Alle Berliner seien noch einmal aufgefordert, am 26. April wählen zu gehen und gegen einen konkurrierenden Ethik-/Religionsunterricht zu stimmen. Pro Reli behauptet zwar, dass erst der getrennte Unterricht die verschiedenen Religionen wirklich verbinden könne, aber wer kann schon dieses Argument nachvollziehen?
Ein anderer Grund ist, dass getrennter Religionsunterricht bedeutet, dass jede Religion ein Anrecht auf einen eigenen Religionsunterricht hat.
Das bedeutet, dass es in einigen Berliner Schulen demnächst statt einem Ethikunterricht fünfzehn Religionsunterrichte geben könnte. Damit einher geht erstens, dass hier erst entsprechende Religionslehrer ausgebildet werden müssten, was bei einigen Religionen schwierig sein dürfte; zweitens müssten statt einem Ethiklehrer fünfzehn Religionslehrer bezahlt werden. Das dürfte für Berlin teuer werden.
Zwar soll Pro Reli eine Berechnung vorgelegt haben, nach der Berlin sogar Geld einsparen würde, wenn die Unterrichte parallel laufen, aber die Rechnung basiert anscheinend darauf, dass es als Religionsunterrichte ev./kath. Religion und jüdische Religion gibt. - Fällt Ihnen an dieser Aufzählung etwas auf? Genau! Die muslimischen Religionen fehlen. Nun weiß ja jedes Kind, dass die muslimischen Mitbürger in Berlin den allergeringsten Prozentsatz ausmachen ... und vielleicht hat sich der Herr Lehmann genau dort umgehört.
Zudem: wenn fünfzehn Unterrichte parallel laufen, dann muss es auch fünfzehn verschiedene Räume geben, in denen der Unterricht statt findet. Haben die Leute von Pro Reli noch nie etwas davon gehört, dass in den Berliner Schulen Raumnot herrscht?
Pro Reli redet von Wahlfreiheit, Pro Ethik von Wahlzwang.
Beides ist natürlich Unsinn. Wenn Ethik alleiniges ordentliches Unterrichtsfach ist, dann gibt es hier natürlich einen Zwang, den Pro Reli als Zwangsethik bezeichnet. (Zwangsethik ist ein recht dümmliches Wort.)
Andererseits ist die Alternative zwischen Ethik und Religion eben nur eine Alternative, aus der man dann auswählen muss. Mit Freiheit hat das dann auch nicht viel zu tun. Man kann ja nicht wie der Esel zwischen den beiden Heuhaufen stehen bleiben und einfach verhungern.
Zwangsethik ist deshalb ein dümmliches Wort, weil eine Ethik sich immer auf Normen und Regeln einlässt und natürlich einen gewissen Zwang ausübt. Ethik besteht gerade darin, diese Regeln und Normen geistig so zu verarbeiten, dass man das Sinnvolle und Gute darin erkennt. Ethik besteht also in der Reflexion auf gesellschaftliche Zwänge und deren Abschätzen.
Organisationen wie Schulen und Behörden entscheiden. Sie können nichts anderes als zu entscheiden, Entscheiden ist die Operation, aus der sich Organisationen zusammensetzen. Sie sind keine Gebäude, keine Ämter, keine Menschen und keine Akten, zunächst nicht, sondern Akkumulationen von Entscheidungen.
Organisationen müssen sogar entscheiden, was sie nicht entscheiden. Das ist dann das berühmte re-entry à la Spencer Brown, wodurch sich eine Organisation von ihrer Umwelt abkoppelt.
Es ist also ziemlich egal, was die Umwelten tun. Die Organisation muss entscheiden. Insofern behält die Eigendynamik einer Organisation das letzte Wort. Sie entscheidet, ob Entscheidungen in der Umwelt, zum Beispiel von Eltern, für die Organisation entscheidend sind und welche Programme sie dort einhängt.
Bedenkt man nur im Ansatz diesen Volksentscheid in Bezug auf die Organisation Schule, ahnt man vielleicht, dass die Problemlage insgesamt ganz anders formuliert werden müsste, als dies Pro Reli oder Pro Ethik tun. Ich hatte weiter oben ja schon darauf hingewiesen, dass ich die Argumentationen beider Seiten problematisch finde, mit dem Unterschied, dass Pro Reli schlichtweg demagogisch und dümmlich argumentiert und dass ich einen besseren Weg sehe, wenn man die Pflicht Pflicht sein lässt.
