10.03.2008

Das gesprenkelte Band (und anderes zu Sherlock Holmes)

So heißt eine der besseren Erzählungen von Conan Doyle. Heute habe ich es Cedric vorgelesen und er fand sie überaus spannend.
Ich erinnere mich, dass wir sie im Englischunterricht behandelt haben. Da war ich weniger begeistert. Das lag aber vermutlich auch daran, dass ich die Geschichte nicht verstanden habe.

Übrigens ist Doyle noch ein Schriftsteller von altem Schrot und Korn. Das heißt: er schreibt ziemlich lange Sätze.
Wenn ich meine Notizen zu mehr als siebzig Fällen überfliege, in denen ich während der letzten acht Jahre die Methoden meines Freundes Sherlock Holmes studiert habe, so stelle ich fest, dass viele tragisch waren, einige komisch, eine große Anzahl schlichtweg seltsam, aber keine gewöhnlich; da er nämlich eher aus Liebe zu seiner Kunst arbeitete, denn um Reichtum zu erwerben, lehnte er es stets ab, Teil an einer Nachforschung zu haben, die nicht in den Bereich des Ungewöhnlichen oder gar des Phantastischen fiel. (Das gesprenkelte Band)
Lachen musste ich, als ich folgende Sätze bei Doyle fand:
Kein Franzose oder Russe könnte das geschrieben haben. Nur der Deutsche ist seinen Verben gegenüber so unhöflich. (Ein Skandal in Böhmen)
Holmes Lieblingswort ist deduzieren. Die Deduktion leitet aus einem Phänomen oder einer Menge an Phänomenen ein Gesetz oder einer Zusammenhang ab. Nun gibt es natürlich Zusammenhänge, die stark wiederholend sind, und dazu gehört zum Beispiel der Kreislauf zwischen Füchsen und Kaninchen. Wenn die Kaninchen sich stark vermehren, vermehren sich auch die Füchse rasch, denn sie finden genügend Futter. Dezimiert sich dann die Zahl der Kaninchen wieder, werden auch die Füchse wieder, wodurch ... und so weiter.
Wie aber kann man aus einem staubigen Hut deduzieren, dass die Ehefrau in einem schlechten Verhältnis zu ihrem Manne, dem Hutträger, steht? Eigentlich garnicht. Holmes macht es dennoch. Eco hat recht, wenn er diese Art der Schlussfolgerung eine Abduktion nennt. Eine Abduktion ist so etwas wie eine gewagte Deduktion (U. Eco: Die Grenzen der Interpretation).

Abduktionen sind eine feine Sache. Sie sind dadurch, dass sie so unscharf sind - denn was soll schon gewagt anderes heißen? -, hervorragend geeignet, um auch Verbindungen zwischen allen möglichen Textphänomenen zu formulieren. So bekommt man einige hübsche Modelle anhand einiger seltsamer Argumentationen. Merke: um einen Kristall zu erschaffen, muss man erst viel Rauch erzeugen. (Die Abduktion beschäftigt mich schon seit einer Woche. Ein sehr ähnliches Phänomen, wenn nicht das gleiche, hat Roland Barthes mit dem Begriff des Enthymems beschrieben. Möchte man Deleuze folgen, dann ist die Abduktion eine allgemeine Form des Schließens, nomadisch und polyvok und transversal; im Gegensatz dazu extrapoliert der Syllogismus ein transzendentes Objekt, so wie im berühmten Syllogismus um Sokrates das transzendente Objekt Sterblichkeit. Dieser Syllogismus geht so: Alle Menschen sind sterblich; Sokrates ist ein Mensch; Sokrates ist sterblich. - Der Syllogismus geht davon aus, dass der Mensch vollständig in seinen Körper verbannt ist; jedoch ist der Mensch immer auch durch die Phantome fremder Meinungen geprägt. Jeder stirbt auf seine Weise, und überlebt in dieser oder in einer anderen Hinsicht als Gespenst. Sokrates jedenfalls dürfte das berühmteste Gespenst der Philosophie sein.)

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