29.10.2012

Disjunktion: ausschließende und alternative Urteile

Noch ein letzter Eintrag, bevor ich nun wirklich ins Bett gehe. Da schreibt doch jemand allen Ernstes auf Facebook, weil Rowling gegen die illegale Veröffentlichung eines ihrer Bücher vorgeht, kriege sie den Hals nicht voll genug. Und dann verknüpft er das auch noch allen Ernstes, wenn auch äußerst suggestiv, mit ihrer verschwiegenen, jüdischen Abstammung.
Ich zitiere wortwörtlich:
Frau Rowling hat ca. 2 Milliarden € mit 'Harry Potter' eingefahren. Nun geht sie gegen Kopien ihres neuen Werkes vor, als nage sie am Hungertuch. Ihr Vater war Manager bei Rover, und ihre Mutter eine hochrangige Offizierin im Heer des United Kingdom. Später trat auch der Vater der Armee bei und arbeitete an der Invasion des Iraks. Geld war nie ein Problem bei denen.Trotzdem kassierte sie zeitweise Sozialhilfe. Ihre jüdische Abstammung verschweigt sie, wie auch die engen Familienbande zu dem Verlag, der sie berühmt machte. Nun prozessieren sie beide gegen Raubkopierer.
Ich sage nur: Manche Leute kriegen den Hals nie voll.
Geäußert hat dies übrigens John Asht!
Muss ich hier die Nazikeule schwingen? Nein, muss ich nicht. Logik reicht.

Die Disjunktionen

Das disjunktive Urteil bei Kant

Kant erläutert das disjunktive Urteil an der Ursache für die Existenz der Welt. Er schreibt (Kritik der reinen Vernunft, A 74), die Welt sei „entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innre Notwendigkeit, oder durch eine äußere Ursache“. Den gemeinsamen Bezugspunkt dieser Urteile nennt Kant Sphäre. Dass zum Schluss nur eines dieser Urteile wahr sein kann (zumindest nach der Physik zur Zeit von Kant), ist das disjunktive Verhältnis der Urteile zueinander.
Allerdings können wir hier feststellen, dass diese Urteile sich zwar notwendig ausschließen werden, aber aktuell sich noch nicht klar zueinander verhalten.
Machen wir uns das an einem Krimi klar: nehmen wir die Situation einer geschlossenen Gesellschaft, in der ein Mord verübt wird. Das Opfer ist erschossen worden. Erschießen kann nun ein jeder, aber es kann auch nur einer und nicht zum Beispiel mehrere gleichzeitig. Daraus ergibt sich folgerichtig: eine der anwesenden Personen muss der Mörder sein, aber solange das dieser einen Person nicht nachgewiesen werden kann, kommen alle Personen in Frage.

Dewey

Diese Sicht ergänzt Dewey in seiner Logik (206f.). Disjunktive Urteile stellen zueinander Alternativen da (entweder ist Peter oder Britta für den Mord verantwortlich); jedes einzelne Urteil dagegen ist hypothetisch (Peter könnte der Mörder sein; Britta könnte die Mörderin sein).
Deshalb bezeichnet Dewey den wichtigsten Aspekt disjunktiver Urteile, dass diese mit praktischen Urteile verknüpft seien, nämlich, wie man weiter damit umgeht. Im Falle unseres Mörders: der Detektiv könnte zunächst die vorhandenen Alibis überprüfen und die Motive herausfinden. Entweder er kann beweisen, dass Peter nicht der Mörder ist (eine Verneinung des hypothetischen Urteils); dann verringert er die Menge der Alternativen. Oder er kann beweisen, dass Peter der Mörder ist (eine Bejahung, bzw. in diesem Fall eine Umwandlung eines hypothetischen in ein bejahtes, kategorisches Urteil); mit einem solchen Beweis werden alle Alternativen ausgeschlossen.

Die folgenden beiden Begriffe sind Begriffe, die ich hier der Bequemlichkeit halber eingeführt habe. Weder die analytische noch die ethische Disjunktion werden Sie in einer klassischen Logik als Begriffe finden und wenn doch, dann sicherlich mit einem anderen Begriffsinhalt.

