Die Politik Stalins habe, so paraphrasiert oder zitiert der Parteienforscher Harald Bergsdorf gestern im Tagesspiegel (Berlin) Sahra Wagenknecht, "nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraumes" bewirkt.
So weit also die Pressestimme, die der Linken das Hofieren von Diktatoren vorwirft. Ein gewisses gefährliches Spiel mit linkem Geschichtsreduktionismus gibt es immer noch in der Links-Partei. Das ist mit Sicherheit die eine Seite, die man mit aller Aufmerksamkeit beachten muss. Auf der anderen Seite darf man weder verkennen, aus welchen historischen Strömungen "Diktatoren" entstanden sind, und dass hier die eine oder andere Nuance genutzt werden sollte.
So wird Rosa Luxemburg als militante Demokratiefeindin "gewürdigt": vergleicht man aber, dass Luxemburg stark gegen Lenin und seinen Obrigkeitsstaat polemisiert hat, relativiert sich diese Aussage schon wieder. Schließlich muss man einfach sehen, wann Luxemburg wie gelebt und gegen wen gekämpft hat. Sie hat in den letzten Tagen des parlamentarischen Kaiserreichs ihre ersten politischen Schritte getan, saß mehrmals während des ersten Weltkrieges im Gefängnis und wurde 1919 ermordet. Ihre politischen Einsätze galten also nicht gegen ein demokratisches geführtes Land, sondern gegen ein Unrechtsregime.
Im wilhelminischen Reich zum Beispiel hatte der Angeklagte die Beweise seiner Unschuld vorzubringen. In der demokratischen Verfassung gilt aber der Grundsatz Unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Hier einfach eine unhistorische Wertung draufzusetzen, eine so geradezu dämliche Polemik, sollte doch eines Parteienforschers nicht würdig sein, oder?
Sicher: was Stalin getan hat, glich schon einer militanten Industrialisierung. Negt und Kluge haben in ihrem Buch Geschichte und Eigensinn ein schönes Bild gezeichnet: nachdem deutschen Großstädte in Trümmern lagen, fanden sich die alten Wege rasch über den Trümmern wieder zusammen. Die Menschen waren so gewohnt, genau diese Wege zu gehen, dass sie selbst das veränderte Terrain nicht davon abbringen konnte. Michel de Certeau berichtet in Kunst des Handelns, dass die südamerikanische Bevölkerung die christliche Missionierung rasch annahm. Erst viele Jahre später zeigte sich, dass unter der symbolischen Anpassung an den christlichen Glauben die animistischen Überzeugungen weiterlebten. Der Animismus hatte lediglich sein Gewand gewechselt. - Und so könnte Stalins Leistung tatsächlich nicht nur im Gesamtkontext fragwürdig sein, sondern schon alleine wegen dieser Industrialisierung im Schweinsgalopp: das Volk könnte sich darunter - aber dazu habe ich tatsächlich zu wenig Ahnung von der Sache - an alten Strukturen festgehalten haben, an Obrigkeitsstrukturen, die den aristokratischen Terror nur durch den bürokratischen ersetzt haben.
Und so können wir die Ära Stalins vielleicht nicht nur wegen Stalins Politik nicht als Triumph werten, sondern auch, weil die materielle und symbolische Umwandlung nur an einem sehr oberflächlichen Teil der Gesellschaftsstruktur kratzt.
Im übrigen ist mir der Mensch Stalin egal. Wir sehen durch die historische Brille doch nur ein Phantom von ihm. Wichtiger ist doch, welche Lehren wir aus dieser Ära ziehen können. Aus einem Menschen ein Monster zu machen, dürfte dabei kaum hilfreich sein. Seine Taten zu verniedlichen oder zu verharmlosen, natürlich ebensowenig.
Nun kenne ich Sahra Wagenknecht als eine scharfe Analytikerin, die, trotz aller unterschiedlicher Auffassungen, die zwischen uns stehen dürften, eben kein einfaches Bild zeigt, und nicht ohne gründlich nachzudenken eine Aussage trifft. Vor allem habe ich, zumindest als Intention, nie eine Fiktionalisierung bei ihr gespürt: ihr geht es um die Menschen, die heute leben, und die Geschichte ist ihr ein lehrreicher Prozess, der nicht rosarot angepinselt werden darf.
