Spiegel-online interviewt Rainer Wendt, den Vorsitzenden einer der deutschen Polizeigewerkschaft, zu den Brandanschlägen auf Berliner Polizeiautos. Es trägt den Titel "Renaissance des linken Terrors" - die Anführungsstrichen gehören zu dem Titel dazu. Das Interview ist aus mehreren Gründen bedenklich.
Gibt es überhaupt linken Terror?
Nein, auf keinen Fall. Die Brandanschläge mögen scheinbar politisch motiviert sein. Sie aber an eine Ideologie zu knüpfen, verkennt, was diese gezielte Sachbeschädigung wirklich ist: ein Dummer-Jungen-Streich. Ich will damit nicht die Taten verharmlosen. Dumme Jungen gründen Sekten und Banken.
Nur die Anbindung an "links", eine besonders unschöne Metapher übrigens, leugne ich. Das ist nun entgegen allen Anwendungen dieses Wortes, ich weiß. Ich sehe hier nur das Problem, dass 1. damit die Partei "Die Linke" in die Nähe von Chaoten gerückt wird (genau das macht Wendt auch später) und dass 2. die wissenschaftliche und philosophische Arbeit von Karl Marx weiter als "Ideologie" des Anti-Staatsterrors mystifiziert wird (was andererseits nicht heißt, dass Marxens Theorie wahr ist).
Es gibt eine sehr konservative Tendenz bei bestimmten Chaoten, sich auf sog. marxistische Denker zu stützen. Allerdings werden diese Denker aus dem Zusammenhang gerissen und verkürzt, dass es sich mehr um Fälschungen der Zitate handelt, denn um eine gute Auseinandersetzung. Ehrlich gesagt ist mit noch kein Linksextremer über den Weg gelaufen, der Ahnung von Marx gehabt hätte. Marx wissenschaftlicher Anspruch wird ja selbst von vielen gemäßigteren Linken gerne unterlaufen. Und wenn im Gegenzug gegen Marx und Engels der Stalinismus, die RAF und andere gewalttätige Organisationen ins Feld geführt werden, so kann man dazu nur sagen, dass diese sich nicht notwendig aus den Marxschen Schriften ableiten. Sie werden dort nicht präfiguriert. Wenn aber hüben wie drüben Marx nicht gelesen wird, ist wohl das eigentliche Opfer hier der Philosoph selbst.
Terror
Man spricht gerne vom Terror. Was aber ist Terror, zumal im Reiche der Politik? Terror müsste man doch am ehesten als einen Zustand bezeichnen, in dem in einer breiten Bevölkerungsschicht ein allgemeines Gefühl der Angst etabliert wird.
Hier bei diesen Brandanschlägen von Terror zu sprechen, ist lächerlich. Die Ziele sind so bekannt, wie ausgesucht. Mit nichts dürfte sich hier ein größerer Teil der Bevölkerung bedroht fühlen.
Ganz anders dagegen die Wirtschaftskrise. Diese hat eine sehr große Verunsicherung in der Bevölkerung bewirkt. Viele Menschen haben Angst. Also kann man hier wohl eher von einem Terror-Regime sprechen.
Ebenso schrecken die harten Ankündigungen der CDU zur Kürzung des Arbeitslosengeldes die Arbeitslosen auf. Sich dagegen zu wehren, zumindest habe ich das in den letzten drei Tagen zweimal gehört, sei nutzlos. Hier resultiert der Terror aus einem politischen Unwissen, ja sogar aus einer tiefen politischen Resignation, gepaart mit einem sozialstaatsfeindlichen Wahlversprechen.
Übrigens sehe ich hier das Problem nicht alleine bei der CDU. Die Bevölkerung ist mittlerweile dermaßen entpolitisiert, von den flachen, glänzenden Abwechslungen der Massenmedien gefangen genommen, dass man ein Stück weit sagen muss: selbst dran schuld, wenn ihr euch an diesem Zirkus nicht gewissenhafter probiert.
Renaissance?
Wendt bedient sich also eines recht unsauberen Vokabulars. Was auch immer die Brandstifter motiviert: weder sind es Linke (zitieren oder sich auf jemanden berufen reicht nicht aus!), noch verüben sie Terror.
