21.05.2008

Lakonisches Lesen

Vor ein paar Tagen hatte ich mich zu Kriss Rudolphs Buch Heute ziehst du aus geäußert. Gestern war ich auf der Lesung. Wie man sich täuschen kann! Was mir zu Rudolphs Buch gefehlt hat, war die bestimmte Art und Weise, es zu lesen. Tatsächlich ist es weniger eine Geschichte als ein Sermon, den man sich mit teilweise offen überheblicher, teilweise unterschwellig arroganter Stimme lesen muss und dann funktioniert sogar die Erzählweise prima. Diese hatte ich ja zuvor moniert. Aber ich - von der Spannungsliteratur aus denkend - konnte mir hier diesen maroden Singsang nicht vorstellen, den Rudolph in seinem Buch zum Wirken bringt.
Rudolph liest übrigens ohne Punkt und Komma. Seine Pausen setzt er auf die Stellen im Satz, in der sich die Stimmung ändert, von einem Hoppla! Jetzt erzähl ich euch mal was aus meinem Leben! zu einem Und weißt du, was dem Deppen dann passiert ist? ändert, oder zu einem Stell dir vor, was diese Zicke gemacht hat.
Es gibt ja andere Autoren, die eine solche lakonische Leseweise in ihren Schreibstil einfließen lassen. Arno Schmidt zum Beispiel, den ich vor ein paar Jahren auf Schallplatte zu hören das Vergnügen hatte. Der schmeißt einem seine Sätze auch vor die Füße mit dem Duktus Da hast du's, ob's dir passt oder nicht! Und ähnlich habe ich eine Lesung von Jelineks Werk Lust empfunden. Jelinek übrigens kann ich so lakonisch und drakonisch lesen. Martin Walser wäre noch zu nennen. Walsers Schreibstil, spröde, fast reportagenhaft, ohne einen Anflug von Trauer oder Freude, entfaltet eine überaus subtile Wucht.
Es kommt also immer wieder beim Lesen auch darauf an, dass man einer passenden Stimme nahe ist. Oder sich die passende Stimme sucht. Manche Stimmen sind einem näher: man hat sich im Laufe seines Lebens in sie eingeübt.
Trotzdem glaube ich sagen zu dürfen, dass Rudolph keine Bücher für jeden schreibt, also keine Bestseller. Diesmal allerdings mit einer sozialen Begründung: diese Stimme, diese trockene Kürze, diese egozentrische Weitschweifigkeit, auf deren Rückseite die Ironie, teilweise der Zynismus mitschwingt, dürfte vielen Menschen fremd sein. Im allgemeinen neigt man ja eher zum derben und deutlichen Witz.
Arno Schmidt hat übrigens, um seine Leseweise zu unterstreichen, genau den grammatisch korrekten Satz liquidiert und die Satzzeichen als Markierungen für das Lesen verwendet. Das kann man dem heutigen Leser nicht mehr andrehen. (Gibt es eigentlich Lehrer, die mit ihren Klassen Elfriede Jelinek lesen? Oder Arno Schmidt? Also mal nicht die Pflichtlektüre Goethe, Schiller, Lessing, sondern moderne Klassiker, vor allem solche, die noch Witz haben?)

2 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

was an sich hilft, ist lesen. deine rezensionsübersicht zeigt ein wenig nachholbedarf in belletristik ;-)

Frederik Weitz hat gesagt…

Sorry, aber den Kommentar muss ich jetzt mal nicht ernst nehmen, oder? Nicht alles, was ich lese, rezensiere ich, erstens; und zweitens hilft viel lesen nicht gegen bestimmte Blindheiten: da muss man sich dann mit einer Wirklichkeit konfrontieren, die man sich selbst anders vorgestellt hat, wie zum Beispiel in diesem Fall das Buch vom Autor gelesen; drittens aber: viel lesen heißt noch nicht intensiv lesen, und dass ich nicht intensiv lese, wird man mir wohl kaum vorwerfen können: leider schützt selbst das einen nicht vor Fehleinschätzungen (wobei ich eher sagen würde: zum Glück! denn so bleibt das Leben/Lesen spannend).
Meinen Eintrag habe ich deshalb auch mit einem weinenden und einem lachenden Auge geschrieben. Weinend nicht deshalb, weil ich das Buch von Kriss Rudolph ungerecht bewertet habe - meine Kritiken sind nie gerecht! -, sondern weil ich einige Autoren kenne und liebe, die den Sermon schreiben, ich hier aber blind dafür war. Lachend, weil ich etwas neues erfahren habe, wieder mal neu lesen konnte, weil ich gleich meinen Arno Schmidt mal wieder in die Finger genommen habe und einige schöne Stellen aus Brand's Haide überflogen. Herrliches Buch.