Eher zieht sich Harald Bergsdorf auf eine Kritik zurück, die dadurch besonders delikat wird, weil er der Linken Freund-Feind-Denken vorwirft, das dann auch noch durch das Wort Klassenfeind, in Klammern und Anführungsstrichen, besonders markiert; und macht doch selbst nichts anders, als durch Entdifferenzierung genau dieses Freund-Feind-Bild aufzubauen.
Ebenso unsinnig ist Bergsdorf Satz, Kommunismus sei per definitionem undemokratisch (hier jedoch der wikipedia-Artikel). Kommunismus ist, wie Marx an der einzigen Stelle, wo er dieses Wort meines Wissens benutzt, der Deutschen Ideologie, der gleichberechtigte Umgang aller Menschen ohne Ansehen ihres Standes, ihrer Herkunft oder ihres Besitzes. Marx sagt dort noch nicht mal, dass jeder Mensch nur das Gleiche besitzen solle oder dass alles Eigentum dem Staate gehört. Kommunismus ist per definitionem also demokratisch und die Frage, die sich mir stellt, ist eher: wenn Kommunismus so und so ist, was haben dann Stalin etcetera gemacht, was machen heute die sogenannten Kommunisten?
Harald Bergsdorf sollte also schleunigst an seinem Weltbild arbeiten, denn dieses Sammelsurium an linken Monstrositäten, das er im Tagesspiegel versammelt hat, ist eine Folge seiner undifferenzierten Betrachtungsweise, nicht ein Phänomen linker Politik.
Selbstverständlich muss man deshalb nicht aufhören, die Links-Partei zu kritisieren. Aber, wie Bergsdorf dies konzediert, ein Aufruf zur Parteienkritik ist nicht Folge, sondern Grundlage jeder demokratischen Gesinnung. Muss man dies noch einmal für einen politisch gebildeten Menschen so hervorheben?
So weit also die Pressestimme, die der Linken das Hofieren von Diktatoren vorwirft. Ein gewisses gefährliches Spiel mit linkem Geschichtsreduktionismus gibt es immer noch in der Links-Partei. Das ist mit Sicherheit die eine Seite, die man mit aller Aufmerksamkeit beachten muss. Auf der anderen Seite darf man weder verkennen, aus welchen historischen Strömungen "Diktatoren" entstanden sind, und dass hier die eine oder andere Nuance genutzt werden sollte.
So wird Rosa Luxemburg als militante Demokratiefeindin "gewürdigt": vergleicht man aber, dass Luxemburg stark gegen Lenin und seinen Obrigkeitsstaat polemisiert hat, relativiert sich diese Aussage schon wieder. Schließlich muss man einfach sehen, wann Luxemburg wie gelebt und gegen wen gekämpft hat. Sie hat in den letzten Tagen des parlamentarischen Kaiserreichs ihre ersten politischen Schritte getan, saß mehrmals während des ersten Weltkrieges im Gefängnis und wurde 1919 ermordet. Ihre politischen Einsätze galten also nicht gegen ein demokratisches geführtes Land, sondern gegen ein Unrechtsregime.
Im wilhelminischen Reich zum Beispiel hatte der Angeklagte die Beweise seiner Unschuld vorzubringen. In der demokratischen Verfassung gilt aber der Grundsatz Unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Hier einfach eine unhistorische Wertung draufzusetzen, eine so geradezu dämliche Polemik, sollte doch eines Parteienforschers nicht würdig sein, oder?
