21.05.2016

Große Worte im Maikäferland

Man freut sich, man ärgert sich. Gefreut habe ich mich, als jemand auf twitter eine Rede von Christiane Nöstlinger gepostet hat. Diese ist zwar schon etwas älter, aber wundervoll, so wundervoll wie ihre Bücher. Ich weiß, warum ich sie mag. Sie erinnert mich ein wenig an meinen Großvater.
Was ich zu Alice Schwarzer sagen soll, ist mir nicht mehr ganz so klar. Was über ihr Buch zu lesen ist, lässt mir die Stirn runzeln. Grob erscheint mir das. Und es ist nicht deshalb grob, weil hier ähnliche Töne angeschlagen werden, wie man sie aus der AfD hört. AfD-Ferne ist nicht das Maß einer guten Meinung. Abwägen dagegen sollte schon ein Maß sein. Und hier, hier kommt doch eine Art reflexhaftes Aufzucken, dass sexuelle Gewalt, die zu verurteilen ist, gleich schon patriarchale, gar islamistische Struktur sei, die natürlich auch zu verurteilen sind, jedoch anders. Aber ich suche noch meine Meinung. Weiter unten, wo ihr es nachlesen könnt.

Christiane Nöstlinger

Lange ist es her, dass ich etwas von Christiane Nöstlinger gelesen oder gehört habe. Neulich hatte ich zwar in meiner Klasse die ersten beiden Kapitel aus Zwerg im Kopf vorgelesen, aber alles, was ich von ihr kenne, ist vor 1990 geschrieben. Obwohl, Bonsai habe ich gelesen, und das ist von 1997. Nun, Nöstlinger hat zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ's Mauthausen (aber ich hoffe doch, dass es nicht nur eine Befreiung des KZ's war, sondern dessen Abschaffung), eine Rede gehalten, die so großartig ist, wie sie nur von einer Christiane Nöstlinger sein kann. Respekt für eine Frau, die mit ihrer Kinderliteratur auch ganz große Klassiker der deutschen Prosa geschaffen hat: Gedenkrede von Christiane Nöstlinger zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ's Mauthausen.
Wer dem Irrsinn des Krieges auf die Schliche kommen mag, humorvoll und bitter zugleich, dem seien folgende Werke empfohlen:
  • Maikäfer flieg!
  • Zwei Wochen im Mai

Der Scharia-Komplex

Rechtspositivismus

Furchtbar ist, Muslime mit der Überzeugung gleichzusetzen, die Scharia als das einzige Rechtssystem zu akzeptieren. Oder die Scharia mit dem patriarchalen System gleichzusetzen. Überschneidungen gibt es, mal größere und mal weniger große. Um gegen die Scharia vorzugehen, genügt derweil immer noch, auf das moderne Rechtssystem zu verweisen. Muslime brauche ich damit nicht zu verunglimpfen. Um gegen sexistische Übergriffe oder sexuelle Gewalt vorzugehen, muss ich nicht zuerst gegen Muslime sein. Sexistische Übergriffe gehören ebenso geahndet wie sexuelle Gewalt. Da ist es mir schnurz, ob jemand Muslim ist oder nicht. Sexuelle Gewalt durch einen Deutschen ist nicht besser und nicht schlechter als durch einen Nicht-Deutschen. Die Deutschen kann man nur nicht ausweisen. Aber Ausweisung selbst ist ein billiger Trick von "Gut- und Besser- und Allerbestenmenschen".

Alice Schwarzer

Alice Schwarzer scheint mit ihrem neuen Buch auf eine Zuspitzung zu setzen, die in dieser Atmosphäre des Zurechtstutzen der allzu komplexen Wirklichkeit den herrschenden Duktus bedient. In der Welt wird sie folgendermaßen dargestellt:
Die Täter seien "fanatisierte Anhänger des Scharia-Islam" gewesen, schreibt sie in ihrem neuen Band "Der Schock – die Silvesternacht von Köln". Und: "An diesem Abend setzen sie eine für sie ganz einfache Waffe ein: Die sexuelle Gewalt". Vater Staat sei gedemütigt worden. Schwarzer spart nicht mit Vorwürfen. Vor allem Grüne und Protestanten hätten lange eine übertriebene Political Correctness befeuert. Falsche Toleranz und versäumte Integration seien zur Hypothek geworden.
Nun könnte man alleine zu dieser Passage schon eine ganze Menge sagen. Bei mir wird es weniger sein. Leider, aber das muss erwähnt werden, wenn man dem Anderen vorwirft, zu wenig komplex zu arbeiten. Als Warnung für alle, die diesen Artikel lesen.

