25.07.2012

31 Fragen an Leser:innen

Melusine schreibt in ihrem neuesten Artikel über Bücher, bzw. über bestimmte Bücher, die nach bestimmten Kategorien ausgewählt sind. Ich nehme das mal als Stöckchen auf und folge ihr.

Ein Buch aus deiner Kindheit
Melusine schreibt: Pippi Langstrumpf. Das könnte ich auch nennen, aber ich erinnere mich auch lebhaft an den Räuber Hotzenplotz von Otfried Preußler, den ich später mit ähnlichem Vergnügen meinem Sohn vorgelesen habe. Mein Kommentar dazu: ein hervorragend geschriebenes und fast schon altersloses Werk. Wer es noch nicht kennt, sollte es dringend lesen.

Das 4. Buch in deinem Regal von links
Melusine hat schon recht, wenn sie fragt, welcher Mensch denn nur ein (Bücher-)Regal besitze. Und der zweite Einwand ist: welche Reihe?
Na gut! Spezifizieren wir das ganze Mal willkürlich auf die zweite Reihe von oben. Dort steht der Anti-Ödipus von Deleuze, das ich während meiner Studienzeit mehrmals gelesen habe. Das letzte Mal hatte ich es vor drei Jahren in der Hand. Ich müsste und dürfte mal wieder hineinschauen, vor allem, da ich es endlich mal geschafft habe, meine Auseinandersetzung mit Kant deutlich auszudehnen und Deleuze sich ja doch teilweise sehr intensiv auf ihn bezieht (man denke an die Verschiebungen der kantschen Paralogismen).
Eine Reihe höher, dort, wo für große Bücher mehr Platz ist, findet sich ein Buch über die Dresdner Gemäldegalerie, eine Reihe darunter (meine Reihe mit den Systemtheoretikern) von Peter Fuchs Intervention und Erfahrung.

Das 9. Buch in deinem Regal von rechts
Ich gehe mal nach ganz unten (im selben Regal): die Entwicklungspsychologie von Oerter/Montada, in einer alten, broschierten Ausgabe (daneben steht die aktuelle, gebundene). Zu dem Buch muss man nicht viel sagen. Für Pädagogen ist dies immer noch und weiterhin ein Standardwerk.
Wechsle ich das Regal, so finde ich (1) Mensch, Kunst! 4, dem Kunstschulbuch aus dem Klett-Verlag, dessen ersten Band ich so liebe. (2) (wobei ich jetzt auch mal das Zimmer wechsle) die Briefe der Droste (also: Annette von Droste-Hülshoff). (3) Den von Jörg Huber und Alois Müller herausgegebenen Band Raum und Verfahren. Darin befindet sich vor allem ein Aufsatz von Marianne Schuller über Freud, Warburg und Benjamin, den wir damals, 1997, im Zusammenhang mit ihrem Seminar Bühne und Gewalt gelesen hatten. Später habe ich mich mit mit den Aufsätzen von Alfred Messerli (Grenzen der Schriftlichkeit) und Aleida Assmann (Exkarnationen: Gedanken zur Grenze zwischen Körper und Schrift) beschäftigt. Da sich im selben Band auch Aufsätze zum Thema Hypermedien und Cyberspace finden, diese aber eben von 1993 sind, müsste ich, alleine wegen der neueren Entwicklungen, diese noch einmal durchforsten. Schon diese Jahreszahl macht mir nostalgische Gefühle.

Augen zu und irgend ein Buch aus dem Regal nehmen
Das geht bei mir nur schlecht, da ich immer recht genau weiß, wo meine Bücher stehen. Ich habe mich aber dann an die zweite Reihe (diesmal waagerecht) in meinem nicht sortierten Bücherregal im Schlafzimmer gewagt und prompt mein Lieblingshassbuch aus dem Hause Gräfe und Unzer hervorgefischt: Basics for Lovers, das mir eine als boshaft zu bewertende Exfreundin geschenkt hat. Diese "Feministin" wollte mich bekehren, oder was auch immer, indem ich ein Buch lese, das über die Normalität des Steinzeitmenschenbewusstseins bei Männern schwadroniert. Tauschen wir Judith Butler gegen die Mammutkeule ein!
Das Buch existiert noch deshalb in meinem Bestand, weil ich es mal rhetorisch untersuchen wollte.
Eingekeilt wird dieses Buch von einem Lehrbuch über abnorme Persönlichkeitsstörungen (rechts) und meiner Zweitausgabe von Derridas Glas. Den Derrida hatte ich mir mal gekauft, weil die Originalausgabe von Glas ein fetter Wälzer in einem unhandlichen Format ist und diese Ausgabe zweibändig und im Taschenbuchformat existiert.

