29.07.2009

Autonomie des Bösen

Böhmes zentrales Problem: Gott von jeder Verantwortung für die Existenz des Bösen loszusprechen → Luzifers Sturz: absolut irrational, reine Kontingenz: Handlung des Engels aus unbegrenzter Freiheit: Gott konnte sie nicht verhindern → Gott wusste nicht, dass Luzifer sich auflehnen würde: total unvorhersehbare freie Handlung, denn Luzifer war, wie alle Engel, frei geschaffen → sein Sturz war nicht notwendig; Michael und Uriel sind treu geblieben → Böhme ist eher bereit, die Idee der Allmacht Gottes aufzugeben als dessen Verantwortung für das Böse zu akzeptieren → Welt der Engel (vor dem Fall Luzifers): eine Welt ohne Gegensatz, ohne Konflikt, ohne Bedeutung → erst die Rebellion Luzifers erzeugt Opposition, Konflikt, Sinn → Gott kann sich bezeichnen (sich manifestieren).
Vielleicht muss man manche heutige Konflikte auf diese Weise verstehen: unbedeutende, marginale Konflikte, offenbar aus freier Willkür begonnen, nicht um zu »gewinnen«, »triumphieren zu lassen«, sondern um zu »demonstrieren« (= genau der richtige Ausdruck): 31. Juli 1977: Anti-Atom-Demonstration (gegen das Atomkraftwerk »Superphenix«) in Creys-Malville: ein Toter, hundert Verletzte → Gefechte in der Presse usw.: Die Gewalt macht sichtbar, offenbart, manifestiert, demonstriert die ökologische Sache auf unumkehrbare Weise → Gewalt: rentabel (Tauschzyklus) unterm Gesichtspunkt der Expressivität → der Konflikt ist das Zeichen dafür, dass ich existiere → = genau der Böhmesche Gott: Er will sich manifestieren, offenbaren (und zwar zunächst sich selbst), und er demonstriert es durch Spaltung, Konflikt, das Böse = Gott ist eine »Demo«.
Barthes, Roland: Das Neutrum, Abschnitt: Der Konflikt

Weil man ihn für einen Dieb hält, wird Genet zu einem Findelkind. Vater und Mutter unbekannt. Niemand will die Verantwortung für seine Geburt übernehmen; es scheint, als habe er sich selbst hervorgebracht, gegen alle, in einer Anwandlung bösen Willens: das Böse ist Grund seiner selbst.
Sartre, Jean-Paul: Saint Genet, S. 36


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