Integration als Platzierung von Körpern

Wenn man die Debatte um die Integration aus einer ganz anderen Position und mit einer ganz anderen Zielgruppe mitgemacht hat, dann gewinnt man hoffentlich einen gewissen, distanzierten Blick auf Forderungen nach Integration. Und wenn man dies dann noch mit einer modernen soziologischen Theorie "verschnitten" hat, kann man (also ich) vielleicht doch noch das eine oder andere dazu sagen.
Die Integration von Behinderten ging mal von der farbenfrohen Erwartung aus, dass behinderte und nicht-behinderte Schüler gemeinsam lernen könnten und dabei die soziale Kompetenz auch noch gestärkt werde. Ganz so einfach war und ist es nicht. Schuld daran ist oftmals nicht, dass ein "behinderter" Schüler nicht "integriert" werden könne, sondern ein wenig oder gar nicht vorbereitetes soziales Gefüge. Ich habe das selbst erlebt: ein Lehrer, der willig war, die integrativen Maßnahmen zu ergreifen, stand einem ausgrenzenden Kollegium gegenüber. Kein Einzelfall, wie man hört. Oder die Fälle, wo Integration wie eine Art Blümchensex gehandhabt wird. Ein bisschen anstreicheln, aber dann wird auch gekichert und ge-uzt.
Integration bleibt vor allem aber daran hängen, dass es zwischen empirischen und normativen Aussagen schwer unterscheiden kann. Die Platzierung von behinderten (oder ausländischen oder transsexuellen) Körpern in Einrichtungen ist noch keine Integration. Jenseits der Zugänglichkeit muss etwas ganz anderes passieren. Aber die unscharfe Begrifflichkeit hat dazu geführt, dass die Argumentationen zum Teil unheilvoller schwanken als ein Wolkenkratzer in einer Erdbebenzone. Und dann natürlich auch für oder wider ausgenutzt werden können, weil sich überall Lücken in der Argumentation finden lassen, um eine feindliche oder freundliche (von sog. "Gutmenschen") Übernahme zu vollziehen.

Integration als Anpassung

Niklas Luhmann hat wohl aus diesem Grund eine wenig gepflegte Begriffsbildung angeboten, die sich aber zumindest gut für empirische Untersuchungen eignet: Integration ist die Einschränkung von Freiheitsgraden, Desintegration die Erweiterung; Inklusion bezeichnet die Mechanismen, die einen zu einer Gruppe zugehörig machen, während Exklusion die Operationen zusammenfasst, die einem den Zugang verwehren. Normativ hat Luhmann zur Integration nichts zu bieten: er ist kein Politiker, kein Pädagoge und kein Therapeut.
Aus der Evolutionsbiologie dagegen können wir lernen, dass der Organismus nicht dazu gemacht ist, sich anzupassen. Dass sich ein einzelnes Lebewesen seiner Umwelt anpassen könne, ist ein Mythos, der hübsch gepflegt wird. Tatsächlich geraten Organismen nur in ein Milieu, mit dem sie mehr oder weniger gut zurecht kommen, während die Anpassung eine "Leistung" von Generationen ist, indem bestimmte Merkmale bevorzugt und begünstigt werden, andere nicht. Erst mit der kulturellen Evolution (also mit dem allgemeinen adaptiven Lernen einzelner Organismen) scheint es so etwas wie eine individuelle Anpassung zu geben. Trotzdem ist diese Leistung nicht überzubewerten: siebzig Jahre nach dem Fall eines zutiefst undemokratischen Regimes und trotz zahlreicher intensiver Bemühungen und öffentlicher Debatten ist der Rückfall in undemokratische Verhaltensweisen wohl immer noch leicht, allzuleicht. - Und dies ist ein Argument, was nicht nur gegen "durch eine der westlichen Demokratie fremden Kultur geprägten" Asylanten vorgebracht werden kann, sondern auch gegen die "immer noch nicht von einer der westlichen Demokratie eigenen Kultur geprägten" Einheimischen. Oder, wie es mein einer Ausbilder gesagt hat: Deppen gibt's hüben wie drüben.
Schließlich aber stellt sich die Frage: wo ist das Maß der Integration? Kann das erst dann geschehen sein, wenn man die Klappe hält und unsichtbar bleibt? Der Ausländer (Behinderte, Homosexuelle) schweige in der Gemeinde? Oder die Frau?

