergleichbares gibt.
Beide Arten sind falsch: eine quantitative Einmaligkeit wäre rein formal und inhaltlich nicht an irgendeine Sinnlichkeit gebunden. Eine qualitative Einmaligkeit wäre so außerhalb unserer Erfahrung, dass sie uns als reiner, flüchtiger, sogar unbemerkbarer Zufall erscheinen müsste — eine unbemerkbare Erscheinung zeigt, wie paradox eine solche Annahme wäre.

13.05.2019

Mathe lernen

Nun, ein Problem, das vielleicht nicht nur ich, sondern sehr viele Menschen haben, ist, dass man Mathe nicht nur können muss, sondern dass man Mathe dort sehen können muss, wo sie bisher noch nicht stattfindet. Man muss die Formeln in die Welt hinein- und aus ihr heraussehen. Das aber braucht die Automatisierung, und diese erreicht man nur durch Üben, soll heißen: vielfältige Übersetzungen. (Zur Automatisierung habe ich zum Beispiel in der Tunnelblick und die Theorie geschrieben.)
Dann aber darf man nicht einfach nur Gleichungen lösen, sondern muss diese immer wieder auf ihre Äquivalenz zu Weltfragmenten, zu Ausschnitten aus der Realität überprüfen. Oder sich für diese Vorstellungen erfinden.

Sprachfunktionen

i • „Nach der Bühlerschen Sprachfunktion hat man sich mehr für ›Darstellung‹ als für ›Appell‹ und ›Ausdruck‹ interessiert.“ (Pohlenz 194)
Hier hat die Funktion ein Ziel: das Ziel ist ein Zustand, von dem ich sagen kann: ich bin zufrieden.
ii • Man kann auch sagen: das passt mir, wenn man zufrieden ist.
iii • Aber was passt hier denn? Es ist doch etwas anderes, wenn man sagt: Die Meise passt in den Brutkasten (sie muss sich darin noch bewegen können).
iv • Meine Vergangenheit passt mir. Aber kann ich sagen: Meine Vergangenheit passt mir, wie eine Meise in den Brutkasten passt?
Hier kämpfen zwei Bilder miteinander. (Sie passen nicht.)
v • Man stellt sich in der Sprache etwas so dar, dass es passt. Wie empfinden wir nun, dass zwei sprachliche Bilder nicht zueinander passen? – Man zählt mehr Zweifel auf (als bei passenden Bildern), benennt Unterschiede, sagt: Ich bin befremdet.
vi • Man kann auch weitere Bilder aufzählen, um diesen Zustand auszudrücken:
„Zwischen den Bildern entsteht ein Bruch.“
„Die Vergangenheit ist eine Idee und die Meise ein Körper.“
„Die Bilder sind schief.“
Dann versucht man die seltsamen Bilder durch weitere Bilder einzufangen oder ihr Verhältnis untauglich zu machen.
Aber man muss suchen, weil hier etwas nicht in die Sprache passt. Uns fehlt die gute Darstellung.
vii • Was aber ist nun die Funktion der Darstellung? Nun, dass wir zufrieden sind. Und wir sind unzufrieden, wenn wir wahllos Bilder aneinander kleben und sich kein Zusammenhang ergibt. (Aber Zusammenhang ist in diesem Fall auch nur ein Ausdruck für: es passt. – Wir bewegen uns hier am Rande der Tautologie.)
viii • Betrachtet man aber die disjunkte Verknüpfung, da drückt diese scheinbar eine Paradoxie aus: etwas ist durch die Verknüpfung getrennt. Das liegt aber daran, dass die Satzfunktion zwei Bilder nebeneinanderstellt, um auf die Trennung hinzuweisen. Zwischen den beiden Medien besteht ein Bruch, und diesen Bruch nutzen wir, um etwas gegeneinander auszuschließen (im Handeln zum Beispiel), aber in der Sprache engzuführen.
ix • Wie kann die Sprache etwas darstellen? Aber die Sprache stellt nichts dar. Wir sind nur mit der Sprache zufrieden, wenn die Bilder passen, und wir sind mit ihr unzufrieden, wenn die Bilder nicht passen. Und ob es uns passt, ist keine Funktion der Sprache, und auch wir entscheiden nicht darüber, sondern dieses Gefühl der Zufriedenheit stellt sich ein, weil es passt. (Und hier besteht die Gefahr, dass wir Ursache und Wirkung vertauschen.)
Und mit diesem ›es‹ zeigen wir irgendwohin, worin niemand Einsicht hat.
x • In diesem Fall bin ich zufrieden, weil ich mit der Logik nicht weiter komme. Ich sehe dort für sie keine Aufgabe. In anderen Fällen bin ich unzufrieden, weil ich für die Logik eine Aufgabe sehe.
Wie aber entscheide ich das? Nun, in dem einen Fall fällt mir ein, dass hier logische Verfahren notwendig sind, im anderen nicht. Im einen Fall hat die Logik eine Funktion, im anderen nicht. (Aber das löst noch nicht die Frage, was eine Funktion ist. Ich mache mir nur Gedanken darüber, wann eine Funktion »geschieht«. Aber sie geschieht eben, und ich muss nicht wissen, was sie ist und warum sie geschieht.)
xi • „Die Formulierung ist so schräg, sie ruft nach einer logischen Erklärung.“
Hier sage ich nicht, dass »schräg« eine seltsame Formulierung ist. Ich empfinde sie als natürlich. Aber sie passt ja nicht, und wenn ich das erklären möchte, nehme ich schon wieder ein Bild zu Hilfe.
xii • Können wir den Bildern entkommen? Und wollen wir es?
Aber selbst wenn wir davon träumen, den Bildern zu entkommen, drücken wir es in Bildern aus.
xiii • Man kann es auch so sehen: wir gleiten an der Innenseite der Bilder entlang. Aber wir kennen sie nicht, bis uns jemand auf sie aufmerksam macht. Und das können wir manchmal nicht ertragen.
xiv • Das sprachliche Bild hat eine Funktion; es stellt dar. Aber nicht sich selbst. Wenn es sich selbst darstellt, wenn ich es also als solches erfasse, dann, weil ich es zugleich „nicht“ sehe.
Aber du siehst das Bild doch. – Ja, weil ich auf die Wörter sehe, und nicht durch sie hindurch.
xv • Seltsam dabei aber ist, dass ich erst das sprachliche Bild erfassen kann, wenn ich durch die Sprache hindurch gesehen habe. Hier nun wieder scheint es, dass die Sprache von der Realität kritisiert wird; obwohl es doch erst die Sprache ist, die mir die Welt strukturiert und haltbar macht. Die sprachliche Darstellung fällt auf sich zurück.
(Wenn Umberto Eco sagt, dass die Semiologen sich nur für die Zeichen interessieren, aber nicht für die Welt dahinter, dann muss sich der Semiologe trotzdem für reale Zeichen interessieren. Und diese wieder sind Teil der Welt. Es scheint, als gäbe es immer einen Teil, der sich unserer zweifelnden Arbeit entzieht.)
xvi • Die Darstellungsfunktion weist zunächst auf eine Welt. Dann aber fällt die Bewegung auf sie zurück.
Hier hat die Funktion etwas doppeldeutiges: auf der einen Seite gibt es ein »Funktionieren« der Funktion; gleichsam wie ein Naturgesetz ist sie da, indem sie sich vollzieht. Und auf der anderen Seite kann ich sie zu einem Objekt machen und auf sie andere oder gleiche Funktionen anwenden. Man hat gleichsam die Idee der Funktion und ihre praktischen Instanzen.

16.04.2019

Warum mit Phrasen Schluss sein muss.