Von einer Renaissance des linken Terrors zu sprechen, wie Wendt das macht, kann aber auch nicht richtig sein. Die bundesrepublikanische Situation dürfte heute so weit von der Situation der 70er, auf die Wendt zurückgreift, entfernt sein, wie nur irgend möglich. Es gibt ja auch keine weit angelegten Studentenunruhen und keine allgemein von der Jugend getragene Kultur, die sich aus der etablierten Kultur aussondern möchte.
Schon oberflächlich hinkt hier jeder Vergleich.
Dämon
Dämonisieren Sie nicht einfach den allnächtlichen Hauptstadt-Vandalismus?
fragte der Spiegel-Interviewer. Und Wendt antwortet:
Keinesfalls, die Fallzahlen explodieren doch!
Man verstehe diese Logik.
Vandalismus entsteht häufig aus diffuser Unzufriedenheit heraus, was gerade jetzt naheliegend ist. Und ebenso könnte für manche Jugendliche das Anzünden von Polizeiautos durchaus einfach nur ein "geiler Kick" sein.
Solange die Täter nicht gefasst sind, kann man eben darüber nur Vermutungen anstellen.
Und doch, doch, Herr Wendt dämonisiert hier durchaus, indem er verkausalisiert und vereindeutigt.
Diktatur
Herr Wendt kann jetzt scheinbar nicht mehr umhin, alles an Begriffswolkigkeit aufzubieten, was möglich ist.
Der Spiegel-Interviewer fragt:
Vermuten Sie eine Ideologie hinter den Taten?
Wendt antwortet;
Es ist eine Diktatur des Neides und der Versager.
Nun sollte man Herrn Wendt, ich erinnere daran, dass er Bundesvorsitzender der Polizeigewerkschaft ist, nun sollte man also Herrn Wendt einen kleinen Nachhilfekursus in politischer Begrifflichkeit geben. Eine Diktatur ist eine Staatsorganisation, in der die Politik des Landes ohne demokratische Möglichkeiten der Bevölkerung gelenkt werden, meist mit Hilfe von Polizei und Armee. Das kann hier eigentlich nicht der Fall sein. Die "linksradikale Szene" ist wohl ersichtlich kein Staat.
Überspitzt also Wendt hier in der politischen Begrifflichkeit, so personalisiert und emotionalisiert er in den kausalen Ursachen. Diejenigen, die sich hier wehren, sind also Versager. Aus rein persönlichen Ursachen haben sie es nicht geschafft. Wie Herr Wendt aber erstens genau zu diesen Vokabeln kommt und wie er dies so genau sagen kann, verrät er uns nicht. Offensichtlich hat er einen Kursus in Hellsichtigkeit belegt und erfolgreich abgeschlossen.
Mutmaßungen
In der Hauptstadt stänkert der Regierende Bürgermeister öffentlich gegen die Polizei, und der Innensenator verheizt seine Beamten bei Großdemonstrationen. Ein Teil der Regierung sympathisiert offenbar mit den Linksextremisten und macht sich für sie stark. Das führt bei den Kollegen nicht unbedingt zu einem Motivationsschub. Manche Berliner Polizisten haben die Schnauze voll.
führt Herr Wendt weiter aus. Was Klaus Wowereit nun sagt, was er kritisiert hat, erläutert Herr Wendt nicht. Ob Herr Wowereit gegen die ganze Polizei, oder nur gegen ein Teil von ihnen "stänkert" (vielleicht Herrn Wendt?), erfahren wir ebenso wenig. Mit zwei wenig eindeutigen Metaphern (stänkern, verheizen) dramatisiert Wendt, ohne einen konkreten Kritikpunkt anzubringen. Großdemonstrationen zu ordnen und zu lenken ist nun mal auch Aufgabe der Polizei, und wenn dies die Polizisten tatsächlich verheizt, dann wäre hier die Ursache zu suchen, warum das so ist. Sarrazin wird ja wohl kaum in Zukunft sagen können, dass er die Polizisten nicht mehr bei Demonstrationen einsetzen wird. Keine wirklich gute Alternative, Herr Wendt.
