08.07.2008

"Wie wir hier heute sitzen" (ein wenig Metasprache, ein wenig Evolution und zur Geschichte habe ich dann auch noch ein wenig geschrieben)

"Wir, wie wir heute hier sitzen sowie all das vergangene und kommende sind Produkte der Evolution."
Häh? - Nein, dies ist kein Zitat eines Neoevolutionisten, sondern ein Zitat aus dem Blog Freies Netz Chemnitz. Bevor ich hier ein wenig weiter in den Kontext gehe, lassen wir uns mal die Logik dieses Satzes auf der Zunge zergehen. Wir - so sagt der Blogschreiber - wir, die wir Produkte der Evolution sind, wir sitzen hier - zumindest diese Fähigkeit hat also die Evolution diesem Menschen zugedacht - als das vergangene - setzen wir die Evolution doch mal kurzerhand außer Kraft, oder? - und kommende - jetzt, wo wir wir sind, müssen wir nicht einfach nochmal weiter evolutionieren -; ach, falsch gelesen? Na gut, dann machen wir das noch mal von vorne.
Was besagt dieses Zitat? Zunächst einmal ist es die Evolution. Die Evolution hat, glaubt man dem Blogschreiber, das Deutsche Volk entstehen lassen, "welches sich durch gemeinsame Abstammung, Sprache und Kultur definiert" - wobei mir einfällt, dass ich heute zu einer Kundin sagen musste: "Sein's gnadig mit mir mei Frolein, i bin a Fries." -; nun lässt sich die gemeinsame Abstammung nicht so ganz nachweisen. Der ein oder andere Bankerl hat sich ja schon vor Jahrhunderten unter uns gemischt, oder? Mit der gemeinsamen Sprache ist es auch nicht so weit her. Meine Vorfahren stammen aus Ostfriesland und bekanntlich ist ja das Friesische eine recht schwer zu verstehende Sprache, vor allem, wenn man sich gerade vervolkstümelnd sein Leben in einem bayerischen oder sächsischen Hinterwald einrichtet. Und was die Kultur abgeht: dazu mag ich schon garnichts mehr sagen.
Wir haben es hier also allemal mit kühnen Metaphern zu tun, und zwar mit kühnen Metaphern derart, dass sie sich erstens nicht im bildlichen Bereich bewegen, sondern im abstrakten; alleine der Begriff Abstammung erinnert noch an den Baum. Und zweitens wird diese Abstraktion wie eine Metasprache benutzt. Dass dies funktioniert, hängt auch mit der Metasprache selbst zusammen, denn Roland Barthes definiert die Metasprache als Signifikant eines Zeichens. Und siehe da: auch die Metapher ist der Signifikant eines Zeichens.
Übrigens trennt sich hier die Metasprache deutlich von der Metakommunikation und der wissenschaftlichen Sprache.
Die Metakommunikation ist ein Aushandeln eines Stücks Gesprächsbedeutung (hoffentlich!), also zwar auch eine Metasprache, aber durchaus mit einem Anspruch auf Gleichberechtigung unter Anwesenden. Eine solche Form der Metasprache ist schon für eine größere Ansammlung von Menschen nicht mehr einzulösen: Rousseaus Traum eines universellen Genfs (wo sich die Bürger auf dem Marktplatz treffen und politisieren) ist durch die schiere Zahl an Bürgern nicht zu verwirklichen, und sollte man auch alle Ausländer vorher rausschmeißen. Dann aber kann die Metasprache nur noch auf scharfer Teilnehmer-Selektion basieren, und deshalb keine Metakommunikation mehr sein.
Die wissenschaftliche Sprache ist genauso eine Metasprache. Allerdings schaltet sie hier mehrere Zwischenstufen ein: zum einen werden Fakten empirisch zusammengefasst und das heißt konnotativ. Diese konnotativen Gruppierungen sind die Signifikate von Zeichen, bilden also eine intuitive Ordnung ab. Diese Geordnetheit wird dann in eine Metasprache gefasst. Zweitens aber gibt es zwischen den Fakten und der Metasprache noch einen zweiten Zwischenschritt: der der Plausibilität, und damit der Möglichkeit, hier eine enge und eng an die Fakten angelegte Argumentation aufzubauen.

Dieser Zwischenschritt dürfte dem Freien Netz Chemnitz so vollkommen unbekannt sein, dass sie die Geburtsstunde der Deutschen Nation auf den 15. März 933 durch Heinrich I. verlegen. Heinrich I., um hier mal etwas konkreter zu werden, wurde im Mai 919 zum ostfränkischen König gewählt. Durch politisches Geschick und Feldzüge konsolidierte er seine Macht bis 936, dem Jahr, in dem er starb. Das damalige politische Gefüge war noch sehr deutlich auf die Fürsten ausgerichtet und Heinrichs Anspruch war es, als primus inter pares, Erster unter Gleichen, zu regieren. Auf den 15. März 933 fällt nun lediglich die Schlacht bei Riade gegen ein Heer von Magyaren. Damit ist natürlich die sogenannte Reichsgründung weder jemals eine Reichsgründung gewesen, sondern lediglich eine Königswahl, noch fällt sie auf den Tag, den der Autor vom Freien Netz Chemnitz benannt hat.

Demnach finden wir auch hier eine Metapher, bzw. einen Metaphernkomplex, der sich leidlich chiffriert: denn gerade mal tausend Jahre später weist das Reichsministerium die Länderregierungen an, die Zuwanderung von "Ostjuden" abzuwehren.

Ich wollte hier eine rhetorische Analyse abliefern, die sich um die lesbare Metapher dreht. Beim Schreiben ist mir bewusst geworden, wie eng verstrickt sich in diesem Blog Metaphernkomplexe, Abstrakta, Symbole und Chiffren zu einem so wortreichen wie verfälschenden Bild zusammenkleistern.


Bleibt nur noch eines zu sagen: Wer seine Identität aus einer namenslosen Evolution zieht, versteht wenig von Verantwortung. Denn gerade die Verantwortung bricht mit der Evolution in dem Sinne, dass sie deren Wirken aufdeckt und intelligibel macht. Und intelligibel heißt zunächst nichts anderes, als dass sie Fakten (wobei Fakten keine Realitäten sind, sondern selbst wieder "nur" Zeichen) strukturiert und in ihrer Gesamtstruktur erfasst.
(Leider muss man hier sagen, dass die völkische Evolution ihr genauso dummdreistes Gegenstück in dem notwendigen Sieg des "Kommunismus" und ähnlichem findet; naturhaft verdinglicht beides, und demnach intellektuell gleichwertig ein Pfui-bäh.)
Die Ergebnisse eines verantwortlichen Umgangs mit der Metasprache dürften weit weniger glorreich ausfallen und weit mehr Heterogeneität aufdecken, als dieses Einheitsgepampe vom deutschen Volk, in dem sämtliche Dummheiten begangen werden, die man nur begehen kann. Dieser Blog gehört zu einem der zahlreichen Blogs, die sich teils chiffriert, teils mit offensichtlicher Verknüpfung von Volkstum und natürlicher Evolution an die Blödheit prostituieren. Von den Kulturforschungen eines, na, sagen wir mal eines Wilhelm von Humboldt, um nicht den Vorwurf jüdisch-amerikanischen Soziologentums zu hören, versteht der Autor jedenfalls nichts. Und von der modernen Evolutionsforschung ebenso wenig.

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