07.05.2009

Eine stets gleiche Rhetorik?

Wenn man von Rhetorik spricht, muss man noch lange nicht von Figuren sprechen, sondern kann erstmal auf einen Willen, auf grundlegende Strukturen hinweisen, zum Beispiel auf Oppositionen.
Gestern abend habe ich einen Text gefunden, der von den Metonymien des Terrors spricht. Hier geht es um die Rhetorik Al-Qaidas.

Eine Metonymie steht in einer räumlichen und/oder zeitlichen Nachbarschaft zu dem, was sie meint, und zwar in der referenzierten Welt.
So kann der Eiffelturm für Paris stehen und Angela Merkel für die Bundesregierung. Wenn ich Goethe lese, lese ich natürlich nur Teile seines Werks. (Hier meine Einführung zu Metonymien.)

Metapher, Metonymie, Symbol
Nun schreibt der Autor des Artikels (Ruthard Stäblein):

Daressalam, Twin Towers, Samara. Orte des Terrors.
Schon hier dürfen wir einhaken. Lakoff zum Beispiel schreibt:
»Nach dem 11. September habe ich die Menschen in meinem Wiener Büro gebeten, nicht das Wort ›Terrorist‹ zu gebrauchen. Es ist ein gefährliches Wort: Es kann jeden Beliebigen brandmarken, ganz egal, ob man ihn mit einem kriminellen Akt in Verbindung bringen kann oder nicht. Sie können den Finger auf einen ›Feind‹ richten, ohne ins Detail zu gehen. Jede Ungenauigkeit ermutigt Menschen dazu, alles in dieselbe Schublade zu stecken, und lizenziert Exzesse. Die Medien sind in einem bestimmten Maß mitverantwortlich: Sie hätten bin Laden als einen kriminellen Attentäter bezeichnen sollen, anstatt den ausgelegten Köder mitsamt Leine zu schlucken und die ›Terrorismus-Geschichte nachzubeten.«
Lakoff, George: Auf leisen Sohlen ins Gehirn
Grund für dieses Argument von Lakoff ist auch, dass hier eine Metapher der persönlichen Bedrohung installiert werde, statt mit rechtsstaatlichen Begriffen zu arbeiten.
Nun muss ich diese beiden Argumente in die Zange nehmen: Stäbleins Text, weil er selbst eine rhetorische Figur benutzt, um seinen ganzen Artikel zu inszenieren, Lakoff, weil er von einer Metapher spricht, wo tatsächlich eine Metonymie gelesen werden kann.

1. Lakoff sagt, Terror sei eine Metapher der persönlichen Bedrohung. Er bezieht sich dabei auf den englischen Ausdruck 'terror', der mit Schrecken übersetzt werden kann. Nun ist genau dies aber keine Metapher, sondern eine Wirkung in Bezug auf eine Ursache. Der Schrecken entsteht natürlich, weil etwas passiert ist, was schrecklich ist.
Auch wenn jemand an einem Grab steht und sagt: "Hier liegt mein Kummer!" und damit seine verstorbene Geliebte meint, dann ersetzt er die Ursache durch die Wirkung. Dies ist eine Metonymie. Und wenn der Terrorist jemand ist, der schrecklich ist, wird er als Verursacher mit der Wirkung seiner Tat vertauscht.

Allerdings stoßen wir hier auf ein Phänomen, das mir derzeit einige Schwierigkeiten bereitet.
Wenn eine Organisation plant, zwei Wolkenkratzer niederzureißen, um die Menschen in Schrecken zu versetzen, dann wird diese Verschiebung ganz bewusst in Kauf genommen.
Wenn ich einen Artikel schreibe, damit die Menschen sagen: der Herr Weitz ist doch ein kritischer Leser und ein toller Hecht obendrein, dann ist das doch schon ein Teil meiner Absicht, wenn ich zu schreiben beginne.
Pläne beruhen immer darauf, dass irgendjemand unser Werk mit uns selbst verwechselt, ja die Wirkung unseres Werks mit unseren eigenen Kompetenzen. In Plänen selbst steckt eine Metonymisierung, die uns so geläufig ist, dass wir sie zunächst nicht bemerken. (Ein Aspekt übrigens, der auch ganz den Kriminalroman beseelt, siehe HIER und HIER.)
Und das ganze Problem dabei ist dann, dass Metonymien sich wunderbar in Texten analysieren lassen, aber ihren Status scheinbar komplett wandeln, sobald sie in der realen Welt passieren. Sie finden nicht im gleichen Diskursuniversum (Bateson) statt.
Das Diskursuniversum, in dem Pläne aufgestellt und realisiert werden, ist - grob gesagt - das Universum des Handelns. Das Diskursuniversum, in dem Metonymien wiederholt und wiederholt werden, ist ein textuelles Universum, ein Universum des schriftlichen Mediums. Natürlich gibt es zwischen beiden sehr enge Zusammenhänge, aber das heißt noch lange nicht, dass man diese vermischen darf.