Wiederkehr des Verdrängten

So unendlich viel gäbe es hier zu sagen. Aber bleiben wir mal bei der Psychoanalyse (und: Vergessen wir nicht die Psychoanalyse!). Fasst man Julia Kristevas Thesen zu der Fremdenfeindlichkeit zusammen, die sie in Fremde sind wir uns selbst vertritt, dann gehorchen die Konstruktionen des Fremden dem simplen Mechanismus der Auslagerungen und Verwerfung von Vor-Objekten, die mit Unlust belegt worden sind. In der psychosozialen Entwicklung sind solche verworfenen Vor-Objekte deshalb wichtig, weil sie die ersten Grenzen des Körperbildes konstruieren. Was verworfen wird, wird nach und nach zum Außen, was angenommen wird, nach und nach zum Innen. Da der Säugling noch nicht zwischen einem Außen und einem Innen unterscheiden kann, kann man auch nicht von einer Subjekt/Objekt-Position reden. Das mit Unlust belegte Ding ist ein Abjekt, eine Abscheulichkeit (l'abomination), eine groteske Verunstaltung.
Derzeit findet sich die Semantik der Verwerfung in einem Maße wieder, die selbst an Groteskheit nichts zu wünschen übrig lässt. Man müsste hier Punkt für Punkt reaktualisieren, was Kristeva dazu auch in Pouvoirs de l'horreur (Die Mächte des Grauens) geschrieben hat: dass der Gräuel aus einer dämonischen Verdopplung entsteht, die durch einen Gottesvertrag angerufen, eingesetzt und verbannt wird (und all dies "gleichzeitig", also in der zeitlosen Zeit des Mythos). Vielleicht sollte man weniger auf die politischen Lager achten und was sie inhaltlich verdrängen, als auf die Form, wie dieses geschieht. Vielleicht sollte man weniger auf die einzelnen Objekte und deren Realitätsgehalt Wert legen, als auf die Adjektive und ihre Markierungen von Lust und Unlust. Dann findet man vielleicht, dass sich die bürgerliche wie die unbürgerliche "Lügenpresse" viel weniger vorzuwerfen haben, zieht man die eigenen Verfehlungen dem anderen ab.

Das Recht, die Monstrosität zu benennen

Worum scheint es also zu gehen? Man kämpft um das Recht, die Form der Verwerfung zu benennen. Das zu Verwerfende, das Abjekt, diese "ekelhafte Haut auf der Milch", das ist zugleich das, was mich von der Nahrung, dem Nährenden trennt. Und wenn Julia Kristeva dann diesem Abjekt die Formel an die Seite stellt:
A chaque moi son objet, à chaque surmoi son abject.
Kristeva, Julia: Pouvoirs de l'horreur. Paris 1980, p. 10.
dann ahnt man, worum es geht: die Gestalt des Monströsen zu fixieren, der Ungestalt eine Eindeutigkeit abzugewinnen. Und schließlich natürlich auch, jene infantile Macht wiederzuerlangen, jenen präödipalen Größenwahn, der mit der ständig drohenden Minderwertigkeit so unbarmherzig verklebt ist. Sich das Recht zur Benennung zuzusprechen bedeutet, an die Macht der Benennung zu glauben.
Was aber ist nun Alice Schwarzer vorzuwerfen, zugleich mit Lamya Kaddor, der Vorsitzenden des Liberal-islamischen Bundes?

