16.06.2012

Gleise

Etwas launisch hatte ich vorhin Melusine Barby vorgeschlagen, eine Metaphorologie des Gleises zu schreiben. Natürlich habe ich sofort meinen Zettelkasten aufgeschlagen und hier ein hübsches Zitat gefunden, das sich zwar wenig für eine solche Metaphorologie eignet, aber sehr schön die Probleme anspricht, die auch Melusine in ihrem Artikel Diesen Text gibt es nicht (jenseits der Transzendenz) darstellt.

Das Zitat stammt von Niklas Luhmann, aus seiner Schrift ›Soziologie der Moral‹ (erschienen im Sammelband ›Die Moral der Gesellschaft‹, zu finden auf Seite 83, Hervorhebungen von mir):
Die Gesellschaft ist nicht die Gattung Mensch, nicht die Menschheit, sondern ein Kommunikationssystem, das die auf physisch-chemisch-organisch-psychischen Grundlagen gegebenen Potentiale der Menschheit selektiv integriert und in der Steuerung dieser Selektivität seine eigene Wirklichkeit und seine eigene Systemautonomie hat.
Diese Selektivität hat man freilich immer gesehen. Man hat sie aber normativ begriffen und damit auf ein Gleis geschoben, das zu ihrer Behandlung und Begründung in Begriffen der Moral führte und dort endete. Die Gewinnmarge einer neuen, systemtheoretischen Begrifflichkeit erreicht man, wenn man erkennt, dass die Binnenselektivität des Menschen, das, was ihn als organisch-psychische Einheit konstituiert, nicht identisch ist mit der, und ganz anders verläuft als die soziale Selektivität des Kommunikationssystems. Die System/Umwelt-Differenz trennt mithin nicht einfach Fakten, sie trennt und rekombiniert Selektivitäten.
Im Anschluss hieran kann man deutlicher sehen, wie der Mensch als beitragende Umwelt in soziale Systeme »interpenetriert«. Der originäre, gesellschaftskonstituierende Beitrag der organisch-psychischen Einheit Mensch besteht nicht etwa darin, daß diese Einheit im großen und ganzen friedfertig, gutwillig und normkonform handelt und so die Ordnung erhält (was als Tatsache natürlich nicht bestritten werden soll). Vor aller schematischen Bewertung dieser Art, die immer schon und immer nur im Gesellschaftssystem konstituiert wird, konstituiert dieses selbst sich auf der Außenbasis von Systemen mit hochkomplexer, feinregulierter Selektivität. Diese Systeme [gemeint sind die psychischen Systeme, bzw. Bewusstseinssysteme] tragen zunächst einfach die Tatsache bei, daß sie ihre Zustände ständig wechseln können und ständig wechseln müssen; sie tragen sozusagen ihre Lebendigkeit bei. Sie können eben deshalb aber kein funktionales Element, geschweige denn ein Teilsystem der Gesellschaft sein. Sie bringen die dafür notwendige Stabilität nicht auf. Ihr Beitrag ist gerade Instabilität, die es ermöglicht, ein anderes System, nämlich ein soziales System über Selektionsprozesse aufzubauen.

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