18.02.2014

Loyalität gegen Rechtsstaatlichkeit; und eine prädikative Katachrese (zu Sascha Lobo)

Loyalität oder Rechtsstaatlichkeit?

In den letzten fünf Artikel habe ich meine Unruhe zu dem, was man den Fall Edathy nennt, zum Ausdruck gebracht. Was mich beunruhigt, ist nicht das Verhalten von Edathy selbst. Das ist auf den ersten Blick moralisch bedenklicher. Aber wenn man hier auf einen gesunden Rechtsstaat vertrauen kann, dann auch relativ undramatisch.
Ein gesunder Rechtsstaat wird nicht jede Missetat verhindern können. Eine Missetat ist auch, wenn ein Fehlurteil ausgesprochen wird. Und solange hier die Strafverfolgung ordentlich verläuft, dazu gehört vorher die Beweisaufnahme, darf man prinzipiell äußern, wie man sich zu einem Sachverhalt stellt, und: Ja, ich finde Kinderpornographie scheußlich. Unabhängig davon, ob Edathy sich schuldig gemacht hat oder nicht.
Sascha Lobo hat heute auf dem selben Demokratie-Verständnis die Affäre Friedrich aus der Sicht eines Internet-Aktivisten beleuchtet. Es geht um das Verhältnis von Loyalität und Rechtsstaatlichkeit. Großartig und hier zu lesen!

Die prädikative Katachrese (Beispiel: Sascha Lobo)

Lobo kann uns aber noch etwas ganz anderes erzählen. Er benutzt eine wunderbare und selten gebrauchte Wortfigur. Sie hat keinen wirklichen Namen, was darauf hinweist, dass sie wenig Beachtung gefunden hat. Aus einer Verlegenheit heraus nenne ich sie prädikative Katachrese. Richtiger wäre, sie verbale Katachrese zu nennen (analog zur verbalen Metapher), wenn das Wort ›verbal‹ nicht so doppeldeutig wäre.
Hier erst mal die Stelle:
Auf den zweiten Blick hat sich Friedrich während dieses Überwachungsskandal so deutlich sichtbar beschädigt, dass er zunächst ins Landwirtschaftsministerium hineinscheiterte.
Das Wort, um das es hier geht, ist ›hineinscheitern‹. Es ist zugleich ein Neologismus (Wortneuschöpfung) und eine unpassende Zusammenstellung, da wir das Scheitern nicht als eine räumliche Bewegung empfinden; allerhöchstens als Ursache für eine räumliche, vorwiegend aber institutionelle Begegnung. Wenn jemand ein Ministerium verlässt, dann verlässt er zunächst eine Institution, d.h. eine bestimmte Art und Weise Kommunikation zu strukturieren. Damit verlässt er natürlich auch den Ort, an dem diese Struktur geschaffen und aufrecht erhalten wird, also das konkrete Gebäude. Deshalb gibt es hier diese Doppeldeutigkeit. Beim Scheitern allerdings ist das etwas weit hergeholt und das Lobo hier diesen Weg überspringt, zudem noch ironisch überspitzt, als sei das Landwirtschaftsministerium der Katzentisch für unliebsame Regierungsangehörige, macht den Reiz dieses Wortes aus.

Die prädikative Katachrese (Theorie)

Katachresen sind normalerweise die Wörter, deren einer Teile metaphorisch, der andere Teil tatsächlich (denotativ) ist. Die Tatsache, das ist immer etwas, was sich sinnlich in der Welt finden lässt. Ein bestimmter Apfel ist rot und dies ist eine nachprüfbare Tatsache.
Beim Scheitern haben wir es allerdings nicht mit einer sinnlichen Tatsache zu tun, sondern vor allem (zumindest wenn man der Systemtheorie von Niklas Luhmann folgt) mit einem kommunikativen Ereignis. Solche kommunikativen Ereignisse sind Differenzen, die das Verhältnis von Aussagen strukturieren. Sie finden also zwischen den sinnlich wahrnehmbaren Aussagen statt und so muss man auch die Kommunikation nicht als ein Objekt ansehen, das in der Welt vorliegt und festgehalten werden kann, sondern als etwas, das sich zeitpunktfixiert (so nennt Luhmann das) vollzieht und dann verschwindet. Aufgehoben werden nur die Artefakte der Kommunikation, also zum Beispiel Schriftzeichen, Sätze und Texte, Bilder und Filme.

Gehen wir zu Kant weiter, allerdings von Niklas Luhmann aus, dann ist das Scheitern eine Idee und kein Begriff. Und demnach gelte auch das, was Kant über die Darstellung von Ideen sagt: diese sind indirekt. Er schreibt:
Unsere Sprache ist voll von der gleichen indirekten Darstellungen, nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält.
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Seite 296
Über diese ganze Passage aus Kant (es handelt sich um § 59) kann man ewig lange nachdenken. Für uns ist jetzt nur wichtig, dass die Metapher eine indirekte Darstellung ist, eine Idee sich aber laut Kant nur indirekt darstellen lässt, so dass eine Metapher, die sich auf eine Idee bezieht, diese zugleich veranschaulicht und umgekehrt eine Metapher, die sich auf einen Begriff bezieht, diesen zugleich idealisiert.
Und noch einmal, anders ausgedrückt: bei Ideen ist die Veranschaulichung mithilfe von Metaphern notwendig, bei Begriffen ist diese Veranschaulichung nur der Umstände halber möglich.
Demnach muss man auch zwei verschiedene Katachrese trennen und diese unter Umständen sehr verschieden behandeln. Das ›Stuhlbein‹ ist eine konventionelle Katachrese. Der Stuhl ist ein Begriff und das Bein eine Metapher, um mit beidem einen bestimmten Teil des Stuhles zu bezeichnen.
Wenn Scheitern eine Idee ist, kann man sie sich nicht anders als indirekt, d.h. über Verbildlichungen (Hypotyposen) anschaulich machen. Dann aber ist eine Metapher notwendig und entfaltet einen anderen Witz als bei einem Begriff.

All das mag kompliziert klingen. Für mich gehört es aber notwendig dazu, um die Wirkung bestimmter Wörter und Sätze abzuschätzen. Auch wenn es nun kein wirkliches Ergebnis gibt, so ist dieses Nachdenken über die Sprache das wesentlich Moment, um sich für Sprache zu sensibilisieren. Vielleicht das als schwacher Trost zum Schluss.

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