27.09.2014

Die Abschaffung der nicht-qualifizierten Frauen

Recht zufällig bin ich mal wieder über einen Bericht zu Genderfragen gestolpert. Mittlerweile lese ich die nicht mehr mit einer gewissen Ratlosigkeit, sondern eigentlich nur noch mit Verärgerung.

Gender und Gleichberechtigung

Es ist schon äußerst fragwürdig, die Begriffe gender und Gleichberechtigung in einen Topf zu werfen. Gleichberechtigung, so darf man wissen, steht im Grundgesetz. Nun ist der Art. 3 des Grundgesetzes ein Differenzierungsverbot. Und dies steht, geht man rein von den logischen Bedingungen aus, im Widerspruch zum Art. 2, der ein Differenzierungsgebot enthält. Tatsächlich wirken diese beiden aber auf eine recht komplexe Art und Weise zusammen, denn der Art. 3 beschneidet die Einmischung in den Spielraum, den der Art. 2 positiv formuliert.
Lediglich Art. 3 Abs. 2 Satz 2 ist ein Handlungsgebot in positiver Formulierung: der Staat fördert die Durchsetzung der Gleichberechtigung (usw.).
Nur: was hat das mit Gender zu tun? Es gibt viele kulturelle Geschlechter, genau genommen so viele, wie es Menschen gibt. Die meisten davon bewegen sich im Rahmen demokratischer Spielregeln, selbst in nicht-demokratischen Staaten (es ist ein Irrglaube, dass eine Familie in einem patriarchalen Staatssystem automatisch auch patriarchal organisiert sein muss).
Der Gender Datenreport des BMFSFJ (übrigens eine tolle Kombination) ist dementsprechend auf Männer und Frauen ausgerichtet, mehr aber noch auf Erwerbstätigkeit und Einkommensdifferenzen.

Das Gesetz und das biologische Geschlecht

Kritisch zu sehen ist an dieser ganzen Sache, dass der Art. 3 von Männern und Frauen ausgeht, nicht von Konstruktionen des sozialen Geschlechts. Kritisch heißt in diesem Fall allerdings, dass die Reichweite dieses Gesetzes gesehen werden muss. Es geht weiterhin von einem biologischen Geschlecht aus. Das ist auch völlig in Ordnung, wenn man zum Beispiel die wirtschaftliche Situation von Frauen bedenkt, die durch Schwangerschaft und Kindererziehung unsicherer ist als die von Männern.

Die Absorption des Gender

Seltsamerweise (aber da wundert mich bei den Deutschen gar nichts mehr) absorbiert die Frage der Gleichberechtigung die Diskussion des gender. Gender, so hatte ich bereits früher geschrieben, ist ein Begriff der politischen Philosophie; er kann nicht so einfach in die Lehre vom Staatsrecht oder, zu diesem Anlass hatte ich mich damals dementsprechend geäußert, in den praktischen Unterricht an der Schule übernommen werden. (Queer-Theorie und Pädagogik)
Gender mainstreaming, so hatte ich gesagt, ist an der Schule unsinnig, weil wir in der Schule keine politische Philosophie unterrichten, die über grundlegende philosophische Gedanken zum Staatswesen hinausgehen. Hobbes und Rousseau, Montesquieu und Tocqueville, das erscheint mir vernünftig, das erscheint mir praktikabel. Und natürlich darf man dort nicht stehen bleiben. Aber für den Unterricht in der Schule und für das Verständnis des modernen Staatswesens sind das eben immer noch die Grundlagen.
In der Schule wird vor allem eine praktische Ethik gelehrt. In Bezug auf die Tugenden kann Mann-Sein oder Frau-Sein keine Tugend sein. Es darf bloß nicht so sein, dass das Vorbild eines Mannes mehr wert ist als das Vorbild einer Frau.