Hier bin ich allerdings noch nicht weit gediehen. Zum einen könnte man hier genauer auf den Unterschied zwischen Sprachspiel und Lebensform bei Wittgenstein eingehen, zum anderen fällt einem natürlich Foucault ein. Foucault trennt zwischen den Diskursen und den Dispositiven. (Das ist so grob gesagt, dass es fast falsch ist: Hier soll es vor allem darauf hinweisen, dass es einen grundlegenden Unterschied gibt.)

2. Ein typisches Phänomen rhetorischer Analysen ist, dass sie sich selbst in zahlreiche rhetorische Figuren zerteilen. Wie sollte es auch anders sein? Wo Texte sind, finden sich eben auch rhetorische Figuren.
Wenn Stäblein zu Beginn von Orten des Terrors spricht, dann ist das recht zusammengeklumpt gesagt. Zusammenklumpen, ich habe es hier nicht ohne Grund eingesetzt, lautet auf griechisch symballein, zusammenwerfen. Darin steckt das Wort Symbol, und mit Sicherheit ist zum Beispiel "ground zero" ein Symbol. Nur: für was ist es ein Symbol, wenn darin ja etwas zusammengeschmissen wird, was man dann wieder trennen müsste?
Stäblein benutzt selbst das Wort Symbol und hat damit mehr recht, als wenn er der Metonymie folgt, die von dem Buch vorgegeben wird, das er in seinem Artikel rezensiert.

Vielleicht sind Sie jetzt verwirrt.
Tatsächlich untersuche ich hier sehr unterschiedliche Phänomene und meine Argumentation gegen den Begriff der Metapher bei Lakoff ist nicht dieselbe wie meine Argumentation gegen den Begriff der Metonymie bei Stäblein.

Raum und Symbol
Ich möchte hier auf eine weitere Schwierigkeit hinweisen.
Die twin towers sind zum einen Wahrzeichen von New York und in weiterem Sinne von Amerika. Sie stehen für die Stadt und/oder das Land. Diese Figur, das pars pro toto, ist die klassische Form der Metonymie.
Auf der anderen Seite aber sind die twin towers auch Symbole für die amerikanische Kultur. Sie symbolisieren die Kultur, und stehen trotzdem zugleich neben anderen Symbolen, die auch die amerikanische Kultur symbolisieren, Disney-World zum Beispiel oder der Hollywood-Schriftzug. Auch hier sind sie Teil eines Ganzen (von Symbolisierungen), und auch hier haben wir eine Metonymie.
Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass diese beiden Metonymien ohne einander nicht funktionieren. Die räumliche Grenze Amerikas ist eine ideelle Grenze, die sich sozusagen räumlich ausgewiesen hat. Wie jede Nation so ist auch Amerika ein komplexes Gebilde aus Personen, Organisationen, Rechtssystem, Politik, Wirtschaft und dergleichen mehr. Die ideelle Grenze dieses Gebildes dürfte kaum auffindbar sein. Trotzdem wird seine Einheit behauptet, und dazu dient die materielle Grenze, eben die Staatsgrenze.
Wie delikat dieses Verhältnis ist, zeigen nicht nur Kriege außerhalb dieser Grenze, sondern auch, wenn eine organisatorische Aktivität in einen Raum verlagert wird, der nicht innerhalb der räumlichen Grenzen des Landes liegt. Stichwort: Guantanamo.
Jedenfalls basiert der Nationalismus auf der Strategie, diese beiden Grenzen beständig miteinander zu verwechseln und die willkürliche, räumliche Grenze mit der heterogenen, ideellen Grenze zu vertauschen.
Und ebenso wird die räumliche Metonymie mit der symbolischen Metonymie vertauscht.

Dieselbe Funktion findet sich im so genannten klassischen Zitat. "Gehst du zum Weibe, vergiss nicht die Peitsche!", so wird Nietzsche (übrigens - aber wen sollte das wundern? - falsch) zitiert. Und das Zitat steht dann zum einen für das Werk, zum anderen für das Denken.
Die Wirkung eines Produkts steht zum einen für die Arbeit, die sich der Betreffende gemacht hat, zum anderen für die Kompetenzen, die der Produzent "besitzt". Beides sind keine Metaphern, sondern ein Vertauschen von Ursache und Wirkung.

Metapher
Eine Metapher, um das hier noch einmal deutlich zu machen, visualisiert nichts. Sie setzt ihren Bezug über eine Eigenschaft, die dem Metaphorisierenden und dem Metaphorisierten angeblich gleich ist.
"Du Blume!", sagt jemand, und will damit sagen, dass Blumen schön sind und die Angeredete auch schön ist. Schön-sein ist die Eigenschaft, die Blume und Angeredete gleich setzt. Eine Metapher also.

Weil sich Diskursuniversen ständig überlappen und überlagern, kann man jedenfalls nicht so eindeutig von Metonymien reden, und schon garnicht mit einer solch unvorsichtigen Art und Weise.
Der Autor schreibt weiter:

Die Texte des Terrors funktionieren alle nach dem gleichen Schema. Ein Buch legt das Gedankensystem des Terrors offen.
Das bezweifle ich. Aber einen solchen Artikel kann man natürlich nur dann kritisch hinterfragen, wenn man sich mit dem Wirrwarr der Rhetorik eingehender befasst hat.

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