30.07.2007

Raumsoziologie, die dritte

Dritte Lieferung zur Raumsoziologie. Von Werner Friedrichs stammen die Zitate.

Die von kai lorentzen aufgeworfende frage halte ich - nicht nur angesichts des sog. spatial turn, der die kulturwissenschaften seit einigen jahren beschäftigt - für absolut relevant. ich glaube auch, dass der raum eine vernachlässigte größe in luhmanns werk ist.

Ich glaube nicht: Luhmann nimmt den Raum dort mit, wo er relevant erscheint. Sicherlich: er widmet ihm keine eigene Untersuchung und steht damit im Kontrast zu anderen soziologischen Größen, wie Simmel, Goffman. Ich glaube nur, dass Luhmann in seinem Werk alles mitgegeben hat, um eine Umschrift der Raumsoziologie zu leisten. Raum ist keine basale Kategorie in der Systemtheorie, zurecht!, und deshalb wird es in der Systemtheorie zwar Untersuchungen zum Raum geben, aber keine spatial turn.

Und man kann m. e., durchaus im sinne des spatial turns, versuchen den raum "tiefer" zu legen als auf die beobachtungsebene. dies insbesondere mit blick auf eine differentialistische Systemtheorie, in der ja mit laws of form eine "räumlich" gedachte logik zugrunde gelegt wird.

Räumlich gedacht heißt noch nicht räumlich: wie der Raum tiefer gelegt werden kann als auf die Beobachtung von Beobachtern ist mir unklar: Sinn - so Luhmann - ist ein zeitpunktfixiertes Ereignis; natürlich gibt es Köpfe, in denen dieser Sinn dann passiert, aber der Sinn abstrahiert sich sozusagen selbst von seinem Ort, an dem er passiert.

Der Raum, ob abstrakt oder konkreter, ist nur ein Begriff, der mit all dem versehen werden muss, mit dem Luhmann Begriffe versieht. Hier einer Vermischung zwischen wissenschaftlichem Begriff und der alltäglichen Kondensation von Erwartungshaltungen mit und durch Räume Vorschub zu leisten, halte ich für einen Rückschritt.

Es ist m.e. den versuch wert, dass abstraktionsniveau der (mathematischen) topologie zu nutzen um ein dynamischen raumkonzept zu entwerfen.

Womit man erfinden würde, was Luhmann voraussetzt: insofern Erwartungshaltungen an Räume dynamisch sind, d.h. sich evolutionär verändern, sind die Räume selbst dynamisch, aber nur auf "verliehene" Art und Weise: Erwartungshaltungen entstehen nur in sinnverarbeitenden Systemen; Räume sind für sinnverarbeitende Systeme nur in und durch Sinn konstruiert; also sind Raumerwartungen mit einer grundlegenden Eigenschaft von Sinnsystemen ausgestattet: sie sind dynamisch; damit aber sind auch Räume dynamisch.

Ich bin diesen gedanken im übrigen in meiner im winter bei transcript erscheinenden diss. nachgegangen, in der ich mich mit luhmann und deleuze an einer "topologie der differenz" versucht habe.

Nun: Topologien sind Topologien und keine Räume. Speisekarten schmecken auch nicht besonders und wenn man sie trotzdem isst, erntet man sicherlich Skepsis.

Deleuze (und Guattari) argumentieren mit vielen räumlichen Metaphern: alleine der Begriff Deterritorialisierung weist darauf hin, zugleich aber auch auf die Scheinhaftigkeit des räumlichen Bezugs. Begriffe wie "Ritornell" zeigen hier einen guten Weg auf: in der Rhythmisierung wiederholen sich ähnliche Figuren der "Raumkonstitution" - ähnlich dem Dompfaffmännchen, das sein Revier durch eine zugleich typisch gattungsgetreue, aber auch individuelle Melodie markiert.

So spatial turned ist der spatial turn dann oft nicht: die Heterotopie Foucaults durch Programme, die Idiorrhytmie Barthes ebenfalls und die imaginäre Vektorisierung Ettes schlagen in die gleiche Kerbe: mehr oder weniger strikt festgelegte Programme schwitzen die Räume als "fungierende Ontologie" (P. Fuchs) aus.
Roland Barthes: Wie zusammen leben?, Frankfurt am Main 2007
Michel Foucault: Von anderen Räumen, in: ders. Schriften Bd. 4, Frankfurt am Main 2005
Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus, Berlin 1997
Ottmar Ette: ZwischenWeltenSchreiben, Berlin 2005

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