Nämlicher Autor, den ich eben schon zitiert habe, um mich ein wenig über ihn lustig zu machen, bringt auch folgende Erkenntnis zu Papier: "Hochschule produziert Bildung, ..."
Zuvor schreibt er noch, jedes System hätte eine Organisation.
Das ist natürlich - von Luhmann aus gesehen - in mehrfachem Sinne falsch.
Erstens muss man Systeme und Organisationen unterscheiden. Organisationen sind eine Form von System.
Organisationen sind nicht in irgendwelchen Systemen drinnen, zum Beispiel im Wirtschaftssystem. Natürlich kann man im alltäglichen Sprachgebrauch sagen, dass das Wirtschaftssystem organisiert sei. Der korrekte systemtheoretische Begriff lautet aber, dass Systeme strukturdeterminiert sind. Der Begriff der Organisation ist einem bestimmten Systemtyp vorbehalten.
Was aber ist nun eine Organisation?
Zunächst lösen Organisationen ein Problem der zunehmenden Individualisierung und der alteuropäischen Leitbegriffe von Freiheit und Gleichheit ein, auch auf Druck eines Wirtschaftssystems, das sich mehr und mehr aus langfristigen und komplexen Arbeitsvorgängen zusammensetzt. In der mittelalterlichen Gesellschaft und sogar noch in der beginnenden Neuzeit wurden die Leistungen von (heutigen) Organisationen durch Leibeigenschaft und Sklaverei erbracht. Große Projekte, wie der Bau einer Kathedrale, wurden nicht durch Verträge und Entlohnung geregelt, sondern durch religiöse Pflichten, weltlichen Gehorsam oder einfach durch Zwang.
Die humanistische Semantik lässt all dies nicht mehr zu. Die Menschen sind frei und deshalb auch frei in der Wahl. Trotzdem erzwingt die zunehmend komplexer werdende Gesellschaft, Arbeitsprozesse zu koordinieren, für die zahlreiche Menschen benötigt werden.
Genau hier greifen Organisationen ein.
Sie regeln den Zugriff auf Arbeit über Individuen und über individuelles Können; und nicht mehr über familiäre Traditionen, nach dem Motto: Vater Metzger, Sohn Metzger, Enkel Metzger.
Organisationen lösen sich also von sozialen Bedingungen wie der Schichtzugehörigkeit ab und ersetzen diese durch interne Bedingungen. Gerade dadurch können Organisationen freier wählen, wovon sie sich im Außen abhängig machen. Organisationen sind also nicht unabhängiger von der Umwelt als zum Beispiel Gilden, aber sie sind unabhängiger in der Wahl der Abhängigkeit.
Individuen werden in Organisationen gewöhnlich dadurch inkludiert, indem ihnen eine bestimmte Rolle zugemutet wird, zum Beispiel die des Lehrers (Schulen sind Organisationen). Man kann als Individuum in einer Organisation Mitglied sein, solange man die Rollenerwartung erfüllt. Wie dieses Erfüllen aussieht, muss die Organisation organisationsintern aushandeln, notfalls durch Wegsehen oder Dulden.
In Organisationen gibt es zahlreiche Verfahren, die greifen, wenn es zu bestimmten Entscheidungen gekommen ist. Solche Verfahren produzieren wiederum andere Entscheidungen, über die dann wieder entschieden werden muss. Mithin ist eine Organisation darin selbstreferentiell, dass sie über Entscheidungen von Entscheidungen entscheidet.
Aufgrund dieser extremen Freiheit in der Grundoperation einer Organisation kann sie gleichzeitig extrem determiniert sein, und muss es auch - anderenfalls wird sie kafkaesk.
Damit Entscheidungen nicht haltlos in einer Organisation herumwirbeln, gibt es dann Verfahren, die teilweise sehr penibel entscheiden, wie entschieden werden darf. Verfahren sind der strukturelle Halt der Organisation.
Auch Verfahren sind unspezifisch. Beides garantiert der Organisation noch immer, dass sie sich beliebig entwickeln kann. Schließlich muss - natürlich per Verfahren - entschieden werden, auf welche Entscheidungen in der Umwelt eine Organisation entscheidet, dass sie eigene Entscheidungen darin einhängt.
Erst dieser letzte Punkt ermöglicht es der Organisation, sich als Hochschule zu bezeichnen und nicht als Gericht oder als Umweltamt. Als Hochschule entscheidet eine Organisation über Zulassungsverfahren und Prüfungen, über Organisation von Seminaren und über interne Anschaffungen, wie Büromaterial, aber auch Fachliteratur. Von Gerichten würde man dies so nicht erwarten, obwohl diese auch Organisationen sind.
Hochschulen jedenfalls produzieren keine Bildung.
Hochschulen sind weder mit dem Erziehungssystem gleichzusetzen, noch mit dem Wissenschaftssystem. Natürlich wird in Hochschulen neues Wissen produziert, natürlich kann man bei langjährigem Verharren in einer Hochschule auch Bildung erwerben.
Zunächst aber besteht die Hochschule aus Verfahren, und unter anderem aus Verfahren, Studenten aufzunehmen oder zu entlassen, sei es durch Entzug der Hochschulerlaubnis, sei es durch eine erfolgreich bestandene Prüfung.
Bildung ist ja im Übrigen nur eine Kompaktzumutung an Personen, genau das richtige Faktenwissen zur richtigen Zeit parat zu haben, zum Beispiel Goethe-Zitate auf Sektempfängen.
Auch die Behauptung des ominösen Autors, Hochschulen würden Theorien zum Thema Umweltschutz entwickeln, ist - von der Systemtheorie aus gesehen - falsch.
Die Wissenschaft produziert Theorien, und sonst kein anderes Funktionssystem.
Eine Hochschule kann als Organisation nur beschließen (also entscheiden!), ob sie zum Beispiel umweltfreundliches Papier benutzt, oder ob sich die Kollegen bei der Müllentsorgung zwischen zwei oder drei Müllsorten und damit zwei oder drei verschiedenen Mülleimern entscheiden müssen. - All dies fällt aber unter Verfahren. Diese finden dann ihren Niederschlag in Erlassen, Rechtsverordnungen, Vorschriften, etc.
Literatur dazu:
Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 826 ff (Kapitel "Organisation und Gesellschaft")
Legitimation durch Verfahren
Das Recht der Gesellschaft, S. 297ff (Kapitel "Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem")
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