08.05.2014

Ach Wittgenstein

387. Der tiefe Aspekt entschlüpft leicht.
Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen
Wittgenstein ist echt faszinierend.
Ich habe mich ja schon seit langer Zeit mit ihm beschäftigt: ich glaube, Wittgenstein war der Philosoph, den ich nach meiner Nietzsche-Phase gründlicher gelesen habe, also etwa mit 17; und natürlich kann man ihn auch für das Studium der Sprachwissenschaften wunderbar verwenden.

Wittgenstein und Arendt

Im Moment entdecke ich Wittgenstein aus ganz anderen Gründen. Ich war ja mal bei Hannah Arendt (und werde demnächst auch wieder dorthin zurückkehren, weil ich mir gerade Eichmann in Jerusalem gekauft habe). Was mich bei Hannah Arendt sehr interessiert hat, das war diese Logik des »Zwischen«, also das, was ich mittlerweile die politische Logik nenne.
Von dort aus hat sich dann mein Lesen vervielfältigt. Klar, zunächst war das Judith Butler, die sich an bestimmten Stellen auf Hannah Arendt bezieht. Und über Judith Butler dann auch mal wieder Michel Foucault und, kurz und recht hineingezwängt, Claude Lévi-Strauss. Wie aber bin ich nun zu Wittgenstein gestoßen? Darüber rätsele ich jetzt seit zwei Stunden. Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht mehr. Irgendein Zitat muss mich aufgeschreckt haben. Oder es war eine Erinnerung.
Jedenfalls ist mir dann bei ihm (also Wittgenstein) als erstes der Begriff der Mannigfaltigkeit über den Weg gelaufen, den ich von Kant gut kennen und der mir bei Wittgenstein nie so richtig aufgefallen ist. Also bin ich zunächst diesem Begriff gefolgt. Dann kam die Grammatik dazu. Und dann verschiedene Bemerkungen von Wittgenstein, die so wunderbar zu Bemerkungen von mir zu Hannah Arendt passten.

Essenz und Gebrauch

Worum geht es also? Schlichtweg um die Auseinandersetzung zwischen Essentialismus und Anti-Essentialismus. Der schlägt sich z.B. in der Frage nieder, ob es ein natürliches Wesen von Frauen gäbe oder nicht.
Wittgenstein ist dort sehr deutlich. Er schreibt:
371. Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen.
Philosophische Untersuchungen
Und einiges anderes mehr. Die einzelnen Aspekte und Fragmente um diese eben zitierte Stelle herum sind darin sehr deutlich und sehr interessant.
Man könnte z.B. auch sagen, dass das Wesen der Frau in der Grammatik ausgesprochen wird, oder sagen wir einfach umfassender, im Sprachspiel. Und dass die Frau in verschiedenen Sprachspielen mitwirkt, so dass die Bedeutung der Frau aus diesem Sammelsurium von Sprachspielen entsteht, die sich aktuell, in einer Gesellschaft, spielen lassen. Dass die Frau ein biologisches Wesen sei, ist ebenfalls nur ein Sprachspiel. Man kann mit einer Frau auch andere Spiele spielen.

Philosophie der Oberfläche

Was mich am meisten fasziniert, ist, dass Wittgenstein auf seine Art und Weise ganz an der Oberfläche bleibt, nie in irgendeiner Weise in die Tiefe hinabsteigt, zu einem Wesen, zu einer Essenz. Er schreibt sich nicht um das herum, was das Wesen eines Phänomens sei, sondern er schaut sich den Gebrauch dieses Phänomens an. Man könnte also sagen, dass bei Wittgenstein alles „flach“ wird. Es ist aber trotzdem nicht einfach, weil die Tiefe die Fähigkeit hat, alles einfacher zu machen, alles zu summieren. Jedoch hat die Tiefe einen entscheidenden Nachteil: es wird alles zum Geheimwissen.
Genau das macht eben Wittgenstein nicht. Auf seine Art und Weise liegt alles offen da, lesbar, sichtbar, ohne ein Rätsel und ohne ein Geheimnis. Und trotzdem ist alles, so empfinde ich das, wild und aufregend.

»Zwischen« und Mannigfaltigkeit

Jenes »Zwischen«, aus dem Hannah Arendt ihre politische Logik entfaltet, schreibt sich in gewisser Weise auch bei Wittgenstein ein, allerdings weniger mit dem Menschen als Subjekt, als mit dieser Differenz als Subjektspender. Diese Mannigfaltigkeiten erschaffen nie das ganze Subjekt, sondern sind immer nur an seiner Konstitution neben anderen Mannigfaltigkeiten beteiligt, so dass das Subjekt (was man hier durchaus grammatisch lesen darf, denn es sind nicht nur Menschen, sondern auch Ideen oder Farben oder simple Gegenstände) wie ein Flickenteppich erscheint.
So gelesen ist Arendts großes Problem, dass sie heimlich immer noch von einer Einheit ausgeht, die all diese verschiedenen Richtungen und Strömungen versammelt und zu einem durchaus vielfältigen, aber letztendlich doch unteilbaren Körper versammeln.

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