Kissler beginnt sein Buch Widerworte mit einer Phrase - "Warum mit Phrasen Schluss sein muss".
Danach betreibt er mal Haarspalterei, mal Phrasendrescherei. So wird die Metapher "Wurzel", die Steinmeier in einer Rede verwendet ("Respekt vor der Vielfalt unserer Wurzeln"), wörtlich, also, wie Kissler selbst sagt, botanisch genommen. Nicht, dass eine Metapher unkritisch sei. "Die Metapher verschließt das Ende eines Symptoms" schreibt der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan; nur, und dies muss man eben mitlesen, kann man diesem Symptom nicht dadurch beikommen, indem man die Metapher zur Nicht-Metapher erklärt, sondern indem man das Symptom freilegt.
Umgekehrt prangert er Gündogan an, wenn dieser von der Heimat seiner Eltern spricht, damit das türkische Dorf meint, in dem diese herangewachsen sind, und nicht der Ort, an dem sie seit vierzig Jahren in Deutschland leben. Kissler mutet einem Alltagsbegriff plötzlich eine philosophische Strenge zu, die er selbst nicht einzuhalten vermag. Daraus zieht er dann weitreichende und fast schon die Personen denunzierende Schlüsse. Vielleicht sind aber Fußballer einfach nicht die hellsten Köpfe. Vielleicht ist dieser Faux-pas, der zum Skandal hochgebauscht wurde, jene Gedankenlosigkeit, mit der manche Menschen durch die Welt schwirren.
Was ist eine Phrase? Kissler schreibt, schön metaphorisch übrigens: ein Stoppschild, das dem langen Nachdenken von Beginn an im Weg stünde. Bloy, den er aus einer etwas befremdlichen deutschen Ausgabe zu zitieren scheint, schreibt, dass "der authentische und unhinterfragte Bourgois in seiner Sprache notwendig auf eine sehr kleine Anzahl von Formeln beschränkt sei" ("l’authentique et indiscutable Bourgeois est nécessairement borné dans son langage à un très-petit nombre de formules", tome VIII, p. 7). Nicht Stoppschild ist die Phrase bei Bloy, sondern Ergebnis eines Daseins, das "nicht einen einzigen Tag durch die Sorge erschüttert wurde, etwas zu verstehen, was auch immer es sei" ("paraît vivre sans avoir été sollicité, un seul jour, par le besoin de comprendre quoi que ce soit"). Fehlende Sensibilität, fehlender Ehrgeiz, fehlendes Mitgefühl sind die Ursachen der Phrasen; die Phrase selbst nur deren sprachliche Erscheinung.
Diese verdrehte Argumentation zieht sich, als Phrase, durch das Buch von Kissler hindurch; sein Lamento von der Hohlheit wird gebetsmühlenhaft wiederholt, wie seine Mär vom Linksruck einer doch eigentlich neoliberalen Bundesregierung. Aber Bloy meint eben, was schon Kant in seinem Aufsatz zur Aufklärung geschrieben hat: dass der Pinsel (also der sich nicht aufklärende Mensch) sich von fremder Hand führen ließe. Und genau das überwindet Kissler nicht. Im Gegenteil. Nicht einen Moment verharrt er auf einem Phänomen, bricht es auf, wägt es ab; es sorgt ihn nicht. Das ist im Schweinsgalopp querfeldein zu hetzen, das ist dann sogar noch schlechte Philologie.
Die Phrase aber gründet auf dem unscharfen Begriff, im schlimmsten Fall auf der Tautologie. "Geschäft ist Geschäft" zitiert Kissler Bloy (im Original: "Les affaires sont les affaires"). Wollte man der Phrase entkommen, müsste man ihr den schwankenden, unscharfen Charakter nehmen, den darin enthaltenden Begriff scharf stellen, ihn diskutieren und vertiefen, die Logik auf eine argumentative Vernetzung umstellen. Vor allem aber müsste man dem Leser Regeln an die Hand geben, wie er selbst der Phrase entkommt. Den der anderen, vor allem aber seinen eigenen.
Das macht Kissler aber nicht. Das kann er auch nicht. Das konnte er nie, und - das steht zu befürchten - wird er auch nie können. Wollte Kissler aber tatsächlich mithelfen, die Phrasen aus der Welt zu schaffen, müsste er zu schreiben aufhören. Oder sorgfältig zu denken anfangen. Ersteres wäre von schnellerem und sichererem Erfolg gekrönt.

Und die Lengsfeld

Angepriesen wird das Buch dann auch von Vera Lengsfeld auf dem Blog der notorischen Nörgler, Ach gut. Was sie in der Überschrift so provokativ heraushebt, dass sich nämlich Politikversager in die Phrase flüchteten, scheint nur für andere zu gelten. Lengsfeld, die laut eigener Aussage, "nur zum Spaß" in den Bundestag gegangen ist, kann vor allem eines: die Schuld und die Pflicht, sich zu ändern, beim anderen zu finden, beim politischen Gegner.
Was sie hinzuzufügen hat, ist wenig. Neu an ihren Aussagen ist nichts. Die Klage, die Politik der Regierung sei stumpf, farblos, widersinnig, ist auch ihr zur Phrase geworden, die sie mal ums mal wiederkäut. Denken, also sich in neues Terrain vorzuwagen, sich einer anderen Stimme anzuvertrauen und ihr lange, im Guten und Schlechten, zuzuhören, das schafft auch Lengsfeld nicht.

Nein, ich werde keine Jubelrufe über die derzeitige Politik ausstoßen. Dazu gibt es keinen Grund. Aber man muss sich nur ansehen, was die Journaille von rechts fabriziert. Das ist doch kein Gegensatz. Da ist noch nicht einmal ein deutlicher Kontrast. Im Argument, sofern man ein solches findet, werden einige, wenige Wörter ausgetauscht. Wörter wohlgemerkt, nicht Begriffe. Mehr ist es nicht.
Eigentlich wollte ich nicht mehr schreiben, bis ich einige für mich drängende Fragen gelöst habe. Ein Jahr habe ich mir dafür Zeit gegeben, ein Jahr ist gut geschätzt. Doch im Moment läuft so vieles falsch: die Diskussion über den Genderstern wird mit Argumenten abgewürgt, die das Problem nicht richtig erfassen. Es ist nicht das generische Maskulinum, was daran schwierig ist, sondern die Polyfunktionalität von Sprachelementen. Es werden Argumente gegen Schüler*innen vorgebracht, die keine Antwort auf die dringenden Fragen des Klimawandels sind, sondern nur ein Schlag ins Gesicht unserer Jugend. Der Rechtsstaat wird von Rechtsradikalen unterwandert, und die relativ offene Gesellschaft von dogmatischen und Gewalt ausübenden Männern und Frauen bedroht. Doch selbst in Deutschland scheint das kaum jemanden zu stören.
Das Nichtssagende eines Kisslers, einer Lengsfeld, eines Broders sind Teil dieses Symptoms. Es ist eine Verarmung des Denkens, die nur durch "Selbstdisziplin" und eine breite, geduldige Denkerfahrung zu überwinden wäre.
Und damit kehre ich zurück zu meiner Selbstdisziplin.

17.03.2019

Die Polemik

Man möchte den Satz Ludwig Hohls, die Polemik sei eine literarische Gattung, für eine Plattheit halten. Angesichts der desolaten Lage, in der unnützes Geplärr als eine solche ausgegeben wird, wird die Definition zu einer Forderung; wir müssen uns zurückbesinnen. Ohne das Raster, welches die Gattung bietet, verliert sich die Gattung und damit ihre Bedeutung.
Im Mittelpunkt der Polemik steht die Erkenntnis. Dies bedeutet für den Schreibenden zunächst die Selbstdisziplin: Habe ich etwas zu sagen? Denn hätte er es nicht, sollte er lieber schweigen. Kern dabei bleibt die Tatsache: das sinnlich Wahrnehmbare, das Rohe, noch Unbewertete; und so sehr die Polemik Interpretation und auch Vision ist, kann sie ohne einen solchen festen Boden keine Wurzeln schlagen. Sie bliebe im Objektiven unscharf, im Subjektiven ichschwach. Ichschwäche, so scheint es, ist die Kontur zahlreicher zeitgenössischer Polemiken; Ichschwäche bis zu dem Moment, wo der Selbsthass als übersteigerter Narzissmus zutage tritt.

So verfährt die gute Polemik: Sie geht vom Äußeren, Greifbaren aus und zeichnet Schritt für Schritt das Bild des Inneren nach, jenes, was sich eben nur aus den Konturen heraus erschließen, aber nicht plakativ zeigen lässt. Dies hat die Polemik mit allen literarischen Gattungen gemeinsam, die sich um die gute oder die schlechte Idee bemühen: selbst die beste Idee möchte in der Welt vorgefunden sein; und wo sich die schlechte Idee nicht als Materie in der Welt niederschlägt, gerät ihre Kritik ins Esoterische, Überspannte, Manipulierende.

Henryk M. Broder schreibt, so sagt er, polemisch. Ich lese ihn seit einigen Jahren nicht mehr, zumindest nur sehr selten. Seine sogenannten Polemiken sind langweilig. Ihnen fehlt der Erkenntnisgewinn. Er klappert Signalwörter ab, immer häufiger aber nicht einmal mehr das. Bewusst geworden ist mir dies an Claudia Roth. Diese tauchte in einem Text Broders so unvermittelt auf, dass aber auch kein Nachdenken, keine noch so fadenscheinige Kausalität dieses Auftauchen gerechtfertigt hätte.
Einen Grund für ihre Erwähnung gab es trotzdem. Dieser hat sich dann in den Kommentaren gezeigt: denn die eifrigen Leser Broders haben sich keineswegs auf den Text und seinen Inhalt bezogen, geschweige ihn angereichert, sondern sich in vielfachen Schmähungen der Grünen-Politikerin ergangen und so vermutlich dem Broder-Text zu einem guten Ranking verholfen.
In Wahrheit gibt es gar keine Kritik an Roth, sondern nur diesen Reflex von Erwähnung und Gemeckere, ein eifriges Geplappere von Menschen, die ihre drohende Überflüssigkeit durch Überflüssiges zu bannen suchen; ein Zeichen dafür, dass die Gewohnheit den Menschen aus der Kultur ins Tierische, Bewusstlose zurücktreiben kann.

Dies zeigt aber auch, dass die Signalwörter, deren sich Broder bedient, der literarischen Gattung der Polemik nicht mehr gehorchen. Man gibt sich im Unverständnis Signale des Einverständnisses. So ist auch Broders „AfD“-Rede. Er erwähnt zweimal Greta Thunberg, er streut ein, dass er eine Kreuzfahrt gemacht habe und diese ihm gut gefallen hätte. Inhaltlich kann er zu Thunberg aber nichts sagen. Er sagt es nur nebenbei, greift am sachlichen Gehalt vorbei und ergeht sich im Schmäh. Ob er eine Kreuzfahrt gemacht hat, ist fraglich. Aber die Kreuzfahrt, die scheinbar in der AfD als naturgegebenes Recht jedes aufrechten Deutschen gesehen wird, ist ebenfalls nur ein Signal. Hinterrücks wird das Kreuzfahrtschiff ein Symbol für Broder: als ein tonnenschwerer, manövrierunfähiger Stinker.