Das Buch mit dem schönsten Cover, das du besitzt
Meine Bücher sind eher prosaisch, vom Cover her. Viele dunkelblau (suhrkamp) oder grünerdig (Meiner-Verlag; grünerdig kommt vom passenden Stift aus meinem Buntstiftkasten, auf dem Grünerde als Bezeichnung steht), manche farbiger, aber meist eben deutlich keine "attraktiven" Buchtitel. Sehr hübsch ist das Cover von writing crime fiction der amerikanischen Autorin Lesley Grant-Adamson (Threatening Eye). Abgesehen von dem herrlich ironischen Bild ist es ein toller, sehr klar geschriebener Schreibratgeber, den ich besser als Beinharts Buch How to write a mystery finde.

6 Kommentare :

MelusineBarby hat gesagt…

Toll, dass du den Ball auffängst ;-). Und spannend, wie unterschiedlich die Regale sortiert sind. Deleuze haben wir, glaube ich, auch irgendwo, aber das meiste, was ich von ihm gelesen habe, war geliehen. Butler - freilich- ist da. Das andere Dingens kenne ich nicht. ("Feministin" ist aber kein Schimpfwort; ich nenn mich auch so!) Die Politikwissenschaft, Geschichte, (Literatur-)Theorie und Philosophie steht bei mir in der zugemauerten Loggia, wo auch mein Arbeitsplatz ist und ich meine Kurse vorbereite. Im Wohnzimmer stehen die Kunstbände, alles über Filme, Fotographiebände, die Reiseliteratur und unsere DVD-Sammlung. Im Treppenhaus sind die Krimis untergebracht, die Karl-May-Bände und die Jugendbücher, auf die wir nicht verzichten wollen (Sagen und so). Im Schlafzimmer dann die ganze Bellestristik. Wenn demnächst in eine kleinere Wohnung umgezogen wird, weil unsere Söhne ausziehen, müssen wir mal schauen, was überhaupt noch "mit kommt". Die e-Books sind meine Rettung, sonst würde ich völlig vermüllen.
Ich verlinke mal auf diesen Post!
LG Melusine

Frederik Weitz hat gesagt…

Liebe Melusine!

Feminist ist für mich auch kein Schimpfwort, wenn der Mensch, der dahinter steht, auch tatsächlich am Feminismus interessiert ist. In diesem Fall muss ich das aber (mittlerweile) verneinen: wer den Feminismus benutzt, um vor allem SICH SELBST als Opfer darzustellen, aber ungebremst über andere Frauen, die ein vielleicht hausmütterliches oder jedenfalls karriereuntaugliches Leben führen, als ungebildet ablästert, verdient für mich diese Bezeichnung nicht.
Aber ich mag solche Bezeichnungen sowieso nicht. Hier wird die Statusmeldung gerne mal zum Egozentriktrip. Ich halte es da mit Rosa Luxemburg. Diese wurde gefragt, warum sie denn nicht zur Frauenemanzipation schreiben würde. Sie antwortete, sie schreibe über eine gerechtere Ökonomie. Darin sei die Frauenemanzipation enthalten.
Ich hoffe, ich kann, wenn auch nicht in dieser Qualität, etwas ähnliches leisten.

MelusineBarby hat gesagt…

Was eine "gerechtere Ökonomie" angeht, bin ich, wie dich sicher nicht verwundern wird, anderer Meinung (auch als Rosa Luxemburg, übrigens). Ich erinnere mich daran, wie die "Genossen" vom MSB-Spartakus vom "Haupt- und Nebenwiderspruch" sprachen usw.

Ich bin auch an der "Frauenemanzipation" im Sinne von Gleichstellung und Gleichberechtigung gerade als Feministin nur mehr bedingt interessiert. Es ist ja der Grundfehler der ganzen "herkömmlichen" ökonomischen Theorien (ob es nun linke oder rechte sind), dass ihre Entwürfe die unbezahlte Arbeit nicht berücksichtigen (ja, ich kenne Engels Text, aber ich sehe nicht, wie das dort erkannte, Eingang in die Theorie der Arbeit gefunden hätte, z.B.).

