05.06.2009

Empathie und Gewalt

In einen hineinkriechen -
so liest man im Karl Kraus-Essay von Walter Benjamin (Band II.1, S. 347),
so bezeichnet man nicht umsonst die niederste Stufe der Schmeichelei, und eben das tut Kraus: nämlich um zu vernichten.
Mir fällt bei der Arbeit zur Empathie auf, wie sehr heute die destruktive Seite dieser "sozialen Kompetenz" ausgeblendet, wie sehr ihre konstruktive phrasenhaft beschworen wird, wie sehr hier Interaktionsidyll zum Mysterium eines neuen Priestertums wird.
Es gibt zwei Arten des Destruktion. Die eine besteht in der Heiligsprechung, die unberührbar macht, was dem Menschen als tätiges Dasein zugehört. Die andere knackt dieses heilige Wesen und zeigt auf das Hohle, das in dieser Nuss verborgen lag. So gründet die Empathie dort auf Gewalt, wo sie das Schiefe hervorhebt, wo sie den sandigen Boden wässert, auf dem die Häuser stehen, die es zu versenken gilt.
Es mag übrigens eine dritte Art der Destruktion geben, die mit der ersten Hand in Hand geht: die Mode. Der Kleidertausch, der vorgaukelt, man habe es mit gänzlich Neuem zu tun, der den Protestierenden immer wieder in die Rolle des Lernenden drängt, nur damit er am Ende herausfindet, dass es dasselbe ist, manchmal dasselbe Nichts. So ergeht es den Begriffen, wenn sie zu Emblemen der Werbung werden. So verkauft sich die soziale Kompetenz als beständig neu und an der Front des Denkens, während der Inhalt mehr und mehr von der Zeit zerfressen wird und nichts Nahrhaftes mehr bietet.
Nur so konnte dann Karl Kraus schreiben (zitiert bei Benjamin, S. 341):
Und nur das Tier, das Menschlichem erliegt, ist Held des Lebens.


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