21.03.2008

Spunk - mitmachen erwünscht!

Eines Morgens kamen Thomas und Annika wie gewöhnlich in Pippis Küche gerannt und riefen: "Guten Morgen!" Aber sie bekamen keine Antwort. Pippi saß mitten auf dem Küchentisch mit Herrn Nilsson, dem kleinen Affen, im Arm und einem glücklichen Lächeln auf den Lippen.
"Guten Morgen", sagten Thomas und Annika noch einmal.
"Stellt euch vor", sagte Pippi verträumt, "stellt euch bloß mal vor, dass ich es gefunden habe! Gerade ich und niemand anders!"
"Was hast du gefunden?", fragten Thomas und Annika. Sie wunderten sich nicht im Geringsten darüber, dass Pippi etwas gefunden hatte, denn sie fand immer etwas. Aber sie wollten wissen, was es war. "Was hast du eigentlich gefunden, Pippi?"
"Ein neues Wort", sagte Pippi und sie schaute Thomas und Annika glücklich an. "Ein funkelnagelneues Wort!"
"Was für ein Wort?", fragte Thomas.
"Ein wunderschönes Wort", sagte Pippi. "Eins der besten, die ich je gehört habe."
"Dann sag es doch", sagte Annika.
"Spunk!", sagte Pippi triumphierend.
"Spunk?", fragte Thomas. "Was bedeutet das?"
"Wenn ich das bloß wüsste", sagte Pippi. "Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es nicht Staubsauger bedeutet."
Thomas und Annika überlegten eine Weile. Schließlich sagte Annika:
"Aber wenn du nicht weißt, was es bedeutet, dann nützt es ja nichts!"
"Nein, das ist es ja, was mich ärgert", sagte Pippi.
"Wer hat eigentlich zuerst herausgefunden, was die Wörter alle bedeuten sollen?", fragte Thomas.
"Vermutlich ein Haufen alter Professoren", sagte Pippi. "Und man kann wirklich sagen, dass die Leute komisch sind. Was für Wörter die sich ausgedacht haben! Wanne und Holzpflock und Schnur und all so was - kein Mensch kann begreifen, wo sie das herhaben. Aber Spunk, was wirklich ein schönes Wort ist, darauf kommen sie nicht. Was für ein Glück, dass ich es gefunden habe! Und ich werde schon noch rauskriegen, was es bedeutet."
Sie dachte eine Weile nach.
Astrid Lindgren: Pippi im Taka-Tuka-Land
Man kann hier sehen, dass Pippi Langstrumpf viel von Sprache versteht. Dazu eine Stelle zu Lacan:
De Saussure spricht von Signifikant und Signifikat; Freud hat in ähnlicher Weise von Wort- und Sachvorstellungen gesprochen. De Saussure hat die Sprache als ein differentielles Netz von Signifikanten und Signifikaten aufgefasst, die sich, paarweise zu Zeichen gebündelt, gegenseitig ausgrenzen; jedes definiert sich als das, was die andern nicht sind. Diesem Gedanken entsprechend lässt sich Sprache nicht als Substanz, sondern als Form begreifen. Lacan geht über de Saussures Auffassung der Zeichen hinaus, indem er diese als abkünftig von der Bewegung der Signifikanten auffasst. Signifikate bilden sich im Gefolge der Artikulation der Signifikanten; es gibt keine vorweg definierte Zuordnung von Signifikanten zu Signifikaten in Zeichen. Lacans Stil macht dieses differentielle Gefüge der signifikanten Artikulation erfahrbar. Liest man einen Text von ihm, stößt man auf die Unmöglichkeit, am Anfang einer Abhandlung Definitionen zu geben; erst aus dem Kontext heraus ergeben sich Bedeutungen. Das Definitorische steht somit nicht am Anfang, sondern, wenn schon, am Ende eines Textes. Lacan übernahm weder de Saussures Auffassung der Sprache, noch Freuds Metapsychologie