Eine der spannendsten Gebiete der Rhetorik ist die Argumentationslehre. Das liegt nicht nur daran, dass sich andere Gebiete der Rhetorik nur noch wenig wandeln. Unser Verständnis von Kommunikation hat sich in den letzten fünfzig Jahren erheblich verändert und zahlreiche neue Betrachtungsweisen sind noch längst nicht in den alltäglichen Gebrauch übergegangen, selbst bei Akademikern nicht. Zum anderen hat die Welt durch die elektronische Revolution und Globalisierungsströme eine neue Komplexität gewonnen.
Schlagfertigkeit I
Ich habe mal wieder einen neuen Kick bekommen, als ich vor ein paar Tagen die Internet-Seite von Matthias Pöhm entdeckte. Anregend ist diese Seite, sowohl für die Erforschung von Humor - Pöhm nennt diese Witzfertigkeit - als auch für die Analyse von (Roman-)Dialogen.
Was Pöhm dazu schreibt, mag sich jeder selbst durchlesen. Fruchtbar werden solche Ansätze ja nur dadurch, dass man sie umschreibt. Pöhm sagt dazu auch sehr richtig, dass die meisten Bücher zwar gelesen, aber selten durchgearbeitet werden. Ein intellektuelles Durchdringen ist, wie ich oben geschrieben habe, sich mit der Metaordnung der Begriffe auseinanderzusetzen, und dass diese Metaordnung affektiv ist und nur durch Erfahren kognitiv werden kann. Wenn also intellektuelles Durchdringen zwar nicht handlungspraktisch, aber gefühlspraktisch ist, dann ist ein Durcharbeiten notwendig, ja, geradezu Voraussetzung, um das Wissen zu intellektualisieren, bzw. wie Pöhm knapper sagt, Schlagfertigkeit zu beherrschen.
Dialoge, systemisch
Luhmann teilt Kommunikation in Beiträge und Themen ein. Dabei sind Themen sozusagen Ordner der Kommunikation, um die sich die Beiträge in flüchtigerer Weise drumherumwinden. Beiträge erlauben sowohl das Festkleben an Themen, wie den Themenwechsel. Wichtig dabei ist, dass Beiträge anschlussfähig bleiben. Ohne Anschlussfähigkeit keine Kommunikation; man würde einfach aufhören zu reden und nie wieder etwas zu sagen haben. Anschlussfähigkeit heißt auch, dass nicht alles gesagt worden ist, dass man immer noch etwas beitragen kann oder, wenn eine gewisse Sättigung eingetreten ist, rasch zu einem anderen Thema wechseln kann. Die Notwendigkeit, ja Nötigung zur Anschlussfähigkeit macht die Kommunikation selbstreferentiell: sie bezieht sich auf bereits Gesprochenes, indem sie dieses "ergänzt", und verweist auf noch Kommendes. Strukturell gesehen ist die Welt einfach zu komplex, um alles auf einmal sagen zu können: man muss auswählen, was man zuerst sagt und was später. Aber das gab's ja schon immer.
Kommunikationsquadrat
Schulz von Thun gilt als einer der wichtigsten Aufklärer des tagtäglichen Dialogs. Meine Vorbehalte gegen ihn richten sich nicht gegen die Modelle, zum Beispiel das Kommunikationsquadrat, sondern dagegen, dass er die grundlegenden Mechanismen, die auch das Kommunikationsquadrat ermöglichen, nicht genügend darstellt und vielleicht nicht darstellen kann. Schulz von Thun ist Psychologe und die nehmen ungern die Begriffe der Linguistik oder Literaturwissenschaft an (die Metapher bei den Kommunikationspsychologen ist die pictura der Literaturwissenschaftler und die Hypotypose der Philosophen). Was Kommunikationspsychologen hüben, haben Sprachphilosophen drüben erforscht. Der Austausch ist, wenn es ihn denn überhaupt gibt, oft ausgedünnt und missverständlich.
Das Kommunikationsquadrat (KQ) beschreibt eine Nachricht als aus vier Botschaften bestehend: der Sachebene, dem Appell, der Beziehungsebene und der Selbstoffenbarung (hier noch mal bildlich).
