10.02.2014

Auch das ist eine Art von Grundrecht. NSA, Michael Sams Outing und das Gequatsche hinterher, also die Desorganisation von Mündigkeit ganz allgemein.

Nun hat sich ein aufstrebender Football-Star, Michael Sam, geoutet. Und er hat etwas sehr wichtiges gesagt, eigentlich eines der Grundrechte, über die letztes Jahr am meisten diskutiert wurde: das Recht auf die Zugänglichkeit zu all den Informationen, die über einen selbst vorliegen.

Verantwortung übernehmen

Sam wird folgendermaßen zitiert:
"Ich wollte meine Wahrheit besitzen", sagte Sam. "Niemand außer mir sollte meine Geschichte erzählen." (Zeit online)
Dieses Recht, seine eigene Geschichte mit zu erzählen und den Dialog darüber mitzugestalten, dies findet sich auch in der Philosophie von Hannah Arendt als eine grundlegende Bedingung, an politischen Gemeinschaften verantwortlich teilnehmen zu können.

Der Skandal von solchen Datensammlungen, wie sie bei der NSA und dem befreundeten Geheimdiensten vorgenommen wird, ebenso wie das früher die Stasi getan hat, der Skandal um Spitzel und um Überwachung, der hat nicht nur etwas mit dem gläsernen Menschen zu tun. Das natürlich auch. Viel verletzender allerdings ist, dass hier eine Staatsform, die im Zuge der „Liberalisierung“ die unbequemen Verantwortungen mehr und mehr den Individuen aufgedrückt, diesen auf der anderen Seite die Verantwortung völlig aus der Hand nimmt, selbst aber keine Verantwortung gegenüber den Betreffenden, den Ausspionierten übernehmen muss, weil diese Spionage gar nicht bekannt sind.

Scheidungen und Scheidungskinder

Fallbeispiel: ein Plagiat

Womit wir dann bei meiner guten Ex-Frau wären, die das auch hervorragend kann. Und sie kann das sogar so hervorragend, dass sie drei Tage später selbst daran glaubt. Ich hatte ihr im Herbst 2008 einen längeren Text geschrieben, weil sie dazu dringend Informationen brauchte, vor allem aber, weil sie mich am Vorabend eines Abgabetermins für einen Artikel in einer Fachzeitschrift angerufen hat, übrigens völlig in Panik, und noch kein Wort geschrieben hatte, geschweige denn das Thema wusste. Ich habe also die halbe Nacht hindurch telefonisch Händchen gehalten und gleichzeitig jenen Beitrag geschrieben, den ich dann ein paar Wochen später unter dem Titel ›Langeweile (Zum Diskurs der Jugendkriminalität)‹ veröffentlicht habe.
Da ich ihren Artikel am folgenden Tag durchgelesen und lektoriert habe, wusste ich natürlich, dass sie hier meinen Text weitestgehend übernommen hat. Sehr erstaunlich war allerdings, dass sie dann am Donnerstag, also zwei Tage später, mir gegenüber behauptet hat, ich hätte ihr nur drei Zitate herausgesucht. Und selbst wenn es nur diese drei Zitate gewesen wären, so habe ich doch mehrmals mit ihr telefoniert, in der Nacht, als sie ihren Artikel zusammengeschustert hat. Die Qualität des Artikels, der innerhalb von weniger als 24 Stunden verfasst worden ist, spricht schon für sich. Und es ist nur eine Feinheit am Rande, dass sie mir bis heute nicht gesagt hat, in welcher Zeitschrift der Artikel erschienen ist.
Ebenso hat sie mir erzählt, dass ich nicht als Mitautor auftauchen könne, da das Inhaltsverzeichnis bereits fertig gestellt sein. Das allerdings ist unwahrscheinlich, da die Aktualisierung des Inhaltsverzeichnisses den letzten Arbeitsschritten bei der Erstellung eines Magazins oder Buches angehört.
Wer jetzt übrigens behauptet, ich würde hier ebenfalls ein Märchen erzählen, was ja durchaus gerecht wäre, das zu vermuten, der wird feststellen, dass meine liebe Ex-Frau dem guten Roland Barthes ein Zitat untergeschoben hat, das in meinem Blog richtig von Leon Wurmser stammt. Das ist nun leicht nachzuprüfen. Wie ich es geschafft haben soll, ein falsch zugeordnetes Zitat aus der Flut der Bücher dann richtig zuzuordnen, das wird sie wohl nicht so leicht erklären können. Denn soweit ich mitbekommen habe, hat sie mich tatsächlich des Plagiats beschuldigt. Ich kann dazu nur sagen: auch nach der Faktenlage wäre das noch möglich, ist aber eher unwahrscheinlich. Zumal dieser Abschnitt eine deutliche Ironie aufweist, die der restliche Text des Artikels nicht besitzt. Was unter anderem daran liegt, dass meine Texte allgemein sanft oder beißend ironisch sind, die meiner Ex-Frau dagegen nicht.
Kleine Feinheit zu dieser ganzen Geschichte: nicht nur hat sie mir sofort meine wesentliche Beteiligung an dem Artikel abgesprochen und zwar mir direkt ins Gesicht, sondern sie hat drei Monate später, am Weihnachtsabend, sehr lustig gefunden, dass ich (ihrer Aussage nach) „zu dumm [sei], meine Doktorarbeit zu schreiben“. Und hat sich ein Jahr später gewundert, dass ich mich weigere, mit ihr Weihnachten zu feiern, wenn sie sich für diese Aussage nicht entschuldigt.

