26.06.2012

Die seltsamen Blüten populärwissenschaftlicher Darstellungen

Sonntagabend habe ich mit der Kommentierung eines Buches begonnen, das mich sichtlich nervt. Sichtlich natürlich nicht für euch. Aber ich saß am Sonntag schimpfend auf meinem Balkon und gesehen hat das mein Sohn.
Das Buch stammt von Friedhelm Schwarz und heißt ›Muster im Kopf‹. Ich hatte es bereits als recht missglückten Versuch bezeichnet, "die Neurophysiologie philosophisch zu wenden" (Zwischenbericht aus dem privaten Leben).
Was mich hervorragend stört, sind die Argumentationsgänge dieses Autors. Er gleitet viel mehr, als dass er argumentiert. Und ein Problem daran ist mit Sicherheit, dass Begriffe und fachliche Strukturen wenig ausgearbeitet werden. Ich kann es nur noch einmal sagen: wer argumentieren will, muss zunächst die Begriffe scharf erfassen. Ansonsten entstehen eher Suggestionen, die sich auf Worthülsen stützen.
Dies möchte ich an einem Beispiel deutlich machen:
"Zum Glück sind die Menschen von Geburt an mit der Eigenschaft ausgestattet, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. D.h. allerdings nicht, dass der Mensch von Natur aus gut ist, sondern es heißt, dass bestimmte genetische Veranlagungen zur Differenzierung vorhanden sind, die dann durch die Umwelt entsprechend der Gesellschaft und Kultur ausgeformt werden."
(Schwarz, Friedhelm: Muster im Kopf. Reinbek bei Hamburg 2006, Seite 26)
Der erste Satz ist schon äußerst befremdlich, zielt er doch auf ein moralisches oder wissenschaftliches Vermögen, das gleichsam angeboren sei. Der zweite Satz verknüpft sich nur lose mit dem ersten. Die Fähigkeit, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, zielt für mich schon assoziativ nicht auf eine Moral oder eine moralische Persönlichkeit. Zwar lehnt auch der Autor dies ab, aber alleine dieser Sprung zur moralischen Persönlichkeit ist doch merkwürdig.
Der zweite Halbsatz des zweiten Satzes bringt lediglich eine Plattitüde ins Spiel, etwas, das in unserer Gesellschaft zu einem Glaubensbekenntnis herabgesunken ist: die Gesellschaft präge in irgendeiner Art und Weise das Denken mit, aber genetisch sei es ja auch ein bisschen (also das Denken). Einen zentralen "Witz" (also einen geistreichen Dreh) der Entwicklungspsychologie, nämlich, dass die genetische Veranlagung prozessuale Strukturen unseres Denkens vorgibt, erwähnt der Autor gar nicht. Zum Teil schwankt er deshalb recht hilflos zwischen einer inhaltlichen Veranlagung des Denkens und einer formalen hin und her.
Die inhaltliche Veranlagung des Denkens ist eine typische Vorannahme primitiver Menschen und findet sich häufig im rassistischen Diskurs. Hier wird behauptet, dass bestimmte Denkinhalte genetisch geprägt sind, zum Beispiel die Vorliebe für wissenschaftliches Denken in der arischen Rasse (was Adolf Hitler irgendwo, mit anderen Worten, in seinem Buch ›Mein Kampf‹ schreibt). Noch hübscher allerdings hat das meine "Lieblingsrassistin" mal mir gegenüber ausgedrückt: dass nämlich mein Interesse an der Philosophie vererbt sei.
Schwarz jedenfalls führt solche Begriffe wie "genetische Veranlagung" oder "Kultur" recht unbedarft ein und kann deshalb auch nur in Belanglosigkeiten stecken bleiben. Diese fehlende Begriffsbildung bedingt allerdings zusätzlich, dass das Buch insgesamt kaum eine Struktur hat. So wird zum Beispiel immer wieder auf bestimmte Aspekte des unbewussten Wissens verwiesen, ohne dies einmal gründlich zu diskutieren. Auch die oft beschworene "Macht des Unbewussten" gerinnt zu einem Glaubensbekenntnis, wenn sie nicht weiter ausgeführt wird.

An dem Zitat von Schwarz fällt mir aber besonders die Formulierung "durch die Umwelt entsprechend der Gesellschaft und Kultur" auf, deren Gehalt entsprechend der wenig definierten Begriffe auf eine Tautologie hinausläuft: Gesellschaft und Kultur werden gleichgesetzt, während die Umwelt aus eben dieser Gesellschaft und Kultur besteht.
Die rhetorische Figur dahinter ist die Tautologie, wie sie deutlicher in dem Satz "Geschäft ist Geschäft." zu finden ist. Roland Barthes schreibt dazu:
Die Tautologie ist jenes sprachliche Verfahren, das darin besteht, Gleiches mit Gleichem zu definieren (»Theater ist Theater«). Man kann darin eine jener magischen Verhaltensweisen erkennen, mit denen sich Sartre in seiner »Skizze zu einer Theorie der Emotionen« beschäftigt hat. Man flüchtet in die Tautologie ebenso wie in Furcht, Wut oder Traurigkeit, wenn einem die Erklärungen ausgehen. Das zufällige Aussetzen der Sprache wird magisch mit dem gleichgesetzt, was man für einen natürlichen Widerstand des Objekts zu halten beschlossen hat. In der Tautologie liegt ein doppelter Mord: Man vernichtet das Rationale, weil es uns widersteht; man vernichtet die Sprache, weil sie uns verrät. Die Tautologie ist eine Ohnmacht zum rechten Zeitpunkt, eine heilsame Aphasie, sie ist ein Tod oder, wenn man will, eine Komödie, die empörte »Vorführung« der Anrechte des Realen auf die Sprache. Als magische kann sie sich wohlgemerkt nur hinter einem autoritativen Argument verschanzen. So antworten die Eltern dem quengelnden Kind auf seine Warum-Fragen schließlich: »Das ist so, weil es eben so ist« oder noch besser: »Warum? Darum! Punkt!« Dieser uneingestanden magische Akt vollzieht zwar die sprachliche Geste der Rationalität, gibt sie aber sogleich auf und glaubt, mit der Kausalität quitt zu sein, weil er das einführende Wort geäußert hat. Die Tautologie bezeugt ein tiefes Misstrauen gegen die Sprache; man verwirft sie, weil sie einem fehlt. Doch jede Verwerfung der Sprache ist ein Tod. Die Tautologie legt den Grund für eine tote, eine unbewegliche Welt.
Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt am Main 2011, Seite 308
So scheint eine wichtige Strategie in der populärwissenschaftlichen "Argumentation" die Entleerung der Begriffe zu sein, die nur noch durch das suggestive Argument (Barthes nennt es das autoritative Argument) gestützt werden. Beides bedingt sich natürlich: je weniger man Begriffsbildung treibt, umso mehr muss man suggestiv argumentieren und je suggestiver man argumentiert, umso eher werden die Begriffe ausgehöhlt.

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