02.11.2012

Die Ontologie ist auch nicht mehr das, was sie mal war, außerdem: Sprachgeschichte

Während wir also intuitiv zu wissen scheinen, wer cool ist, wird es bei der Frage nach der Ontologie schon schwieriger: Was genau ist dieses Cool eigentlich? 
Das musste ich gerade auf science.ORF.at lesen. Äh? Ontologie ist doch die Lehre vom Sein. Die Wortbedeutung ist Sache der Semantik (also der Bedeutungslehre).

Übrigens hatte ich einen Grund, nach der Etymologie des Wortes "cool" zu suchen. Ein besonders besserwisserischer Rezensent hat Kirsten Wendt ein Sternchen angedeihen lassen, weil sie angeblich keine Ahnung von dessen Gebrauch hat. Das wäre, selbst wenn das stimmen würde, eher ein lässlicher Fehler.
Leider aber trifft Kirsten Wendt hier den Kern sehr gut. Cool wurde wahrscheinlich aus dem Jazz in die Jugendsprache übernommen. Während der Jazz vorher vor allem Straßen- und Tanzmusik war, die aufheizen sollte, schlugen ab ungefähr Mitte der vierziger Jahre immer mehr Jazzer einen "intellektuellen" Weg ein. Gefördert wurde das durch moderne Klassiker, die Jazz-Elemente in ihren Klavierkonzerten, Sonaten, Symphonien verarbeiteten. Man denke nur an Ravels 1. Klavierkonzert, Milhauds La création du monde, an den coolen 3. Satz aus Prokofievs 7. Sonate.
Miles Davis veröffentlichte dann Mitte der 50er Jahre sein bahnbrechendes Album Birth of the Cool. Damals hieß cool in etwa "ernstzunehmend". Zwar war der Jazz, unter anderem auch durch George Gershwin, längst populär geworden. Doch er galt immer noch, und für manche weiterhin, als anrüchig und nur in veredelter Form, also höchstens orchestriert, als hinnehmbar.
Wie das Wort cool dann nach Deutschland gekommen ist, habe ich nicht so genau nachvollziehen können. Vermutlich durch die amerikanische Besatzung. Es hat hier noch seine amerikanische Bedeutung aus dem Jazz behalten: als ernstzunehmend, seriös. Und ab hier verwirrt sich die ganze Sache. Dass cool sich als Jugendwort für vorzüglich popularisiert hat, ist wohl regional unterschiedlich. Wie das immer bei solchen Wörtern passiert. In den 70ern jedenfalls soll es in den Hitparaden aufgetaucht sein. Hier wird es aber eher in dem Sinne gebraucht: ungewöhnlich, da traut sich jemand was.
Durchgesetzt, deutschlandweit, hat sich die Bedeutung von cool erst Anfang der 80er Jahre. Damit wurde aus dem Protestwort nach und nach ein Modewort, was ebenfalls ein häufiges Phänomen ist. Und wurde in der Jugendsprache durch andere Wörter abgelöst, zum Beispiel "geil". Heute scheint sich der Gebrauch von cool wieder zu verschieben. Vor über einem Jahr benutzte ein junger türkischer Verkäufer (ich habe nicht nachgefragt) eher im Sinne von zweifelhaft, dubios.

Cool gehört wohl zu den Chamäleons in der Sprachgeschichte. Mehr als andere Wörter wechselt es seine Färbungen. Und zeigt, dass es eine doppelte Sprachgeschichte der Wörter gibt: einmal die der äußeren Wortgestalt, einmal die ihrer Bedeutungen.

Übrigens auch ein Erlebnis. In der berliner U-Bahn flachsten einige Jugendliche sehr herum. Während sie lachten, meinte der eine: "Is ja voll die Trauer!" - Ironisch? Oder schon eine Bedeutungsverschiebung?

Keine Kommentare :