Gemengelagen

Lamya Kaddor, so berichtet die Welt, entgegnet Schwarzers Invektive wie folgt:
Diese Männer haben nicht so gehandelt, weil sie fanatische Muslime sind, sie waren größtenteils betrunken. [...] Sie haben so gehandelt, weil sie aus einer patriarchalischen Gesellschaft kommen und mit dem modernen Leben in einem fremden Land (...) komplett überfordert sind.
Ob sie oder ob sie nicht - das ist die Frage. Aber ich glaube, dass man hierauf eine ziemlich unspektakuläre Antwort geben kann. Kein Mensch ist nur islamisch, kein Deutscher nur deutsch. Menschen sind Gemengelagen, in denen sich Traditionen und Situationen ineinanderschieben, in mehr oder weniger großer Geordnetheit. Die Eindeutigkeit, die Identifikation, das ist noch immer der Versuch, über die ungreifbare Gestalt (das "Ding aus einer anderen Welt") Herr zu werden. Der Mensch ist ein solches Ding, er ist für sich selbst aus einer anderen Welt, er ist von Trieben, Lüsten und Unlüsten durchzogen, und er konstituiert sich daran zu einer eigenen Gestalt, dass es besser ist, vor etwas Angst zu haben, was außerhalb seiner selbst ist, als dem, was innerhalb von uns wächst.
Kultur kann, wenn diese mythischen Triebe gezähmt, in fruchtbaren Boden verwandelt werden. Wo diese sich ungebremst Bahn schlagen, selbst im Namen der Kultur, hat eine grundlegende Leistung der Kultur versagt. Sie hat mehr oder weniger versagt. Sie hat, betrachtet man sich die Ausschreitungen zur Sylvesternacht, komplett versagt; und sie versagt bei Schwarzer und Kaddor, wenn auch graduell weniger. Muss man darüber lamentieren?

Das ungezähmte Tier

Am Rande jeder Kultiviertheit, so scheint es, taucht die Unkultur auf. Was Adorno vom Begriff zu sagen wusste, dass unter seiner erstarrten Form der Unbegriff auftauche, das gilt auch für die Kultur. Je mehr sie sich abschottet, umso fragiler wird sie, und wo z.B. das Deutschtum, der Islam, der Amerikanismus zu einer bloßen Beschwörung verkommen ist, herrscht an Feinden keine Not.
In der Entwicklungspsychologie gibt es den Begriff des development racism. In einem Nachhall des Fremdelns werden fremd wirkende Menschen abgelehnt, ungeachtet dass der beste Freund oder die beste Freundin dieser Bevölkerungsgruppe zugehört. Die Argumentation kleiner Kinder wird fadenscheinig, wenn "Neger" verunglimpft werden, obwohl der beste Freund ein "Neger" ist. Erst die Erkenntnis domestiziert diese Angewohnheit. Sie domestiziert, aber sie überwindet nicht.
Dieses Moment, in der die Trennung von Subjekt und Objekt schwindet und das Abjekt auftaucht, ist auch das Moment, in dem die Erkenntnis versagt. Man muss dies gut verstehen. Egal, in welcher allgemein geistigen Verfassung die Täter der Sylvesternacht waren; es wird sich nicht rekonstruieren lassen. Dem mit einer Eindeutigkeit zu antworten, bleibt wiederum ein Versagen der der Kultur eigenen Funktion der "Zähmung". Schwarzer wird daran so wenig ändern wie Kaddor. Und der plärrende Pöbel vor Asylantenheimen oder im weitestgehend ausländerfreien Sachsen schon gar nicht.

Zumutungen

Nebensachen des Gesetzes

Innerhalb des Rechtspositivismus gibt es Strömungen (z. B. Niklas Luhmann), die dem Gesetz nicht nur eine Ordnungsleistung zusprechen, sondern deren Nebeneffekte als wichtige Bestandteile des sozialen Lebens ausmachen. Dazu gehört, den Menschen die Verantwortung für ihr Menschsein und ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zuzumuten. Das Gesetz vereinzelt. Man mag dies als ein Problem ausmachen, weil die Vereinzelung auch Isolation bedeuten kann. Trotzdem ist dies ein wichtiger Bestandteil, denn in der Vereinzelung liegt auch die Erkenntnis dessen, was man getan hat. Dabei entstehen keine endgültigen Erkenntnisse, und wenn man aus einer Rechtsfrage entlassen wird (aus einem Streit, einer Anklage, einem Verdacht), ist man noch lange nicht der (Selbst-)Erkenntnis entkommen. Doch eine der Leistungen einer solchen Untersuchung, eines Gerichtsprozesses, ist eben auch, den Unterschied zu machen, ein Individuum herauszuheben und zu sagen: du kannst dich nicht auf deine "Kultur", auf eine halböffentliche Meinung, auf deine religiöse Überzeugung verlassen und dieser die Verantwortung zuschieben. Der Rechtspositivismus mutet Individualität zu.