Der Polemiker führe, so wusste Karl Kraus, sein Metzgerhandwerk vor, nicht das Schwein, das er sich vornimmt. Dass am Ende das Objekt bis auf die Knochen zerlegt ist, sichtbar, greifbar, in seiner ganzen inneren Nacktheit, versteht sich. Das Handwerk ist subjektive Tätigkeit, aber immer dicht am Objekt. Dass aber das Handwerk vorgeführt wird, bedeutet auch, dass der Polemiker etwas Neues zu sagen hat: unter der kämpferischen Resignation ist das Konstruktive erkennbar; und so scheint unter der Filetierung gesellschaftlicher Missstände der Friede einer besseren Welt hervor.
Das aber hat Broder vergessen. Und, was deutlich schlimmer ist, vergessen hat er auch, was jedem noch so tölpelhaften Schreiberling in Mark und Bein eingraviert sein müsste: Du sollst nicht langweilen. Wer nichts anderes mehr kann, sollte aufhören zu schreiben. Die Polemik ist eine literarische Gattung. Sie bedarf der Literatin, nicht des Schmierfinks.

03.02.2019

4.0 oder Die Lücke, die der Rechner lässt

Das Buch beginnt oder endet – wie man will – mit einer Plattitüde:
Die sogenannte digitale Transformation (der Gesellschaft) ist rekursiv und nicht-trivial.
So ist es als Klappentext zu lesen. Banal ist diese Aussage, weil Gesellschaften schon immer, auch für die Systemtheorie, rekursiv und nicht-trivial waren; und das alleine aus dem Grunde, weil die Gehirne all der Menschen, die an Gesellschaft teilhaben, nicht-trivial sind.

Alte und neue Gesellschaftsformen

Was also bietet uns dieses Buch außer dieser einen trivialen Aussage über Nicht-Triviales? Baecker macht sich auf die Suche nach den Merkmalen der digitalen Gesellschaft. Diese sieht er in 26 Bereichen gegeben; in ebenso vielen Kapiteln erläutert er die Transformation.
Fast jedes Kapitel beginnt mit einem historischen Überblick. Wer der Systemtheorie schon längere Zeit gefolgt ist, erkennt hier zunächst die klassische Einteilung in tribale, antike und moderne Gesellschaft. Dieser fügt Baecker dann eine nächste Gesellschaft hinzu.

Zum Beispiel Medienkomplexität

Nehmen wir eines der klassischen Themen der Systemtheorie: die Komplexität der Medien. Hier hat jede neue Gesellschaftsform die Komplexität alter Medien übernommen und fügt diesen neue Medien, besser müsste man sagen: Medienbereiche, hinzu.

Sprache in tribalen Gesellschaften

Die tribale Gesellschaft hatte hier ihre eigene Komplexität, da die Sprache einen Referenzüberschuss bedingt. Man kann auf mehr verweisen, als die Sinne hergeben. Man kann sich von früheren Zeiten erzählen oder eine Jagd planen; der Horizont mag vor dem Wanderer zurückweichen, vor dem Erzähler jedoch nicht. Wer aber viel erzählen kann, muss auch auswählen, was er gerade sagt. Komplexität und Reduktion gehen Hand in Hand.

Schrift in antiken Gesellschaften

Dasselbe passiert dann noch einmal in der antiken Gesellschaft mit der Schrift. Die Schrift ermöglicht Archive, Briefe, die von Menschen überbracht werden, die deren Inhalt nicht kennen, schließlich sogar so etwas wie erste Bücher, auch wenn diese abgeschrieben werden mussten. Schrift allerdings ermöglicht selten Rückfragen. Die Symbole sind trügerisch, selbst wenn der Absender als verlässlich gilt. Die Schrift wiederholt, was schon für die Sprache galt: es gibt eine mediale Komplexität und man muss in der Gesellschaft daran arbeiten, wie diese nun zu reduzieren sei.

Buchdruck und Kritiküberschüsse

Mit dem Buchdruck entsteht die moderne Gesellschaft. Waren die antiken Schriften gehütete Schätze, die mühsam abgeschrieben werden mussten, so kann das Wissen, oder was man dafür hielt, nun viele Absender erreichen, man befürchtet: alle. Und damit kann Wissen an allen möglichen Orten überprüft werden und sehr ungewollt können sich Stimmen zu Wort melden, die es anders und besser wissen. Die moderne Gesellschaft ist gekennzeichnet durch einen Kritiküberschuss und muss sich nun damit herumschlagen, diese Kritik in gute und schlechte Kritiken, nützliche und zerstörerische einzuteilen.

Kontrollüberschüsse

Was aber macht nun die nächste Gesellschaft aus? Welchen Überschuss produzieren die elektronischen und digitalen Medien? Baeckers Antwort ist nicht sonderlich neu. Sie ist noch nicht einmal an den elektronischen Medien erstmals durchbuchstabiert worden. Es gebe, so Baecker, mit den neuen Medien einen Kontrollüberschuss. Es gibt immer mehr Daten, die so oder anders zusammengefasst und auf die so oder anders reagiert werden kann. Damit muss aber wiederum ausgewählt werden, was an Kontrolle möglich ist.
Abgesehen davon, dass der Wandel von einer Disziplinar- zu einer Kontrollgesellschaft von Michel Foucault postuliert und an der Biopolitik durchbuchstabiert wurde, hat diese simple Behauptung noch eine andere Grobheit zu bieten: so, wie man in den frühen Zeiten des Buchdrucks, und eigentlich sogar noch heute, die Zugänge zu bestimmten Druckwerken zu disziplinieren suchte – so hatten Frauen lange Zeit keinen Zugang zu bestimmten Bibliotheken, und dem gemeinen Volk war die Lesefähigkeit weder vorgeschrieben noch gar erwünscht –, so dürfte man heute doch mit ähnlichen disziplinierenden Mechanismen rechnen.
Auf diese geht Baecker aber nicht ein. Das lässt sich zwar auf der einen Seite dadurch entschuldigen, dass dieses Buch noch eine ganze Menge anderer Themen abzuarbeiten hat, und dass deshalb genauere Betrachtungen auf später verschoben werden müssen. Aber es macht dieses Kapitel dann doch recht nichtssagend.

Sentenzen und Banales

Postmoderne Rückwendungen

Baecker erweist sich als ein Meister der Sentenz. Und wo er diese anbringt, muss man innehalten und nachdenken. Er kann dies, wo er von jeher seine zentralen Themengebiete hat: der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Politik und der Organisation. Doch immer wieder hinterlässt er auch Ratlosigkeit. So ist es mir mit dem Kunst-Kapitel gegangen, wo er zwischen Handwerk und virtueller Konzeptkunst alles gelten zu lassen scheint: das ganze Sammelsurium, welches sich seit der tribalen Gesellschaft angesammelt hat. Das ist schlicht gesagt die Überbietung von dem, was Lyotard der »Postmoderne« ins Poesie-Album geschrieben hat: Sie solle doch bitteschön die Moderne fröhlich – und besser! – wiederholen.

Nützliches Scheitern - die Erziehung

Auch die Erziehung wird recht hilflos bedacht. Man weiß nicht so recht, wovon er eigentlich redet, von der grundlegenden Schulbildung oder von der Weiterbildung. Dass der Projektunterricht in Schulen anders verläuft, als jene Projekte, die sich Weiterbildung nennen (oder schimpfen), macht diese gerade nicht vergleichbar und auch nicht reduzierbar auf einen generellen Projektunterricht.
Hübsch ist dieses Kapitel trotzdem. Beginnt es doch mit den folgenden Sätzen:
Die Erziehung der nächsten Gesellschaft bleibt ratlos. Sie verlässt sich auf eine Zweiseitenform, der gemäß wichtig nur sein kann, was nicht in der Schule vorkommt.
Und provoziert dann weiter, genau darauf solle sich die Schule auch verlassen. Unsinn ist das natürlich, da Schreiben, Lesen und Rechnen weiterhin wichtige Grundlagen unserer Kultur bleiben werden; und ich nehme nicht an, dass diese dann nur noch als Projekt unter anderen den Menschen zur Verfügung gestellt werden. Aber ganz unrecht hat er eben auch nicht. Wissen ist immer ein Differenzschemata, sei es Wissen in Differenz zu anderem Wissen, sei es in Differenz zur Meinung. Was man in der Schule lernt, mag morgen veraltet sein. Aber darauf kommt es nicht mehr an. Sogar heute ist das schon so. Das Bohrsche Atommodell gilt längst nicht mehr; aber für den Schüler reicht es, um grundlegende physikalische Sachverhalte anschaulich zu machen. Der Scholast im Pudel ist ausgetrieben, das Studienzimmer abgeschafft und der Kerzenschein elektronisch überhöht; den Faust darf man trotzdem lesen, und sei es nur, um festzustellen, dass sich manche Sachen nie ändern, andere aber schon.

