06.10.2014

Dialoge schreiben, technische Anmerkungen II

Dialoge zu schreiben ist eine der wichtigsten Aufgaben eines Schriftstellers. Kleine Dialoge, die mehr Dialogfetzen sind, wie auch lange, die eine entscheidende Wendung in der Geschichte markieren.
Es gibt vielfältige Dialoge mit sehr unterschiedlichen Aufgaben. Leider werden diese häufig nicht genutzt, weil die Funktionen eines Dialogs nicht systematisch ausgearbeitet werden.
Systematisch — ich hatte schon im letzten Artikel zu den schriftstellerischen Techniken etwas geschrieben, weil dies häufig ein Aufreger ist. Natürlich wird kein Mensch alle schriftstellerischen Techniken so darstellen können, dass sie die Möglichkeiten eines Schriftstellers, seinen Roman zu schreiben, abdecken. Stattdessen aber nur Allgemeinplätze zu verbreiten ist auch nicht sonderlich sinnvoll.

Qualifizierungen im Dialog

Starke und schwache Qualifizierung

Ich hatte mich beim letzten Artikel vor einer präzisen Definition der Qualifizierung gedrückt. Tatsächlich hat eine solche Qualifizierung zwei Seiten. Zum einen betrifft sie die Atmosphäre eines Redeanteils, zum anderen den Charakter einer Figur. Und hier gibt es wiederum sehr starke Ausdrücke, die eine starke Qualifizierung bewirken, aber auch ganz schwache. Beides hat Vor- und Nachteile.

Übersicht

Zunächst schauen wir uns aber die Möglichkeiten an, wie man einen Redeanteil außerhalb des Redeanteils qualifizieren kann. Außerhalb meint hier die Zusätze jenseits der Gänsefüßchen. Hier gibt es folgende Möglichkeiten:
  • durch ein spezifisches Verb (gelegentlich auch durch metaphorische Verben),
  • durch Adverbien,
  • durch adverbiale Bestimmungen,
  • durch Nebensätze und längere Einschübe.

Qualifizierende Verben

Es gibt eine ganze Menge an Möglichkeiten, Wörter wie sagen, meinen oder rufen zu ersetzen. Dazu gehören kichern, krächzen, brüllen, flüstern, murmeln, usw. Ich habe mir dazu eine Liste angelegt. Die könnte ich hier natürlich abdrucken. Für euch aber wird es besser sein, wenn ihr euch selbst diese Wörter aus Büchern heraussucht. Zugegeben ist das keine besonders amüsante Arbeit, aber so bekommt ihr gleich den Kontext mit, in dem diese Wörter benutzt werden.

Abwechslung und Charakterisierung

Dazu möchte ich eine Warnung loswerden. Es gibt immer noch Menschen, die aus der Schule die Aufforderung mitbringen, Wortwiederholungen zu vermeiden. Und es gibt leider immer noch Lehrer, die Wortwiederholungen stur als Fehler anstreichen.
Dann passieren aber leider folgende Gespräche, wie hier mit einer Kundin: Ich frage die Kundin, warum der Protagonist gerade noch brüllt und jetzt schon grinst. Die Kundin antwortet, dass sie doch nicht immer das gleiche Wort verwenden kann. Ich frage sie, was das für die Charakterisierung dieses Menschen heißt. Nun, daran hatte die Kundin noch gar nicht gedacht.
Achtet also bitte bei euren Dialogen darauf, in welcher Stimmung eure Protagonisten sein sollen. Wenn jemand wütend ist, wird er wohl kaum lächeln, flüstern oder murmeln. Jedenfalls nicht ohne guten Grund. Den sollte man aber dem Leser auch deutlich machen.

Adverbien

Eine andere Möglichkeit sind Adverbien, die ein Verb präzisieren. Stephen King benutzt sie gelegentlich und teilweise auch direkt hintereinander für dasselbe Verb:
»Oh! Echt? Das würdest du tun?«
»Klar«, sagte Richie verwirrt. »Warum nicht?«
»Okay?« sagte Ben glücklich. »Okay, das wäre toll! …«
King, Stephen: Es, 353
Es ist übrigens auffällig, dass Stephen King besonders viele Adverbien benutzt, die Gefühle oder emotionale Zustände ausdrücken, also zum Beispiel: verwirrt, glücklich, kläglich, bestürzt, kichernd, schaudernd, usw.

Adverbiale Bestimmungen

Von hier aus bewegt sich der Dialog in andere Textmustern zurück. Es gibt Einschübe, kleine Zwischenerzählungen, Zusammenfassungen von längeren Handlungen und dergleichen mehr.
Adverbiale Bestimmungen präzisieren nicht nur den Redeanteil, sondern können auch andere Umstände verdeutlichen. Der Redeanteil selbst kann auf folgende Weise genauer bestimmt werden:
»Ich wollte doch nur … ich hatte keine Ahnung, dass …« flüsterte sie mit wachsender Angst und verstummte schließlich.
Eine Möglichkeit, weitere Umstände einzubauen, kann man an folgendem Beispiel sehen:
»Kommst du nun runter oder nicht?« rief er von unten herauf. Seine Stimme klang von dem Echo in der Höhle dumpf und verwaschen.

