23.01.2009

Metaphern

Immer noch bin ich hundemüde. Aber man kann ja nicht den ganzen Tag nichts tun. Also ein bisschen in meinen beruflichen Unterlagen gestöbert, ein wenig in Das wilde Denken gelesen, ein wenig Derrida weiter (Le Retrait de la métaphore), und Lakoff (Auf leisen Sohlen ins Gehirn).

Bei Lakoff findet sich folgender schöner Abschnitt:
Als Hausaufgabe hatten die Studenten einige Texte über Metaphern gelesen. Eine Viertelstunde, nachdem das Seminar begonnen hatte, betrat eine meiner Studentinnen verspätet den Klassenraum, entschuldigte sich und setzte sich. Sie wirkte betrübt, versuchte aber, ihre Fassung zu wahren. Wir fuhren mit der Stunde fort, und schließlich kam sie an die Reihe, ihre Hausaufgabe vorzutragen. Nach wenigen Worten brach sie in Tränen aus. Wir fragten: »Was ist passiert?« Sie sagte: »Mein Freund hat sich gerade von mir getrennt. Er hat gesagt, unsere Beziehung stecke in einer Sackgasse.«
Lakoff schreibt über Metaphern. Er schreibt mit Metaphern.
Betrübt wirken gehört zu den Lichtmetaphern, ähnlich wie bedrückt wirken zu den pneumatischen Metaphern zählt. Beide beziehen sich auf eine Art Authentizität, die erkennbar ist, auch auf eine Art spontanen Erfassens des Gegenübers.
Ebenso gibt es zahlreiche geographische oder räumliche Metaphern für den Menschen oder seine Seele: die Fassung wahren, was bedeutet, dass man beherrscht wirkt, nicht aus der Rolle fällt, dass man mit einem rechnen kann. Ebenso räumlich ist die Metapher in Tränen ausbrechen. Zugleich wird hier auf einen ganz anderen Bereich mit angespielt: den juristischen, insofern man ausbrechen nicht nur als seinen Platz verlassen liest, sondern auch aus den Räumen auszubrechen, in die man - vernünftigerweise - eingesperrt ist. Dritter Bezugsrahmen: die Vulkanologie. In Tränen ausbrechen evoziert eine Art Eruption.
Interessant sind die beiden Metaphern mit der Stunde fortfahren und die Hausaufgaben vortragen. Die erste gehört zu den Reise-Metaphern, ähnlich wie die Beziehung, die in der Sackgasse steckt, zu den Beziehungen gehört, die nicht fortfahren können. Die andere Metapher macht aus einer Kommunikation ein Objekt, das man vortragen kann, wohin auch immer das ist. Jedenfalls konstituiert sich hier eine Art Bühne und ein Bühnenrand, zusammen mit einer Metaphorik der Sichtbarkeit (und des Lichts) die Metaphorik des Raums.
Metaphern sind also keineswegs selten oder gar nur der poetischen Sprache vorenthalten. Im Gegenteil. Wir haben ständig mit ihnen zu tun.
Seltsam allerdings, dass gerade die poetische Sprache, zum Beispiel der Unterhaltungsroman, mit wesentlich weniger Metaphern auszukommen scheint als die politische Rede zum Beispiel. Man lese zum Beispiel:
Als Herr Bilbo Beutlin von Beutelsend ankündigte, dass er demnächst zur Feier seines einundelfzigsten Geburtstages ein besonders prächtiges Fest geben wolle, war des Geredes und der Aufregung in Hobbingen kein Ende. Bilbo war sehr reich und sehr absonderlich, und seit er vor sechzig Jahren plötzlich verschwunden und unerwartet zurückgekehrt war, hatte man im Auenland nicht aufgehört, sich über ihn zu verwundern. Die Reichtümer, die er von seinen Fahrten mitgebracht hatte, waren mittlerweile zu einer Legende im Auenland geworden, und allgemein glaubte man, was immer die alten Leute auch reden mochten, dass der Bühl von Beutelsend voller Stollen sei, in denen sich die Schätze häuften. Und wenn das noch nicht für seinen Ruf genügte, dann staunte man über die ungebrochene Lebenskraft. Die Zeit blieb nicht stehen, aber auf Herrn Beutlin schien sie wenig Wirkung auszuüben. Mit neunzig war er nicht anders als mit fünfzig. Als er neunundneunzig war, sagten die Leute, er sähe noch gut aus; aber unverändert wäre zutreffender gewesen. Manche schüttelten den Kopf und meinten, das sei zu viel des Guten; es sei einfach unbillig, dass jemand (anscheinend) ewige Jugend und obendrein noch (angeblich) unerschöpfliche Reichtümer besitzen sollte.
Obwohl dieser Abschnitt wesentlich länger ist, muss man genauer hinschauen, um die Metaphern herauszufinden.
Kein Ende zum Beispiel ist keine Metapher, sondern eine Hyperbel, eine Übertreibung. Kein Ende gehört zusammen mit den Ausdrücken sehr reich und sehr absonderlich und plötzlich verschwunden, unerwartet zurückgekehrt zu den Konnotationen des Komischen in dieser Passage.