Akzidenz des Kopftuchs

Man lese das zum Beispiel auch beim "Kopftuch"-Streit. Prinzipiell bin ich gegen ein Verbot des Kopftuchs. Meine Großmutter, von den Nazis als "reinrassig bis ins 13. Jahrhundert" identifiziert, hat Kopftücher getragen. Nicht immer, nicht aus religiöser Überzeugung, aber sie tat es. Problematisch wird das Kopftuch erst dann, wenn es 1.) der Individualisierung entgegensteht: das religiöse Gebot steht der Freiheit, sich sittlich autonom zu verhalten, dann entgegen, wenn sich ein Mädchen dazu entschließt, kein Kopftuch zu tragen, dies aber sanktioniert wird; 2.) wenn sich daraus öffentliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Beteiligten ergeben, wie dies gelegentlich im Fall von Kopfläusen geschieht (aber davon haben wohl auch gelegentlich deutsche Familien Gebrauch gemacht, die sich aus welchen Gründen auch immer außerstande gefühlt haben, mit ihren Kindern eine Lauskur zu machen); 3.) wenn eine allgemein auch medizinisch geschätzte Betätigung, wie z. B. das Schulschwimmen, dadurch schwierig oder unmöglich wird.
Fehlendes Deutschsein kann dagegen keine Begründung sein. Wenn ich davon ausgehe, was mein Verhältnis zu deutschen Werken ausmacht (eine Faszination, oftmals eine Liebe, gelegentlich ein gewisser Fanatismus), dann könnte ich 95% der "Deutschen" ihr Deutschsein absprechen, vermutlich noch mehr. Kopftücher sind nicht undeutsch. Sie sind aber gelegentlich und der Umstände halber gegen die Prinzipien unseres Rechtssystems. Dies ist ein akzidentielles, kein substantielles Merkmal von Kopftüchern. Und deshalb kann ein Verbot hier auch nicht die richtige Maßnahme sein.

Worin Schwarzer dann doch recht hat

In einem hat Schwarzer dann aber doch sehr recht. So zitiert die Welt sie mit folgenden Worten:
Wir haben die Dinge treiben lassen. Statt der Mehrheit der friedlichen Musliminnen und Muslime beizustehen, die als erste von den radikalen Islamisten bedrängt und erpresst werden.
Vielleicht vergessen wir das tatsächlich zu sehr: immer wieder tauchen in den Medien Straftäter auf, denen man die ausländische Herkunft nicht ableugnen kann. Die Zurückhaltung bis zum Verbot, den Migrationshintergrund eines Täters zu nennen, kann ich auf der einen Seite verstehen. Man muss aber zugleich auch sehen, dass natürlich die Entfremdung, auch die kulturelle Entfremdung mit ein Motiv für Straftaten abgeben kann. Wer sich mal ein Konzert deutscher Skinheads angesehen hat, weiß, was kulturelle Entfremdung anrichten kann, selbst bei vorgeblich Deutschen. Hier verhindert die Zensur das Erkennen von Ursachen (und, bitte, das Erkennen von Ursachen bedeutet noch lange nicht, dass man nun zum Automatismus der Ausweisung übergehen darf).
Vielleicht, so muss ich meinen Satz jetzt von vorne beginnen, vergessen wir das tatsächlich zu sehr: sehr viel seltener tauchen in den Medien Nicht-Straftäter auf, denen man die ausländische Herkunft nicht ableugnen kann. Die geglückte Integration ist unsichtbar. Die geglückte Integration ist unspektakulär. Die geglückte Integration ist nicht die eines Serdan Somuncu und nicht die eines Cem Özdemir. Sie findet sich dort, wo ich einkaufe, in dem Supermarkt, in dem vier türkische/arabische Verkäuferinnen arbeiten. Sie findet sich um die Ecke, wo mich einmal vor einigen Jahren junge türkische Mädchen gefragt haben, ob ich Liebesgedicht von Goethe kennen würde, worauf ich dann ein Geschenk, einen Gedichtsband von Goethe, weiterverschenkt habe.
Vergessen wir also nicht all diese Menschen. Und erraten wir vielleicht auch, unter welchem Rechtfertigungsdruck sie stehen, wenn sie tagtäglich die ausländerfeindlichen Pöbeleien, diese Unterstellungen hören, die sie in die Nähe von Menschen bringen, von denen sie nichts wissen, und mit denen sie sich nicht identifizieren können.
Darin hat Alice Schwarzer nun wirklich recht.

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