Eine denkwürdige Korrespondenz zu der Begriffsarmut von Personal trainers und Coaches (natürlich nicht allen) findet sich in Walter Benjamins erstem Essay von Das Paris des Second Empire bei Baudelaire, der Die Bohème heißt und aus vielerlei anderen Gründen sehr aktuell ist. Bei der Coaching-Literatur gehen Elend des Begriffs und Wortreklame Hand in Hand; was das Elend angeht, das mich immer wieder so sehr frappiert, hier Benjamin:
Der Lumpensammler faszinierte seine Epoche. Die Blicke der ersten Erforscher des Pauperismus hingen an ihm wie gebannt mit der stummen Frage, wo die Grenze des menschlichen Elends erreicht sei.Man darf sich übrigens nicht wundern. Den Wörtern, die von diesen halb spiritualistischen Beratern benutzt werden, wird eine einschmiegsame, fürsorgliche Seele zugesprochen, wie sie einst den Lemuren und Penaten eigen war: dienstbare Heinzelmännchen im runtergewirtschafteten Haushalt der Seele. Diese blinkenden Reklamen sind eher magische Embleme gegen die alltägliche Achse des Bösen, gegen Neid, Konkurrenz und einem diffusen "Wir haben all dies nicht gewollt". Schon dass es mittlerweile üblich ist, das Wort Problem durch das Wort Herausforderung zu ersetzen, als habe man keine Probleme, ist leicht zu lesende Chiffre, wenn auch undurchschaubar ihren Protagonisten. Denn in der Herausforderung lebt noch der Sinn für die Balgerei und pubertäres Kräftemessen. Vor allem aber wird der Begriff des Problems, eine lange gut erforschter Sachverhalt, aus seinen theoretischen Bezügen gelöst. Die Worte mögen schmeicheln, aber sind dann nicht mehr die Begriffe der Sache. Denn die Begriffe richten und richten zu. Sie machen handhabbar gerade durch ihre kristalline Spröde, und liegen darum nicht in der Hand wie ein Handschmeichler, sondern wie eine Rohrzange oder ein Schraubendreher, nicht geeignet für das allgemein Abstrakte aber nützlich für das konkret Besondere.Benjamin, Walter: Charles Baudelaire - Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, in: ders., GW I,2, hier S. 521.
2 Kommentare :
Lieber Herr Weit,
gerade habe ich Ihr Ebook systemische Kommunikation gelesen und fand es knapp und präzise. Lediglich im praktischen Teil hätte ich mir mehr Bezüge zur Theorie im Anfang gewünscht, also den Bogen, wie die einzelnen Fragearten mit dem großen Ganzen zusammenhängen. Aber Kompliment!
Nun stöbere ich in Ihrem Blog und finde diese doch recht zynisch-skeptische Anmerkung über Coachingliteratur. Als ob es da nicht verschiederne Qualitäten und Arten gäbe. Spirituelle Quacksalber, die alles mit Quantenheilung pseudoerklären sind das eine.
Aber gibt es nicht redliche, ernsthafte und sogar niveauvolle Literatur auch auf diesem Feld?
Nun machen Sie es an dem Beispiel der Ummünzung von "Problem" in "Herausforderung" fest. Natürlich ist dies eine pauschale Werbemaßnahme und nicht einmal immer wirksam, holt es doch Klienten möglicherweise gar nicht da ab, wo sie stehen, nämlich vor einem Problem.
Doch schafft nicht gerade die Philosophie, die ich bei ihrem Wunsch nach kristalliner Spröde der Begriffe Pate stehen zu sehen glaube, durch ihre erbarmungslose Schärfe und Pointierung manches Scheinproblem? Und die Hypostasierung der Begriffe ist doch sogar eine philosophische Idee.
Hier - so beschreiben Sie es in ihrem erwähnten Ebook doch selbst - sollen im Coaching differenzierende und verflüssigende Fragen (er-)lösende Milde schaffen - sozusagen Gnade vor der Guillotine der Begriffe. Kennen Sie Dantons Tod?