Es ist für mich nach wie vor eigenartig zu sehen, dass die allermeisten Männer, die ich kenne (mein eigener beinahe eingeschlossen, obwohl seine Wahrnehmungsquote weiblicher, nicht-weißer, nicht heterosexueller Autor:innen wesentlich größer ist, als die der meisten anderen), zu 80%-90% Bezug nehmen auf Texte von weißen, männlichen Autoren und durchaus erwarten, dass frau mit ihren Wahrnehmungshorizont für weit genug hält, um mit ihnen über Gott und die Welt ;-) zu diskutieren. Umgekehrt berücksichtigen die meisten (vor allem akademisch ausgebildete) Frauen in ihrer Lektüre deutlich mehr als 10-20% männliche Autor:innen, sind also durchaus bereit, den "männlichen" Standpunkt und die Perspektive von Männern auf die Welt angemessen zur Kenntnis zu nehmen.

Ich mache inzwischen oft simple Test zum "Referenzrahmen" und zähle einfach durch, auf wen jemand sich positiv bezieht. Daher habe ich die Zahlen. Sie sind stabil, offenbar. Das ist schade.

Langer Rede, kurzer Sinn: Für mich ist die Geschlechterdifferenz faktisch und ideell kein "Nebenwiderspruch", gerade auch was die Ökonomie betrifft. Aber ich halte auch nicht alle unsere Lebensverhältnisse für solche, die sich ökonomisch beschreiben lassen.

Gut gefallen hat mir aber kürzlich, wie du eine stereotypisierende und biologistische Sicht auf die Geschlechterdifferenz zurückgewiesen hast. Darin sind wir völlig einig.

Frederik Weitz hat gesagt…

Liebe Melusine!

Ich stimme dir vollkommen zu. Was, um das zu gestehen, nicht daran liegt, dass du recht hast (was ich ehrlicherweise garnicht beurteilen kann), sondern weil du begründet argumentierst. Ich selber sehe mich in Sachen Feminismus als Dilettanten oder Idioten, wobei ich als Dilettant jemanden bezeichne, der aus Liebhaberei bestimmte Bücher mag und als Idioten jemanden, der sich etwas selbst beibringt. Mein Dilettantismus in Sachen Feminismus betrifft zum Beispiel Judith Butler oder Shoshana Felman.

Was die "weibliche" Literatur angeht, so muss ich Asche auf mein Haupt streuen. Ich liebe zwar Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker oder Ulla Hahn. Aber es fällt mir schwer, über sie zu schreiben. Komplett blind bin ich, was klassische Philosophinnen angeht. Sogar Hannah Arendt ist mir (fast) unbekannt (und das ist eine intellektuelle Katastrophe). Ich möchte mich auch nicht damit herausreden, dass diese Philosophinnen ja garnicht so bekannt seien. Dass man den Horizont nicht erreichen kann, heißt noch lange nicht, dass man ihn selbstzufrieden als für das eigene Leben unnütz ablehnen darf.

Mein Referenzrahmen ist also durchaus konventionell beschränkt.
Ich bin auch mit dir völlig einverstanden, dass die Geschlechterdifferenz kein Nebenwiderspruch ist. Ich kann nur nicht (von meinen Themen her) daraus einen Hauptwiderspruch machen. Das Problem dabei ist: wie sehr hänge ich in meinen persönlichen Interessen in gesellschaftlichen Konventionen drin? Meine persönlichen Interessen verstehe ich gerne als ästhetisch widerständig. Aber das ist wohl auch Bauchpinselei. Umso mehr bin ich eben auch auf Korrektur von außen angewiesen. Auch auf "feministische" Korrektur. Feministisch setze ich hier in Anführungsstriche, weil ich z. B. bei dir wesentlich mehr sehe als "nur" Feminismus. Auch das ist manchmal "feministisch", von der Geschlechterdifferenz abzusehen und andere Differenzen, ästhetische oder ökonomische, in den Blick zu rücken. Dort, wo Regression und Repression passiert.