Die erste wirkliche Metapher ist ungebrochen, Lebenskraft eine Katachrese, die ungebrochene Lebenskraft also eine metaphorisierte Katachrese. Als Katachrese bezeichnet man den tropischen Missbrauch, hier, dass das Leben (Bilbos) aus sich heraus eine Kraft habe, während es wohl mehr die einzelnen Taten sind, die summa summarum zusammengefasst werden. Ungebrochen nun geht auf ein Ding zurück. Krüge sind ungebrochen (sofern sie nicht in die Hände von Kleist geraten), Stecken, Stäbe und Stangerln. Es impliziert die Ganzheit und more metaphorico natürlich auch die Gesundheit und die Kontinuität dieser Gesundheit.
Statt Uhr schreibt Tolkien Zeit. Die Zeit blieb nicht stehen ist aber insofern eine schwierige Trope, als dass die Uhr die Zeit nicht wirklich ersetzt und auch nicht von ihr ersetzt wird. Es kann sich auch nicht direkt um eine Metonymie handeln. Das liegt unter anderem daran, als es neben der gemessenen Zeit auch eine Art kognitiv erschlossener Zeit gibt, die zwar nicht im Gleichlauf mit der Uhr geht, aber gewisse Ähnlichkeiten hat. Die Zeit ist ein ganz besonderes Problem und damit natürlich auch die Uhr.
Die letzte Metapher in diesem Text ist zutreffend. Lakoff schreibt über die zahlreichen Metaphern des Krieges und des Streites, mit denen wir den Dialog metaphorisieren: die Oberhand gewinnen, einen Schnellschuss abliefern, um Verständnis ringen, sein Ziel verlieren. Etwas treffend ausdrücken, diese Metapher ist mit dem Ziel, auch mit dem Schießen als bildspendendem Bereich verbunden.
Es gibt noch einige andere rhetorische Besonderheiten in diesem Text. Vor allem sind es die narrativen Figuren, also tropische Erscheinungen, die über den Satz hinaus auf Erzählmittel verweisen, die auch diesen Text strukturieren. Diese möchte ich hier aber beiseite lassen und mich auf die Metapher konzentrieren.
Man kann also zunächst einmal exemplarisch an diesem erzählenden Text festhalten, dass es sehr wenige deutliche Metaphern gibt, vergleicht man dies mit dem wissenschaftlichen Text von Lakoff.
Eine kurze Durchsicht von Texten zu den derzeitigen Kampfhandlungen im Gaza-Streifen offenbart vor allem räumliche Metaphern. Dazu gehört auch die Metapher, man wolle die UN-Resolution umsetzen, die sich einerseits auf einen Ortswechsel einer (Kultur-)Pflanze bezieht, hier aber vor allem ein Theorie-Praxis-Verhältnis metaphorisiert.
Bei Waffenruhe handelt es sich wiederum um eine Katachrese: ruhen tun zuallererst nicht die Waffen, sondern die Kämpfer, die diese bedienen. Übrigens kann man Waffenruhe ähnlich wie die Truppen werden in ihren Aktivitäten nicht nachlassen (bis eine diplomatische Lösung gefunden worden ist) durchaus als Euphemismus bezeichnen. Der Tod von Menschen wird hier ausgespart.
Noch eine Anmerkung in eigener Sache: ich habe eben geschrieben, eine diplomatische Lösung finden. Erstens findet man Lösungen nicht, man verhandelt sie oder - besser - konstruiert sie. Zweitens ist Lösungen ebenfalls ein euphemistischer Begriff. Die Aufgabe von Verträgen ist es, einen Raum positiver Rechtlichkeit zu schaffen, Verfahren zum Durchsetzen und Aufrechthalten dieses Rechts zu etablieren. Damit gibt es eben keine Lösung. Der Konflikt verschwindet nicht, sondern wird durch den Vertrag strukturiert. Hier wird der Vertrag als ein Kalkül der unterschiedlichen Mächte durch eine Art Ostereier-Suche mit schicksalhafter Wende ausgedrückt. Das ist nicht unbedingt das richtige Vokabular, um einen so hartnäckigen Konflikt journalistisch anzugehen.

Wer noch mehr erwartet: ich sammle erstmal. Weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen ist nicht unbedingt die Aufgabe eines Wissenschaftlers. Kann es auch sein. Hier nicht.
Ich habe sogar weder die Grundstruktur einer Metapher angesprochen, noch die Problematik von Metaphern. Wer sich mit Metaphern beschäftigen möchte, dem rate ich, hier eigene Versuche an Texten anzustellen, aber sich (noch) nicht mit den Feinheiten zu quälen. Denn eines kann man in einem etwas verknappten Nachsatz zu Derridas Schriften über die Metapher (Le Retrait de la Métaphore, La Mythologie blanche) sagen: Metaphern sind ein Irrsinn.

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