Sicher: was Stalin getan hat, glich schon einer militanten Industrialisierung. Negt und Kluge haben in ihrem Buch Geschichte und Eigensinn ein schönes Bild gezeichnet: nachdem deutschen Großstädte in Trümmern lagen, fanden sich die alten Wege rasch über den Trümmern wieder zusammen. Die Menschen waren so gewohnt, genau diese Wege zu gehen, dass sie selbst das veränderte Terrain nicht davon abbringen konnte. Michel de Certeau berichtet in Kunst des Handelns, dass die südamerikanische Bevölkerung die christliche Missionierung rasch annahm. Erst viele Jahre später zeigte sich, dass unter der symbolischen Anpassung an den christlichen Glauben die animistischen Überzeugungen weiterlebten. Der Animismus hatte lediglich sein Gewand gewechselt. - Und so könnte Stalins Leistung tatsächlich nicht nur im Gesamtkontext fragwürdig sein, sondern schon alleine wegen dieser Industrialisierung im Schweinsgalopp: das Volk könnte sich darunter - aber dazu habe ich tatsächlich zu wenig Ahnung von der Sache - an alten Strukturen festgehalten haben, an Obrigkeitsstrukturen, die den aristokratischen Terror nur durch den bürokratischen ersetzt haben.
Und so können wir die Ära Stalins vielleicht nicht nur wegen Stalins Politik nicht als Triumph werten, sondern auch, weil die materielle und symbolische Umwandlung nur an einem sehr oberflächlichen Teil der Gesellschaftsstruktur kratzt.
Im übrigen ist mir der Mensch Stalin egal. Wir sehen durch die historische Brille doch nur ein Phantom von ihm. Wichtiger ist doch, welche Lehren wir aus dieser Ära ziehen können. Aus einem Menschen ein Monster zu machen, dürfte dabei kaum hilfreich sein. Seine Taten zu verniedlichen oder zu verharmlosen, natürlich ebensowenig.
Nun kenne ich Sahra Wagenknecht als eine scharfe Analytikerin, die, trotz aller unterschiedlicher Auffassungen, die zwischen uns stehen dürften, eben kein einfaches Bild zeigt, und nicht ohne gründlich nachzudenken eine Aussage trifft. Vor allem habe ich, zumindest als Intention, nie eine Fiktionalisierung bei ihr gespürt: ihr geht es um die Menschen, die heute leben, und die Geschichte ist ihr ein lehrreicher Prozess, der nicht rosarot angepinselt werden darf.
Eher zieht sich Harald Bergsdorf auf eine Kritik zurück, die dadurch besonders delikat wird, weil er der Linken Freund-Feind-Denken vorwirft, das dann auch noch durch das Wort Klassenfeind, in Klammern und Anführungsstrichen, besonders markiert; und macht doch selbst nichts anders, als durch Entdifferenzierung genau dieses Freund-Feind-Bild aufzubauen.
Ebenso unsinnig ist Bergsdorf Satz, Kommunismus sei per definitionem undemokratisch (hier jedoch der wikipedia-Artikel). Kommunismus ist, wie Marx an der einzigen Stelle, wo er dieses Wort meines Wissens benutzt, der Deutschen Ideologie, der gleichberechtigte Umgang aller Menschen ohne Ansehen ihres Standes, ihrer Herkunft oder ihres Besitzes. Marx sagt dort noch nicht mal, dass jeder Mensch nur das Gleiche besitzen solle oder dass alles Eigentum dem Staate gehört. Kommunismus ist per definitionem also demokratisch und die Frage, die sich mir stellt, ist eher: wenn Kommunismus so und so ist, was haben dann Stalin etcetera gemacht, was machen heute die sogenannten Kommunisten?
Harald Bergsdorf sollte also schleunigst an seinem Weltbild arbeiten, denn dieses Sammelsurium an linken Monstrositäten, das er im Tagesspiegel versammelt hat, ist eine Folge seiner undifferenzierten Betrachtungsweise, nicht ein Phänomen linker Politik.
Selbstverständlich muss man deshalb nicht aufhören, die Links-Partei zu kritisieren. Aber, wie Bergsdorf dies konzediert, ein Aufruf zur Parteienkritik ist nicht Folge, sondern Grundlage jeder demokratischen Gesinnung. Muss man dies noch einmal für einen politisch gebildeten Menschen so hervorheben?
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