Die analytische Disjunktion

Ich könnte allerdings auch eine Trennung vornehmen, ohne dass ich andere Urteile ausschließen muss. Das passiert genau dann, wenn eine Sphäre zu komplex ist und die Disjunktion nur einen Zwischenschritt zur Klärung darstellt.
Ein sehr gutes Beispiel ist meine Einteilung der Erzählung in eine syntaktische, narrative und diskursive Ebene. Ich gehe davon aus, dass sich diese drei Ebenen halbwegs nachvollziehbar trennen lassen. Ich gehe weiterhin zum Beispiel davon aus, dass alle drei Ebenen für den Spannungsaufbau wichtig sind. Und schließlich gehe ich davon aus, dass man auf jeder Ebene andere Techniken des Spannungsaufbaus identifizieren kann. Damit behaupte ich aber nicht, dass man in einem konkreten Text diese Techniken der verschiedenen Ebenen nicht miteinander mischen sollte. Im Gegenteil.
Meine Trennung ist also rein analytisch und darf, sofern man einen spannenden Roman schreiben möchte, gar nicht praktisch angewendet werden.
Dasselbe kann man übrigens für das Thema der Lernblockaden feststellen. Analytisch gesehen kann man hier verschiedene Ebenen und verschiedene Ursachen ausmachen. Habe ich allerdings einen Menschen mit einer Lernblockade (oder Schreibblockade) vor mir, muss ich alle diese Ebenen in Betracht ziehen, sonst würde ich diesen Menschen dermaßen vereinfachen, dass er dies allein vom Gefühl her als beleidigend empfinden muss. Auch hier ist die analytische Trennung nützlich, darf aber keineswegs so in die Praxis umgesetzt werden.

Die ethische Disjunktion

Manchmal muss man eine Disjunktion aus ethischen Gründen erzwingen. Leser meines Blogs wissen zum Beispiel, dass ich mich aus bestimmten Gründen für die Gleichstellung von homosexuellen Paaren im Adoptionsrecht stark mache. Das hat nun gar nichts damit zu tun, dass ich Homosexuelle besonders mag. Meine Befürwortung läuft einfach darüber, wie ich über Demokratie und gleiche Rechte nachdenke und hier bisher zu dem entsprechenden Ergebnis gekommen bin.
Aber ich nehme mir trotzdem heraus, den einzelnen Homosexuellen nicht zu mögen. Ein homosexueller Bekannter von mir hat einen Freund, dessen Geplärre und Gekreische mir schlichtweg zuwider ist. Es verursacht bei mir Kopfschmerzen. Und da er auch inhaltlich eigentlich nie etwas zu sagen hat, also uninteressant ist, habe ich ihm das dann mal so gesagt. Das ist mit Sicherheit nicht freundlich! Daraufhin hat er mich, und wen wundert dieses Wort?, als „Schwulenhasser“ bezeichnet. Ich habe ihm dann noch versucht beizubringen, dass es mir völlig egal ist, ob er schwul ist oder nicht, dass mir einfach sein Verhalten auf die Nerven geht, aber das ließ er nicht gelten.
Und hier wird leider, sowohl bei diesem Menschen aus meinem Bekanntenkreis, als auch bei solchen Ausdrücken wie „Hassprediger“, oder dass jemand keine Ahnung von Rezensionen habe (eine Unkenntnis des Textmusters) oder einfach ein Buch nicht gemocht hat (ein Geschmacksurteil), die Sphäre des disjunktiven Urteils ungebührlich vermischt.
Wir erinnern uns noch einmal daran: die Sphäre ist das, worauf hin sich disjunktive Aussagen als gegenseitig ausschließend zusammenfassen lassen. Genauso wenig wie die Akzeptanz von Homosexuellen im allgemeinen etwas mit der Erträglichkeit einer individuellen Person zu tun hat, die zufällig homosexuell ist, genauso wenig kann man von einer Kritik am israelischen Staat auf eine antisemitische Gesinnung schließen. Ebenso muss man ein schlechtes Urteil über ein Buch von der Fähigkeit, Rezensionen zu schreiben, trennen.
Wenn solche Sachen vermischt werden, dann hat das nichts mit disjunktiven Urteilen im Sinne von Kant zu tun, sondern mit einer ordentlichen Trennung der Sphären. Und diese Trennung muss man manchmal deutlich durchsetzen. Sie ist, in solchen Fällen, ethisch zu sehen.

Zusammenfassung

Disjunktive Urteile sind Urteile, die sich in Bezug auf eine bestimmte Erkenntnissphäre ausschließen. Solange keines dieser Urteile bewiesen ist, gilt es als hypothetisch. Sobald eines dieser Urteile bejaht werden kann, müssen alle anderen verneint werden.
Die analytische Disjunktion trennt in der Theorie, um präzisere Untersuchungen zu ermöglichen. In der Praxis dagegen darf dies nicht zu einem gegenseitigen Ausschluss führen.
Die ethische Disjunktion trennt nicht zuallererst Urteile, sondern die Sphären, auf die sich Urteile beziehen.