Rhetorik der Frauenquote

Nun ist die Debatte um das gender in Deutschland gerade deshalb interessant, weil sie rhetorisch so viel verdreht. Sieht man sich die Schriften von Judith Butler an, dann geht es gerade darum, diesen rhetorischen Verdrehungen nachzuspüren und sie aufzuheben. Insofern ist das, was hier in Deutschland passiert, der gender-Theorie geradezu entgegengesetzt.
Nehmen wir zum Beispiel den Begriff der Frauenquote. Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, dass man darauf hinwirkt, dass Frauen in gehobene Positionen kommen. Seltsam wird es erst, wenn sich die Gleichberechtigung daran misst, dass es Frauen in gehobenen Positionen geschafft haben. Was soll das zum Beispiel heißen, dass in den letzten fünf Jahren elf Frauen mehr im DAX-Vorstand sitzen? Klingt ja irgendwie nett. Aber diese Zahl, diese elf, die beunruhigt mich auch schon irgendwie wieder, vor allem, wenn dies so emphatisch betont wird. Elf? Bei wieviel Frauen in Deutschland? 40 Millionen? Meinen die das ernst, mit der elf? Wirklich?
Eine andere seltsame Zahl ist das Gehalt. Im Durchschnitt verdient ein Mann 18,81 €, eine Frau 14,62 €. Nun ist dies mit dem Durchschnitt wiederum eine fragliche Sache. Es ist nämlich auch ein Unterschied, ob eine Frau 7,50 € in der Stunde verdient oder 31,20 €. Das ist der Unterschied zwischen Altersarmut oder nicht. Und der wird einfach mal komplett wegabsorbiert. Hier spielt es auch keine Rolle mehr, ob ein Mann 8 € verdient, also 8% mehr. Ihn wird die Altersarmut genauso treffen.

Verborgene Differenzen

Wie verdreht ein solcher Text dann laufen kann, mag diese Passage zeigen, die peinlicherweise auch noch aus einem sozialistischen Blatt stammt, Neues Deutschland:
Man stelle sich zwei Menschen vor: Der eine männlich, der andere weiblich. Sie absolvieren von Grund auf ähnliche Schulabschlüsse, studieren BWL erst im Bachelor, dann im Master, landen am Ende bei einer großen Bank. Doch irgendwo, dazwischen, in den Wirren der jahrhundertelang aufgeschütteten Geschlechtervorurteile, bleibt einer der beiden auf seinem Posten hängen. Verdient im Schnitt 22 % weniger, als der des anderen Geschlechts. Hat im Schnitt etwa 33.000 € weniger Vermögen als der andere. Einer verdient im Schnitt 18,81 €, der andere 14,62 €. Keine Überraschung - die Person, die schlechter wegkommt, ist die Frau. Welchen Preis zahlen Gesellschaft und Ökonomie für das Festhalten an tradierten Strukturen und Geschlechterstereotypen, fragt deshalb die Gender-Tagung.
Hier ist aber die grundlegende Differenz, die angesprochen wird, nicht die Differenz der Geschlechter, sondern die Differenz, die verschwiegen wird (und man höre die Paradoxie von ansprechen/verschweigen). Es geht hier nicht um die Unterscheidung männlich/weiblich, sondern um die Unterscheidung qualifiziert/nicht-qualifiziert. Für 14,62 € arbeitet niemand bei einer großen Bank. Nicht als Akademiker. Denn das käme auf ein monatliches Gehalt von 2200 € (mit großzügiger Rundung nach oben) für Frauen. Und dafür wird ein studierter BWLer, sei er Mann oder Frau, nicht arbeiten. Das entspricht auch nicht dem, was üblicherweise gezahlt wird. Doch der Artikel tut so, als sei dies das "Leiden" von BWLern. Es ist wohl eher das Leiden von Erzieherinnen und Krankenpflegern. Die Armutsgrenze markiert, entgegen der geschlechtsspezifischen Gehaltsdifferenz, eine Art absolute Grenze, ab der sich die Lebensverhältnisse qualitativ enorm verkomplizieren,
Vor allem aber wird die Gleichberechtigung an dem gemessen, was qualifizierte Frauen sein können, nicht an dem, was nicht-qualifizierte Frauen sind. So schleicht sich, und man kann ja eigentlich schon nicht mehr vom Schleichen reden, sondern eher von einem Trampeln, eine sehr elitäre Betrachtungsweise in den Diskurs.

Kuscheln auf reichem Niveau

Es ist ja schön und gut, von einer gläsernen Decke zu reden, und mit Sicherheit ist es markig, geradezu martialisch, solche Sprüche wie »Die Frauenquote ist nicht zum Kuscheln da« (Manuela Schwesig) zu äußern; aber was nützt einem eine gläserne Decke, wenn diese zugleich alle anderen Bedingungen außen vor lässt? Die Armutsgrenze ist auch kein Kuscheltier.
Weder lässt sich die Geschlechterdiskriminierung ohne eine dazu querliegende Debatte über Armut führen, noch kann eine Vollbeschäftigung ohne Rücksicht auf ein persönliches Verständnis von Lebensglück postuliert werden. Denn was das Glück der einzelnen Frau bedeutet, kann nur sie selbst wissen, nicht eine Statistik, und schon gar nicht eine in sich hermetisch abgeschlossene Mischung aus Selbstbeweihräucherung und Selbstbemitleidung, wie sie von bestimmten akademischen Zirkeln betrieben wird.
So, wie die Gender-Debatte geführt wird, zeugt sie vor allem von philosophischem Dilettantismus und elitärem Gehabe.

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