Der Witz am Ende

So stolpert das Buch zwischen Höhen und Tiefen, arbeitet sich an Konsum, Religion, Liebe, Technik und Recht, Sport und Gesundheit, Vertrauen und der nächsten Form des Humors (sic!) ab. Ob man also aus diesem Buch etwas lernt? Doch auch darauf weiß der Autor eine Antwort zu geben. Der letzte Satz des Buches lautet:
Der Witz der nächsten Gesellschaft ist der Witz einer Intelligenz, die nicht mehr weiß, wie ihr geschieht.
Und das ist nun, wie manches in diesem Buch, so geistreich und witzig, wie anderes in diesem Buch es nicht ist.

27.01.2019

Meinen - und Meinungsfreiheit

Das Meinen oder das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnisgrunde, der weder subjektiv noch objektiv hinreichend ist, kann als ein vorläufiges Urteilen … angesehen werden, dessen man nicht leicht entbehren kann. Man muss erst meinen, ehe man annimmt und behauptet, sich dabei aber auch hüten, eine Meinung für etwas mehr als bloße Meinung zu halten. – Vom Meinen fangen wir größtenteils bei allem unserm Erkennen an. Zuweilen haben wir ein dunkles Vorgefühl von der Wahrheit; eine Sache scheint uns Merkmale der Wahrheit zu enthalten; – wir ahnen ihre Wahrheit schon, noch ehe wir sie mit bestimmter Gewissheit erkennen.
Kant, Immanuel: Logik. in Werkausgabe VI, S. 495
Die Meinung ist ein Vorurteil, oder, wie Kant sagt, ein vorläufiges Urteilen. Wissen dagegen, so schreibt Kant später (S. 499), sei entweder empirisch oder rational. Empirisch ist ein Wissen, wenn es einen sinnlichen Kern besitzt. Rationales Wissen ist ein notwendiges; es lässt sich nicht leicht anders denken und hält Anfechtungen und Überprüfungen aus sich heraus stand.
In gewisser Weise kann man sagen, dass die empirische Gewissheit zu einer historischen Gewissheit wird; wir können sagen, dass Napoleon an der Schlacht in Austerlitz als Feldherr teilgenommen hat, und können diesem in gewisser Weise eine sinnliche Komponente zumuten, obwohl wir sie sinnlich nicht wiederholen können – anders etwa als bei einem Apfel, von dem schon Goethe wusste, dass er eine Rotfärbung besitzt, und wir leicht einen ebensolchen auch heute wieder auffinden können.
Dagegen ist die rationale Gewissheit eine, die sich (so lese ich Kant) von ihrer historischen Komponente reinigt: Ihr Fluchtpunkt sind all jene Wissensbestände, die keinerlei historische Bedingungen besitzen. Dazu gehören die Naturgesetze und mathematische Aussagen.
Warum aber nun die Meinungsfreiheit? Nicht, weil jeder nun eine Meinung haben dürfte, und sei es noch die bekloppteste – und so wird ja von manchen Menschen derzeit die Meinungsfreiheit ausgelegt –, sondern um Einspruch zu erheben, wo die Meinung als Wissen ausgegeben wird.
Meinungsfreiheit dient als Bedingung dafür, gegen fälschlich behauptetes Wissen anzustreiten.
Der Meinungsfreiheit will, muss Streit und Überprüfung und Anfechtung aushalten können.

Herzlichen Glückwunsch, Lernpsychologie

Neueste Erkenntnisse beklagen:
Too often, we teach students what to think but not how to think.
OECD
Und nur damit ihr's wisst:
Nähmen wir die Prinzipien aus der Psychologie, d.h. aus den Beobachtungen über unsern Verstand, so würden wir bloß sehen, wie das Denken vor sich geht und wie es ist unter den mancherlei subjektiven Hindernissen und Bedingungen; [...]. In der Logik ist aber die Frage nicht nach zufälligen, sondern nach notwendigen Regeln; - nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken sollen.
Kant, Immanuel: Logik. in GS VI, S. 435
Herzlichen Glückwunsch also, liebe Lernpsychologie! Oder auch: lest doch einfach mal wieder den guten, alten Kant.

22.01.2019

Jenseits der Kreativität

Die Blüten der Kreativität

Die seltsamen Blüten, die Begriffsbildungen treiben, sobald sie über eine gewisse Popularität verfügen, sind immer wieder von spöttischen Zeitgenossen hervorgehoben worden. Die Kreativität bildet da keine Ausnahme. Ulrich Bröckling hat in seinem Buch Gute Hirten führen sanft höflich aber bestimmt auf die Widersprüche der Kreativität in der modernen Berufswelt hingewiesen.
Dieser vergnügliche, kurze Aufsatz am Ende eines recht schwarzhumorigen, brillant analytischen Buches sei hier aber nur erwähnt. Er ist in gewisser Weise auch etwas launisch.
Von der Hand zu weisen ist aber nicht, dass sich das Reden über Kreativität in Aporien verstrickt. Statt einer Übersicht, wie sie Bröckling gegeben hat, und wie ich sie einmal auf ganz andere Art und Weise versucht habe, möchte ich hier an einem einzelnen Artikel auf einige Widersprüchlichkeiten hinweisen.

Ein beispielhafter Artikel

Der Artikel zur Kreativität findet sich auf der Plattform lernen.net der Firma 4pub GmbH, die laut eigenen Aussagen ein „Content Netzwerk im Themenfeld Digitales Lesen & Lernen, online Marketing sowie Sport & Fitness“ betreibt. Der Ursprung des Artikels ist allerdings unerheblich, da sich die beobachteten Phänomene nicht nur in Bezug auf Kreativität und nicht nur an diesem Text beobachten lassen.

Benennung und Begriff

Strukturelle Ähnlichkeit

Der erste Kritikpunkt betrifft die Unterscheidung zwischen Benennung und Begriff. Der Begriff muss ein Phänomen in gewisser Weise strukturell abbilden. Diese Struktur sollte sich dann auch in der Wirklichkeit wiederfinden lassen – obwohl es natürlich auch Begriffe gibt, die die Wirklichkeit ausdehnen, wie etwa viele Erfindungen aus der Fantastik. Die Benennung ist allerdings willkürlich und beruht nicht auf Ähnlichkeit. Das sieht man schon daran, dass in unterschiedlichen Sprachen ein und dieselbe Sache unterschiedlich benannt wird. Wenn es hier eine Notwendigkeit gibt, dann eine historische.

Modisch und beliebt

In dem Artikel wird diese Zweideutigkeit gleich in den ersten beiden Sätzen deutlich benannt:
Kreativität ist das neue In-Wort. Wohin man auch schaut, Kreativität kommt gut an.
Es ist modisch, und es ist beliebt. Und natürlich kann man hier auch vermuten, dass damit der halbwegs naive Leser eingefangen werden soll: denn jeder will ›in‹ sein und gut ankommen. Doch während der erste Satz noch auf die Benennung verweist, lässt der zweite Satz offen, ob nur das Wort oder auch der Begriff gemeint ist. Die Abfolge deutet an, dass es beim Wort bleibt. Wie aber füllt der weitere Text den Begriff aus - explizit als Definition oder implizit durch Gebrauch?

Tautologien

Zu der begrifflichen Unklarheit gehört auch, dass sich die Definition häufig in kaum verhüllten Tautologien ergeht: kreativ ist, was kreativ ist, oder, wie der Autor des Artikels schreibt:
Ein kreativer Schöpfergeist wird immer mehr gefragt – und unkonventionell sollen neue Ideen und Problemlösungen auch noch sein.
Tatsächlich scheint die Kreativität so schwierig zu erfassen, dass die tautologischen Aussagen sich mehr oder weniger über den ganzen Text erstrecken.

Paradoxie der Routine

Es ist dann aber auch kein Geheimnis, dass die Tautologie, wie eigentlich in jeder ideologischen Aussage, in Verbund mit Paradoxien steht.
So ist die Kreativität zugleich Nicht-Muster, kann aber beständig verbessert werden: sie ist die routinisierte Nicht-Routine:
Und die Routine führt dazu, dass die Kreativität auf der Strecke bleibt. Um deine Kreativität zu trainieren, kannst du im Alltag damit beginnen.

Der kreative Imperativ

Bröckling nennt dies den kreativen Imperativ, von dem auch dieser Artikel seine Version kennt:
Breche aus deinen gewohnten Denkmuster aus und sei offen für neue Ideen.
Das Paradox dabei ist aber, dass das, was in unserem Denken erscheint, von den Mustern bestimmt wird, und man so zuallererst diese Muster erschließen muss, um aus ihnen dann ausbrechen zu können. Gerade diese Form der Selbstanalyse aber bringen einem die Kreativitätstrainings nicht bei, obwohl sie - als vager Begriff - angesprochen wird:
Hilfreich ist auch eine genaue Selbstreflexion.

Argumentation und Zeit

Deskriptiv und präskriptiv

Betrachtet man die Widersprüche, die sich so im Reden über Kreativität abzeichnen, kann man diese auf zwei verschiedene Formen des Aussagens reduzieren, die sich im selben Konzept vermischen: deskriptive (beschreibende) und präskriptive (vorschreibende) Aussagen. Etwas ist kreativ, weil es kreativ sein soll.

Ambiguitätstoleranz

Tatsächlich zeichnet sich so im Text selbst die Widersprüchlichkeit ab, aus der - laut Text - die Kreativität erst entsteht:
Ambiguitätstolerenz ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort. Darunter ist die Fähigkeit zu verstehen, Mehrdeutigkeiten und Widersprüche akzeptieren zu können.
Dahinter steht auch eine Verwirrung der Zeiten, die sich zugleich als Paradoxie an der Oberfläche und als unausgegorenes Gemisch in der Tiefe finden lässt, von wo aus sie den Text in die Verwirrung treibt.

