21.06.2013

Neuland und Muttifaktor; Katachrese; Sittlichkeit

Satzfiguren

Nein, ich werde keine weiteren Witzchen über Neuland machen, oder, wie man es spezifischer schreibt #Neuland. Wie aber nennt man nun eine Aussage, die offensichtlich lächerlich ist, aber eben nicht ironisch gemeint? In der Rhetorik gibt es die so genannten Satzfiguren, die für dies zuständig sind. Da aber offensichtlich kein Mensch gewollt Sätze ausspricht, die albern sind, hat es dafür auch nie einen Grund gegeben, sie zu bezeichnen.
Satzfiguren sind zum Beispiel die rhetorische Frage oder die Lizenz. Zur rhetorischen Frage muss man, glaube ich, wenig sagen. Die Lizenz ist ein Zugeständnis an den Zuhörer, das aber meistens zurückgenommen wird durch ein Aber oder Trotzdem: "Natürlich hat diese Regierung die Steuern gesenkt …, und im ersten Moment haben die Menschen auch tatsächlich davon profitiert, aber langfristig …".

Katachrese und Metapher

Bei dem Wort Neuland schwanke ich übrigens zwischen einer Metapher und einer Metonymie. Man kann es nicht ganz von der Hand weisen: das, was im Internet passiert, ist teilweise immer noch überraschend. Es ist eben kein vollständiges Neuland, sondern etwas von beidem: viel genutzt, aber immer nur in einzelnen Bereichen; manches wird schlichtweg nicht verstanden. Sieht man es so, dann ist Neuland eine Metonymie, ein Teil des Ganzen. Auf der anderen Seite ist Neuland auch eine Katachrese, jedenfalls in diesem Fall.
Die Katachrese verbindet ein nicht-metaphorisches Wort mit einem metaphorischen. Das ist zum Beispiel bei dem Wort Stuhlbein plastisch. Stühle haben keine Beine; aber die Analogie zwischen dem Stuhlbein und dem menschlichen Bein ist deutlich genug, um die Metapher zu gewährleisten. Der Tagesspiegel, eine Berliner Zeitung, stellt ebenso eine Katachrese dar. Da er täglich erscheint, gilt er für den Tag. Dass er etwas spiegelt (im wörtlichen, d.h. physikalischen Sinne), gehört ins Reich der Metaphern. Es ist eine sehr konventionelle Metapher, weshalb wir darüber kaum noch nachdenken.

Neuland ist deshalb eine Katachrese, weil Land metaphorisch gebraucht wird. Das Internet ist eben kein Raum in dem Sinne. Natürlich nimmt die Hardware Platz weg, ist also räumlich. Aber das, wofür wir das Internet eigentlich gebrauchen, den Austausch von Informationen, kann man schlecht als Raum bezeichnen. Neu dagegen ist keine Metapher, sondern ein Adjektiv, das wohl im eigentlichen Sinne gemeint ist, also eben als in der Vergangenheit noch nicht vorhanden, jetzt aber schon.

Pejorativ

Ebenso ist das Wort Muttifaktor eine Katachrese. Mit diesem Wort wird die hartnäckige und teilweise nicht mehr nachvollziehbare Beliebtheit von Angela Merkel bezeichnet. Alles, was Angela Merkel sagt, gilt als besonders richtig. Auf Facebook habe ich es bereits erlebt, dass erwachsene Menschen, die von Demokratie eigentlich Ahnung haben sollten, gefordert haben, dass Angela Merkel als Bundeskanzlerin auf Lebenszeit gewählt werden sollte. So, wie das bei einer Mutti eben üblich ist. Faktor kann man großzügig als Einfluss übersetzen und damit, dass die Mutti eben Einfluss auf die Meinung hat. Mutti ist gleichzeitig ein Pejorativ, halb abwertend, aber auch halb verniedlichend gemeint.

Nachsatz: Analyse und Sittlichkeit

Neulich beschwerte sich ein Leser meines blogs, dass meine Analysen nie zu einer Praxis führen würden. Ich würde Texte auseinander pflücken, ausführlich kritisch beleuchten und dann nicht sagen, was die Menschen damit anfangen sollen. Ich kann aber einem einzelnen Menschen nicht seine Sittlichkeit vorschreiben. Ich kann nur sagen, wo für mich die Grenzen sind und die Grenzen sind dort für mich gegeben, wo das demokratische Bewusstsein und die demokratischen Gepflogenheiten überschritten werden. Aufklärung über die Verführung durch Sprache halte ich dagegen für sehr wichtig. Und wenn man so etwas wie eine Maxime über meine Analysen stellen müsste, dann wäre das wohl: lasst euch nicht (von der Sprache) verführen! Die Verführung kann nur dort Mittel sein, wo Argumentation nicht mehr hilft, nicht mehr helfen kann. Obwohl auch das eine gefährliche Aussage ist. Die Argumentation gehört für mich zur Demokratie dazu. Sie leichtfertig aufzugeben ist jenes Überschreiten einer Grenze, die durch individuelle Sittlichkeit nicht mehr abgedeckt ist.

5 Kommentare :

Prinz Rupi hat gesagt…

Danke, Wortwart! Endlich wird es uns Neuländern auch wissenschaftlich erklärt, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen……

jofl hat gesagt…

Und mit dem folgenden und hier zitierten Satz hat der Autor sich selbst abgeschafft, genauer: seinem Blog den Garaus gemacht:

(ZItat)
„lasst euch nicht (von der Sprache) verführen!“

(Zitat Ende)

Wir warten auf Vollzug, Frederik!

jofl hat gesagt…

ähem, wollte noch ein

;-)

nachschieben ;-)

Gruß,
johannes

Frederik Weitz hat gesagt…

Genau lieber Rupi: aus alt mach neu. Bei dir warte ich allerdings noch darauf.
Und im Ernst: die Frage nach der richtigen Analyse, also nach der wirksamen, ist für mich wichtiger denn je. Unter welchen Bedingungen und mit welchen Mitteln sprechen wir eigentlich? Mir liegt sehr viel daran, dass die Menschen einen Schritt zurück treten und sich die Sprache anschauen und die Eigendynamik der Sprache. Darauf werde ich gleich noch Johannes antworten.

Frederik Weitz hat gesagt…

Lieber Johannes!

Ich gebe es zu: mein Satz ist etwas salopp. Versuchen wir es mal so: Kritik sei die Kunst, sich nicht auf diese Art und Weise und in diesem Maße regieren zu lassen. Diese Definition stammt von dem französischen Philosophen Michel Foucault. Nun können wir der Sprache natürlich nicht entkommen. Wir können ja noch nicht einmal der Rhetorik entkommen. Aber wir können der Verführung und der Überredung durch die Sprache Widerstand leisten. Das geschieht meiner Ansicht nach nicht, indem wir möglichst oft die Sprache verlassen, also nicht durch eine nicht-sprachliche Praxis, sondern durch die beständige Reflexion. Diese ist natürlich sprachlich und an Sprache gebunden. Deshalb werde ich auch meinen blog abschaffen, ja sogar nicht abschaffen können, denn das wäre kontraproduktiv.
Sinnvoller wäre es, die sprachlichen Leistungen zu vervielfältigen, also alle rhetorischen und poetischen und argumentativen Mittel zu mobilisieren, die Sprache zu bieten hat.