Und der Bocksgesang: Der Vorwurf des Filzes

Asht wirft Rowling so etwas wie Filz vor. Rowling hat, betrachtet man sich erstmal die reine Tatsache, ein Verhalten angezeigt, das in Deutschland als Unrecht gilt. Ein Unrecht anzuzeigen, das ist nicht nur eine erlaubte Möglichkeit, sondern muss, in bestimmten Fällen, wenn es sich nämlich wirklich um eine Straftat handelt, sogar eingefordert werden. Eigentumsdelikte sind solche Straftaten. Insofern hatte Rowling, bzw. ihr Verlag, eigentlich gar keine andere Möglichkeit. Dass sich bei Eigentumsdelikten im Internet (also bei so genannten Raubkopien und illegalen Downloads) ein riesiges, praktisches Problem auftut, macht die Strafverfolgung schwieriger, den Straftatbestand jedoch schafft es nicht aus der Welt.
Aus welchen Motiven nun Rowling gegen die illegalen Downloads vorgegangen ist, habe ich nicht ermitteln können. Dies mögen auch niedere Motive gewesen sein. Doch wenn man das so dreist behauptet, wie Asht das tut, dann sollte man dies auch beweisen können. Mit diesem Beweisen, es ist ja nicht das erste Mal, tut sich der werte Herr deutlich schwer. Dafür schmeißt er nun wirklich jedes noch so irrelevante Detail in seine Aussage. Ich weiß nicht, was die jüdische Abstammung von Rowling in diesem Klumbatsch von Nicht-Argumentation zu suchen hat. Das wäre doch genau so, als würde ich behaupten, John Asht könne kein Deutsch schreiben, weil er einen englischen Namen trägt.
Warum allerdings Asht des Deutschen nicht mächtig ist, gehört einer komplett anderen Sphäre an, als der Grund, warum er sich ausgerechnet einen englischen Künstlernamen ausgewählt hat.
Und nein: ich bin kein heimlicher Angestellter der großen deutschen Verlagslandschaft. Solche Unterstellungen gibt der Herr ja auch mal gerne zum Besten. Ich kenne das Buch von Rowling nicht. Und ich habe auch nicht vor, es mir zu kaufen oder eventuell ein Rezensionsexemplar zu erschleichen. Die nächsten Bücher, die in meinem Bücherschrank landen werden, ist die Gesamtausgabe der Werke von Siegfried Kracauer. Das hat weder inhaltlich, noch formal etwas mit Rowling zu tun. Und einen lebenden Autor werde ich damit auch nicht in seiner Geldgier unterstützen.
Ob er (Kracauer) jüdische Literatur schreibt, kann ich nicht beurteilen. Ob eine Literatur jüdisch ist, nur weil sie von einem Juden geschrieben wurde, ist eine alberne Argumentation. Das wäre doch so, als wollte man Heine und Schnitzler über einen Kamm scheren. Oder Hannah Arendt, Moses Mendelsohn und Sigmund Freud in einen Topf werfen. Ist es nicht viel schöner, dass sie gerade unterschiedliches gesagt haben und unterschiedliche Blickwinkel zu unserer Kultur beitragen?
Manchmal frage ich mich, ob John Asht nicht einfach langweilig ist. Die Welt wird nämlich so undifferenziert und hat so wenig zu bieten, wenn man sie undifferenziert betrachtet. Wie sagt Richling so schön: „Was ich weiß, ist meine Welt. Je weniger ich weiß, umso dominanter bin ich in dieser Welt.“ (weitere schöne Stellen hier)
Asht gibt sich sehr dominant.

2 Kommentare :

Anubis hat gesagt…

Kurze Anmerkung: Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Vergleichspunkt in der Aufzählung von Lessing, Heine und Schnitzler richtig verstanden habe, aber ersterer war im Unterschied zu Heine und Schnitzler nicht jüdischer Herkunft, sondern stammte aus einem protestantischen Pfarrhaus.

Frederik Weitz hat gesagt…

Ja, Asche auf mein Haupt: ich falle darauf seit 25 Jahren herein. Und immer noch wegen dem Nathan. Es ist wohl ein Automatismus, den ich nicht mehr richtig aus meinem Kopf herauskriegen werde: Lessing ordne ich unter die jüdischen Schriftsteller ein.
Sie haben selbstverständlich recht: er stammt aus einem protestantischen Elternhaus.