Verwirrung der Zeiten

Die Kreativität ist modisch, der Kreative ist „den anderen immer einen Schritt voraus“ und sieht „den Avantgardisten in sich“. Es muss aber auch gelernt werden, durch Reflexion und Kritikfähigkeit kanalisiert werden, und „sprudelt dabei ungefiltert und unsortiert aus einem heraus“. Diese zeitliche Verwirrung ergreift auch deutlich manche Kreativtechniken. Sie sind mit einem »telos« versehen, partizipieren aber zugleich an einer mythischen Zeit der ewigen Wiederkehr: die Mindmap „ist immer beliebig erweiterbar und lässt der Kreativität keine Grenzen“.
Dies führt schließlich dazu, dass das Avantgardistische gegen die Stagnation, den Rückfall, das Festbeißen ausgespielt wird, zugleich aber auch empfohlen wird, sich nicht unter Druck setzen zu lassen und sich Zeit zu nehmen: „Innovative Ideen brauchen Zeit. Oft sind sie kein Geistesblitz [obwohl vorher genau das Gegenteil behauptet wird], sondern entwickeln sich langsam in unserem Unterbewusstsein.“

Drei grundlegende Unsicherheiten

Diese Aufzählung der Widersprüchlichkeiten ließe sich noch vermehren. Mir scheinen aber doch drei grundlegende Unsicherheiten eine genaue Begriffsbestimmung zu erschweren, die alle mit der Wahrnehmung der Zeit, bzw. ihrer Konstruktion zusammenhängen:

Kreativität und kreativer Akt

1) Zunächst wird zwischen der Fähigkeit – also der Kreativität – und dem Akt – der kreativen Handlung – wenig unterschieden. Man kann dies zwar entlang der Kompetenz/Performanz-Unterscheidung doch trennen, doch hat diese Unterscheidung schon immer das Problem gehabt, dass sie die Kompetenz gleichsam punkthaft und vollständig in die Performanz eingebunden wissen musste. Man kann zwar zugeben, dass die konkrete Ausprägung der Kreativität aus vielfältigen Einflüssen gespeist wird, sie ist aber nicht im eigentlichen Sinne heteronom. Wäre sie dieses, dann hätte der kreative Akt mit der Fähigkeit, kreativ zu sein, recht wenig zu tun.

Ursprung und Verantwortung

Man kann dahinter eine weitergehende Notwendigkeit entdecken: die kreative Handlung ist immer gerichtet. In Diagrammen erscheint sie gelegentlich als „Pfeil“. Eine solche Vorstellung aber wäre nicht möglich, wenn man den Pfeil nicht mit einem Ausgangspunkt versehen würde. So undeutlich diese Diagnose auch sein mag, so sehr wird diese auch wieder dadurch gestützt, dass die Texte über Kreativität zahlreiche unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Bedingungen der Kreativität ins Spiel bringen. Und schärfer gesagt: die Entstehung des kreativen Aktes wird in vielfältige Bedingungen ausgelagert, um so umso sicherer eine Person für die Kreativität verantworten zu können.

Struktur und Prozess

2) Die ständige Beschwörung, dass man sich darauf vorbereiten müsse, kreativ zu sein, und hier solche Sachen wie die gute Allgemeinbildung, die Beherrschung zahlreicher (Kreativ-) Techniken und Ähnliches anführt, dann aber wieder von der Spontanität und Flexibilität redet, zeigt auf ein eigentümliches Verhältnis zwischen der Struktur des Wissens und dem Prozess seiner Anwendung.

Automatisierung

Sehr deutlich findet man dann immer wieder in den Techniken das Umkippen eines Produkts in seine eigene Voraussetzung. Dies aber ist genau die Leistung der Automatisierung: aus einem interpretierten Muster wird schließlich ein interpretierendes; was man zunächst lernen musste, hilft einem dann schließlich beim Lernen. Das beherrschte Muster und die zunehmende Freiheit seiner Anwendung gehen Hand in Hand.

Starrheit / Flexibilität

Die Starrheit des Musters und seine flexible Anwendung steigern sich gegenseitig. Da es aber immer nur Muster sind, einzelne Elemente unseres Denkens, ist die Kreativität – sofern man sie hier verorten möchte – immer auch selbst erweiterbar.
Neu ist diese Erkenntnis übrigens nicht; nur ist diese in den Wissenschaften nicht so esoterisch besetzt. Sie findet sich dort in den scharf definierten Begriffen.

Die interpretierte Kreativität

3) Kreativität ist immer wahrgenommene Kreativität. Sie existiert nur als bereits gewertete, interpretierte, konstruierte. Es gibt keine Kreativität an sich. Und wenn es sie gäbe, würde niemand von ihr wissen. Wenn aber etwas wahrnehmbar ist, muss es bereits in ein gewisses Muster passen. So ist jede Kreativität bereits begrenzt und in gewisser Weise gewöhnlich. Viel wichtiger aber ist, dass die Wahrnehmung immer zu spät kommt; und schärfer gesagt: indem man behauptet, etwas sei kreativ, behauptet die interpretierende Aussage ihr eigenes Zu-spät-kommen.

08.01.2019

Diagrammatische Aktionsräume

Eine der aufregendsten Aspekte von Diagrammen ist ihre Sozialität. Sybille Krämer schreibt in ihrem Buch Figuration, Anschauung, Erkenntnis, dass zum Beispiel das Ballfangenspiel einen geteilten Aktionsraum über dem und durch das Diagramm des Spielfeldes errichtet (S. 13). Gleiches gilt für Brettspiele.
Diese Anmerkung hat mich zu zahlreichen Kommentaren veranlasst und ein recht altes Thema eine Zeit lang wieder in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit gerückt: Brettspiele, angefangen bei Mensch-ärgere-dich-nicht bis zu den Siedlern von Katan, von online-Patiencen über Kniffel, aber auch den sogenannten MMORPG.

Diagrammatischer Aktionsraum

Kernpunkt dabei ist allerdings, dass jegliches Diagramm einen solchen Aktionsraum ermöglicht, indem es bestimmte Tätigkeiten, Gesprächsinhalte und Denkmuster nahelegt, andere entmutigt. So vorsichtig muss man sich allerdings ausdrücken, denn bei längerer Beschäftigung mit einem Diagramm entdeckt man kritische Übergänge, die zunächst, beim ersten Ansehen, nicht einsehbar sind. Nimmt man Kritik in ihrem klassischen Sinne, dann gilt durch Wertschätzung die Reichweite eines Begriffs, eines Modells, eines Diagramms oder einer Theorie zu ermessen; Kritik ist nicht – wie dies heute leider allzu oft verstanden wird – eine Abwertung.

Subjektschwund

Dieser gemeinsame Aktionsraum gilt aber schließlich nun für jede Struktur. Sie betrifft jeden Satz. Allerdings ist er, nicht nur bei bestimmten Sätzen, sondern auch bei „objektiven“ Diagrammen, bei Tabellen, bei wissenschaftlichen Schaubildern, nicht mehr deutlich sichtbar. Dort muss man ihn ergänzen. Nehmen wir etwa den Zitronensäurezyklus, so ist dieser nur über viele weitere Erklärungen dem menschlichen Leben, ins besondere aber der subjektiven Perspektive verknüpfbar.
Zunächst ist in der reinen Form als reines Wissen die soziale Perspektive komplett ausgeblendet.
Auf der anderen Seite ist auch ein Diagramm wie das Kommunikationsquadrat (von Schulz von Thun) nicht unbedingt deutlich, was die Gesamtheit des Aktionsraums sein soll. Man kann nämlich davon ausgehen, dass das Kommunikationsquadrat mehr als nur die beiden Beteiligten des Dialogs einbindet. Auch Diagramme verwirklichen den Subjektschwund, und dies im gleichen Diagramm eventuell in sehr unterschiedlichem Maße.

Das Kommunikationsquadrat

So berücksichtigt auch das Kommunikationsquadrat zunächst nur einen sehr kleinen Teilbereich der menschlichen Kommunikation: wie eine Botschaft vier verschiedene praktische Aspekte der Kommunikation „enthält“ – besser wäre gesagt, wie diese hineinkonstruiert werden können. Der Empfänger der Botschaft taucht hier nur noch als „Kategorisierungsmaschinchen“ auf, der eben diese Botschaft entweder als Sachinhalt, als Appell, als Selbstoffenbarung oder als Beziehungsangebot hört. Und der Sender der Nachricht taucht eben nur noch als Nachricht auf.
Erst diese starke Abstraktion erzeugt dann aber auch die diagrammatische Figur, einen Pfeil, der vom Sender zum Empfänger verläuft und dort dann in eine der vier „Schubladen“ hineingelegt wird.

Diagramm ohne Aktionsraum

Wie stark dieser Subjektschwund dann in die Kommunikation hineinwirkt, erfährt man, wenn ein solches Diagramm nicht mehr auf sich selbst und sein Leben bezogen wird, sondern gleich auf das ganze Volk. Neulich, am Samstag, um genau zu sein, musste ich dies ertragen – wieder einmal. Derjenige, mit dem ich diskutiert habe, wusste nämlich gar nicht genau, was jenes vorliegende Diagramm mit seinem Leben zu tun hat. Aber dass das deutsche Volk daran zugrunde geht, das war ihm deutlich klar.