Ich möchte und werde also deine "Kritik" an mir nicht stillstellen. Ich liebe die Formulierung von Kant, dass wir uns in einem Zeitalter der Aufklärung befinden, aber nicht in einem aufgeklärten Zeitalter. Was für mich heißt, dass ich mich auf dem Weg befinde, aber nicht am Ziel. So ergeht es mir mit "dem" Feminismus.

MelusineBarby hat gesagt…

"Was für mich heißt, dass ich mich auf dem Weg befinde, aber nicht am Ziel. So ergeht es mir mit "dem" Feminismus." - Das trifft auf mich auch zu. :-) Ich bin in so vielen Auseinandersetzungen (auch mit mir selbst) dazu verstrickt. Denn ich bin: eine weiße, heterosexuelle Frau, mit akademischem Abschluss, gut bezahltem Beruf, lebe in einer nurmehr 26jährigen festen Partnerschaft/Ehe und habe 2 KInder. Ich erfülle also alle "Normen" der Mehrheitsgesellschaft. Und das prägt mein Selbstverständnis, meine Wahrnehmungsfähigkeit, mein Selbstbewusstsein. Deshalb brauche ich den Austausch, das Wissen und die Erfahrung von Frauen und Männern, die aus ganz anderen Kontexten kommen, u.a. auch, um zu verstehen, inwiefern ich selbst diskriminierend wirke und argumentiere (was nämlich vorkommt). Ich schäme mich z.B. immer wieder, wenn ich feststelle, wie selbstverständlich Freunde und Freundinnen, die z.B. aus Persienoder China stammen, auf ihrem "Bildungsweg" europäische/westliche Philosophie, Literatur, Kunst rezipiert haben, während ich keine Ahnung von deren Kultur habe.

Sowieso aber gilt: "Nur der Dilettant, der mit Recht auch Liebhaber, Amateur genannt wird, hat eine wirklich menschliche Beziehung zu seinen Gegenständen. Nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf; und darum strömt bei ihm der ganze Mensch in seine Tätigkeit und sättigt sie mit seinem ganzen Wesen, während umgekehrt allen Dingen, die berufsmäßig betrieben werden, etwas im üblen Sinne Dilettantisches anhaftet: irgendeine Einseitigkeit, Beschränktheit, Subjektivität, ein zu enger Gesichtswinkel.” (Erich Friedel) :-) (Auch hier wende ich das durchaus selbstkritisch an. Die "Professionalisierung" - ich bin Berufsschullehrerin und Dozentin - führt auch bei mir zu einer Verengung. Die versuche ich - auch durch das Blog - immer wieder aufzubrechen. Mit wechselndem Erfolg!)

Frederik Weitz hat gesagt…

Wahnsinn!
Wo bist du mein ganzes Leben lang gewesen?
Ich bin zwar immer etwas fragmentarisch, andererseits aber kaum zu bremsen, wenn es um neues Wissen geht. Ich weiß nicht genau, warum ich gerade so viel Kant lese, aber es macht Spaß. Und man kommt aus solchen Ecken, wenn man sie aufmerksam und gelassen durchwühlt, auf jeden Fall erfahrener zurück.
Nicht Wissen sammeln, vor allem nicht "gutes" Wissen, sondern Erfahrungen machen, ohne diese in ein positivistisches Konzept zu pressen.

Was ausländische Freunde angeht: ich erlebe das immer wieder, dass diese Menschen eine Art gesunden Schamanismus besitzen: man betet nicht den EINEN Gott an, sondern sorgt sich um die lokalen Götter. Ich hatte jetzt auch gerade die Diskussion mit einer jungen Kulturwissenschaftlerin aus Indonesien wegen der Konnotation (Eco, Barthes). In der Konnotation gehe ich ja (auch) mit meinen kulturellen Mustern an die Interpretation eines Textes. Die junge Frau hatte nun das Problem, dass sie eine richtige Interpretation liefern wollte und richtig hieß für sie: nicht mit meiner kulturellen Voraussetzung. Wir arbeiten gerade daran, dass sie sich mehr auf ihre eigenen Erfahrungen besinnt. Das ist dann sozusagen die dunkle Seite des "Schamanismus".
In Tunesien habe ich mich mal mit einem Teppichhändler über Habermas unterhalten und zwar gut unterhalten. Erstaunlicherweise war dieser Mensch auch noch Analphabet. Da schämt man sich doch gerne mal für die Deutschen und ihren vermeintlichen Bildungsanspruch.