Besonders hübsch ist in diesem Zusammenhang allerdings das Wort "offenbar", drückt es doch genau das Gegenteil von dem aus, was es eigentlich bedeutet. "Offenbar" will hier sagen, dass es nur so aussieht. Das erinnert mich an eine kleine Szene aus Alice im Wunderland (?, jedenfalls irgendwo bei Carroll): "Nein, es sieht nur so aus wie ein Elefant. In Wirklichkeit ist es ein Brief meiner Mutter."
Aber damit ist zugleich die Unterstellung ausgesprochen und zurückgezogen. Ab hier kann man es sich auswählen. "Offenbar" gehört in diesem Kontext zu den Amphibolien (Zweideutigkeiten).
Wem gehört die Polizei?
Der Spiegel-Interviewer fragt:
Wie wird die Deutsche Polizeigewerkschaft künftig ihr Eigentum schützen?
Und Wendt antwortet:
Wir werden vorsichtig sein, glauben Sie mir.
Und ich dachte, die Zeit, als Gewerkschaften ihre eigenen paramilitärischen Einheiten hatten, sind lange vorbei. Aber offensichtlich gehören die Berliner Polizeiautos nicht der Stadt Berlin, sondern dem Herrn Wendt und seiner Organisation.
Rhetorische Strategien
Schauen wir uns, ohne sie systematischer zu koordinieren, die rhetorischen Mittel an, die Wendt benutzt.
- Hyperbolie
- die Übertreibung: Die Übertreibung entsteht hier, indem in unangemessener Weise zum Beispiel ein politischer Begriff in einen anderen Zusammenhang gebracht wird. Wenn Wendt von einer Diktatur spricht, wenn es nicht um einen Staat oder ein Staatsgebilde geht, dann weitet er die Wirkung der "Versager" unzulässig aus. Der angemessenere Begriff wäre hier, wenn schon, Guerilla. - Hyperbolien nutzen häufig metaphorische Sprünge, die Fachgrenzen missachten, Begrifflichkeiten aufweichen, Klarheiten ruinieren. Es gibt ein ganzes lustvolles Reich der Übertreibung in der Satire und Komödie. Dies aber hat Herr Wendt wohl kaum anvisiert.
- Prosopopoiese
- das Jemanden-sprechen-machen, die Unterstellung. Wendt unterstellt sowohl Motivationen bei den Brandstiftern, obwohl er die meisten Täter nicht kennt, noch Psychologe ist. Die Figur der Prosopopoiese gibt dem Gesichtslosen ein Gesicht. In diesem Fall also der linksradikale Szene. Geläufiger ist diese Figur unter dem Namen Personalisierung. In dieser verschränken sich zwei Metonymien. Zum einen wird aus einer Wirkung (angezündete Autos) eine Ursache (Linksradikale) extrahiert. Zum anderen wird aus einem Werk (wiederum die angezündeten Autos) auf ein Wesen (Diktatur der Versager) geschlossen. In der Unterstellung vermischen sich also auf eine recht komplexe Art und Weise rhetorische Strategien, denen man nur mit einer umständlicheren und geduldigeren rhetorischen Analyse beikommen kann. Sprachkritik ist einfach zu langsam für Dummheiten, mag man hier konstatieren.
- Amphibolie
- die Doppeldeutigkeit. Dies ist sicherlich in diesem Interview kein wesentliches rhetorisches Mittel. In dem Wort "offenbar", das ich als Beispiel genommen hatte, steckt zudem ein eher vieldeutiger Zug des rhetorischen Zusammenhangs. Amphibolien haben auch dann Konjunktur, wenn Begriffe unscharf werden. Verliert eine Bezeichnung das darunter liegende semantische Netz, dann geraten die Worte automatisch in Bereiche der Unklarheit hinein. Man kann dann dem Sprachgebrauch Wendts unterstellen, dass dieser zwar nicht bewusst amphibolisch arbeitet, aber durch die Metaphorisierung die fachlichen Begriffe eben auflöst.
