Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich gerne an Dialogen in Romanen herummeckere. Manche dieser Dialoge sind extrem hölzern, und gerade in deutschen Büchern findet man die krudesten Beispiele für misslungene Dialoge. Ich habe mich eine Zeit lang dafür interessiert, woran das liegen könnte, mittlerweile aber aufgegeben, hier Hypothesen zu bilden.
Eines jedenfalls ist sicher: Dialoge in Romanen haben nur wenig mit Alltagsdialogen zu tun.
Zumeist sind solche Romandialoge auf wesentliche Äußerungen verkürzt, und wenn schon der Beginn eines Gesprächs nur abgelichtet wird, ohne diesem ewigen Alltagszeremoniell einen besonderen Reiz abzugewinnen, dann kann man nur den Kopf schütteln. So etwas darf allerhöchstens noch in der Rohfassung stehen, aber in den Überarbeitungen sollte es nicht mehr auftauchen.
Das ist das eine.
Das andere ist ein Geständnis, das ich glücklicherweise nur noch halb machen kann: ich kann nicht gut Dialoge schreiben. Auch bei mir wirken sie allzuhäufig gestelzt und - in der Szenenabfolge gesehen - dysfunktional. Anders als bei anderen Romanbestandteilen fällt mir hier eine Systematisierung, eine Verbegrifflichung schwer. Und wenn es etwas gibt, was mir für die Schreibwerkstatt große Probleme bereitet, dann die Aufgaben zum Dialog. (Und, nebenbei gesagt, zum Spannungsaufbau.)
Seit Monaten beschäftige ich mich schon mit Kai Meyer. Man kann von ihm nicht nur sagen, dass er ganz ordentlich schreiben kann (obwohl er gegen Alice Gabathuler sehr abfällt). Seine Dialoge sind auch recht präzise und dadurch spannend.
Hier sind zwei Figuren, wie Kai Meyer in den Wellenläufern Dialoge beginnt. Sie ließen sich natürlich auch aus anderen Romanen herausnehmen.
HERÜBERSCHWINGEN.
Der Dialog beginnt in dem Moment, in dem zwei Personen einander begegnen. Sie kommen von verschiedenen Tätigkeiten her; diese sind für den Dialog strukturierend.
1. Nach der Seeschlacht treffen Jolly und ihr Ziehvater Bannon aufeinander. Während die Schlacht eine bzw. mehrere Szenen konfliktreicher Handlung birgt, ist die Annäherung am Ende der Schlacht das Startsignal für eine weitere Szene, die der Reflexion und/oder der Planung dient: "Jolly schwang sich über die Reling. Bannon sah sie und eilte zu ihr herüber."
2. Der Dialog öffnet mit einer Wertung oder etwas ähnlichem, in diesem Fall mit einem Lob: "Gut gemacht"
3. Bei Meyer endet der Dialog hier auch schon wieder. Normalerweise schließt sich ein längerer Dialog an, der eine eigenständige, kleine Szene ausmacht. Solche Szenen haben drei Funktionen: sie dienen der Ergänzung des vorangegangenen Geschehens, der weiteren Planung der Geschichte "durch die Personen", und natürlich sollen sie die Beziehung der beiden Personen charakterisieren.
4. Die Reflexion kann zweierlei Aufgaben erfüllen: einmal kann sie den Spannungslevel abbauen und damit Platz für neue Ereignisse machen, oder sie stellt gerade das Rätselhafte und Mysteriöse in den Mittelpunkt und baut damit die Spannung auf.
5. Die Planung ist ebenso wie die Reflexion kein notwendiger aber ein häufiger Bestandteil eines solchen Dialogs. Was soll ich tun? Was wird weiter zu erwarten sein?, dies sind die Fragen, die mit der Planung erörtert werden.
6. Nicht vergessen werden darf, dass die Charakterisierung ein wichtiger Bestandteil jeden Dialogs ist: im Dialog machen sich verschiedene Horizonte auf, die je nach Rhetorik mehr oder weniger aufeinanderprallen. Nicht immer sind es Konflikte. Aber es gibt schematische Reibungspunkte, die für jeden Dialog sinnvoll sind, seien es solche verschiedener Teilkulturen, der Generation, des Geschlechts, und so fort.
Übung.