Ich hätte jedenfalls gerne eine andere Schule.
Schule, so wie sie heute ist, kommt aus vielerlei Gründen nicht mit ihren Aufgaben zurecht. Lehrer befolgen weder die Empfehlungen der Berliner Rahmenlehrpläne, noch halten sie sich an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Eltern werfen Lehrern ständig Knüppel zwischen die Beine.
Kinder lernen immer noch nach einem höchst problematischen Bildungsbegriff; ich hatte darauf hingewiesen, dass moderne Unternehmensstrukturen häufig ganz andere Arten des Umgangs mit Wissen einfordern, als dies in Schulen ansozialisiert wird. Würde man sich diesen modernen Unternehmensstrukturen in der Schule anpassen, dann wären wir bei einem dermaßen offenen Unterricht, dass all unsere frontalunterrichtsverliebten Lehrkörper Kontrolldefizittraumata erlitten.
In diese offene Schule gehört dann auch die Ethik, nicht als separates Unterrichtsfach, sondern als integratives Element.
Im übrigen zwei kurze Erfahrungen zum Schluss:
Eine Lehrerin berichtete mir, dass sie sich gegenüber einer Mutter nicht getraut habe, mit ihrem Sohn eine Therapie aufzusuchen, da die Mutter so überbehütend war und so dominierend ihren Sohn als unproblematisch geschildert hat, dass sich die Lehrerin dachte, dass sie mit einer solchen Empfehlung den Rest der Beziehung kaputt macht, die sie zu dem Jungen aufgebaut hatte.
Eine Freundin erzählte mir, dass ihre Tochter im Ethikunterricht eine 4 erhalten habe, weil sie mit dem Lehrer Standpunkte kontrovers diskutiert habe. Ich kenne zwar die Tochter nur von einem Telefonat her, aber an das erinnere ich mich gerne. Da hatte ich eine kritische, teils provokative junge Frau am Telefon, aber eine, die Antworten hören wollte, die wissen wollte, wo die Grenzen meiner Argumentation sind. Jede Argumentation hat ihre Grenzen. Und genau das sollen Kinder und Jugendliche austesten dürfen. Auch dazu ist der Ethikunterricht da. Oder die Lehrer. Oder die Eltern.
Ein anderer Grund ist, dass getrennter Religionsunterricht bedeutet, dass jede Religion ein Anrecht auf einen eigenen Religionsunterricht hat.
Das bedeutet, dass es in einigen Berliner Schulen demnächst statt einem Ethikunterricht fünfzehn Religionsunterrichte geben könnte. Damit einher geht erstens, dass hier erst entsprechende Religionslehrer ausgebildet werden müssten, was bei einigen Religionen schwierig sein dürfte; zweitens müssten statt einem Ethiklehrer fünfzehn Religionslehrer bezahlt werden. Das dürfte für Berlin teuer werden.
Zwar soll Pro Reli eine Berechnung vorgelegt haben, nach der Berlin sogar Geld einsparen würde, wenn die Unterrichte parallel laufen, aber die Rechnung basiert anscheinend darauf, dass es als Religionsunterrichte ev./kath. Religion und jüdische Religion gibt. - Fällt Ihnen an dieser Aufzählung etwas auf? Genau! Die muslimischen Religionen fehlen. Nun weiß ja jedes Kind, dass die muslimischen Mitbürger in Berlin den allergeringsten Prozentsatz ausmachen ... und vielleicht hat sich der Herr Lehmann genau dort umgehört.
Zudem: wenn fünfzehn Unterrichte parallel laufen, dann muss es auch fünfzehn verschiedene Räume geben, in denen der Unterricht statt findet. Haben die Leute von Pro Reli noch nie etwas davon gehört, dass in den Berliner Schulen Raumnot herrscht?
Pro Reli redet von Wahlfreiheit, Pro Ethik von Wahlzwang.
Beides ist natürlich Unsinn. Wenn Ethik alleiniges ordentliches Unterrichtsfach ist, dann gibt es hier natürlich einen Zwang, den Pro Reli als Zwangsethik bezeichnet. (Zwangsethik ist ein recht dümmliches Wort.)