oder Hegels Dialektik integral. Er verwendet sie. So wird aus dem Konzept de Saussures die Theorie des Signifikanten. Mit ihr übersteigt er den Bereich der Linguistik. Er stellt den Signifikanten der Signifikanten ins Zentrum: den Phallus. Mit diesem Konzept bezeichnet er in erster Linie nicht das körperliche Organ, sondern die Instanz des Bedeutungs-Schaffens. Dadurch räumt Lacan dem Signifikanten das Primat vor dem Signifikat ein. Er kehrt so die vorherrschende abendländische Tradition um, die davon ausgeht, dass Sprache der Bezeichnung von an sich sprachlosen Gedanken dient, die also dem Signifikat, dem Bezeichneten, Priorität gibt. Ohne Sprache ist für Lacan nichts; die Realität - zu unterscheiden vom Realen - ist aus Sprache gebaut, das menschliche Wesen nennt er »parlêtre«.
Peter Widmer: Subversion des Begehrens
Wie Lacan vom Primat des Signifikanten ausgeht, so auch Pippi. Insofern bedeutet Spunk auch nicht - wie Pippi später feststellt - einen Käfer, sondern auch die Suche nach dem Spunk. Nicht der Käfer, die Geschichte des Bedeutens ist wichtig (und witzig).
So findet die Sprache ihren "Ursprung" im Neologismus (den man besser Neomorphismus nennen sollte, denn es handelt sich zunächst um eine Gestalt, während die Bedeutung einen Ambisemismus, eine gespaltene oder schwankende Sinnkonstruktion vorführt).
Barthes jedenfalls schreibt zu Brillat-Savarin:
Den Neologismus (oder das sehr ausgefallene Wort) gibt es bei B.-S. in großer Zahl; er setzt ihn ungehemmt ein, und jedes dieser unerwarteten Wörter (irrorateur, garrulité, esculent, gulturation, sopo­reux, comessation usw.) ist die Spur einer tiefen Lust, die auf das Begehren nach der Sprache verweist: B.-S. begehrt das Wort, wie er Trüffeln begehrt, ein Thunfischomelett oder ein Fischragout; wie jeder Neologe unterhält er nur zum einzelnen, von seiner Sin­gularität umstellten Wort eine fetischistische Beziehung. Und da diese fetischisierten Wörter in eine sehr reine Syntax eingelassen sind, die die Lust am Neologismus in den Rahmen einer klassi­schen, aus Zwängen und Vorschriften bestehenden Kunst fasst, kann man sagen, dass die Sprache von B.-S. buchstäblich schlem­merhaft ist: schlemmerhaft mit den Wörtern umgeht, die sie ein­setzt, und mit den Gerichten, auf die sie sich bezieht; eine Ver­schmelzung oder Mehrdeutigkeit, die B.-S. selbst herausstreicht, wenn er wohlwollend jene Schlemmer erwähnt, deren Leiden­schaft und Sachverstand man schon allein daran erkennt, wie ­schlemmerhaft - sie das Wort »gut« aussprechen.
Roland Barthes: Brillat-Savarin-Lektüre, in ders.: Das Rauschen der Sprache
Bringen wir also ein wenig Bewegung in die Sprache. Schaffen wir neue Wörter, ambisememische, unverständige, solche, die uns noch auf eine Reise schicken.
Vielleicht ist dies auch eine der schönsten Arten und Weisen, mit anderen Sprachen umzugehen: hier Vermischungen zu schaffen - ich denke zum Beispiel an das Türkische, was ja naheliegend ist. - Meine Versuche, hier mal ein paar Neologismen zu erschaffen, sind allerdings wegen der morgendlichen Frische gescheitert. Vielleicht fällt euch etwas ein.
Günlük deyis (deyisch gesprochen, wegen des gehakten s am Ende) heißt: frisches Wort.

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