21.07.2008

Kreatives und konstruktives Schreiben

Folgendes ist bei mir in den letzten Tagen passiert: 1. habe ich eine Typologie zur Personencharakterisierung unternommen; 2. habe ich einen Weg zumindest teilweise aufgeschrieben, wie man von dem Ende eines Romans zu einem Anfang kommt, also im Prinzip den Esel vom Schwanz her aufzäumt. 3. habe ich einen Plot entworfen, in dem ich meine Erkenntnisse zu verwenden suche.

Typologien

Ich habe schon des öfteren festgestellt, dass andere Menschen Probleme mit meinen Typologien haben. Dabei sind Typologien ganz einfach, zumindest diejenigen, die ich mir ausdenke. Wenn ich zum Beispiel eine Frage wie Welche Konflikte gibt es? habe, dann suche ich mir in der Literatur alle möglichen Aussagen zu Konflikten. Teilweise sind das wissenschaftliche Äußerungen, teilweise aber auch Konflikte, die in fiktionalen und narrativen Texten dargestellt werden.
Mein einziger aktiver Schritt ist nun, hier eine kurze Beschreibung zu liefern, was durch ein Stück Text ausgedrückt wird. Handelt es sich um einen wissenschaftlichen Text, schreibe ich knapp auf, wie dieser Text mit einem erzählenden Text zusammenhängt: sei es, um einen erzählenden Text zu analysieren, sei es, um einen solchen zu produzieren.
Handelt es sich um einen erzählenden Text, beschreibe ich, was für ein Stück Theorie darin stecken könnte.

Im Prinzip also übersetze ich nur vom wissenschaftlichen zum textproduzierenden Pol, oder umgekehrt.
Es gibt keine tiefere Vernunft in solchen Typologien. So können sich einzelne ihrer Elemente widersprechen oder überlagern. Das erscheint mir interessanter, als eine vollständig gesäuberte Systematik zu schaffen. Was natürlich auch daran liegt, dass mir der Essay wesentlich mehr behagt als der wissenschaftliche Beitrag. Siehe zum Beispiel meine Texte zur Kreativität und zum Queer.

Vom Ende her denken

Zu Kai Meyer habe ich einiges geschrieben. Das meiste habe ich hier nicht mehr veröffentlicht. Eines seiner großen Probleme ist, dass seine Geschichten zum Ende hin immer dünner von der Handlung werden und damit immer weniger die Spannung tragen können.
Das hat mich natürlich veranlasst, über das gute, das konfliktstärkste Ende nachzudenken und wie man auf dieses Ende zusteuert. Die Idee war dann recht simpel: entwirf ein knalliges Ende und konstruiere von dort her den restlichen Plot. Gesagt, getan. Und während ich also diese Idee ausformuliere und mir immer neue Übungen einfallen lasse, umso schwieriger erscheint mir die Idee. Ich habe also neben einer Art Unterrichtseinheit zum Plotten zahlreiche Plots konstruiert, um meine Ideen auszuprobieren.
Ja, der Ansatz ist gut mit dem Moment zu beginnen, wo der Held und sein Widersacher voreinander stehen und dem ganzen Konflikt ein Ende bereiten (müssen). Aber beim Entwerfen bin ich dann doch wieder zwischen Anfang und Ende und Mitte hin und her gesprungen. Man muss wohl beides machen: den Ausgangspunkt und das zentrale Duell entwerfen. Der Rest ist - entschuldigt meine Schnoddrigkeit - Problemlösen.

Konstruktives Schreiben

Konstruktives Schreiben - das ist im Prinzip nur ein Kampfbegriff. Das kreative Schreiben verharrt zu oft in einem Ich-tue-jetzt-mal-was. Und da fehlt dann jede Leserorientierung. Doch genau diese muss ein guter Text besitzen. Deshalb schreibe ich konstruktiv, das heißt, ich gebe meinen Texten möglichst eine Struktur, die dem Leser einen Halt gibt, und ihn vom Selber-Denken hinreichend entlastet, zumindest in Unterhaltungstexten. Zudem brauche ich die Konstruktion, um ein Rätsel in die Geschichte einzuweben. Jede Spannung wird durch Rätsel erzeugt. Und diese Rätsel wieder brauchen die Struktur, damit sie erst nach und nach gelöst werden.
Natürlich ist auch das eine kreative Tätigkeit, aber hier müssen zusätzlich Materialien geordnet werden und man muss ihnen eine Folgerichtigkeit abzwingen. Das aber ist konstruktiv.