1. Einwand: Weder die Nachrichten noch die Botschaften sind Wesenheiten der Kommunikation. Es sind Konstruktionen, die selbst fortlaufend abgewandelt werden können. Schulz von Thun weist beständig darauf hin. Problematisch wird er erst dann, wenn er behauptet oder suggeriert, dass man diese Botschaften auch "sprechen" könne. Oder, wie eine Ex-Chefin zu mir meinte: "Sie müssen appellieren lernen, appellieren." Dabei ist der Nachricht der Appell zwangsläufig eingeschrieben, wenn man Schulz von Thun folgt. Ich hätte meiner Chefin also antworten müssen: "Sie müssen Appelle hören lernen, hören, verstehen Sie?" Die Einheit ist eine Konstruktion des Beobachters (so eine Kernaussage der Konstruktivismus). Was ich als Nachricht verstehe, ist eine Konstruktion von mir. Was ich als Botschaft verstehe, ebenso. Der Höhepunkt dieser Folgerung aber ist, dass ich mein Sprechen selbst erst nachträglich in Einheiten einteile. Müsste ich vorher überlegen, welche Nachrichtseinheit ich von mir gebe, wäre ich viel zu mutlos, um überhaupt zu sprechen. (Natürlich kann man sich hier aber sensibilisieren.)
2. Einwand: Die Folge des ersten Einwands ist der zweite Einwand. Wenn man Einheiten konstruiert, aber nicht beherrschen kann, dann problematisiert sich das Verhältnis zwischen Sprechen und wissenschaftlichen Modellen. Das wissenschaftliche Modell ist eine Metasprache. Die Praxis der Kommunikation ist und bleibt aber eine Technik oder - in weiterem Sinne - eine Ästhetik. Die Ästhetik sorgt sich um das Durcharbeiten, um die Metaordnung der Begriffe, die, wie ich geschrieben habe, affektiv ist. Darum gibt es dann auch eine Renaissance der Rhetorik und eine Technik (oder Ästhetik) der Schlagfertigkeit. Herstellen (und auch das Planen) und Beobachten sind zwei verschiedene Sachen. Es gibt keinen reinen Durchschlag von den Sinnesorganen zu den Muskeln. Dazwischen sitzt immer noch ein Gehirn mit enormer Komplexität. Auch wenn dies manche Wissenschaftler und auch manche Moralapostel unterschlagen.
3. Einwand: Hier geht es mehr um eine wissenschaftliche Fragestellung. Kann man das Beobachten von Einheiten auf eine fundamentalere Ebene legen als Schulz von Thun es tut? Ja, man kann. Der Begriff der Konnotation klärt den gemeinsamen Mechanismus von der Nachricht und den vier Botschaften. Die Konnotation ist zunächst ein Stück Assoziation, das sich aufdrängt, und die Aufmerksamkeit - so flüchtig auch immer - von der Außenwelt auf die Innenwelt zurückzieht. Die Außenwelt wird gleichsam "außen unterbrochen" und "innen ergänzt". Zudem aber bringt sie eine - ebenso flüchtige - Ordnung ins Spiel: sie strukturiert; und hat damit eine Art grammatischen Effekt. Eco schreibt in seiner Einführung in die Semiotik, damit eine Einheit sich in eine Abfolge einfügen könne, müsse es konnotative Bestandteile haben (Eco redet hier allerdings von Denotatum, Paradigma, Syntagma, etc. - also streng linguistisch). Für uns ist hier lediglich wichtig, dass dieses Zurückziehen vom Außen die äußere Einheit herstellt, und - das ist der Witz dabei - eine Art Alltagsgrammatik, eine "Verbindlichkeit" der Welt überhaupt erst ermöglicht. Modelle wie die von Schulz von Thun haben den Vorteil, dass sie einen geordneten Rückzug ermöglichen, während wir doch meist einen überstürzten Rückzug vornehmen. Trotzdem gehorchen auch solche Modelle den Regeln der Konnotation = Rückzug durch das Aufdrängen einer Assoziation.
Daraus muss man schließen, dass es ziemlich egal ist, was der Sprechende sagen wollte, und unsere Beobachtung nur darauf zielt, was der Hörende versteht (also selbst wieder beobachtet). Wenn der Hörende nun seinerseits etwas sagt, qualifiziert er das Gehörte. Und aus dem Gesagten kann man schließen, wie das Gehörte aufgenommen wurde. Jeder neue Beitrag qualifiziert die vorhergehenden. Die Qualifikation ist rückbezüglich. Zugleich bietet jeder neue Beitrag eine Neu-Fokussierung an. Diese kann minimal sein. Gerade aber bei Bereichen wie der Schlagfertigkeit wird diese Neu-Fokussierung deutlich, wenn nicht gewollt sprunghaft und aggressiv ausfallen.
Ästhetik / Metakommunikation
Modelle, die zum Analysieren verwendet werden, dienen der Metakommunikation. Sie teilen auf, sezieren, zerlegen in mögliche Bestandteile.
Beim Sprechen verwenden wir nicht wissenschaftliche Modelle, sondern kognitive Muster. Muster sind eher praktische Vorgaben. Sie können aus Modellen entstehen. Wer Schulz von Thun kennt, weiß, dass sein KQ nicht nur ein Modell ist, sondern auch ein Muster.