Ideologische Effekte

Nun kann man diesen Menschen gar nicht einen solchen Vorwurf daraus machen, denn Diagramme an sich sind dazu gemacht, einen Raum mit bestimmten Vektoren zu durchziehen. Dies geschieht aber nur um den Preis fehlender Konkretion. Diese müsste der Betrachter des Diagramms eigenhändig hinzufügen; sind die Diagramme aber zu abstrakt, fassen sie Phänomene zusammen, die zum Teil weit auseinanderliegen (wie die Polizeiliche Kriminalstatistik), und nur im Diagramm dicht beisammen stehen, transportieren sie mehr oder weniger unfreiwillig ideologische Effekte.
So auch in diesem Fall: der Betreffende schien zwar sein frühzeitiges und auf boshafteste Weise organisiertes Ableben zu befürchten, kam aber gar nicht dazu, hieraus für sich Erkenntnisse zu sammeln oder gar Handlungen zu planen. Zu groß, zu massiv war das Grauen, das ihm aus den wenigen Kästchen und Pfeilchen und Zählchen entgegenschlug. Dass er sich damit als Subjekt selbst aus seinem Protest herausgestrichen hatte, schien ihm nicht in den Sinn zu kommen. Er war hilflos, bevor die Verdammnis auch nur einen Fuß in sein Leben gesetzt hatte.
Der geteilte Aktionsraum wird so konterkariert durch den Subjektschwund. Dies übrigens gilt nicht nur für irgendwelche wissenschaftlichen Schaubilder, sondern auch für Spiele, insbesondere für online-Spiele, die das Subjekt nur noch maskenhaft - als Avatar - hervortreten lassen und dadurch den Raum medial zerreißen.

Auf dem Aktionsraum beharren

Ein Heilmittel dagegen, und sowieso ein nützliches Werkzeug, wenn man Diagramme betrachten möchte, ist der Rückgriff auf eben jenen Aktionsraum. Fragen wir uns also, welche möglichen Handlungen bei einem Diagramm sinnvoll sind. Fragen wir uns, welche Handlungen gewünscht werden – von jenen, die das Diagramm erstellt haben. Und fragen wir uns, in welcher Weise wir uns kritisch mit diesen Handlungsvorgaben auseinandersetzen können.
Dann entdeckt man dabei vielleicht, dass manche der Tatsachen, die man zunächst einem Diagramm zugeschrieben hat, von außen hineingelegt worden sind. Dieser Perspektivwechsel ist triftig. Auch wenn ich mittlerweile über Jahre hinweg dieses Thema immer weiter zerlegt habe, auch wenn ich mich mittlerweile in gewisser Weise rühmen darf, zahlreiche Fallstricke und Schleichwege zu kennen, verläuft der erste Weg zur Auseinandersetzung mit einem Diagramm immer wieder über diese höchst subjektive Aneignung und allen ihren Verkennungen.
Es lässt sich wohl nicht gänzlich vermeiden.

07.01.2019

Anmerkungen zur Metakognition

Metakognition ist eines meiner alten, hartnäckigen Themen. Sie zu durchdenken ein unendliches. In meinen Aufzeichnungen taucht sie regelmäßig auf, mal als Einschub, teilweise sehr ausführlich. Gerade das aber verweist darauf, wie breit angelegt man Metakognition denken kann. Sie wird gelegentlich als Allheilmittel propagiert, mal als reine Technik, mal als notwendiger Zusatz. Ich möchte aber behaupten, dass dieser Begriff weder eine scharfe Abgrenzung noch eine große Tiefe besitzt und deshalb eher als ein Hinweis verstanden werden muss, auf bestimmte Art und Weise seine / ihre Perspektive zu wechseln. Dieser Unschärfe geschuldet beschränke ich mich auf eine Reihe provisorischer Beobachtungen. Sie sind als Denkanstöße zu betrachten.

Gebiete der Metakognition

Ich schreibe ab, von älteren Notizen, ohne auf irgend eine Vollständigkeit zu pochen. Metakognition ist
  • Wissen von kognitiven Prozessen (und selbstverständlich von deren Elementen)
  • Wissensoptimierung
  • Bewussthalten vorbewusster und automatisierter Denkprozesse
  • gehört zum fluiden Wissen

Automatisierung und Gedächtnis

Das Gehirn ist ein ökonomisches Organ. Häufig genutzte Handlungsfolgen, aber auch häufig genutzte Denkprozesse werden automatisiert. Teilweise werden sie mit einer solchen Sicherheit versehen, dass sie zwar ablaufen, aber wir das nicht mehr bewusst wahrnehmen. In der Psychologie spricht man von einer Überautomatisierung.
Unsere Kultur nutzt solche Überautomatisierungen, wie zum Beispiel beim Rechnen. Die Kinder haben teilweise große Probleme, in den Zahlenraum denkerisch einzufinden; doch irgendwann stellen wir dann fest, dass wir sehr automatisch Aufgaben wie 43 + 86 rechnen können, ohne uns wirklich darüber bewusst zu sein, was wir dabei alles tun. Unsere Fähigkeit bleibt, in einem solchen automatisierten Zustand, vorbewusst; besser müsste man hier sagen: nachbewusst. Denn was einmal aufregend und neu war, versinkt in die Hefe des Gewöhnlichen.
Die Metakognition hat unter anderem zur Aufgabe, diese vorbewussten und automatisierten Denkprozesse zugänglich zu halten, damit man nicht Lösungen auf Probleme anwendet, die in Wirklichkeit nichts miteinander zu tun haben. In diesem Fall ist die Metakognition ein Problematisieren-können. Sie leistet der Ökonomie des Gedächtnisses Widerstand.

Auf diesen Aspekt der Metakognition weisen Kaiser et al. in ihrem Buch Metakognition: Die Neue Didaktik nicht hin. Problematisieren dagegen ist ein wichtiger Aspekt kritischer Arbeit; und insofern die kritische Arbeit auch Reflexion ist, diese aber wieder ein wichtiger Aspekt der Metakognition, offenbart sich hier eine Nachlässigkeit der Autor*innen. Die „Neue Didaktik“ bezieht sich auf problemhaltiges Lernmaterial. So wichtig das ist, so schwierig ist die daraus zu folgernde Schlussfolgerung, dass die Problemhaltigkeit offen zutage treten muss. Das Gegenteil kann der Fall sein.

Emotionale Kompetenz

Ebenso leichtsinnig ist die ebenfalls nur durch die Darstellung behauptete Verknüpfung der Metakognition mit der Kognition. Die Kognition wird gerne als der „rationale“ Teil des Denkens bezeichnet. Er umfasst zum Beispiel die Musterbildung bei der Wahrnehmung, die Begriffsbildung, Problemlösestrategien (selbstverständlich nur die rationalen), und dergleichen mehr.
Dabei wird aber vergessen, dass sich das Denken nicht nur aus kognitiven Abfolgen zusammensetzt, sondern selbstverständlich dabei immer Emotionen im Spiel sind. Bedenkt man, dass ein wichtiger Bestandteil der Metakognition die metakognitiven Strategien sind, findet man dazu ein passendes Gegenstück in den evolutionären Zwecken der Gefühle. Dies hat Plutchik in seinem Buch über Emotionen deutlich beschrieben.
Es ist dementsprechend unsinnig, die emotionale Färbung unseres Denkens in der metakognitiven Praxis unbeachtet zu lassen. Sie muss – und dies hat die populärwissenschaftliche Literatur der letzten zwanzig Jahre wenn auch oft nur in bescheidenem Maße herausgestellt – als emotionale Kompetenz in die metakognitiven Kompetenzen einfließen.
Mit anderen Worten: die Metakognition muss alle Aspekte des Denkens umfassen, nicht nur die kognitiven Muster. Dies sind, in Kürze gesagt, alle Bedürfnisse, Emotionen, Aufmerksamkeitsformen, Motivationstypen und der immer noch recht stiefmütterlich behandelte Teil der Motivation: die Volition, bzw. die Willensbildung.

Fluides Denken

Das fluide Denken – oft auch unter dem Begriff „laterales Denken“ bekannt – umfasst ebenfalls mehrere Aspekte. Es bezeichnet die Fähigkeit, Alternativen zu bilden, Umwege und Abweichungen einzuplanen, mehrere Strategien nebeneinander zu legen, Sachverhalte auf ungewöhnliche Art und Weise zu behandeln oder darzustellen. Bezieht man dies auf ein klassischeres Gebiet der kognitiven Psychologie, so wird man am deutlichsten – wenn auch nicht nur – bei der Analogiebildung fündig.
Die kognitive Psychologie bezeichnet damit eine der zwei Gebiete des Problemlösens. Das andere ist die Mittel-Ziel-Analyse.
Die Analogiebildung besteht nun darin, zwei Muster zu vergleichen und die Gleichheiten und Abweichungen für weitere Denkprozesse „auszunutzen“.
In gewisser Weise nutzt das fluide Denken vor allem frühkindliche Muster des Welterkennens, wie
  • die Übergeneralisierung (d. h. in der Logik die Extrapolation, die ungebührliche Hervorhebung bestimmter Merkmale wie zum Beispiel in der Karikatur),
  • die Konkretion (d. h. das materielle Darstellen nicht-materieller Vorgänge; so zum Beispiel in Ablaufplänen für Denkprozesse),
  • die Abstraktion (das zum Teil zufällige und irrationale Weglassen von Merkmalen) oder
  • das experimentelle Spiel (also das ungewöhnliche, überraschende Zusammenbringen von Phänomenen und Sachverhalten).

