16.07.2007

Elemente der Spannung

Immer wieder ist Spannung ein großes Thema für Autoren. Hier sind einige Anmerkungen dazu, die ich eigentlich momo [einem Teilnehmer aus einer Schreibwerkstatt] geschrieben hatte.

Zwei Türen

Hierbei handelt es sich um den klassischen Aufbau der Spannungsgeschichte, bzw. um den Aufbau, wie er in vielen Schreibratgebern auf die eine oder andere Weise vermittelt wird:
Ausgangssituation ---> QUEST ---> Endkampf / Duell
Die Türen sind hier durch die Pfeile dargestellt.

Der erste Pfeil führt den Protagonisten in eine persönliche Verstrickung mit dem Problem.
Der zweite Pfeil führt zur Konfrontation, also - in der klassischen Form - zum Duell.

Beispiel I: Ein Mord passiert (Ausgangssituation); der Kommissar muss und möchte das Verbrechen lösen (persönliche Verstrickung: einmal ist der Kommissar "von Amt her" darin verwickelt, zum anderen könnte er das Verbrechen auch als besonders widerlich empfinden, also moralisch besonders engagiert sein); QUEST, die Suche, die alle möglichen Formen der Spurensuche enthält; durch besondere Umstände muss der Kommissar rasch und ungewöhnlich handeln (führt zur Konfrontation) und steht plötzlich dem Mörder selbst gegenüber (Duell).
Beispiel II: ein Junge hat eine tödliche Krankheit (Ausgangssituation); durch einen puren Zufall erlangt er ein magisches Artefakt, dass seine Krankheit zurückdrängt - jedoch ist dieses Artefakt sehr mächtig und wichtig (persönliche Verstrickung: Leben können / in eine fantastische Verschwörung verstrickt sein), weshalb er sich plötzlich mit allen möglichen fantastischen Wesen und seltsamen Bündnissen konfrontiert sieht (Quest), bis er schließlich das Geheimnis des Artefaktes löst und dieses zu seiner "Bestimmung" führt (zur Konfrontation), dabei aber dem dunklen Herrscher gegenüber treten muss (Duell).

Es gibt klassische Geschichten, die aber genau das wieder vermeiden. Im Herrn der Ringe gibt es keine wirkliche Konfrontation mit Sauron, zumindest nicht zwischen Frodo und Sauron. Dies ist natürlich der ganzen Struktur der Geschichte geschuldet: Frodo ist viel zu schwach, um es mit Sauron aufzunehmen; Frodo hat über den Ring eine beständige Konfrontation mit Sauron. Klassische Duellformen gibt es aber bei Tolkien massenweise: nur werden diese über Stellvertreter (das Orkheer, Gollum) inszeniert.

Hindernis

Ein klassisches Element ist das Hindernis. Der Protagonist hat einen Plan. Das Hindernis ist unvorhergesehen oder nur erahnt. Beim Ausweichen oder Überwinden des Hindernisses wird das Ziel unwahrscheinlicher oder - durch den Umweg - wahrscheinlicher.

(M)Ein Klassiker unter den Hindernissen ist der Weg durch die Minen von Moria: 1. der Weg durch die Westfold ist versperrt, weil die Gefährten zu dicht am Orthanc und damit an Saruman vorbeikommen; 2. der Weg über den Caradhras wird durch das Wetter vereitelt; 3. der Rückzug aus den Minen wird durch den Torwächter versperrt; 4. schließlich führt die Flucht in die Konfrontation der Gefährten mit den Orks und die Konfrontation von Gandalf mit dem Balrog: Gandalf stirbt.
Hier haben wir es mit einer Kette von Hindernissen zu tun: das letzte Hindernis - der Balrog - verschlechtert die ganze Situation. Gandalf stirbt. Der Weg wird noch gefahrvoller und ungewisser.

Flucht

Ein anderes klassisches Element ist die Flucht. Diese funktioniert sozusagen "automatisch". Die Situation ist so schlimm, wie sie sowieso kaum schlimmer kommen könnte (gewöhnlich die Gefangenschaft). Die Flucht wird hier zu einer überlebensnotwendigen Handlung.
Aber nicht immer, sogar meistens nicht, sind diese Fluchten so ernst wie in Thrillern und Fantasy. Es gibt Fluchten aus ökonomischen Gründen (Steinbeck: Früchte des Zorns), aus psychologischen Gründen (Mann: Tod in Venedig; Handke: Der Bildverlust), aus politischen Gründen (Tosca).

Ultimatum

Das Ultimatum ist sozusagen ein fester Zeitpunkt, ab dem alles zu spät ist. Ob dieser Zeitpunkt genau datiert ist (Wenn Sie bis morgen Mittag nicht die zwei Millionen zusammen haben, stirbt Ihre Tochter!) oder ungenau (Wir müssen ihn aufhalten, bevor er zu stark wird!), spielt dabei keine Rolle. Das Ultimatum geht mit einer Bedrohung einher (einem Tod, einer Vernichtung, einem Karriereknick). - Muss ich Beispiele bringen?

Unumkehrbarkeit

Unter diesem hübschen Wort versteckt sich einfach und schlicht die Tatsache, dass jeder Konflikt nach dem Muster Leben/Tod organisiert ist. Der Tod kann nicht rückgängig gemacht werden. Natürlich können hier ganz andere Dinge stehen: Freundschaft/Misstrauen. Der Übergang von der Freundschaft zum Misstrauen ist strukturiert wie der Übergang zum Tod.
Das mag seltsam anmuten: du kannst dir nämlich durchaus vorstellen, wie man ein Misstrauen auflösen kann. Allerdings ist eine Geschichte konstruiert und wenn du dir hier als Autorin keine Lösung vorstellen willst (weil deine Geschichte woanders hinführen soll als in die Freundschaft, die man zurückgewonnen hat), dann kannst du den Weg von der Freundschaft in das Misstrauen tatsächlich wie den Weg vom Leben in den Tod inszenieren. Er ist dann eben - für dich, in deiner Geschichte - unumkehrbar.

Unumkehrbarkeiten gibt es zahlreiche: die Veröffentlichung eines großen Werks (auch Berühmtheit ist eine Unumkehrbarkeit), die Entfremdung von den Eltern, die tragische oder traumatische Erfahrung.

Wie geht man mit solchen Begriffen um? Nun, zuallererst sucht man sie in seinen Lieblingsbüchern. D. h. es geht um eine Analyse.
Dann, indem man selbst möglichst viele von ihnen entwirft.
Drittens, indem man Geschichten danach schreibt. Oder: Plots (man kann sich ja erstmal einen Überblick verschaffen und sich dann überlegen, ob sich die Geschichte wirklich lohnt).

Hilfreich ist es auch, sich bei Amazon oder media-mania die Rezensionen anzuschauen. Gerade zu den "Zwei Türen" sind Rezensionen ein gutes Übungsfeld: sie liefern die halbe Geschichte. Den Rest muss man sich dazu denken oder erfinden. Hindernisse werden meist grammatisch-semantisch angekündigt: "doch", "jedoch", "aber" sind Hinweise darauf, dass es sich hier um Hindernisse handelt.

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