09.08.2014

Freiheit alleine genügt nicht. oder: Sauhatz mit Reinhard Mohr

Es ist ein altes Spiel. Man sagt das eine (zum Beispiel Kinderarmut oder Chlorhühnchen) und sofort kommt jemand an und schreit: Damit lenkt ihr nur von dem anderen (Menschenrechtsverletzungen in China, Macho-Putin) ab.

Narzissmus und Themenlosigkeit

Zwei Effekte hat diese Strategie. Als allererstes kann man sich sofort besser fühlen und daraufhin, ganz demokratisch und natürlich ohne jegliche Wut, die den Wutbürger so auszeichnet, alles und jeden herunterputzen, der nur jemals nicht begeistert zu einem hinübergeschaut hat. „Putinversteher, Freiheitsverächter, Kabarettprediger, Montagsdemonstranten, Hassblogger, Meinungsagenten und Verschwörungstheoretiker“ — so lärmt Reinhard Mohr daher: HIER.
Der andere Effekt ist ein allgemeiner Schaden. Dadurch, dass jedem Thema ständig ausgewichen wird, indem sofort ein anderes Thema aufgeklappt wird, kommt es zu keiner thematischen Diskussion. Darin ist Mohr tatsächlich so links und zugleich so spießbürgerlich, wie ich es aus so genannten marxistischen Lesegruppen kenne.

Die Verwirrung der Begriffe

Mittlerweile haben sich tatsächlich viele Begriffe so unerträglich verworren, dass man sie nur noch als Reizworte benutzen kann, als Worte, um sich selbst zu einer Gruppe zugehörig zu machen oder von einer Gruppe zu distanzieren. Das ist weder Inklusion, noch politische Diskussion, geschweige denn Aufklärung. Und nehmen wir Aufklärung in ungefähr dem Sinne, den Kant gemeint hat: als die Diskussion von Begriffen, als deren Kritik, wobei Kritik die Reichweite eines Begriffes betrifft und sein Zusammenspiel mit anderen Begriffen.

Autokratie

Was Reinhard Mohr so widerlich macht, zu einem Anti-Demokraten, ist nicht seine Meinung als solche, sondern dass er rhetorisch das macht, was er inhaltlich an den Pranger stellt, so als würde er überhaupt nicht verstehen, was er dort tut. Glückseligkeit, so hatte Aristoteles das einmal formuliert, sei das höchste Gut der Tugend. Es bestünde in der Einheit oder Parallelität von Wort und Tat, womit wohl gemeint ist, dass der Inhalt und die Praxis (des Sprechens) nicht auseinanderklaffen und schon gar nicht, dass sie sich konträr gegenüberstehen. In diesem Sinne ist Mohr ein Mensch der Untugend.
Und so liest sich auch sein ganzer Artikel: was er als Schweinshatz inszeniert, entpuppt sich als Schweinsgalopp durch sämtliche Reizworte des ungebildeten Spießbürgers. Will sagen: Mohr jagt seinem eigenen Schwanz hinterher.

Gender-Politik und Gender-Ethik

Aber bleiben wir konstruktiv. Und nehmen wir ein Beispiel, an dem sich deutlich machen lässt, warum bestimmte Begriffe auf der einen Ebene wunderbar funktionieren und auf der anderen Ebene nicht. Nehmen wir den Begriff des Gender.
Dieser Begriff stammt aus der politischen Philosophie. Die politische Philosophie ist nicht die praktische Politik. Die politische Philosophie zum Beispiel erörtert, was mit Religionsfreiheit gemeint ist. Eine Regierung dagegen hat Gesetze zu erlassen und aufrechtzuerhalten, die diese Religionsfreiheit gewähren. Und eben dort sind wir dann auch bei dem Begriff des Gender. Die politische Philosophie schätzt die Reichweite dieses Begriffes ab. Doch genauso, wie der Begriff der Religionsfreiheit noch nicht dem einzelnen vorschreibt (das wäre ja auch ganz widersinnig), welche Religion er zu wählen hat, so kann der Gender-Begriff nicht normativ in dem Sinne gemeint sein, dass er den einzelnen Menschen vorschreibt, welche Art des Genders sie zu wählen hätten.
Hier handelt es sich eher um eine Grenze, innerhalb derer sich der einzelne Mensch verwirklichen darf. Wie diese Verwirklichung auszusehen hat, wird dann aber nicht von der Politik bestimmt, sondern von der Ethik. Nehmen wir die Ethik in einer ganz klassischen Definition als die Sorge um die eigene Tugend. Niemand wird jede Tugend, die in einer Demokratie möglich ist, verfolgen und verwirklichen können. Der einzelne Mensch muss also auswählen. Die politische Begrenzung von Tugenden und die individuelle Auswahl derselben, die Durchsetzung dieser Begrenzung und die Verwirklichung der Auswahl, das sind alles verschiedene Sachen.
In der Diskussion von Gender finden wir nun diese ganzen unglücksseligen Vermischungen. Mal ist es nur die Gleichberechtigung, mal weitere statistische Nivellierung von Karrieremöglichkeiten, mal ist es die Biologieversessenheit und mal die unendliche Formbarkeit der Frau, weil diese auf ihre Biologie nicht festgelegt sei.