Andererseits ist die Alternative zwischen Ethik und Religion eben nur eine Alternative, aus der man dann auswählen muss. Mit Freiheit hat das dann auch nicht viel zu tun. Man kann ja nicht wie der Esel zwischen den beiden Heuhaufen stehen bleiben und einfach verhungern.
Zwangsethik ist deshalb ein dümmliches Wort, weil eine Ethik sich immer auf Normen und Regeln einlässt und natürlich einen gewissen Zwang ausübt. Ethik besteht gerade darin, diese Regeln und Normen geistig so zu verarbeiten, dass man das Sinnvolle und Gute darin erkennt. Ethik besteht also in der Reflexion auf gesellschaftliche Zwänge und deren Abschätzen.
Organisationen wie Schulen und Behörden entscheiden. Sie können nichts anderes als zu entscheiden, Entscheiden ist die Operation, aus der sich Organisationen zusammensetzen. Sie sind keine Gebäude, keine Ämter, keine Menschen und keine Akten, zunächst nicht, sondern Akkumulationen von Entscheidungen.
Organisationen müssen sogar entscheiden, was sie nicht entscheiden. Das ist dann das berühmte re-entry à la Spencer Brown, wodurch sich eine Organisation von ihrer Umwelt abkoppelt.
Es ist also ziemlich egal, was die Umwelten tun. Die Organisation muss entscheiden. Insofern behält die Eigendynamik einer Organisation das letzte Wort. Sie entscheidet, ob Entscheidungen in der Umwelt, zum Beispiel von Eltern, für die Organisation entscheidend sind und welche Programme sie dort einhängt.
Bedenkt man nur im Ansatz diesen Volksentscheid in Bezug auf die Organisation Schule, ahnt man vielleicht, dass die Problemlage insgesamt ganz anders formuliert werden müsste, als dies Pro Reli oder Pro Ethik tun. Ich hatte weiter oben ja schon darauf hingewiesen, dass ich die Argumentationen beider Seiten problematisch finde, mit dem Unterschied, dass Pro Reli schlichtweg demagogisch und dümmlich argumentiert und dass ich einen besseren Weg sehe, wenn man die Pflicht Pflicht sein lässt.
Ich hätte jedenfalls gerne eine andere Schule.
Schule, so wie sie heute ist, kommt aus vielerlei Gründen nicht mit ihren Aufgaben zurecht. Lehrer befolgen weder die Empfehlungen der Berliner Rahmenlehrpläne, noch halten sie sich an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Eltern werfen Lehrern ständig Knüppel zwischen die Beine.
Kinder lernen immer noch nach einem höchst problematischen Bildungsbegriff; ich hatte darauf hingewiesen, dass moderne Unternehmensstrukturen häufig ganz andere Arten des Umgangs mit Wissen einfordern, als dies in Schulen ansozialisiert wird. Würde man sich diesen modernen Unternehmensstrukturen in der Schule anpassen, dann wären wir bei einem dermaßen offenen Unterricht, dass all unsere frontalunterrichtsverliebten Lehrkörper Kontrolldefizittraumata erlitten.
In diese offene Schule gehört dann auch die Ethik, nicht als separates Unterrichtsfach, sondern als integratives Element.
Im übrigen zwei kurze Erfahrungen zum Schluss:
Eine Lehrerin berichtete mir, dass sie sich gegenüber einer Mutter nicht getraut habe, mit ihrem Sohn eine Therapie aufzusuchen, da die Mutter so überbehütend war und so dominierend ihren Sohn als unproblematisch geschildert hat, dass sich die Lehrerin dachte, dass sie mit einer solchen Empfehlung den Rest der Beziehung kaputt macht, die sie zu dem Jungen aufgebaut hatte.
Eine Freundin erzählte mir, dass ihre Tochter im Ethikunterricht eine 4 erhalten habe, weil sie mit dem Lehrer Standpunkte kontrovers diskutiert habe. Ich kenne zwar die Tochter nur von einem Telefonat her, aber an das erinnere ich mich gerne. Da hatte ich eine kritische, teils provokative junge Frau am Telefon, aber eine, die Antworten hören wollte, die wissen wollte, wo die Grenzen meiner Argumentation sind. Jede Argumentation hat ihre Grenzen. Und genau das sollen Kinder und Jugendliche austesten dürfen. Auch dazu ist der Ethikunterricht da. Oder die Lehrer. Oder die Eltern.
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