Muster entstehen durch Einüben; und die Ästhetik - zumindest eine unklassische - betrachtet diese halbdurchformten Fähigkeiten in ihrem Dasein. Halbdurchformt ist übrigens keine Abwertung, sondern nur ein notwendiger Schluss, wenn man die Kommunikation als einen prinzipiell offenen Prozess betrachtet.
Damit wären wir zurück bei Herrn Pöhm.
Schlagfertigkeit II
Schlagfertigkeit bildet, sofern sie trainiert wird, neue Muster aus. Herr Pöhm setzt sehr auf praktische Arbeit. Ich würde sie durch Reflexion ergänzen. Reflexion hier: zurücktreten, betrachten. Vita activa und Vita contemplativa ergänzen sich.
Um deutlich zu machen, wie die Reflexion und die Metakommunikation hilfreich eingreifen können, die Muster der Schlagfertigkeit bewusster machen können, zeige ich hier die Gemeinsamkeit einiger dieser Muster:
Die Fokus-Rückfrage, der versteckte Gegenangriff, die Feststellungsfrage und die Feststellungsfrage als Entscheidung, und noch einige andere Figuren basieren auf recht ähnlichen Prinzipien.
Angriff: "Du bist doch schwul!" Schlagfertigkeit: "Deiner Wahrnehmungsstörung geht's gut? Wundervoll!"Was macht der Angreifer (aus Sicht des Angegriffenen)? Auf der Sachebene sagt er, dass der andere schwul sei. Ginge es nur um die Sachebene, wäre die Aussage kein Angriff, sondern so lapidar, wie, dass es hell ist, wenn die Sonne scheint. Die Selbstoffenbarung bleibt unklar. Nehmen wir aber an, dass die Worte abfällig geäußert worden sind, dann ist (relativ) klar, dass 1.) der Angreifer heterosexuell ist und 2.) Schwule nicht mag. Trotzdem versorgt hier schon eine gewisse Unentschiedenheit für eine Machtposition ("Wir müssen über dich reden, nicht über mich, denn du bist problematisch, und nicht ich!"). Das ist dann zugleich die Beziehungsebene. Der Appell kann sehr unterschiedlich gewertet werden. Sehr pauschal könnte man sagen: "Los, nimm dieses Etikett auf dich." Und was macht der Angegriffene? Zunächst weicht er einer Bestätigung der Sachebene aus. Er refokussiert das Thema. Mit dem Nicht-bestätigen-wollen der Sachebene wird auch der Appell ausgehebelt. Und die Selbstoffenbarung wirkt beim Angegriffenen zunächst genauso undeutlich wie beim Angreifer, aber sagen wir mal: "Das interessiert mich doch einen Dreck, was du denkst!". Die Selbstoffenbarung demonstriert Unabhängigkeit. Damit wird auch die Beziehung, die der Angreifer anbietet, gekippt. Fassen wir zusammen. Schlagfertigkeit ist hier:
- in der Selbstoffenbarung Unabhängigkeit demonstrieren;
- auf der Sachebene Nicht-Bestätigung;
- >Aushebeln des Appells durch technisches oder kreatives Ausweichen;
- Umdrehen der Hierarchie auf der Beziehungsebene.
- Eine offene Frage mit einer halboffenen Frage (ein neues Thema setzen und nach der Modalität fragen) kontern.
- Stell eine rhetorische Frage, fingiere dazu eine (ungehörte) Reaktion und lobe diese Reaktion.
- Selbstoffenbarung: "Ich bin unabhängig!"
- Beziehungsebene: "Ich stehe über dir!" (Hierarchie umdrehen) oder "Du kannst mir nicht mit deiner Hierarchie!" (Hierarchie ausbremsen)
Schlussfolgerung
So wichtig das Einüben ist, das Pöhm anmahnt, so fruchtbar ist das Durcharbeiten anhand eines Modells. Abgesehen vom Einarbeiten, das mir sehr viel Spaß gemacht hat, fand ich die Arbeit mit dem KQ sehr erhellend. Mit dem Programm free-mind habe ich mittlerweile eine Umsortierung der Schlagfertigkeitsmuster vorgenommen. Diese ist noch nicht fertig und wie ich mich kenne, wird sie auch nie fertig (es sei denn, jemand bietet mir viel Geld dafür). Aber auch das gehört (für mich) dazu. Das Modell, das Herr Pöhm im Kopf hat, ist das Modell das Herr Pöhm im Kopf hat. Ich muss mir mein eigenes Modell machen, und das geht nur durch vielfältige Arbeitstechniken. Nur so kann aus einem Sprechen über (die Metakommunikation) ein Bereit- sein für (die Metaordnung) werden.
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