Mehr aber als diese Missachtung, die ich schon wegen unseres Sohnes als sehr ungünstig empfunden habe, empfinde ich die Geschichten, die sie sich drumherum erfindet, als deutlich missbrauchend.

Bei dem Buch handelt es sich übrigens um Bindel-Kögel, Gabriele / Karliczek, Kari-Maria (Hg.): ›Jugendliche Mehrfach- und „Intensivtäter“‹. Der entsprechende Artikel mit meinem Anteil findet sich ab Seite 209, meinen Text, gleichwohl gekürzt und umgestellt, im 4. Abschnitt. Das Buch ist im LIT Verlag 2009 erschienen und über Amazon erhältlich. Vielen Dank an Sandra, die darüber gestolpert ist, und etwas irritiert bei mir angerufen hat, vor allem, weil sie das Zitat von Wurmser nicht in dem Buch von Roland Barthes gefunden hat. Bei mir, auf dem Blog, schon. (Es lebe Google!)

Märchen-Angst

Es sind eben diese Geschichten, diese (wie man sie richtig bezeichnet) Märchen, die einen Menschen so verletzen können und ehrlich gesagt, habe ich vor den möglichen Situationen, plötzlich mit einer „Wahrheit“ konfrontiert zu werden, die sich irgendjemand hinter meinem Rücken erfunden hat, eine ziemliche Angst. Eine, dieses Wort sei mir erlaubt, Scheiß-Angst.

Mittlerweile habe ich überhaupt keinen Kontakt mehr zu meinem Sohn. Man muss dazu wissen, dass er nicht man leibliches Kind ist, sondern das Verhältnis schlichtweg auf Liebe und Sorge basiert. In den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, dass sich seine Mutter überhaupt nicht mehr zurückhält, wenn es darum geht, über mich zu lästern. Und so ist offensichtlich letztes Jahr dann auch jener berühmte Tropfen gefallen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Dass sie nicht ans Telefon geht, wenn ich anrufe, bin ich seit Jahren gewöhnt. Dass sich mein Sohn hier verweigert, das kannte ich bisher noch nicht. Und so habe ich heute das Gefühl, dass ich ein billiger Babysitter gewesen bin. Denn wirklich an der Erziehung meines Sohnes konnte ich durch meine schwierige berufliche Lage und meinen rechtlichen Status auch nicht teilhaben. Vater durfte ich immer nur dann sein, wenn es darum ging, unangenehme Aufgaben abzuschieben. Und da ich mich dann tatsächlich auch verweigert habe, hatte ich rasch den schwarzen Peter, hier meine väterlichen Aufgaben nicht verantwortungsvoll übernehmen zu wollen. Was ja auch irgendwie richtig ist, wenn ich in anderen Entscheidungen überhaupt ein Mitspracherecht gehabt hätte.

