04.08.2008

Literarischer Kanon

Mit den sauber gesetzten Quellen hat man es übrigens auch an den Uni zu tun, bzw. erschreckenderweise nicht zu tun. Das scheint vielerlei Ursachen zu haben.
Eine der wichtigsten ist, dass der literarische Kanon aufgelöst gilt, und man mit Klassikern so seine Mühe hat. Selbst in gebildeten Schichten findet man eine mittlerweile so große Unkenntnis der klassischen deutschen Literatur, geschweige denn älterer lateinischer, kirchengeschichtlicher oder griechischer Klassiker, dass man sich schütteln kann. Ich meine, zumindest sollte man doch wissen, dass die Metamorphosen von Ovid sind, die Göttliche Komödie von Dante und die Bekenntnisse von Augustinus.
Damit einher geht aber auch Geschichtsunbewusstsein; und - in der logischen Form - ein Unbewusstsein der Ableitung, der Quelle, des Zitats. Dabei sollte es gerade heute, im computerisierten Zeitalter, möglich sein, sich eine Sammlung an Zitaten und Quellen zusammenzustellen, die genügend differenziert ist und mit der man systematisch arbeiten kann. Aber viele Professoren scheinen ja nicht mal mehr einen Zettelkasten zu führen und ein solch enormer Zettelkasten, wie Niklas Luhmann hinterlassen hat, wird als Unikum und Tat eines genialen Wahnsinnigen betrachtet.
Es ist vielleicht das Zeichen einer maroden Zeit, dass der Quellenverweis durch den Markenschutz ersetzt wird.

Vielleicht liegt mein Bewusstsein für Quellen - und nicht, wie Herr Muskatewitz schrieb, für Recht - einfach daran, dass ich kein Trainer oder Berater bin, sondern mich immer noch als Literaturwissenschaftler verstehe.
Und vielleicht liegt dieses Selbstverständnis auch darin begründet, dass ich einen Text als Struktur verstehe, die man untersuchen kann und von der es sich zu lösen gilt. Ich weiß also, dass ich nur zu lesen brauche, um mein Eigenes ins Spiel zu bringen und habe damit nicht das Problem der Originalität. Und damit gehen ja Berater und Trainer gerne hausieren.

Schließlich gehört in diesen Dunstkreis auch der Vorwurf des name-dropping und des Zitierens: als ob es eine Schande sei, zu zitieren, oder den Urheber eines Gedankens, eines geistreichen Bonmots offen zu legen. Ja, als müsse man alles frisch wie ein Neugeborenes und ganz aus sich heraus in die Wiege des Gesprächs einbringen; Zwang zur Authentizität, zur "geistigen" Unabhängigkeit, zur Geschichtslosigkeit.
Was für ein bodenloser Unsinn!

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