- Kausalisierung / Personalisierung
- zu einer Wirkung eine Ursache (er-)finden, zu einer Tat einen Täter (er-)finden. Dies ist wohl die hervorstechendste rhetorische Strategie von Herrn Wendt. Man kann ihm sichtbar keinen Geschmack am vernetzten Denken (Vester) zusprechen. Er identifiziert Ursachen, ohne anzugeben, wie er dies schlussfolgern kann, und er identifiziert Täter und Motivationen, ohne diese zu kennen. Allerdings fragt der Interviewer auch nicht nach. Von der Argumentationslehre her gesehen ist diese Vorgehensweise induktiv, d.h. sie stützt sich in diesem Fall auf die Autorität des Bundesvorsitzenden. Von der Kommunikation her kann man dies nur als als Denunziation bezeichnen.
- Isolation
- Wirkungsgefüge werden auseinandergerissen, abhängige Variablen als unabhängige behandelt. Diese beiden rhetorischen Mittel verschränken sich ebenso mit der Kausalisierung und der Personalisierung. Die Isolation von Bedingungen ist - wie viele rhetorische Strategien - ein Aspekt des wissenschaftlichen Arbeitens. Sie kann auch in der Analyse von Situationen, wie der hier besprochenen, nicht vom Tisch gekehrt werden: es gibt immer einen Arbeitsschritt, in der die Isolation eine wichtige Rolle spielt. Jedoch kann die Isolation nicht am Ende einer Analyse stehen. Soziale Erscheinungen, wie zum Beispiel Gewalt gegen den Staat, sind immer Teil eines größeren Ganzen. Dass diese Gewalt moralisch verwerflich und der Demokratie schädlich ist, kann aber noch nicht schlechte Analysen legitimieren. Denkbar ist doch, aber Wendt erwähnt das mit keinem Wort, dass die Wirtschaftskrise und die Zukunftsängste in der Bevölkerung hier ein Symptom hervorbringen, das sich in gewalttätigen Handlungen niederschlägt. In dem zweiten Aspekt der Isolation haben wir ein genau gleiches Phänomen: eine Variable - z.B. Unmut in bestimmten Bevölkerungsgruppen - wird nicht als bedingte Variable gesehen. Eine bedingte Variable ist eine Variable, die von weiteren Faktoren beeinflusst wird, also ihren Wert nicht "aus sich selbst heraus" bestimmt. Auch hier wird das Wirkungsgefüge zerrissen. Wenn jemand versagt, und dieses Versagen wird ihm als mindere Intelligenz, als boshaften Willen zur sozialen Unangepasstheit oder ähnlichem anmythisiert, dann wird hier - ob zurecht muss man ja immer am konkreten Fall entscheiden - eine unbedingte Variable gesetzt. Wendt nutzt dieses Moment auffallend häufig. Die Brandstiftung an Polizeiautos erscheint wie eine irrationale und autochthone Entwicklung.
- Analogie
- das Gleichsetzen einer Beziehung mit einer anderen (möglichen) Beziehung. Die ganz knappe Fassung der Analogie ist: a verhält sich zu b wie c zu d. Die Situation Anfang der 70er-Jahre verhält sich zum Terror der RAF, so konstatiert Wendt, wie die jetzige Situation zu dem, was kommen wird.
Schluss
So bleibt zum Schluss zu konstatieren, dass Wendt einen überaus unklaren und wenig analytischen Beitrag leistet. Als ich gestern aus der Negativen Dialektik von Adorno zitiert habe, kannte ich das Interview von Wendt noch nicht. Doch es ist klar, dass der werte Bundesvorsitzende sehr deutlich das Böse, Verbrecherische isoliert und identifiziert, und zwar in einer Art und Weise, die bedenkenswert ist.
Zwar ist damit noch nicht gesagt, dass er nicht doch zum Teil Recht hat, aber es ist unwahrscheinlich.
Jedenfalls sieht man hier deutlich genug, wohin eine schlechte Analyse führt: unter der Hand gräbt sich eine hochparanoide Opposition in den Text ein, und - wie man befürchten muss - getragen vom Weltbild Rainer Wendts.
Und das ist nun wirklich ein Grund zur Beunruhigung.
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