04.02.2012

Isotopien

Derzeit kehre ich zu ganz klassischen Techniken der strukturalistischen Literaturwissenschaft zurück (einzige Neuerung: ich schaffe stärkere Bezüge zur Textlinguistik, als ich dies während meines Studiums getan habe).

Ganz wesentlich diskutiere ich zurzeit (natürlich nur mit mir selbst) den Begriff der Isotopie, der von Greimas ausgearbeitet wurde und von dem Heringer (Texte analysieren und verstehen) irgendwo sagt (ich finde gerade die entsprechende Textstelle nicht), sie sei ein Mittelding zwischen Textkohäsion und Textkohärenz. Diese beiden Begriffe definiert Barbara Sandig (Textstilistik des Deutschen) folgendermaßen:
"Kohäsion ist die explizite sprachliche Verknüpfung von Äußerungen in einem Text zu einer zusammengehörigen Sequenz. Kohärenz ist der größere Sinnzusammenhang, der anhand des Textes und anhand des Sprach- und Weltwissens von den Rezipierenden zu konstruieren ist."
(Seite 363)
Mit anderen Worten: der Autor oder Urheber einer sprachlichen Äußerung muss zwar für einen gewissen, guten Zusammenhalt sorgen (Kohäsion); jedoch hat auch der Leser für diesen Zusammenhalt einen bestimmten Beitrag zu leisten (Kohärenz).

Solche Begriffswerkzeuge wie der der Isotopie lassen sich allerdings nicht einfach lernen. Man muss sie anwenden. Eigentlich wollte ich gestern schon etwas über die strukturale Textanalyse schreiben. Dann habe ich mich allerdings mit den Gedichten von Stefan George (Das Jahr der Seele), mit einer Kurzgeschichte von Ilse Aichinger (Kleist, Moos, Fasane), Botho Strauß (Das Partikular) und Michael Crichton (Lost World) beschäftigt und dadurch zahlreiche Fragen aufgeworfen.
Ich liebe ja das Buch Einführung in die Literaturwissenschaft von Jochen Schulte-Sasse und Renate Werner. Es hat mich durch mein Literaturstudium gut begleitet und ist didaktisch auch sehr gut aufgearbeitet (viele der neueren Bücher, die eine Einführung bieten, haben mich nicht sonderlich interessiert: sie erscheinen mir wesentlich unklarer). Trotzdem gibt es mittlerweile viele Aspekte, die ich ganz anders sehen würde. (Vor ein paar Tagen dachte ich mir, ich müsste bei dem Verlag anrufen, um sie davon zu überzeugen, dieses Buch als E-Book zu veröffentlichen. Es ist derzeit vergriffen und wird wahrscheinlich auch nicht mehr aufgelegt. Aber offensichtlich ist auch niemand bereit, seine eigenen Exemplare zu verkaufen, was ich bei der Qualität dieses Buches verständlich finde. Jedenfalls habe ich im Verlag niemanden erreicht. Sie haben Besprechungen, Mittagspausen, Ohrenstöpsel im Ohr oder viel zu viel zu lesen. Jedenfalls hat niemand meinen Anruf angenommen.)

Das Buch von Barbara Sandig (Textstilistik des Deutschen) ist 2006 in Berlin erschienen. Es ist ganz hervorragend und scheint mir, von einer stark linguistischen Seite aus, die Freuden und Leiden der Interpretation aufzuarbeiten. Da die Literaturwissenschaft sich stärker mit "Literatur" beschäftigt, dieses Buch allerdings auch sehr oft mit Gebrauchstexten (vom Werbetext über den Geschäftsbrief bis zur journalistischen Nachricht), haben "reine" Literaturwissenschaftler hier gelegentlich einen gewissen Transfer zu leisten.

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