09.07.2009

Sozialkompetenz

Sozialkompetenz. Entwirren des Begriffsdschungels - heißt jenes nebenstehende Werk in freundlichen 70er-Jahre-Farben. Ich habe es rezensiert. Bei media-mania findet ihr die entsprechende Rezension.
Dabei handelt es sich um eine Doktorarbeit, die eben jene Sozialkompetenz auseinanderklabüstern möchte, die sie auf dem Titel stehen hat. Richtig zufriedenstellen kann dieses Werk aber nicht. Dazu klaffen zu viele Lücken.

Begriffe
Recht bezeichnend ist mittlerweile bei Doktorarbeiten, dass Begriffe, die im Titel genannt werden, in der Arbeit nicht definiert werden. Diesen Fehler macht die Autorin dieser Arbeit nicht. Allerdings kommt im Untertitel das Wort Begriffsdschungel vor, eine Katachrese. Das ist immerhin auch ungewöhnlich für eine Doktorarbeit (aber immerhin besser als ein so zweideutiger Titel wie "Lachen macht Schule!"). In dem Wort kommt der Begriff "Begriff" vor. Leser meines Blogs kennen meine andauernde Klage über schlecht definierte Begriffe. Katja Rost - die Autorin - definiert nun nicht, was ein Begriff ist. Aber immerhin ist sie in der Lage, den Kern eines Begriffes zu nutzen, will sagen: sie schreibt strukturiert und zusammenhängend. Damit definiert sie auch den Begriff des Begriffs implizit. Begriffe strukturieren, vernetzen (bilden Zusammenhänge) und leiten zu einem bestimmten Handeln an (wobei Beobachten als eine Sonderform des Handelns gilt).
Grundlegend bin ich also erstmal einverstanden mit dem, wie die Autorin schreibt.

Historisieren
Es gibt aber eine ganze Reihe von Problemen in dieser Arbeit.
Was mich generell wundert, teilweise auch ärgert, ist die traditionslose Arbeitsweise, die in vielen pädagogischen Gebieten getan wird. Jedenfalls scheint es, als würde ein bestimmter Begriff oder eine bestimmte Denkweise gerade wieder neu erfunden. So kann man aber die ganze Welt der soft-skills durchaus mit der Maximenliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts parallelisieren. Auch Machiavellis Buch Der Fürst ist ja eine Art Management-Literatur für den aufgeklärten Staatsführer.
Und wer wollte bei Wörtern wie Selbsterkenntnis, Entscheidungskompetenz, Reflexionsvermögen und ähnlichen nicht auch mal an Kant und seine drei Kritiken denken? Der diese soft-skills nicht unter diesen Bezeichnungen hat laufen lassen. Und dessen transzendentaler Idealismus sicherlich nicht mehr so gut zu systemischen Betrachtungsweisen passt. Trotzdem weiß Kant durchaus Kluges und Sinnvolles anzuregen, gerade auch für Bereiche wie die soziale Kompetenz. Anregen heißt ja nicht: nachahmen.
Schließlich - um einen der bekannteren zu nennen -: Nietzsche. Nietzsches Projekt könnte man auch mit dem Titel versehen: Der Mensch im großen und kleinen Verkehr. Also in Politik/Kultur und Familie/Alltag. Was Nietzsche zu sagen weiß, ist oft wesentlich besser als mancher moderne Autor vor sich hinschreibt. Wir hätten einen Daniel Goleman nicht in den Bestsellerlisten gebraucht, hätten hinreichend viele Menschen ihren Nietzsche gelesen. Edward deBonos Buch Der kluge Kopf weiß den Aphorismen Nietzsches nichts hinzuzufügen (obwohl deBonos Buch eindeutig eins der sehr guten heutiger Ratgeberliteratur ist).
Die Autorin, Katja Rost, historisiert nun auch, aber nur ein bisschen. Sie geht nicht den historischen Ausprägungen sozialer Kompetenz nach, sondern beschreibt Gründe für den Wandel der sozialen Kompetenz. Falsch ist hier schon, dass der Ausgangspunkt des Wandels garnicht festgestellt wird. So schreibt sie, dass die Hierarchien nach und nach abgebaut werden würden, je mehr sich die Industriegesellschaft zu einer Informationsgesellschaft wandeln würde. Gerade dies ist nicht nur eine fragliche Behauptung. Auch unter historischen Gesichtspunkten ist diese Idee nicht neu. Bestimmte Ausprägungen des Christentums haben diese Enthierarchisierung vertreten. Im Judentum ist jeder ein Rabbiner, der Jude ist und die Thora interpretiert, also im Prinzip jeder Jude. Karl Marx sah im Kommunismus den gleichberechtigten Umgang der Menschen miteinander, ohne Ansehen ihrer Herkunft, also eine enthierarchisierte Interaktion als dominierendes Prinzip.
Man kann der Autorin also vorwerfen, dass sie die Geschichte missachtet und nur deshalb den flachen Hierarchien eine Neuheit zuschreiben kann.
Es ist übrigens seltsam, dass diese völlige Missachtung der historischen Herkunft einher geht mit den großangelegten Projekten der Kulturwissenschaft, Europa über sich selbst aufzuklären. Diese beiden Strömungen stehen im Kontrast zueinander. Aber es gibt auch gewisse Korrespondenzen. Indem die Vergangenheit mit einem zunehmend kritischen Auge betrachtet wird, schält sich eine verwirrende Unsicherheit heraus, wer wir nun eigentlich sind, ob wir nicht die gleichen Fehler wieder begehen, uns auf die gleichen Illusionen einlassen. Demgegenüber steht nun die ganze Ratgeberliteratur, die das andere Feld der Unsicherheiten in den Griff bekommen möchte: das Feld der Zukunft. Sicher ist es wichtig, seinen Halt in etwas anderem zu suchen als einer unhinterfragten Tradition. Ob dies durch Sicherheitsversprechen für die Zukunft bewerkstelligt werden kann, ist fraglich. (Ich übertreibe hier in beide Richtungen maßlos: trotzdem wird man diesen Kontrast, auf den ich hier anspiele, leicht nachvollziehen können.)

Soziologisch diffus
Ein weiteres Problem dieses Buches ist, dass es sich nicht soziologisch fundiert. Wer eine soziale Kompetenz einsetzen möchte, muss wissen, in welcher Gesellschaft dies passiert. Soziale Kompetenzen sind keine Automatismen.
Vor allem aber sind soziale Kompetenzen so vielfältig, dass man eine Situation gut abschätzen können muss, um hier eine bestimmte Strategie mit relativ gutem Erfolg verfolgen zu können. Man braucht ein soziologisch ausgearbeitetes Modell, um den sozialen Sinn einer Methode abschätzen zu können.
Nun bleibt die Autorin hier aber genauso abstinent wie bei der Geschichte. Ein Weniges wird angedeutet. Der Rest ist Schweigen.
Nicht, dass es mich wundern würde. Viele Ratgeber warten mit Heilsversprechungen auf, die ebenso esoterisch wie gesellschaftsblind sind. Keinesfalls sind sie analytisch. Analytisch heißt auch: zum Beobachten und Reflektieren geeignet.


Deutlich ist diese Arbeit zu groß gefasst. Die genauere Diskussion einzelner Aspekte sozialer Kompetenz hätten (mindestens) eine Doktorarbeit für sich gebraucht. Diese Arbeit liefert keinen Aspekt gründlich. Trotz klarer Begriffe zerfasert so alles jenseits einiger klarer Bereiche sofort ins Ungewisse.


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