Das fluide Denken jedoch unterscheidet sich auch in einem Aspekt von dem kindlichen Experimentieren durch eine höhere Systematisierung, teilweise auch durch eine daran anschließende starke Rationalisierung. Ich weiß nicht, wer dies gesagt hat, doch macht der Satz Sinn: Reine Kreativität verpufft wie reine Energie im Vakuum; und daran angeschlossen hat, dass jeder kreative Akt, bevor er sinnvoll ist, „sozialisiert“, auf seinen sozialen Nutzen überprüft werden muss. Kreativität als in sich und für sich isoliert bliebe "a-sozial", etwas als besonders kreativ zu loben, ohne darin Übergänge in den sozialen Bereich zu entdecken und zu ermöglichen, gleicht einem verweigerten Gespräch.
In der Darstellung von Metakognition wird immer wieder betont, wie wichtig es sei, Alternativen zur Verfügung zu haben. Das Spiel geht mit dem fluiden Denken zusammen. Beiden ist gemeinsam, dass sie zwischen Kreativität und Rationalität vermitteln. Dieser spielerische Charakter muss auch, entgegen vieler Darstellungen, in der Metakognition seinen Platz finden.

Metakognition und metakognitive Kompetenz

In der ganzen Diskussion um Metakognition und metakognitive Kompetenz schleicht sich eine unklare Trennung zwischen diesen beiden Begriffen ein. Metakognition, so sollte man meinen, ist die Bezeichnung für das Gebiet, den Forschungsbereich; die metakognitive Kompetenz dagegen sei die Fähigkeit eines Menschen, entsprechende Verhaltensweisen zu zeigen.
Wir müssen dabei davon ausgehen, dass ein Mensch durchaus hohe metakognitive Kompetenzen zeigen kann, ohne das gesamte Gebiet zu kennen. Ein Forschungsbereich unterliegt anderen Bewertungsmaßstäben als Verhaltensweisen. Stützen lässt sich diese Kluft auch dadurch, dass selbst kleine Kinder schon über ihr Denken nachdenken, und dass selbst erfahrene und lebenskluge Menschen unbedachte Sachen sagen können.

Viel wichtiger aber ist, dass wir uns darüber bewusst werden, dass wir das Forschungsgebiet nicht als Norm in einen Menschen hineinapplizieren können; und dass wir umgekehrt auch immer wieder bereit sein müssen, uns von Menschen überraschen zu lassen, selbst jenen, die von der Metakognition noch nie etwas gehört haben.
Immer wieder erinnere ich mich gerne an jenen Mann und jenes von mir unfreiwillig mitgehörte Telefonat, während dem dieser sagte: „Ich weiß, dass das nicht richtig ist, aber ich fühle mich so.“ In diesem Satz steckt ein großes Stück der Weisheit drinnen, den uns die Metakognition allzu häufig durch lange Listen, Strategiefragen, mehr oder weniger umständliche Grafiken oder pompös untermauerte Forschungen beibringen möchte.

Normierungen

Liest man sich Texte über die Metakognition und vor allem deren Umsetzung in die Praxis durch, fällt einem recht rasch auf, dass diese von mehr oder weniger sinnvollen Rastern durchzogen werden, an denen die Denkprozesse gemessen und beurteilt werden. Es sind, kurz gesagt, Normierungen. Daraus ergibt sich eine überraschende Nähe zur Logik, so wie Immanuel Kant sie begreift:
Wir wollen in der Logik nicht wissen: wie der Verstand ist und denkt und wie er bisher im Denken verfahren ist, sondern wie er im Denken verfahren sollte. Sie soll uns den richtigen, d. h. den mit sich selbst übereinstimmenden Gebrauch des Verstandes lehren.
Kant, Immanuel: Logik. in ders.: Werkausgabe Bd. VI, S. 435
Freilich gehört dazu immer die Überprüfung, sei es in der Metakognition, sei es in der Logik kantscher Provenienz, wie das aktuelle Denken verläuft und inwiefern es von diesen Normierungen abweicht.
Doch darauf möchte ich nicht hinweisen. Vielmehr finde ich bezeichnend, dass die Metakognition auf eine Anpassung des Denkens hinausläuft. Sie ist, zunächst, keine Befreiung des Denkens, sondern versieht dieses mit teilweise sehr harten Auflagen und Disziplinierungen.

Nun könnte man meinen, dass damit die Metakognition als ideologisches Herrschaftsverhältnis entlarvt sei.
Dagegen sprechen allerdings zwei Aspekte. Erstens ist derjenige, der sein Denken reflektieren und steuern kann, besser in der Lage, dieses mit einem „Rückgrat“ zu versehen und sich nicht durch eilfertig herbeigebrachte neue Reize von seinen Vorhaben abbringen zu lassen. Zweitens bietet der Erwerb metakognitiver Kompetenzen eine ganze Reihe an sich mal weniger, mal mehr widersprechende Modelle an, teilweise auch völlig losgelöste, „nomadisierende“ Denkmuster; sodass hier immer wieder Ausweichbewegungen und zum Teil auch ein nicht in den Griff zu kriegendes „Wuchern“ stattfinden kann. Mit anderen Worten: so disziplinierend die Lehre metakognitiver Techniken in einzelnen Phasen auch sein kann, so viel kritisches Potenzial kann sie im Gesamt entfalten.
In den vielen Modellen, die die Psychologie, das Coaching, die Kulturwissenschaften, die Therapeutik, die Ethnologie und die Ethologie, die Geschichtswissenschaften und sogar die Astrologie bieten, um über die Bedingung des Menschen, seiner Kultur und seines Denkens nachzudenken, steckt keine disziplinierende Einheit, sondern geradezu eine bezaubernde und unbeherrschte Buntheit.

Was die „nomadisierenden“ Denkmuster betrifft, so sei nur an den großartigen deBono erinnert. Edward deBono stellt immer wieder bestimmte, höchst abstrakte kleine Werkzeuge in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, die er dann in seinem CORT-Programm zusammengefasst hat (welches mir allerdings unbekannt ist).
Ein solches Muster ist das PMI. Dieses besteht aus einer Tabelle mit drei Spalten, deren erste mit plus (positiv), die zweite mit minus (negativ) und die dritte mit interessant (offen, unentschieden) überschrieben ist. Hier schreibt man, bezüglich eines Erlebnisses, eines Unterrichts, eines Gesprächs, eines Meetings, eines Themas, eines Buches, und dergleichen mehr, alle Gedanken auf, die einem dazu einfallen, teilt diese aber in die entsprechenden Spalten auf.
Viel wichtiger als die konkrete Tätigkeit ist allerdings, dass man sich dieses Muster als Denkraster nach und nach zu eigen macht und schließlich auf das Aufschreiben sogar verzichten kann. Es heftet sich dann relativ automatisch an alle möglichen Begebenheiten. Es ist, wie ich oben bereits zum Rechnen geschrieben habe, überautomatisiert. Es ist Teil unserer Art und Weise zu denken geworden. Zu diesem Lernprozess gehört, dieses Schema eine Zeit lang schriftlich zu fixieren.
Aber noch wichtiger als dieses eine Muster zu nutzen, ist, mehrere dieser Muster vorrätig zu halten. Für sein eigenes Programm hat deBono, wenn ich mich recht entsinne, 64 Muster zusammengestellt. Man kann sich aber auch solche kleinen Denkmuster selbst erfinden, bzw. diese aus allen möglichen Anleitungen heraussuchen, psychologischen Modellen zum Beispiel, nützlich sind hier auch gewisse Schreibratgeber oder Artikel zur Lebenshilfe. Gerade auch Artikel zur Lebenshilfe sind eine ganz wichtige Fundgrube; und ich sage dies vor allem auch mit dem Hintergrund, dass ich solche Artikel ansonsten für recht überflüssig erachte.
Die Muster allerdings, die man daraus hervorbringen kann, sind nichts anderes als kleine Werkzeuge, die nicht besser und nicht schlechter als andere Muster unseres Denkens sind, mit dem einzigen Unterschied, dass wir sie uns bewusst anerzogenen haben und dadurch auch relativ bewusst auf sie reflektieren können. (Siehe dazu als Beispiel eines von mir selbst entworfenen Musters: SWEN.)

Temporalisierung

Ein anderes grundlegendes Problem ist und bleibt die Trennung zwischen Kognition und Metakognition. Genauso, wie Metakommunikation Kommunikation ist, die sich auf andere Kommunikation bezieht, so ist Metakognition grundlegend zunächst einmal eines: Kognition. In der klassischen Logik geraten wir dabei in einen unendlichen Regress. Sinnvollerweise wurde dieser unendlichen Regress zwar nicht als unmöglich, aber zumindest als eine äußerst schwache, weil nie zu Ende zu bringende Form der Reflexion bezeichnet. Denn wir könnten uns natürlich genauso wieder über die Metakognition Gedanken machen, gerieten so in eine Meta-Meta-Kognition, die wiederum für eine Metakognition bereit stünde, und so fort, ohne dass ein Ende abzusehen wäre.