1. Schreiben Sie eine Szene, in der zwei Personen aufeinandertreffen. Sie kommen aus verschiedenen Handlungen und vielleicht sogar von verschiedenen Ereignissen und Orten. Gestalten Sie den Moment des Zusammentreffens und die ersten Worte, vielleicht sogar den ganzen Dialog. Achten Sie dabei auf Reflexion, Planung und Gestaltung der Beziehung.
2. Suchen Sie weitere Beispiele aus der Literatur. Notieren Sie kurz, woher die Personen kommen und was sie getan haben, wie sie sich annähern und welche Rolle Planung, Reflexion und Beziehung im Dialog spielen.
Weitere Beispiele:
DAS SONDERBARE
Der Dialog wird zuerst angekündigt und dann konkret entfaltet.
1. "Und noch etwas war sonderbar." - Damit wird der Dialog eingeleitet, der sich genau um das Thema dreht, das dann entfaltet wird. Nicht immer ist diese Ankündigung auf ein Rätsel bezogen. Andere Dialoge beginnen mit anderen Ankündigungen, einem Streit ("Im Ligusterweg Nummer 4 war mal wieder bereits beim Frühstück Streit ausgebrochen. Ein lautes Kreischen aus dem Zimmer seines Neffen Harry hatte Mr. Vernon Dursley in aller Herrgottsfrühe aus dem Schlaf gerissen."), einem Gefühl wie Wut oder Angst oder einer schlichten Vorschau auf das Geschehen. Sinnvoll ist hier aber immer die Ankündigung eines Konfliktes, einer überraschenden Wendung oder etwas ähnlichem.
2. Bei Meyer wird dann das Seltsame erläutert, bzw. präzisiert. Das heißt, es werden Wahrnehmungen eingesammelt, die sich auf das Thema beziehen ("'Das sind gar keine Spanier', sagte Christobal, Bannons Steuermann.") und das Rätselhafte und Unentscheidbare weiter ausbauen. In anderen Fällen wird die Ankündigung dramatisiert, wie zum Beispiel bei Harry Potter in der oben zitierten Szene. Der Dialog dramatisiert und differenziert aber die Ankündigung, so oder so.
Übung.
1. Ein Dialog kündigt sich an: Schreiben Sie einen oder zwei Sätze, in denen diese Ankündigung steht und eventuell präzisiert wird. Dann differenzieren Sie die beiden Konfliktpositionen aus, indem Sie die beiden Parteien miteinander reden lassen.
2. Auch hier: Suchen Sie andere Dialoge, die diesem Muster folgen.
Hier ist es übrigens schwierig, weitere Beispiele zu finden, die sich so rein zitieren lassen. Denn die Ankündigung gibt es für alle Arten von Handlungen, und sie eröffnet nicht nur den Dialog, sondern bezieht sich auch auf Wendungen innerhalb eines Dialoges oder einer Handlung.
Eines jedenfalls ist sicher: Dialoge in Romanen haben nur wenig mit Alltagsdialogen zu tun.
Zumeist sind solche Romandialoge auf wesentliche Äußerungen verkürzt, und wenn schon der Beginn eines Gesprächs nur abgelichtet wird, ohne diesem ewigen Alltagszeremoniell einen besonderen Reiz abzugewinnen, dann kann man nur den Kopf schütteln. So etwas darf allerhöchstens noch in der Rohfassung stehen, aber in den Überarbeitungen sollte es nicht mehr auftauchen.
Das ist das eine.
Das andere ist ein Geständnis, das ich glücklicherweise nur noch halb machen kann: ich kann nicht gut Dialoge schreiben. Auch bei mir wirken sie allzuhäufig gestelzt und - in der Szenenabfolge gesehen - dysfunktional. Anders als bei anderen Romanbestandteilen fällt mir hier eine Systematisierung, eine Verbegrifflichung schwer. Und wenn es etwas gibt, was mir für die Schreibwerkstatt große Probleme bereitet, dann die Aufgaben zum Dialog. (Und, nebenbei gesagt, zum Spannungsaufbau.)
Seit Monaten beschäftige ich mich schon mit Kai Meyer. Man kann von ihm nicht nur sagen, dass er ganz ordentlich schreiben kann (obwohl er gegen Alice Gabathuler sehr abfällt). Seine Dialoge sind auch recht präzise und dadurch spannend.
