Jetzt konnte ich nicht einschlafen. Ein paar Mal habe ich mich herumgewälzt, dann wanderten meine Gedanken zu meinem gestrigen Tag zurück. Mittags bin ich nach Hause gekommen, habe mich an meinen Computer gesetzt und begonnen, zunächst Max Raphael weiter zu kommentieren. Dann bin ich zur Post gefahren und habe mir ein Buchpaket abgeholt (Edward deBono: Der kluge Kopf). Zwischendurch war der Postbote da und hat mir die Bücher von Matthias Pöhm in die Hand gedrückt. Später bin ich in meine Buchhandlung gegangen, um mir die Gefängnishefte von Antonio Gramsci zu besorgen. Diese hatte ich am Tag zuvor bestellt. Auch gekauft: Rico und Oskar (Andreas Steinhöfel).
Kitschgeschichte
Ich weiß nicht, was Pöhm sich gedacht hat, als er dieses Buch (Sie wollen keinen Erfolg, Sie wollen glücklich sein) verfasst hat. Vermutlich hat er gar nichts gedacht. Bei Gramsci finde ich das Wort Kitschgeschichte, mit dem gewisse italienische Schriftsteller die italienische Geschichte verklären. Und ähnlich ist es wohl mit Matthias Pöhm, wenn er von seinem spirituellen Wandel erzählt. Gramsci vergleicht diese Darstellung der nationalen Geschichte mit den grellen Bildchen christlicher Matronen. Und bei Pöhm ist das genauso, nur dass es nicht um eine nationale Geschichte, sondern eine individuelle geht.
Konkret und Abstrakt im Übersprung
Es lohnt sich, an dieser Stelle eine Passage von Gramsci ausführlicher zu zitieren, weil das, was dieser von der Geschichte Italiens schreibt, genauso auf Pöhm zutrifft. Frappierend ist vor allen Dingen, dass Pöhm den Übergang vom Konkreten zum Abstrakten so sprunghaft vollzieht, dass er kaum nachzuvollziehen ist. Gramsci schreibt also:
1. Man setzt voraus, dass das Gewünschte immer existiert hat und wegen des Dazwischentretens äußerer Mächte oder weil die inneren Tugenden »eingeschlafen« waren sich nicht offen durchzusetzen und zu zeigen vermag; 2. das führte zur populären Kitschgeschichte: Italien wird wirklich als etwas Abstraktes und Konkretes (zu Konkretes) zugleich gedacht, wie die schöne Matrone der populären Kitschbildchen, welche die Psychologie gewisser Volksschichten mehr beeinflussen, als man denkt, positiv wie negativ (aber immer auf rationale Weise), wie die Mutter, deren »Söhne« die Italiener sind. Mit einem Übergang, der brüsk und irrational erscheint, aber zweifellos wirksam ist, verwandelt sich die Biografie der »Mutter« in die kollektive Biografie der »guten Söhne«, die den missratenen, vom Weg abgekommenen Söhnen entgegengesetzt werden usw.Gramsci, Antonio: Gefängnishefte, 19. Heft, S. 2000
Endlosschleifen und Unglück
Was aber bietet Pöhm uns an?
Ein bisschen Tod, ein bisschen Universum, ein wenig Auflösung ins Nirwana (das er die dritte Realität nennt; nicht zu verwechseln mit der dritten Welt eines Karl Poppers), ein wenig Lästerei über Etikettierungen und wie weltlich diese seien. Der Tod jedenfalls arbeitet mit, wenn Pöhm seine Bücher schreibt:
Ein bisschen Tod, ein bisschen Universum, ein wenig Auflösung ins Nirwana (das er die dritte Realität nennt; nicht zu verwechseln mit der dritten Welt eines Karl Poppers), ein wenig Lästerei über Etikettierungen und wie weltlich diese seien. Der Tod jedenfalls arbeitet mit, wenn Pöhm seine Bücher schreibt:
Dann besorgte ich mir einen Walkman und besprach eine Kassette mit der immer selben Botschaft: »Dieses Buch verkauft sich so und so viel mal, dieses Buch verkauft sich so und so viel mal, dieses Buch verkauft sich so und so viel mal …« Der Walkman war an meinem Gürtel befestigt, und während des Schreibens hatte ich immer einen Knopf im Ohr. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat hörte ich diese Botschaft.S. 17
Was die Etikettierung angeht, die zu vermeiden ist, weiß Pöhm folgendes:
Es ist nicht richtig, dass irgendjemand in Ihrer Umgebung glücklich wäre. Ihr Nachbar ist nicht glücklich, der erfolgreiche Unternehmer ist nicht glücklich, der anerkannte Künstler ist nicht glücklich, der gläubige Christ ist nicht glücklich, der berühmte Popstar ist nicht glücklich — alle, denen Sie in der Fußgängerzone begegnen, sind nicht glücklich.S. 9
Der Päderast im Universum
Schließlich aber unterstützt uns auch das Universum. Es unterstützt uns, so Pöhm, in jedem Ziel. Folglich schreibt er:
Das Universum unterstützt den Kinderschänder, der ein neues Opfer zum Vergewaltigen sucht.S. 41
Das also ist der besagte Glücksdurchbruch. Lass dich von deinem Universum unterstützen und du wirst das tiefe Glück empfinden. Folgerichtig schreibt er weiter unten, dass man die Gefühle des Universums nicht verletzen könne. Was ist dagegen schon ein vergewaltigtes Kind?
Fatalismus und Prädetermination
Es ist ein überflüssiges, es ist ein gefährliches Buch. Nein, gefährlich wäre übertrieben. Ein gefährliches Buch wiese über den hübschen Kitsch im Bücherschrank hinaus. Selbst das aber schafft Pöhm nicht. Wenn es nach ihm ginge, dann würde sich der Leser aus der Welt entfernen und alles so sein lassen, wie es ist, jedenfalls aus seiner Perspektive. Doch genau das ist Gesellschaft nicht. Die Auffassung Pöhms ist fatalistisch und im Hintergrund winkt bereits die Prädeterminationslehre, die sagt: Beschwere dich nicht! Gott hat dich genau an den Platz gestellt, an dem er dich haben wollte. Und wenn du elendiglich unter einer Brücke krepierst, während nebenan im teuren Restaurant das Menü so viel kostet, wie du im Jahr zusammen betteln kannst, dann ist das eben Schicksal.
Belanglos
Pöhm wohnt in Wolkenkuckucksheimen. Seine Rhetorik-Bücher, die sich unverständlicherweise so gut verkaufen, sind ein alberner Abklatsch wirklich guter Lehrwerke, wie etwa dem Ueding. Mit diesem Buch hat er die ohnehin zweifelhaften esoterischen Theorien intellektuell dermaßen unterboten, dass man sich an das sinnlose Brabbeln eines durch Isolationshaft in den Wahnsinn Getriebenen erinnert fühlt. Nicht einmal seine Rhetorik auseinanderzupflücken macht Spaß: auch hier stolpert der Text so konturenlos und schlampig daher, mit solch banalen Metaphern, mit solch belanglosen Anekdoten, dass es für jemanden, der dies schon 100 mal gemacht hat, wenig reizvoll ist.
Irgendjemand schreibt auf Amazon, man müsse für die Gedanken dieses Buches offen sein. Was mich angeht, bin ich sowas von verschlossen. Und fühle mich - ja, glücklich dabei.
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