Nebensätze und weiteres

Hier sind kaum noch exemplarische Regeln möglich. Trotzdem ist es ganz sinnvoll, sich solche Beispiele auch zu sammeln, weil dadurch die Ausdrucksbreite angeregt wird. Hier einige Beispiele aus Stephen Kings Roman:
»Chanel Nummer Fünf«, sagte sie, sich die Hand vor den Mund haltend.
»Genau«, stimmte Richie zu, obwohl er keine Ahnung hatte, was Chanel Nummer Fünf war.

»Oh, bitte, peitschen Sie mich nicht aus, Herrin«, kreischte Richie mit seiner Negerstimme, rollte wild die Augen und faltete die Hände.

»Wow!« sagte Ben schließlich und stieß den Atem in einem abgerissenen, pfeifenden Seufzer aus.

Charakterisierung

Außerhalb des Dialogs

Stephen King zeichnet seine Figuren sehr umfassend. Er nutzt dazu fast sämtliche Mittel, die einem Schriftsteller zur Verfügung stehen, den inneren Monolog genauso wie die erklärende Geschichte. Immer wieder findet sich bei ihm eine Abweichung von der Hauptgeschichte, die nur erklären soll, warum eine bestimmte Figur diesen oder jenen Charakterzug trägt, diese oder jene Befürchtung hegt.

Innerhalb des Dialogs

Will man einen bestimmten Charakter im Dialog schildern, sollte man natürlich auch auf die Konsistenz achten. Ein schüchternes Mädchen wird nicht brüllen und ein Macho wird nicht jammern. Allzu vorsichtig solltet ihr aber auch nicht sein. Viele junge Schriftsteller haben Angst vor Dialogen und vermeiden diese, obwohl sie sich damit eines der wichtigsten Mittel berauben, ihre Geschichten lebendig und abwechslungsreich zu halten. Kein Dialog kann ganz präzise auf eine Figur passen und immer wieder müsst ihr auf schwächere Ausdrücke zurückgreifen, weil ihr für die passenden Worte den Dialog zerreißen müsstet. Hier müsst ihr einfach abschätzen, was euch wichtiger ist: durchgängiger Dialog oder präziser Ausdruck? hohe Geschwindigkeit der Handlung oder feinfühlige Charakterisierung?

Alle Möglichkeiten der Charakterisierung nutzen

Abwechslung ist wichtig, aber Abwechslung um jeden Preis verwirrt den Leser. Schauen wir uns einfach noch eine letzte Stelle an, wieder aus Stephen Kings Buch Es, um zu zeigen, wie er der Beziehung zwischen den fünf Kindern eine sehr eigene Atmosphäre gibt:
Eddie tat das einzige, was ihm einfiel. Er beugte sich vor, legte einen Arm um Stans schlaffe Schultern, schob ihm seinem Aspirator in den Mund und drückte auf die Flasche.
Stan hustete und würgte. Er richtete sich auf, seine Augen nahmen wieder einen normalen Ausdruck an, er hielt sich die Hand vor den Mund. Schließlich keuchte er nur noch etwas und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
»Was war das?« brachte er mühsam hervor.
»Meine Asthmamedizin«, sagte er die entschuldigend.
»Mein Gott, die schmeckt ja wie Hundescheiße.«
Sie lachten alle darüber, aber es war ein nervöses Lachen. Sie schauten Stan besorgt an. Langsam kam wieder etwas Farbe in seine Wangen.
»Sie schmeckt wirklich ziemlich scheußlich«, stimmte Eddie mit einigem Stolz zu.
»Ja, aber ist sie auch koscher?« fragte Stan, und wieder lachten sie, obwohl keiner von ihnen — einschließlich Stan [der Jude ist] — genau wusste, was ›koscher‹ bedeutete. (S. 424 f.)
Eddie wird hier zum Beispiel durch eine liebevolle Handlung, die er ausführt, charakterisiert, dann aber auch dadurch, dass er im Beisein seiner Freunde einen Stolz zeigen kann, den er sonst, vor allem gegenüber seiner Mutter und anderen Kindern aus der Schule, nicht zu haben scheint.
Stephen King fasst die Reaktionen zusammen („aber es war ein nervöses Lachen“) und mischt sich im letzten Satz sehr deutlich als auktorialer Erzähler ein, indem er etwas weiß, was er aus der Perspektive einer der Figuren gar nicht wissen kann. Normalerweise schreibt King in der Ich-Erzählsituation. Hier aber kann er gut wechseln, weil die Hintergrundinformation tatsächlich keiner der Figuren verfügbar ist und weil die Szene insgesamt bereits mit einiger Distanz geschrieben ist, so dass der Ich-Erzähler nicht deutlich an eine Figur gebunden ist.

Damit lassen wir den technischen Teil des Dialogs hinter uns. Schon die Charakterisierung ist deutlich dem Inhalt zuzurechnen. Wir haben auf der einen Seite Werkzeuge, aber auf der anderen Seite brauchen wir eben auch Anhaltspunkte, wie wir diese Werkzeuge sinnvoll einsetzen.

Siebter Teil: Dialoge - Körperräume und Seelenwelten

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