Nur sehr gelegentlich komme ich zur Zeit zum Lesen, jedenfalls zum Lesen querbeet. Sehr langsam schreitet zum Beispiel die Interpretation von Kassandra voran.
Von letztem Wochenende ist folgende Notiz (diese hat mich die Woche über beschäftigt):
Als ein zentraler Begriff könnte man „Koordinate“ bezeichnen, als ein zentraler Begriff in der Ästhetik von Christa Wolf. Er taucht bei Bachtin auf (Chronotopos) und bei Lotman (Die Innenwelt des Denkens), aber auch bei Ernst Bloch (Das Prinzip Hoffnung). Und das ist noch längst nicht alles.
Doch der Begriff der Koordinate ist bei Christa Wolf doppeldeutig. Auf der einen Seite geht es um die raum-zeitliche Koordinate, auf die Bachtin am Ende seines Buches ›Chronotopos‹ zurückkommt, und dort spricht er von einer Verzerrung; auf der anderen Seite geht es um diese Verzerrung selbst, die bei Lotman wohl durch das Wort Topologie ersetzt wird.
Dieser Doppeldeutigkeit müsste man also nachgehen, auch in der Ästhetik von Christa Wolf. Sie schreibt also:
„Wenn der erste Blick auf die minoischen Malereien — auf ihre Rekonstruktionen — ein freudiger Schrecken, merkwürdig genug: ein Wiedererkennungsschrecken ist: die Gefilde der Glücklichen, es gibt sie, man wusste es ja — so werden sie durch eine nähere Kenntnis der Verhältnisse, die sie hervorbrachten — anscheinend für eine gewisse historische Periode in einer produktiven Balance gehalten, aber doch nicht, wie man zuerst unvernünftig zu hoffen wagte, doch nicht eine Insel der Seligen außerhalb der Koordinaten ihrer Zeit — nicht entzaubert.“ (Voraussetzung einer Erzählung: Kassandra, 78 f.)
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