Mein neuester Plot - eine Übung

Selbst wenn man nun gewisse Techniken zum Plotten beherrscht, kann man dadurch noch lange nicht einen guten Roman schreiben. Deshalb habe ich meine Arbeit vom Anfang der Woche unterbrochen und statt dessen zahlreiche Plots entworfen und einen setze ich gerade um. Dabei merke ich, wie anregend und störend zugleich meine Typologien sind. Vielleicht muss ich diese Typologien dann doch noch einmal überarbeiten. Aber das glaube ich erstmal nicht. Wichtiger erscheint mir die Frage, wie sehr ich mich an bestimmte Muster des konstruktiven Schreibens gewöhnt habe. Und wenn ein Muster noch ungewohnt ist, geht es mir natürlich nicht leicht von der Hand.
Dann muss man ein wenig hartnäckig sein und eine Übung mehrmals wiederholen, bis sie eben sitzt.

Übungen

Und a propos Übungen. Ich teile meine Übungen immer in analytische und konstruktive Übungen ein. Die analytischen Übungen dienen dazu zu sehen, wie es andere Schriftsteller machen. Und die konstruktiven Übungen sind vor allem solche, in denen man bestimmte Muster anwendet.
Dabei finde ich es unwichtig, ganze Geschichten zu schreiben. Beziehungsweise: es ist zunächst unwichtig; zwischendurch darf man sich dann doch immer wieder an eine Geschichte oder einen Roman machen, wobei ich Kurzgeschichten sehr empfehle.
Bei den Übungen muss man zwei Sachen beachten: sie müssen kurz sein, das heißt, sich zwei-, dreimal hintereinander wiederholen lassen. Und man muss sie auch wirklich mehrmals wiederholen.
Drittens sollte man sich dringend daran gewöhnen, dass diese Übungen nicht nach einem gelungenen Text bewertet werden, sondern dass man ein Muster konsequent anwendet. Konsequent heißt: so genau wie möglich.

Man kann sich auch selbst Übungen entwerfen. Neben den vielen Übungen, die man sich aus Büchern heraussucht, sind die Übungen, die man sich selbst zurechtbastelt, meiner Ansicht nach die fruchtbarsten.
Wenn ich also hingehe und mich frage: Wie charakterisiere ich eine Figur in einem Roman?, dann entwerfe ich zuerst eine kleine Typologie. Ich habe mich übrigens neulich genau mit dieser Frage beschäftigt und die Typologie anhand der ersten beiden Kapitel aus dem Hotzenplotz und zwei Abschnitten aus Kings Das Monstrum entworfen. Zur Ergänzung kamen dann noch zwei Stellen aus Fontanes Cécile und Steinbecks Tortilla Flat hinzu.
Zu dieser Typologie habe ich dann einzelne Übungen entworfen. Normalerweise hat eine solche Typologie zwischen drei und zwanzig Elementen und dementsprechend viele Grundübungen gibt es.
Bei einer Charakterisierung gibt es allerdings viele dieser Typen gleichzeitig: und insofern ist es hier sinnvoll, bei einer Übung nicht zu scharf zu trennen. Zum Verdeutlichen werde ich zwei Übungen weiter oben einstellen: zur Charakterisierung und zu Motivationen/Bedürfnissen. Sie können aber zum Beispiel auch bei den Mustern zur Schlagfertigkeit ein solches Beispiel finden.

Nebenbei: wenn Sie selbst eine Typologie aufstellen, versuchen Sie möglichst verschiedene Literatur heranzuziehen. Je mehr Unterschiede Sie hereinholen können, umso deutlicher werden die Werkzeuge, die Möglichkeiten, die Sie hier haben, und umso mehr Möglichkeiten haben Sie später beim Schreiben, wenn Sie zum Beispiel eine Person charakterisieren möchten oder die Spannung erhöhen wollen.

Schluss

Eine ereignisreiche Woche also; ich habe wieder zahlreiche Zettel auf meinem Schreibtisch herumfliegen, die ich dringend in meinen elektronischen Zettelkasten einarbeiten muss, sonst fliegen sie nur bei mir herum. Das werde ich in den nächsten Tagen tun müssen. Dann habe ich mir zwei weitere Bücherregale gekauft. Grins und ohne Worte. Dabei bekomme ich derzeit alle meine Bücher nur über media-mania. Zwei Texte habe ich begonnen zu schreiben: einen zur Ausgestaltung von Konflikten und einen, der sich allgemeiner um das Plotten dreht.
Und natürlich habe ich gelesen. Was die fiktive Literatur angeht, nur die Bücher, die ich sowieso besitze. Ansonsten lese ich zur Zeit (und kommentiere durch) von Sartre Das Imaginäre in Kombination mit Barthes Die Vorbereitung des Romans. -

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