Die Biologie und die Aussagen

Was aber nun bedeutet Gender?
Es bezeichnet das kulturelle Geschlecht. Und dieses wird eben nicht aus der Biologie gebildet, sondern aus Aussagen. Damit wird das biologische Geschlecht nicht abgeschafft. Aber hin und wieder zweifeln eben die Gender-Theoretiker daran, ob eine Aussage sich alleine auf biologische Fakten gründet oder aber gerade der Biologie nicht gehorcht, auch wenn sie es behauptet. Es besteht also ein Misstrauen gegenüber biologischen Aussagen, keineswegs aber die Abschaffung der Biologie oder des biologischen Geschlechts.
Der andere Grund, warum das kulturelle Geschlecht keineswegs das biologische ist, liegt daran, dass die Biologie selbst den Menschen eine Offenheit einschreibt, deren spezifische Festlegung nicht rein aus den grundlegenden biologischen Tatsachen abgeleitet werden kann. Kurz gesagt: das Gehirn ist ein reizverarbeitendes Organ. Reize haben kein Geschlecht und insofern ist das, was das Gehirn macht, geschlechtslos.
Moment! Ganz so einfach ist nicht. Gibt es da nicht die kleinen Unterschiede? Die gibt es. Allerdings ist immer noch nicht so ganz klar, wie die neuronale Struktur uns ermöglicht, Gedanken zu formulieren, die wahlweise vernünftig oder unvernünftig, erhellend oder langweilig sind. Und auch wenn man hier bereits vieles präziser sagen kann, ist der Inhalt eines Gedankens in Bezug auf die Struktur und Arbeitsweise des Gehirns noch lange nicht geklärt. Es mag sein, dass Frauen anders als Männer denken, ganz grundsätzlich und strukturell. Doch lässt sich das nicht deduzieren. Wir müssen einfach mit dieser Unsicherheit leben.
Der andere Grund, warum zum Beispiel eine Trennung des Denkens von Mann und Frau hinterfragt werden kann, liegt schlichtweg in der augenfälligen Tatsache, dass das Denken unterschiedlicher Menschen so unterschiedlich ausfallen kann, dass dahinter eine Geschlechterdifferenz kaum auszumachen ist, wenn überhaupt.
Es ist aber dieses Denken, was den Menschen zu einem politischen Wesen macht, zu einem Wesen, das in Gemeinschaft lebt. Dies kann nicht alleine auf die Biologie zurückgeführt werden. Natürlich kann man vermuten, dass es eine grundsätzliche Anlage des Menschen gibt, sich in Gemeinschaften aufzuhalten. Aber dass es eine Notwendigkeit zu einer bestimmten Gemeinschaft gäbe, lässt sich wiederum nicht genau beweisen. Damit lassen sich solche Bevorzugungen der heterosexuellen Ehe vor der homosexuellen nicht begründen. Wer hier hoffnungsvoll ist, darf durchaus sagen: noch nicht! Und er darf dabei hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Jetzt allerdings ist Jetzt und derzeit ist eine streng wissenschaftliche Ableitung nicht möglich. Aus der statistischen Verteilung umgekehrt, also dem Überwiegen der heterosexuellen Ehe, kann man auf eine Normalität der Heterosexualität schließen, aber keineswegs auf eine Normativität.
Die philosophische Ausprägung der Gender-Theorie fragt also einerseits nach der Konstitution von festen Geschlechts-Identitäten, zum zweiten nach den politischen Grenzen sexueller Wahlfreiheit (und es ist klar, dass es natürlich Grenzen gibt, wie zum Beispiel beim sexuellen Missbrauch) und zum dritten nach dem Zusammenhang des kulturellen Geschlechts und anderen politischen Begriffen.