Hier sind zwei Figuren, wie Kai Meyer in den Wellenläufern Dialoge beginnt. Sie ließen sich natürlich auch aus anderen Romanen herausnehmen.
HERÜBERSCHWINGEN.
Der Dialog beginnt in dem Moment, in dem zwei Personen einander begegnen. Sie kommen von verschiedenen Tätigkeiten her; diese sind für den Dialog strukturierend.
1. Nach der Seeschlacht treffen Jolly und ihr Ziehvater Bannon aufeinander. Während die Schlacht eine bzw. mehrere Szenen konfliktreicher Handlung birgt, ist die Annäherung am Ende der Schlacht das Startsignal für eine weitere Szene, die der Reflexion und/oder der Planung dient: "Jolly schwang sich über die Reling. Bannon sah sie und eilte zu ihr herüber."
2. Der Dialog öffnet mit einer Wertung oder etwas ähnlichem, in diesem Fall mit einem Lob: "Gut gemacht"
3. Bei Meyer endet der Dialog hier auch schon wieder. Normalerweise schließt sich ein längerer Dialog an, der eine eigenständige, kleine Szene ausmacht. Solche Szenen haben drei Funktionen: sie dienen der Ergänzung des vorangegangenen Geschehens, der weiteren Planung der Geschichte "durch die Personen", und natürlich sollen sie die Beziehung der beiden Personen charakterisieren.
4. Die Reflexion kann zweierlei Aufgaben erfüllen: einmal kann sie den Spannungslevel abbauen und damit Platz für neue Ereignisse machen, oder sie stellt gerade das Rätselhafte und Mysteriöse in den Mittelpunkt und baut damit die Spannung auf.
5. Die Planung ist ebenso wie die Reflexion kein notwendiger aber ein häufiger Bestandteil eines solchen Dialogs. Was soll ich tun? Was wird weiter zu erwarten sein?, dies sind die Fragen, die mit der Planung erörtert werden.
6. Nicht vergessen werden darf, dass die Charakterisierung ein wichtiger Bestandteil jeden Dialogs ist: im Dialog machen sich verschiedene Horizonte auf, die je nach Rhetorik mehr oder weniger aufeinanderprallen. Nicht immer sind es Konflikte. Aber es gibt schematische Reibungspunkte, die für jeden Dialog sinnvoll sind, seien es solche verschiedener Teilkulturen, der Generation, des Geschlechts, und so fort.
Übung.
1. Schreiben Sie eine Szene, in der zwei Personen aufeinandertreffen. Sie kommen aus verschiedenen Handlungen und vielleicht sogar von verschiedenen Ereignissen und Orten. Gestalten Sie den Moment des Zusammentreffens und die ersten Worte, vielleicht sogar den ganzen Dialog. Achten Sie dabei auf Reflexion, Planung und Gestaltung der Beziehung.
2. Suchen Sie weitere Beispiele aus der Literatur. Notieren Sie kurz, woher die Personen kommen und was sie getan haben, wie sie sich annähern und welche Rolle Planung, Reflexion und Beziehung im Dialog spielen.
Weitere Beispiele:
Ein Kellner kam an ihren Tisch geeilt. »Noch etwas Tee, die Herren?«, fragte er unter hektischen Verbeugungen.
Artemis seufzte. »Ersparen Sie mir das Theater und setzen Sie sich.«
Instinktiv wandte der Kellner sich an Butler, der ja schließlich der Erwachsene war. »Aber Sir, ich bin doch der Kellner.«
Eoin Colfer, Artemis Fowl
Zwei riesige grüne Augen waren zwischen den Blättern aufgetaucht.
Harry sprang auf und im selben Moment hörte er ein Johlen über den Rasen schallen.
»Ich weiß, was heute für ein Tag ist«,jauchzte Dudley und watschelte auf ihn zu.
Die riesigen Augen blinzelten und verschwanden.
Joan Rowling, Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Ich hatte den Auftrag, die Brücke zu überqueren, den Brückenkopf auf der anderen Seite auszukundschaften und ausfindig zu machen, bis zu welchem Punkt der Feind vorgedrungen war. Ich tat das und kehrte über die Brücke zurück. Jetzt waren dort nicht mehr so viele Karren und nur noch wenige Leute zu Fuß, aber der alte Mann war immer noch da.
