25.01.2014

Eigentlich langweilig, rhetorisch aber immer wieder interessant

Ich habe mir gerade eine kleine empirische Untersuchung erlaubt. Da Jörges behauptet, Wagenknecht habe ständig unterbrochen und kein vernünftiges Gespräch aufkommen lassen, habe ich ausgezählt, wie oft Sahra Wagenknecht unterbrochen hat und wie oft sie unterbrochen worden ist.
Ergebnis bis zur 30. Minute: Wagenknecht hat 7 mal unterbrochen und ist 18 mal unterbrochen worden. Nicht mitgezählt habe ich, wo Lanz unterbrochen hat und Wagenknecht das ignoriert hat, so dass Lanz nachgedrängelt hat.

Vernünftige Diskussion. - Was die vernünftige Diskussion angeht: ich weiß nicht, was daran vernünftig ist, wenn man einem Diskutanten vorwirft, es sei alles ein großer Stuss. Das kam von Jörges. Und ich weiß auch nicht, was daran vernünftig sein soll, Wagenknecht ein Bekenntnis zu Europa abzudrängeln, wo sie vorher schon dreimal gesagt hat: Europa ja, aber bitte nicht so.

Gemeinschaft. - Ignoriert wurde auch, dass Wagenknecht gerade die Befürchtung hat, dass Europa zerfällt. Würde man dagegen die Argumentation von Jörges weiterverfolgen, dann hat Europa gerade ein Interesse daran, die armen Länder arm zu halten, wenn sie die "Gemeinschaft" erhalten will. Jörges sagt nämlich, dass die Südländer längst ausgetreten wären, wenn es ihnen besser ginge. Und mittelbar bedeutet das ja folgendes: solange ihnen Europa nutzt, bleiben sie drinnen und sobald sie selbst etwas zahlen müssten, wären sie so unsolidarisch, dass sie nicht mehr zu Europa stehen werden und austreten.

EU,CSU. - Was die EU angeht, so hätte Lanz, wenn er geschickt gewesen wäre, durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Jörges und Wagenknecht entdecken können. Jörges sagt, die EU sei ein Moloch (oder Koloss?). Wagenknecht wieder sagt, die EU würde nicht streng genug kontrolliert und dadurch der Lobbyismus so stark. Zumindest die europäischen Bürger bleiben bei beiden Argumenten außen vor.
Ebenso war zunächst eine Übereinstimmung bei dem Wahlkampf-Spruch der CSU vorhanden. Die Angst von Wagenknecht, dass er billige Ressentiments schürt, ist berechtigt. Die Behauptung, die CSU bilde die Brandmauer nach rechts, ist allerdings sehr befremdlich. Eher bewegt sich die CSU nach rechts, um Wähler zu bedienen und deren Stimme zu erhalten. Damit ist aber die Ursache, die rassistische und europafeindliche Meinung in manchen Bevölkerungskreisen, nicht bekämpft.
Dann müsste die CSU auch nicht mehr die Brandmauer spielen (übrigens ist Brandmauer eine tolle Metapher).

Jörges Zwischenruf. - Schließlich: Jörges macht sich mit seinem Zwischenruf auf Video wieder äußerst unbeliebt. Die Kritik am Diskussionsstil der Sendung als linken Shitstorm abzutun, das ist nicht nur beleidigend, sondern, soweit ich das sehe, auch unzutreffend, da sich viele Menschen zu Wort melden, die man kaum dem linken Spektrum zuordnen kann.
Jörges konstruiert hier eine Einheitlichkeit, die letzten Endes tatsächlich zu einer gemeinsamen Position führen könnte, alleine weil sich auf diesem schmalen Grat auch eine Übereinstimmung ergibt.

Shitstorm. - Auf Stern erschien nun ein Artikel, der einige "interessante" Verschiebungen vorschlägt. Zunächst wird die Empörung als "Shitstorm" bezeichnet und dann als eigentliches Motiv einmal die Flachland-Unterhaltung und zum anderen die Rundfunkgebühren für die Empörung genannt. So wird jedenfalls ein Medienwissenschaftler zitiert. Dieser sagt aber auch, dass es immer ein aktuelles Interesse (am Shitstorm) gäbe und dies seien Lanz Fragestil und Jörges emotionales Verhalten gewesen.
Opferinszenierung. - Zudem gibt es eine Abgrenzung gegen Markus Lanz: Stern-online schreibt,
"viele Mailschreiber [hätten] die inhaltliche Debatte mit Wagenknecht gegen die vermeintlich inhaltslose, die Lanz mit ihr geführt habe"
, abgegrenzt. Zudem behauptet der Artikel, Wagenknecht würde sich als Opfer inszenieren, was ich bisher nicht mitbekommen habe. Der Artikel bezieht sich darauf, dass Wagenknecht das vermeintliche Einvernehmen nach der Sendung, das laut ZDF bestanden hätte, als "frech" zurückgewiesen hat. Damit hat sie aber nur einen prinzipiell legitimen Schritt getan; ob er dann auch tatsächlich legitim war, kann ich nicht entscheiden.

So bleibt letztes Endes doch nur ein äußerst gemischtes Gefühl.
Was die Wirtschaft angeht, so erlaube ich mir, deutlich auf der Ebene der Vor-Urteile stehen zu bleiben, denn auch wenn ich heute einiges wesentlich besser verstehe als vor zehn Jahren, traue ich mir nicht mehr als ein laienhaftes Urteil zu.
Zu dem Militarismus: das ist natürlich auch eine Frage, wie man Begriffe auffüllt. Tatsache ist, dass Europa eine sehr starke Industrie hat, die Waffen oder Waffenteile herstellt. Tatsache ist auch, dass die meisten Menschen gegen Krieg sind. Und schließlich ist Tatsache, dass die Welt ein durchaus sehr unbefriedetes Gebiet ist. Eine Antwort darauf, wie man damit umgehen sollte, kenne ich nicht. Ich bezweifle aber, dass sich dieses Problem politisch rasch lösen lässt. Im Abstrakten sind mir Soldaten, die demokratisch kontrolliert einen Krieg zu beenden versuchen, lieber, als fanatische und verzweifelte Bevölkerungsgruppen, die nur an einem Sieg interessiert sind.

Insgesamt nervt mich aber die Debatte: es sind hier Fehler begangen worden, die seit über zweihundert Jahren gut diskutiert worden sind. Und zumindest von einem gebildeten Menschen dürfte man hier ein höheres Niveau erwarten, als Lanz und Jörges dies in der Sendung gezeigt haben. Es ist, wie es ist: Sahra Wagenknecht hat schon recht, wenn sie zu den Werten der europäischen Tradition steht und diesen das aktuelle Europa entgegenstellt. Denn dieses aktuelle Europa verdrängt das, was lange Zeit die Idee von Europa angetrieben hat.

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