Normalität und Normativität

Gender Mainstreaming versucht, die Normalität der Heterosexualität zu erweitern um die Normalität anderer sexueller Lebensformen. Es gibt einen guten Grund dafür: Homosexuelle sollten keine Angst haben, homosexuell zu sein. Angstfreiheit und gegenseitiger Respekt, darum geht es!
Die Normativität steht bei der Homosexualität in einer ganz anderen Form infrage. Rein rechtlich gesehen ist (mittlerweile) die Ausübung homosexueller Bedürfnisse (im Privatbereich) zugelassen und unterliegt nicht mehr der staatlichen Regelung. Anders sieht es mit homosexuellen Lebensgemeinschaften aus. Diese sind den heterosexuellen Lebensgemeinschaften nachgestellt. Es ist strittig, ob das Argument, dass Homosexuelle keine Kinder bekommen können, bereits ausreicht, um eine solche rechtliche Ungleichheit zu begründen. Meiner Ansicht nach reicht es nicht aus, da unser Recht ganz deutlich ein Individualrecht ist, während die Begründung mit dem Kinder-bekommen-können den Beigeschmack des mittelalterlichen Lehenrechts bekommt. Dort wurden bestimmte Rechte zweckgebunden vergeben, während das Individualrecht bestimmte Vertragsrechte nur formal regelt (und eventuell steuerlich begünstigt), aber keineswegs inhaltlich an Zwecke bindet, vor allem nicht an Zwecke, neue Individuen herbeizuschaffen.
Wir spielen nicht kollektives Rumpelstilzchen!

Freiheit

Dasselbe geschieht doch Gauck mit seinem Begriff von Freiheit. So einsam, wie der in seinen Aussagen dasteht, wundert es nicht, dass er keinen Halt findet. Gauck präsentiert uns kein Gedankengebäude, schon gar nicht ein argumentativ gut verfugtes, sondern ein Radikal, das nicht auf seinem Energieniveau bestückt ist.

Abwägen

Jetzt bin ich leider selber ein wenig im Schweinsgalopp durch verschiedene Argumentationen und Begriffe galoppiert. Aber zumindest die Vorgehensweise sollte tendenziell klar geworden sein. Statt zu beleidigen sollte man Begriffe abwägen.
Reinhard Mohr wägt keineswegs einzelne Aussagen ab, prüft ihre Berechtigung und argumentiert eventuell, womöglich sogar inhaltlich präzise, dagegen. Meiner Ansicht nach kann er das auch gar nicht. Jenen „zynischen Relativismus, der die Prinzipien der europäischen Aufklärung an den denkbar dümmsten Obskurantismus verrät“, überbietet er mit einem „zynischen Nominalismus, der den denkbar dümmsten Obskurantismus noch überbietet“.

Noch einer für die Liste

Ich habe mir einige weitere Artikel von Reinhard Mohr angesehen und finde nichts, was die Schreibweise dieses Menschen attraktiv macht. Das sind keine scharf geschliffene Argumentationen, keine punktgenauen Angriffe, keine überraschend neuen Tatsachen; nichts an dem, was Reinhard Mohr zu bieten hat, lässt auf Bildung schließen. Es ist ein wirres Geplapper, das sich an dem pejorativen Geist seiner Vokabeln berauscht. Immerhin: Mohr heuchelt gar nichts. Der ist wohl so doof, wie er daher kommt!
Würde er den Kommunismus durch eine gute Argumentation ablehnen, durch eine, die zumindest zum Widerspruch herausfordert, besser aber noch, die Welt neu zu überdenken, vielleicht auch nur ein Stück der Welt, dann würde ich mir einen Widerspruch gegen meine eigene Meinung durchaus gefallen lassen. Schlimmer als die Desinformiertheit ist aber, dass sein Artikel von bohrender Langeweile ist.
Mohr wird also der zweifelhafte Ruhm zuteil, neben Matussek, Joerges oder auch Martenstein auf meiner Liste mit inkompetenten Journalisten seinen Platz zu bekommen.

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