03.11.2014

Gauck

Ich wollte schreiben, ich habe geschrieben, und es dann doch nicht veröffentlicht. Zu Gauck. Jetzt aber doch. Wenn auch nicht alles, was zu sagen wäre.
Also: Gauck. Sein Buch Freiheit. Sein Thema; meines auch. Und halten wir uns mal ganz zurück, was der gute Herr Gauck sonst noch ist, gewesen ist, seine Rolle in der DDR und sein Aufstieg als politische Person im vereinigten Deutschland. Das Buch jedenfalls ist komplexer, als manche Menschen dies hinstellen und die Argumentation, wenn auch nicht unumstößlich, so doch nicht durch ein Schulterzucken abzutun. Ich arbeite daran. Und nicht erst seit kurzer Zeit.

Eingriffe und Aktualität

Seine aktuelle Äußerung ist, zugegebenermaßen, zu einem unglücklichen Zeitpunkt gefallen. Die Linken haben die Aussicht, den Ministerpräsidenten eines Landes zu stellen. Gespräche über eine Koalition sind im Gange. Das ist Parteipolitik. Hier hat sich der Bundespräsident herauszuhalten.
Was er allerdings geäußert hat, ist trotzdem immer noch zwiespältig zu werten. Es ist natürlich eine Albernheit, aus dem aktuellen Zustand der Linken auf eine Tradierung der SED zu schließen. Aber viele Menschen machen es eben, und der Einwand, den Gauck hier bringt, sein Verständnis für die Befürchtungen, ist nur der eine Teil seiner Argumentation. Der andere Teil ist eben jenes Trotzdem, jenes: trotzdem sind die Linken demokratisch gewählt worden und wenn man Schwierigkeiten haben darf, mit den Linken, dann wohl eher mit einem Teil dieser Partei.
Der andere Aspekt dieser Argumentation, den ich für schwierig erachte: wenn ich von meinem Politikverständnis, von meinem Bild der aktuellen politischen Lage in Deutschland ausgehe, dann habe ich immer mit einem Teil einer Partei große Probleme. Was bedingt, dass ich mit einem anderen Teil der Parteien keine großen Probleme habe. Gut, für einige Splitterparteien am rechten oder linken Rand gilt das natürlich nicht. Die NPD ist für mich keine Diskussion wert. Auch nicht in Teilen.

Erweiterte Tautologie

Die Extrapolation, die sich hier Gauck leistet, jene Emphase, die die Linken in den Vordergrund rückt, ist überhaupt nicht sachlich gebunden. Ihr Gehalt ist rein emotional. All dies läuft auf eine erweiterte Tautologie hinaus.
Eine Tautologie ist eine Äußerung, die in Worten zu viel sagt, was an Merkmalen vorhanden ist. Der „weiße Schimmel“ ist deshalb eine Tautologie, weil ein Schimmel per Definition weiß ist, wie ein Rappen schwarz und ein Fuchs braun. Als Argumentation existiert die Tautologie durch ein „Es ist so, wie es ist!“, durch ein Auslöschen der Argumentation. Argumentieren heißt: begründen. Begründen heißt, dass man die Argumentation an das sinnliche Objekt oder die konkretisierte Ideen zurückbindet. All dies leistet eine tautologische Argumentation nicht.
Die erweiterte Tautologie besteht aus einer Scheinargumentation. Das Definierte besitzt zwar eine Definition, doch ist diese Definition entweder mangelhaft oder sogar genauso erläuterungsbedürftig wie das Definierte selbst. Es läuft auf den alten Witz hinaus: »Was hast du da?« - »Ein Glom.« - »Und was ist ein Glom?« - »Dasselbe wie ein Bröm.« - »Aber was ist denn ein Bröm?« - »Nun, das ist doch ganz einfach. Es ist ein Glom.«
Die Kritik an den Linken läuft auf einen ähnlichen Zirkel hinaus. Weil die Linken die Nachfolgepartei der SED ist, ist die SED natürlich die „Vorfolge“-Partei der Linken. Dann wird das Staatsverständnis der SED herbeizitiert und nahtlos auf die Linken übertragen. Man mag die Art und Weise, wie die Linken die aktuelle Debatte beeinflussen, für unglücklich oder falsch halten. Es sind jedenfalls nicht dieselben Debatten, die damals in der DDR geführt worden sind. Ob sich aus einzelnen Themenkomplexen, etwa der Beteiligung Deutschlands an bewaffneten Einsätzen im Ausland, der Finanzpolitik der Europäischen Union, der Gestaltung des Schulwesens, usw. ein zusammenfassend gleiches Bild ergibt, das die SED von sich gegeben hat, möchte ich bezweifeln.