Beispielsweise wenn man fragt, was das Problematische an dem Problem und was das Herausfordernde an dem Problem ist und was vielleicht das Neue und was das Bekannte und, und, und ...
Wenn die Begriffe "Begriffe der Sache" sein sollen, wie Sie formulieren, dann muss es immerhin eine Sache, einen vor und unabhängig von den Begriffen existierenden Sachverhalt geben. Gerade aber das stellt der Konstruktivismus, die philosophische Grundlage der meisten modernen Coachingrichtungen in Frage. Ganz im Gegenteil: Die Begriffe und Beschreibungen erzeugen - zumindest im Psychischen und Sozialem - den Sachverhalt.
Philosophisch wiederum verstehe ich Ihren pointierten Beitrag als Herausforderung - als Forderung nach einer Reaktion und nicht als Problem. So denn: Bitte!
Grüße aus Köln
Jan Crueger
Sehr geehrter Herr Cremer!
Vielen Dank für Ihren sehr sachkundigen und offenherzigen Kommentar.
Sie haben natürlich recht: ich bin, was das Coaching angeht, sehr polemisch. Ich kenne einige gute Coaches, leider allerdings auch (die Mehrheit) schlechte.
Was die Begriffe angeht, so habe ich mich damals noch sehr auf eine einfache, für „meine“ Studenten nachvollziehbare Darstellung gestützt. Diese behandelt allerdings nur den Verstandesbegriff, zumindest wenn man Kant folgt.
Der Verstandesbegriff ist eine Abstraktion aus dem Sinnenmaterial. Derzeit bin ich, aber das ist noch in Arbeit, bei dem Vernunftbegriff, den Kant im § 59 der Urteilskraft bespricht. Dieser zeichnet sich durch die Darstellung des Nicht-Darstellbaren aus, einer etwas rätselhaften Formulierung, die zusammen mit weiteren rätselhaften Formulierungen den ganzen Paragraphen in seinem Kontext schwer zu lesen macht.
Ich habe also damals noch den Verstandesbegriff und den Vernunftbegriff zusammenzudenken versucht. Das konnte natürlich nicht funktionieren.
Ich benutze Kant, wie gesagt, sehr gerne. Selbstverständlich haben Sie auch in diesem Punkt recht: auch unsere Wahrnehmung ist nur eine Konstruktion. Allerdings bin ich zu der Überzeugung gekommen (und sehe mich hier in Übereinstimmung mit so unterschiedlichen Philosophen wie Schopenhauer und Wittgenstein), dass man über die Wahrnehmung nicht streiten kann, über Begriffe, seien es Verstandesbegriffe oder Vernunftsbegriffe, allerdings schon. Insofern gibt es bei mir rein methodisch gesehen keinen Zweifel an der Wahrheit einer Wahrnehmung. Da Begriffe auch wahrnehmungsleitend sind, ist meine Strategie, Situationen und Objekte differenzierter zu begreifen und gleichzeitig damit eine differenziertere Wahrnehmung aufzubauen.
Das ist für meine Kunden, genauso wie für mich, kein einfacher Weg. Es scheint wesentlich einfacher, Handlungen zu ändern als Wahrnehmungen. Und das liegt mit Sicherheit nicht daran, dass Wahrnehmungen nicht genauso plastisch im Gehirn vorliegen wie Handlungen. Meist habe ich den Eindruck, dass die Menschen Angst haben, dass sie, wenn sie ihre Wahrnehmung ändern, irgendwelche Verluste erleiden, die sie nie wieder ausmerzen können.
Wer hat das gesagt: Erkenntnisgewinn führt zur Existenzverlust? Ich glaube, Hans Blumenberg. Es scheint mir dasselbe auszudrücken.
Und irgendwo auf meinem Blog habe ich noch ein Zitat von Matthias Richling, indem er sagt, dass die Menschen sich nur deshalb so groß fühlen, weil sie so wenig Welt haben; Bildung in ihrer welthaften bezeichnet er deshalb als selbst verletzend.
Jedenfalls danke ich Ihnen ganz herzlich für Ihren Kommentar und grüße nach Köln zurück,
Frederik Weitz
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