Nun hat die modernere Logik, gestützt auf die Evolutionstheorie, eine andere Möglichkeit entdeckt, aus diesem Spiel auszusteigen: durch die Temporalisierung. Die Temporalisierung vermeidet die Paradoxie nicht, dass sich die Metakognition auf sich selbst beziehen könnte, sondern stellt schlichtweg fest, dass sich die derzeitige Metakognition immer auf eine vorzeitige Kognition bezieht, selbst wenn sie diese dann in die Zukunft projiziert, um Lösungswege zu planen. Die einzelnen Elemente dieses Lösungsweges und Erfahrungen mit solchen Planungen müssen immer schon in der Vergangenheit gesammelt worden sein und in der Gegenwart, in der ich meine metakognitiven Kompetenzen anwende, bekannt sein.
Alles weitere, die endgültige Qualität einer metakognitiven Planung, Steuerung und Kontrolle der Denkstrategien überlässt man dann einfach auch den Zufälligkeiten ihres Erfolges, und nimmt sozusagen die Beulen und Kratzer in Kauf, die auch die schönste Planung in ihrer Ausführung erfahren muss.

Ich will damit nicht gegen metakognitive Fertigkeiten sprechen, auch nicht gegen die zum Teil erstaunlichen Ergebnisse, die metakognitive Trainings bewirken; aber vor einem Allmachtsglauben warne ich. Am Ende gibt es auch noch in jedem so umsichtigen Projekt größere oder kleinere blinde Flecken. Sie stammen nicht nur aus den nicht vorherzusehenden Bewegungen, denen jedes Projekt in der Realität ausgesetzt ist, sondern eben auch aus dem fruchtlosen Bemühen, etwas wirklich zu Ende denken zu können.

Ästhetische Techniken

Zum Schluss sei noch einmal darauf hingewiesen, dass jede metakognitive Fähigkeit darauf angewiesen ist, die Wirklichkeit gut zu beschreiben. Deshalb gehören sinnvollerweise zu diesen Fähigkeiten auch Techniken, den ersten Eindruck zu hinterfragen. Dafür sind klassischerweise ästhetische Techniken zuständig. Sie bilden nicht nur das fachliche Feld ab, sondern reduzieren es, verfremden es, reichern es mit neuen Perspektiven oder mehr oder weniger zufälligen Elemente an; sie bilden, wenn auch nicht in der Form großer ästhetischer Strömungen (Naturalismus, Impressionismus, Kubismus, etc.), so doch im kleinen eine enge Verknüpfung zwischen ästhetischer Form, ästhetischer Technik und der Grundlage (dem sogenannten Original).
Dies gilt auch für die Metakognition selbst. Indem ich die Kognition zu denken lerne, mache ich sie erkennbar, und indem ich sie erkennbar mache, mache ich sie einer ästhetischen Praxis zugänglich. Dies allerdings ist ein weites Feld – und man verzeihe mir, wenn ich mir die Unkenrufe verbitte, dies habe der Vater von Effi Briest genauso gesagt, um daraufhin ja nicht weiter zu denken.

06.01.2019

Metakognition: Die Neue Didaktik

Dieses Buch kommt daher wie eine klassische Vorlage für eine ›Guter Zwilling, böser Zwilling‹-Geschichte. Es vereint längst überfällige Themen in der deutschsprachigen Didaktikforschung mit einer teilweise nur noch beleidigenden Arroganz.
Metakognition, so das Hauptschlagwort, kann man in Kurzfassung als »Das Denken lernen und das Lernen denken« bezeichnen. Diesen Blick auf sich selbst als Lernenden darf man getrost als Kind der europäischen Aufklärung bezeichnen, auch wenn es hier keine klaren historischen und kulturellen Grenzen gab und gibt. Mittlerweile haben vielerlei Untersuchungen der letzten fünfzig Jahre immer wieder die Wichtigkeit dieses Aspekts beim Lernen hervorgehoben. Die Arbeiten im englischsprachigen Raum dazu sind nicht mehr zu überblicken, die kulturhistorischen Studien zu Notizbüchern, Tagebüchern, Aufzeichnungssystemen, usw. – ein Teilaspekt der Metakognition – auch im europäischen Raum ein wichtiges Forschungsgebiet, allerdings vor allem in den Kulturwissenschaften.
Neu an dieser Neuen Didaktik, wie der zweite Teil des Titels behauptet, ist demnach gar nichts. Unbeachtet, wenig systematisiert, immer wieder in Vergessenheit geratend, das ja.

Was aber leistet dieses Buch im positiven Sinne?
Es stellt ein Konzept, und ein recht verbreitetes Konzept der Metakognition vor, überträgt dieses in die Unterrichtsplanung und die Diagnose, bzw. Dialogisierung von Lernprozessen, um dann schließlich in drei umfassenden Kapiteln auf grundlegende Kulturtechniken einzugehen: das Textverstehen - einem allgemein dem Unterricht zugehörigen Gebiet -, das Bildverstehen - besser verstanden als Verstehen von Schaubildern und Diagrammen und weniger als Verstehen künstlerischer Werke - und die Zahl als Trägerin von Informationen. Die Ausrichtung fokussiert also den sachkundlichen, insbesondere aber den naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterricht. Ziel des Buches ist dabei, dem Lernenden zu ermöglichen, sich selbst als Informationsverarbeiter zu verstehen und Einsicht in die eigenen Lernprozesse zu bekommen. Ziel ist auch, dass der Lernende seine Lernprozesse effizienter steuern kann.
Dazu vermittelt das Buch Strategien und Techniken. Viele Techniken sind, wie gesagt, nicht so neu. Die Abgrenzung gegen andere pädagogische Strömungen, die die Autor*innen auf Seite 21 bieten, ist ein Affront, und wird durch die längere kritische Auseinandersetzung der Autor*innen, die online zur Verfügung steht, nicht besser, sondern schlimmer. Konterkariert wird diese vermeintliche Abgrenzung durch Aussagen wie: »Soweit unterscheidet sich herkömmlicher Unterricht bzw. dessen Planung noch nicht von metakognitiv fundiertem Unterricht.« (Seite 98)
Auch was hier hinzugefügt wird, habe ich bei vielen „klassischen“ Pädagog*innen als eine Selbstverständlichkeit erlebt: die scheinbar stoffgeprägte Vermittlung des klassischen Unterrichts, den die Autor*innen hier suggerieren, existiert möglicherweise in Einzelfällen, ist aber durchaus keine häufige oder gängige, zumal nicht in der Grundschule. Hier werden immer auch Arbeitstechniken, also Lernstrategien, beigebracht; und natürlich wird mit den Kindern über Lernwege und Denkwege diskutiert. Der scharfe Bruch existiert also nicht. Es fehlt lediglich, so schrieb ich bereits oben, die strengere systematische Beachtung metakognitiver Prozesse. Es fehlt die Fokussierung auf diese Prozesse; und diesem Mangel - in der Gewichtung, nicht im Vorhandensein - behilft dieses Buch.
Auf der einen Seite hätte ich mir dieses Buch schon vor zehn Jahren gewünscht, als für mich deutlich geworden ist, welche wichtige Rolle Metakognition beim Unterrichten spielt. Ich hätte, bei aller Kritik an diesem Buch, auch zahlreiche sehr vernünftige, teilweise geradezu imponierende Argumente gefunden, um meine eher gefühlte Überzeugung wissenschaftlich zu fundieren. Auf der anderen Seite aber hat es mir stellenweise einige Mühe genug gekostet, über all die arroganten Verkennungen hinwegzulesen. Hier hätte ich mir mehr positive Anknüpfungspunkte an die pädagogische Tradition gewünscht, mehr Bezüge zu dem Begriff des »Lernen lernen« oder Hinweise darauf, dass die Technik des »Lauten Denkens« seit achtzig Jahren in der kulturhistorischen Schule eine wichtige Rolle spielt und von Galperin für die Pädagogik systematisch ausgearbeitet wurde.
Damit ist auch klar, welche Empfehlung ich für dieses Buch aussprechen muss: auf der einen Seite ein eindeutiges Ja; bei den zunehmend unübersichtlich gewordenen Wissensbeständen, bei dem Ineinander von behaupteten und tatsächlich überprüfbaren Fakten, bei der Herausforderung, Lernen als lebenslangen und ökologischen Prozess zu verstehen, bei alldem spielen die metakognitiven Kompetenzen eine zentrale Rolle und müssen deshalb auch einen zentralen Platz in unserer Aufmerksamkeit und in der pädagogischen Lehr-/Lernforschung bekommen. Auf der anderen Seite kann ich aber auch all diejenigen Leser*innen verstehen, die dieses Buch als Zumutung sehen. Ich empfehle es trotzdem, und empfehle zugleich, all die Stellen zu missachten, die mit der direkten Vermittlung der Metakognition nichts zu tun haben, die abgrenzend vorgehen, wo es keine Abgrenzung gibt, die Unterschiede behaupten, wo viele Gleichheiten mit lediglich einer anderen Gewichtung vorhanden sind, usw. Dann müsste das Buch von seiner frohen Werbebotschaft – und mehr ist es auch gar nicht –, dass es alles neu erschafft, Abstand nehmen, und es fiele leichter, seinen wirklichen Nutzen zu erkennen. Dieser ist positiv genug, um das Buch ohne Zögern zu empfehlen.