Filz und Zensur

Keineswegs möchte ich damit die Kritik an den Linken unterbinden, wie ich keine Kritik an irgendeiner Partei unterbinden möchte. Aber es gibt schon bestimmte Formen der Kritik, die einen mehr an eine Denkfaulheit erinnern, als an ein gewissenhaftes Verständnis des demokratischen Streits.
Politik muss sich an ihrer Aktualität messen und kritisieren lassen. Fraglich ist sowieso, ob man eine Partei aus einem ganz anderen Staatsgebilde importieren kann. Fraglich ist also, ob die Linken, selbst wenn sie es wollten, der SED nachgefolgt sind. Politik existiert eben nicht in einem luftleeren Raum; sie kann sich höchstens Treibhäuser schaffen, in denen sie seltsame Blüten treibt. Das passiert immer dann, wenn eine Regierung sich über ihre Grenzen hinaus institutionalisiert, wie dies bei despotischen Parteien der Fall ist. Der Stalinismus wäre genauso wenig möglich gewesen wie das Militärregime in Chile, wenn nicht maßgebliche Funktionen des öffentlichen Lebens gleichgeschaltet worden wären, durch Filz und Zensur.
Von Filz und Zensur kann beim derzeitigen Zustand der Linken aber keine Rede sein. Da fallen mir doch ganz anderen Parteien ein.
Schließlich aber muss eine Diskussion, die sich solch grobe Fehler auf der formalen Ebene vorwerfen lassen muss, als zensierend gewertet werden. Das gute Argument kann nicht durch die schlechte Anspielung ersetzt werden, und schon gar nicht durch die grob unsinnige Behauptung. Dies allerdings ist nicht mehr gegen die aktuelle Äußerung Gaucks gerichtet, sondern eher gegen gewisse Menschen auf Facebook.

Wiederholte Müdigkeit

Für mich wird es immer schwieriger, am politischen Leben teilzunehmen. Ich merke, dass ich mittlerweile eine gewisse Unerträglichkeit gegenüber diesem tagtäglichen Gezänk entwickle. Vor einigen Stunden bin ich auf einen alten Artikel gestoßen, einen, den ich mitten in der Auseinandersetzung zur guten Argumentation geschrieben habe: Verlust der Argumentation.
An meinen Worten hat sich nichts geändert. Und ich könnte hier zahlreiche weitere meiner Artikel benennen, die alle die formelle Seite der Argumentation in den Vordergrund rücken. Von der inhaltlichen Seite sind wir damit noch weit entfernt. Die formelle Seite, so sollte man meinen, ist zwar wichtig, aber nur das Gerüst, damit eine Argumentation nicht in den Zustand des Geplärres regrediert. Doch sie ist nicht der politische Inhalt. Nicht das, um was es wirklich geht. Es befriedigt mich nicht mehr, immer wieder darauf zu pochen. Es gibt diese zahllosen, wundervollen Bücher zur guten Argumentation. Und das eine oder andere, darum darf man doch bitten, sollten auch diejenigen Menschen gründlich durchgearbeitet haben, die sich in politischen Diskussionen profilieren wollen.

Und wo wir gerade von der Müdigkeit sprechen: ich kann nicht schlafen. Ich bin völlig aufgedreht, vermutlich nur innerlich, aber viel zu sehr, um mich ins Bett legen zu können. Das habe ich jetzt vier Stunden lang vergeblich versucht. Und es dann aufgegeben. In einer Stunde, um fünf Uhr, muss sich sowieso aus den Federn.

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