06.07.2009

Kreativer Umbau von Denkmustern

Wenn wir auf Kunst reagieren, dann reagieren wir aufgrund unserer eigenen Erfahrung auf ihre Resonanz. Nur selten sehen wir etwas auf eine neue Art und Weise so, dass es uns vollkommen unbekannt erscheint. Stattdessen sehen wir etwas Altes in einem neuen Licht.
Cameron, Julia: Der Weg des Künstlers
Was ich weiter oben unter Nachahmendes Schreiben ausgeführt habe, fasst Cameron hier mit dem Begriff der Resonanz. Resonanz entsteht dort, wo Kunst die eigenen Erfahrungen variiert, aufstört. Hier entsteht gleichsam ein Hohlraum, der zwischen den starren kognitiven Mustern und der starren Welt der Dinge eine Bewegung ermöglicht.
Resonanz ist eine Art kreativer Umbau von Denkmustern. Gewöhnlich sehen wir uns diesen kreativen Prozess in unserem Inneren nicht an, sondern finden die Außenwelt plötzlich spannend. Spannung ist aber nun keine Eigenschaft, die in der Welt vorkommt. Spannung ist eine Fähigkeit unseres Denkens, die sich auf die Welt und in die Welt hineinrichtet.
Wer meinen Blog schon lange kennt, weiß, dass ich mich seit ewigen Zeiten mit dem Phänomen der Spannung beschäftige. Warum aber sind Romane spannend?
Diese Frage kann man nicht konkret beantworten. Spannung entsteht dort, wo eine gewöhnliche Nachbarschaft oder eine gewöhnliche Abfolge eine übergeordnete Bedeutung erahnen lassen. Hinter dem Text wird ein Muster spürbar. Wenn eine Reihe entsetzlicher Morde passieren, dann gilt die Geschichte nicht nur der Suche nach dem Täter, sondern auch der Suche nach dem Muster. Den Täter zu finden befriedigt unseren Glauben an die dingliche und sinnliche Welt. Das Muster zu finden befriedigt unsere Gewohnheit, instabile Phasen zur Stabilität zu führen. Deshalb enden viele Kriminalromane ja nicht mit dem Ergreifen des Täters, sondern mit der Erklärung, der restlosen Aufklärung der Tat. Restlose Aufklärung ist ein anderes Wort für stabiles Muster.
Doch genauso wie im Spannungsroman ist auch unser alltägliches Wahrnehmen, Entdecken und Denken von solchen Zonen der Resonanz geprägt. Plötzlich gerät ein Muster in Unruhe, drängt, erzeugt Neugier, oder - wenn die Unruhe zu groß wird - auch Angst. Die Dinge geraten in Bewegung, weil unsere Muster von diesen Dingen in Bewegung geraten.
In diesem Resonanzraum entstehen übrigens auch die Mikrobewegungen unseres analytischen Denkens. Alles Denken ist analytisch und synthetisch zugleich. Synthetisch ist unser Denken, weil es Muster bildet. Analytisch ist unser Denken, weil es auf den gleichen Gegenstand verschiedene Muster anwenden kann.


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