«Wo kommen Sie her?» fragte ich ihn.
«Aus San Carlos», sagte er und lächelte.
Es war sein Heimatort, und darum machte es ihm Freude, ihn zu erwähnen, und er lächelte.
«Ich habe Tiere gehütet», erklärte er.
Ernest Hemingway, Alter Mann an der Brücke
K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid, das, ähnlich den Reiseanzügen, mit verschiedenen Falten, Taschen, Schnallen, Knöpfen und einem Gürtel versehen war und infolgedessen, ohne dass man sich darüber klar wurde, wozu es dienen sollte, besonders praktisch erschien. »Wer sind Sie?« fragte K. und saß gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann aber ging über die Frage hinweg, als müsse man seine Erscheinung hinnehmen, und sagte bloß seinerseits: »Sie haben geläutet?« »Anna soll mir das Frühstück bringen«, sagte K. und versuchte, zunächst stillschweigend, durch Aufmerksamkeit und Überlegung festzustellen, wer der Mann eigentlich war.
Franz Kafka, Der Prozess
DAS SONDERBARE
Der Dialog wird zuerst angekündigt und dann konkret entfaltet.
1. "Und noch etwas war sonderbar." - Damit wird der Dialog eingeleitet, der sich genau um das Thema dreht, das dann entfaltet wird. Nicht immer ist diese Ankündigung auf ein Rätsel bezogen. Andere Dialoge beginnen mit anderen Ankündigungen, einem Streit ("Im Ligusterweg Nummer 4 war mal wieder bereits beim Frühstück Streit ausgebrochen. Ein lautes Kreischen aus dem Zimmer seines Neffen Harry hatte Mr. Vernon Dursley in aller Herrgottsfrühe aus dem Schlaf gerissen."), einem Gefühl wie Wut oder Angst oder einer schlichten Vorschau auf das Geschehen. Sinnvoll ist hier aber immer die Ankündigung eines Konfliktes, einer überraschenden Wendung oder etwas ähnlichem.
2. Bei Meyer wird dann das Seltsame erläutert, bzw. präzisiert. Das heißt, es werden Wahrnehmungen eingesammelt, die sich auf das Thema beziehen ("'Das sind gar keine Spanier', sagte Christobal, Bannons Steuermann.") und das Rätselhafte und Unentscheidbare weiter ausbauen. In anderen Fällen wird die Ankündigung dramatisiert, wie zum Beispiel bei Harry Potter in der oben zitierten Szene. Der Dialog dramatisiert und differenziert aber die Ankündigung, so oder so.
Übung.
1. Ein Dialog kündigt sich an: Schreiben Sie einen oder zwei Sätze, in denen diese Ankündigung steht und eventuell präzisiert wird. Dann differenzieren Sie die beiden Konfliktpositionen aus, indem Sie die beiden Parteien miteinander reden lassen.
2. Auch hier: Suchen Sie andere Dialoge, die diesem Muster folgen.
Hier ist es übrigens schwierig, weitere Beispiele zu finden, die sich so rein zitieren lassen. Denn die Ankündigung gibt es für alle Arten von Handlungen, und sie eröffnet nicht nur den Dialog, sondern bezieht sich auch auf Wendungen innerhalb eines Dialoges oder einer Handlung.
Im Ligusterweg Nummer 4 war mal wieder bereits beim Frühstück Streit ausgebrochen. Ein lautes Kreischen aus dem Zimmer seines Neffen Harry hatte Mr. Vernon Dursley in aller Herrgottsfrühe aus dem Schlaf gerissen.
»Schon das dritte Mal diese Woche!«, polterte er über den Tisch hinweg. »Wenn du diese Eule nicht in den Griff kriegst, fliegt sie raus!«
Harry versuchte, übrigens nicht zum ersten Mal, die Sache zu erklären.
»Sie langweilt sich«, sagte er. »Sonst fliegt sie doch immer draußen rum. Könnte ich sie nicht wenigstens nachts rauslassen?«
Joan Rowling, Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Hoffentlich schaffte sie es bis in ihre Kabine, bevor ...
»SHORT! HIERHER, ABER SOFORT!«
Holly seufzte. Es war also mal wieder so weit.
Eoin Colfer, Artemis Fowl
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