Desorganisation von Mündigkeit

Michael Sam spricht schon richtig davon, dass man seine eigene Wahrheit besitzen solle. Allerdings ist die eigene Wahrheit, die Wahrheit seines politischen Daseins und seiner gesellschaftlichen Mitwirkung, immer auf ein Zwischen gegründet, gehört also keinem Individuum, sondern immer einer Gemeinschaft. Das ist die großartige Idee, auf die Hannah Arendt ihre Schriften stützt und die in den letzten Jahren von Judith Butler immer stärker angesprochen wird. Dieses Zwischen wird missbraucht, wenn ein Mensch nicht an den Erzählungen mitwirken darf, die im Entstehen sind.
Wichtiger allerdings dahinter ist, das hatte ich ja neulich in meinem Artikel zur Isolation und Vereinheitlichung deutlich gemacht, die Verteilung der Verantwortung, die durch die Rhetorik organisiert wird.

Jörges und seine Brandmauer gegen Rechts

Jörges war schlimm, auch in seiner Video-Reaktion auf die Sendung, in der er Wagenknecht das unterstellt hat, was er selber getan hat. Nicht Wagenknecht kommt nämlich immer mit dem Argument der Kinderarmut, sondern Jörges mit dem Argument des Kommunismus. In seiner allgemeinsten Form gefasst ist der Kommunismus allerdings tatsächlich etwas, worauf eine demokratische Gesellschaft beruht, nämlich auf dem Respekt der Menschen voreinander und untereinander, egal welcher Herkunft, welchen Geschlechts und welchen Berufs sie sind. Das eben ist der Traum von einer klassenlosen Gesellschaft. Und den findet man nicht nur bei Marx, sondern auch bei Denkern mit einem sehr stark liberalen Fundament wie zum Beispiel Whitehead oder Arendt. Deren Philosophie man gerne als „bürgerlich“ bezeichnet.
Schlimm auch, wie das ZDF dann darauf reagiert hat.

Jörges redet zum Beispiel davon, dass die CSU eine „Brandmauer gegen Rechts“ sei. Diese Metapher an sich ist schon schlimm genug. (Zu einigen weiteren Klopfern siehe: Was Jörges verschwiegen wissen wollte.)
Viel schlimmer ist allerdings, dass all die Menschen, die nun Rechts wählen (in diesem Fall wurde die AfD genannt) aus irgendwelchen Gründen gegen Europa wählen. D.h. natürlich gegen die EU. Aber das ist eben eine Verantwortung, die nicht nur auf plötzlich und irgendwie irrsinnig eingestimmten Wählern beruht, sondern auf der gesamten Politik und der Art und Weise, wie Politik auf der europäischen Ebene gemacht wird. Indem man nun diese Wählerstimmen durch ein recht seltsames Argument abschöpft ("Wer betrügt, der fliegt", samt Jörges Interpretation des Sprechers, also der CSU), zudem eines, was den Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nach Deutschland ziehen, eine Verantwortung zuschiebt, die bei den Politikern nicht getragen werden will, indem man Ausländerfeindlichkeit und antieuropäische Haltung in einen Topf wirft (selbst wenn es hier tatsächlich zahlreiche Überschneidungen gibt), erzeugt man eben jenes große Kuddelmuddel, dass man auf einer sachlichen und die konkrete Politik betreffenden Ebene überhaupt nicht mehr zu fassen kriegt. Und dann muss man auf die Ebene der Sprachkritik ausweichen.

Stille Post

Ebenso schlimm ist diese Petition gegen die Thematisierung der Homosexualität im Unterricht. Hier wird systematisch ein Anliegen missverstanden und bewusst missverständlich an die Öffentlichkeit getragen. Das ist nicht nur dämlich, das ist geradezu gefährlich.
Es ist ein beliebtes Spiel. Indem die Informationen wie in dem Spiel Stille Post weitergegeben werden, so dass die ursprüngliche Information überhaupt nicht mehr erreichbar ist, wenn man nicht größeren Aufwand betreiben will, oder Handlungen und Aussagen missliebig interpretiert werden, die Debatte darüber dann allerdings durch einen unnützen Streit abgewürgt wird, als dürfe es keine andere Interpretation als die eine geben, indem also die Rhetorik auch dazu gut ist, eine scharfe Begriffsbildung zu vereiteln, wird durch sie auch die Mündigkeit desorganisiert.
Für Verwirrung kann man eben keine andere Verantwortung übernehmen, als sie zunächst zu entwirren.

Zugänglichkeit zu den die eigene Gemeinschaft betreffenden Informationen, das Recht zur eigenen, nicht aber zur alleinigen Interpretation, auch das ist eine Art von Grundrecht. Es ist eben das Recht, das einen Menschen zu einem politischen und mündigen Bürger macht.

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