10.05.2013

ADHS: Metapher für unerwünschtes Verhalten?

Der amerikanische Psychiater Leon Eisenberg gilt als der Erfinder des psychiatrischen Krankheitsbilds Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätssyndrom, kurz ADHS – im Volksmund auch Zappelphilipp-Syndrom genannt. Mit diesem Etikett werden Kinder und Jugendliche pathologisiert, die in der Schule durch unruhiges, impulsives Verhalten auffallen. In der Regel wird dann von Psychiatern das Stimulanz Methylphenidat (Handelsname Ritalin) verschrieben, welches von Spöttern auch als “Koks mit Kinderfreigabe” bezeichnet wird. Kritiker unterstellen schon seit langer Zeit, ADHS wäre eine erfundene Krankheit.
Kurz vor seinem Tod gestand Eisenberg dem Medizinjournalisten Jörg Blech, daß ADHS ein Paradebeispiel für eine fabrizierte Erkrankung sei, wie die FAZ berichtet. Ferner stellt die FAZ fest, dass psychische Krankheiten keine Krankheiten, sondern ein Deutungsmuster seien: Als psychisch krank würde definiert, was gegen bestimmte Regeln verstoße und von Normen abweiche. Diese Normen wären nicht ein für alle Mal festgelegt, sie könnten sich verändern.
Damit ist nun die konservative FAZ zu einer Meinung gelangt, die der libertäre Psychiater und Psychiatriekritiker Thomas Szaz schon lange war. Szasz meint, es gäbe psychische Krankheiten garnicht im eigentlichen Sinne, sondern nur als Metapher für unerwünschtes Verhalten.
So auf dem Blog meinungsverbrechen.de (den ich insgesamt für bedenklich halte) nach einem Artikel in der FAZ.

ADHS und Diagnosen

ADHS sollte immer mit äußerster Vorsicht behandelt werden. Nicht die Krankheit, sondern die Diagnose. Eines der wichtigsten Ausschlusskriterien für ADHS ist, wenn das Kind erst in der Schule unerträglich wird. Da ADHS ja angeblich auf einen angeborenen Dopaminmangel beruht, hätte sich diese Störung von Anfang an im Verhalten niederschlagen müssen.
Besonders klasse finde ich allerdings die Eltern und die Lehrer, die einfach mal so ADHS diagnostizieren. Deshalb hier, als Zwischenempfehlung, an alle Lehrer: behandeln Sie nie ein Kind auf ADHS, wenn Ihnen nicht ein fachpsychiatrisches Gutachten vorliegt; außerdem sollte ein Behandlungsplan vorhanden sein: den müssen Lehrer nicht erstellen, den dürfen sie nicht erstellen. Für Eltern: Und wenn Sie schon Ihr Kind unbedingt auf eine psychische Krankheit diagnostizieren lassen müssen, akzeptieren Sie, wenn der Psychiater Ihnen sagt, dass das Kind eine Belastungsstörung familiären Ursprungs hat.

ADHS als Metapher?

Nein, natürlich nicht. Eine Metapher beruht immer auf irgendeiner Ähnlichkeit, sei es einer tatsächlichen oder einer gewünschten. In diesem Fall aber handelt es sich zunächst nur um die Bezeichnung einer Krankheit oder Störung.
Allerdings kann man ADHS trotzdem mit einem rhetorischen Effekt versehen sehen. Die Krankheit und dass das eigene Kind diese Krankheit hat, gibt zwischen den Zeilen zu lesen, wie schwierig es ist, wie gestresst man selbst ist, usw. Damit könnte man sagen, dass ADHS etwas ausdrückt, was die Eltern nicht anders anschaulich machen können: ihren eigenen Stress (oder etwas ähnliches). Das aber ist die Definition des Symbols, zumindest im kantschen Sinne (Urteilskraft, § 59). Warum Eltern dies nicht können, warum sie stattdessen die Probleme in Richtung ihres Kindes schieben, steht auf einem anderen Blatt. Unbekannt allerdings ist dieses Phänomen nicht: das Kind ist häufig Symbol und Symptomträger von familiären Störungen. (Wobei man fairerweise dazu sagen muss, dass familiäre Störungen wiederum Symptome einer aktuellen Gesellschaftsstruktur sein können. Das ganze 20. Jahrhundert steht ja im Kennzeichen einer Pathologisierung von Familienstrukturen.)

Der Artikel auf meinungsverbrechen.de

Der Blogname ist Effekthascherei. Quellen werden nicht zitiert, Zitate nicht kenntlich gemacht. Den Text, den ich oben aus dem Blog übernommen habe, ist zu einem guten Teil aus der FAZ geklaut. Das ist nicht nur ein Verstoß gegen das Urheberrecht, sondern für die Diskussion auch wenig hilfreich. Um ein unliebsames gesellschaftliches Phänomen anzugehen, sollte man Netzwerke erzeugen und sei es nur über die Verlinkung. Schließlich muss der Autor damit rechnen, dass viele Menschen eine solche Vorgehensweise zum Glück nicht mehr akzeptieren. Ich jedenfalls habe mich nicht nur über diesen Artikel geärgert, denn die guten Stellen sind woanders her, sondern auch über andere Erzeugnisse des Autors. Wenn er selbst keine neuen Ideen zu diesem Thema beizutragen hat, dann sollte er das bleiben, was er zu sein scheint: ein Sammler, der seine Fundstücke dem Leser präsentiert.

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