12.09.2006

Humorvolle Geschichten

Humorvolle Geschichten haben (in etwa) zwei Verlaufsformen:
Die eine ist eher anekdotisch und ändert nichts am Zustand der Protagonisten. Paradebeispiel dafür ist Pippi Langstrumpf, in deren Leben sich nichts ändert. Der Humor entsteht hier aus der Widerständigkeit gegen die Sozialisation. (Diese Erklärung ist natürlich völlig trostlos.)
Die andere Form ist bedingt anekdotisch, hat aber eine Steigerung der Spannung in sich: hier wird ein Ziel gesetzt, das unter überraschenden Wendungen erreicht wird. Der Räuber Hotzenplotz gehört dazu und das erste Buch von Artemis Fowl. Hier ist der Trick einerseits, dass die Konfrontation mit dem Bösen recht früh anfängt und ohne lange Suche einsteigt, und dass sich der Protagonist entweder immer weiter von seinem Ziel entfernt - so bei Räuber Hotzenplotz -, oder die Bedrohungen immer absurder und gefährlicher werden - so bei Artemis Fowl.
Anekdotisch meint hier, dass in der Geschichte eine Art Kurzgeschichte auftaucht, die für sich stehen könnte. Sie ist lose mit der gesamten Geschichte über den gleichen Ort und/oder den gleichen Protagonisten gekoppelt.
Die Anekdote verträgt sich schlecht mit der Spannungsliteratur, es sei denn, diese ist humorvoll, ironisch oder zynisch. Die Krimis von Dürrenmatt und bestimmte seiner Dramen kann man dazu zählen. Bevorzugt man seichtere Gewässer, seien hier die Krimis von Camilleri wärmstens ans Herz gelegt.
Was, meiner Ansicht nach, garnicht geht, sind Krimis, bei denen der Humor auf unausgearbeitete Personen und auf einen schlecht konstruierten Plot trifft. Wahrscheinlich gehen solche Krimis auch dann nicht, wenn sie ohne Humor sind. Ich habe zum Glück schon lange keinen solchen mehr gelesen und mich in letzter Zeit viel an die Klassiker gehalten. Einen unmöglichen Krimi mit schlechtem Humor finden sie hier. Dieser Krimi ist ermüdend und peinlich. Nur weil ich eine Rezension darüber schreibe, habe ich ihn zu Ende gelesen.
Dass die Anekdote nicht in den besseren Krimis vorkommt (oder wenn, dann nur sehr selten), liegt im Übrigen nicht daran, dass es Schlag auf Schlag geht. Liest man sich Hammetts Malteser Falken durch, stellt man fest, dass er sich viel Zeit lässt und die einzelne Szenen eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Geschichte bewahren. Hier ist aber die Kunst Hammetts zu würdigen, bei dem Szenen in sich etwas bedeuten, und trotzdem vollständig in den gesamten Plot eingefügt sind. Die Für-Sich-Bedeutsamkeit einer Szene macht eben noch nicht die Anekdote aus, sondern vor allem den hervorragenden Autor. - Auch Camilleri kann das ordentlich. Trotzdem gebe ich auch Hammett eindeutig den Vorzug. Bei Donna Leon sucht man hier eher vergeblich. Dass ihre Szenen etwas anekdotenhaftes haben, liegt an einer mangelnden Verknüpfung, nicht an dem gewollten und bedeutsamen Auskleiden. Ihre Plots sind nett, aber insgesamt langweilt sie mich. Martha Grimes dagegen sitzt bei ihren Szenen nicht nur der Schalk im Nacken, sondern auch ein profunde durchdachtes Handwerk im Kopf. Krimis wie "Fremde Federn" oder "Inspektor Jury geht übers Moor" drehen und wenden und biegen sich sehr leicht um den Fall herum, wurzeln aber trotzdem sicher in diesem Nährboden der Spannung.
Bei Grimes scheint ein starkes Mittel des Humors (aber ich habe das nie genauer untersucht) der Kontrast von Personen und Lebensstilen zu sein. Diese Personen und Lebensstile geraten aneinander und missverstehen sich, ohne dass den Figuren das bewusst zu werden scheint, während der Leser dies ganz klar erfasst. Diese Befangenheiten haben durchaus Ähnlichkeiten mit psychologisch verfeinerten Pippi Langstrumpfens.
Während bei Pippi Langstrumpf die Sozialisation von vorneherein verweigert zu werden scheint, sind die skurrilen Gestalten bei Grimes Menschen, die aus ihrer Sozialisation in einen gewissen Unwillen zur Sozialisation gekippt sind. Bei Artemis Fowl ist dies ähnlich. Die Beharrlichkeit, mit der Fowl sich an seinen Charaktereigenschaften festhält, wird von Colfer durch eine insgesamt unbestimmt gehaltene Sozialisation erklärt, aus der dann die Zielstrebigkeit oder Dickköpfigkeit resultiert, die zugleich etwas Geniales an sich hat, aber auch an das Trotzverhalten eines Vierjährigen erinnert. Vielleicht ist mir deshalb die Figur so sympathisch.

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